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[OBF-420212-002-02]
Briefkorpus

6.

Donnerstag, am 12. II. nach 10 Uhr.

Herzensschätzelein! Mein lieber, herzlieber [Roland], Du!

Heute war ein bewegter Tag. Zuerst Deine Nachricht – dann haben Mutsch und ich nachmittags tüchtig reine gemacht; Du! jetzt sieht's aber wieder fein aus bei uns! Und am Abend bin ich nun wieder mal zum Singen gegangen. Man begrüßte mich freudig und fragte nach Dir. Wir üben schon für das Osterfest. Ach Du! Herzlieb. Ich fand doch gar keine rechte Andacht heute zum Mitsingen. Ich hab so oft Dein gedacht.

Ob Du wohl heute Abend noch einmal in Wien sein wirst? Im Hotel übernachten darfst?

Ich bin so erfreut und beruhigt zugleich, daß Du endlich noch die Erlaubnis dafür bekamst. X [*] Du kannst allein sein mit Dir – ach, das ist doch das Allerschönste nach einer Reihe Tagen voller Glück und Seligkeit. Was gäbe ich darum, könnte ich mich vergraben vor aller Welt – könnte ich mich so ganz in Dich, Du mein Ein und Alles, versenken – in Dein geliebtes Wesen, das mir wieder so ganz nahe und vertraut war. Oh Herzelein! Es kann nicht sein. Der Alltag fordert sein Recht. Vielleicht liegt darin auch ein guter Sinn, daß wir uns willenlos fügen müssen in den Lauf der Tage, der Zeit überhaupt.

Fällt uns im täglichen Getriebe nicht alles leichter, was wir vielleicht in der Einsamkeit tief und bitter schmerzlich beklagen würden?

Ach ja. Es wird wohl gut so sein.

Ich denke an unsern Abschied, Geliebter! Einsam am Unabänderlichen tragen erfordert mehr Kraft, als im Kreise lieber vertrauter Menschen, und im Bereiche eines Arbeitsfeldes, das uns alle Gedanken abfordert. Ach Du! Wie wirst Du es tragen[,] Herzenslieb, das Alleinsein? Du!! Geliebtes, gutes Mannerli! Ich gehöre nun eigentlich zu Dir, könnte Dir immer und stündlich zur Seite sein, wenn Du nach mir verlangst.

Und kann es doch nicht, noch nicht. Es ist nicht unsre Schuld. Von einer Schuld kann hier auch garnicht die Rede sein. Es ist unabänderliches Schicksal, was uns hier neben Millionen andrer Menschen betrifft. Und wir müssen nur den rechten Weg finden, dieses Schicksal so erträglich wie nur möglich zu gestalten. Oh Du!!! Darinnen haben wir einander doch sooo lie[b], ja? Ich denke immer ganz lieb an Dich, wie Du an mich, Du!! Alles, was uns bewegt, das müssen wir einander anvertrauen. Und somit X [*] die Trennung gar keine Lücke reißen zwischen uns. Es bleibt alles wie ehedem. Ich bin ganz Dein und Du bist ganz mein. Alle, auch die geheimsten Regungen unsrer Herzen, sie finden den Weg zueinander – es gibt in dieser Welt nichts mehr, was sich hindernd zwischen Dich und mich stellen könnte. Du!!! Liebe – nichts als mächtige, unendliche, große und wundersame Liebe, die uns zusammenhält. O mein Herzensschatz, an Dir hängt all mein Lebensglück, meine Freude. Du gibst meinem Dasein Inhalt, Sinn und [W]ert.

Ohne Dich möchte ich garnicht mehr sein. Ach mein [Roland]! Wie habe ich Dich sooooo lieb! Du!!!!! So ganz von Herzen lieb! Du weißt es, Du!

Geliebter! Ich bin heute so erfüllt vom Glück unseres Einsseins – ich weiß nicht wie es kommt, ist es, weil ich nun Kunde habe von Dir? Du! Ach Du! Wenn ich jetzt bei Dir sein könnte! Herzelein! Es ist schaurig um diese Nachtstunde, ein ganz ungewöhnlich heftiger Sturm heult draußen heute. Was wird der bringen? Noch mehr Schnee? Noch mehr Kälte?

Du! Mich schluckt! Denkst Du mein? Es geht auf ½ 12 [Uhr] nachts. Ich will nun ins Bettlein gehen, bin müde heut. Und es wird mich kein Mannerli stören in meiner Müdigkeit! Ach Du – Dein Frauchen ließe sich doch so gerne stören. Du weißt es doch gelt? Du! Liebes! Herzliebes! Ich will warten, was morgen der Postbote bringt! Morgens will ich gleich meinen Boten wieder abschicken, damit Du recht bald wieder von mir hörst. Du!!

Herzelein! Gute Nacht! Gott behüte Dich!

Ich hab Dich lieb!

Ich küsse Dich! Deine [Hilde]. Dein!!!

Herzensschätzelein! Einen frohen guten Morgen! Hast Du gut ausgeschlafen? Besser als ich? Du!!! Wo muß ich denn meinen Hemdenmatz suchen? In Wien, oder im Zug, oder sonst irgendwo! Du Herzlieb! Es ist vormittags um 1000 [Uhr], ich bin schon meine Wege gegangen. Nun warte ich auf den Postboten. Er kommt ewig nicht. Und ich glaube auch zu wissen, woran es liegt. X [*] Der Sturm hat einen so mächtigen Schneefall verursacht, wie wir ihn in diesem Winter noch garnicht gehabt haben. Wenn Du das Bild sehen könntest, das sich bietet, wenn man zum Fenster hinausschaut! „Oberfrohna im tiefen Schnee.“ Die Verwehungen sind geradezu katastrophal. Die Omnibusse fahren nicht. Herr U. hat heute bloß seine Oberfrohnaer Arbeiter. Die Peniger, Niederfrohnaerer, Chursdorfer, Wüstenbrander sind alle nicht da. Und beim Fleischer sagte man vorhin, daß die Schulkinder, die nach Chemnitz fahren, schon hinter Limbach stecken geblieben sind. Sind wieder heimgelaufen. Nun können sich die armen Reisenden auch wieder auf Zugverspätungen gefaßt machen. Dadurch kriegen wir auch schwer Post heran. Ach Du! Wenn ich nur heute einen Brief von Dir bekäme! Ich will doch den meinen gleich noch vor Mittag abschicken, da holt er doch einen ½ Tag heraus. Die Post geht hier nur noch Mittags und Abends einmal ab.

Es weht und schneit. Man jagt nicht gern ein Tier hinaus, geschweige denn geht man selbst gern. Wie mag das Wetter bei Dir sein? Du bist nun so allein, kannst doch auch nicht umherstiefeln, wenn es so wettert. Bleibe nur im Warmen, Herzelein! Erkälte Dich ja nicht! Und wenn Du noch Geld brauchst, wenn die Post so schlecht geht, dann rufe mich an! Ich kann doch wohl auch telegraphisch Geld überweisen.

Herzlieb! Einen Wartegenossen hast Du ja getroffen wie ich ersehe, den dicken Honigmann X [*] aus Pommern. Bist also nicht ganz allein auf weiter Flur. Ach, Du wirst Dir schon auch über die böse Wartezeit hinweghelfen, indem Du Dir in der Stadt etwas ansiehst, ein gutes Konzert besuchst; Wien ist doch reich an Kunstgenüssen. Bestimmt auch im Kriege. Du hast mir wieder einige so herrliche Aufnahmen von der Stadt mitgeschickt. Ich habe mich sehr gefreut, Du!

Huh! Wie es doch ums Haus heult. Ach die armen Soldaten in Rußland! Ich bin doch so beruhigt, daß ich Dich nicht nach Osten ziehen lassen mußte, Du! Was wird unser Siegfried machen? Ich habe ihm einen Brief geschrieben und das Büchlein geschickt. Gestern ist es wieder zurückgekommen. „z. Z. nicht zu befördern. Sendungen nur bis 50g zugelassen.“ Und es wog ja nicht mal 100 gramm. Es ist schon schwer, wenn man seine zugedachten Gaben so peinlich mit dem vorgeschriebenen Gewicht vereinbaren soll. Was soll man denn noch schicken? Wir können ihm nur schreiben: das und das schenken wir Dir, es steht zuhause und wartet auf Dich. – Die Schulkinder halten Kälteferien! Die Kohlen müssen für's Lazarett abgegeben werden. Was soll das noch werden. Wenn doch erst Frühling würde, gelt? Die Mutsch hat Dir auch ges[chr]ieben. Ich nehme ihren Brief dann mit zur Post. Es ist um ½ 11 [Uhr]; der Postbote war noch nicht da. So wird er wohl nichts haben für mich. Aber ich will am Nachmittag nochmal auf der Post nachfragen. Herzlieb! Ich warte doch so sehnsüchtig auf eine weitere Nachricht von Dir!

Und auch Du wirst warten, warten. X [*] Der böse Winter bringt wieder mal alle Disziplin im Verkehrswesen durcheinander, nicht wahr? Heute muß ich nochmal wegen der Urkunden auf's Rathaus. Dein Vater meint die Geburtsurk[un]den von Großvater u. Großm. [Nordhoff] seien noch bei unserm Standesbeamten! Ich will nachsehen. Von R. ging noch nichts ein. Nun muß ich doch auch noch auf Dein Zeugnis warten. Na – der Schulrat hat Dich auch lange genug warten lassen!

Herzelein! Ich will nun den Boten nochmal auf den Weg nach Wien absenden. Hoffentlich erreicht er Dich noch. Ich denke immer voll Liebe Dein, Du! Ich bleibe ganz Deine treue [Hilde]. Ich küsse Dich! Ich halte Dich ganz fest! Gott behüte Dich mir!

 

[*= Satz mit einem Kreuz markiert]

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Ausschnitt aus dem Brief, der ein Kreuzchen vor einem Satz zeigt.

Ba-OBF K02.Pf1.420212-002-02a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946

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