Bitte warten...

[OBF-420212-001-01]
Briefkorpus

Wien, am 12. II. 1942

Herzlieb! Du meine liebe, liebe [Hilde]!

Da sitze ich also noch immer hier, und die Aussichten auf eine baldige Abreise sind gesunken. Das ist wenig erfreulich – aber unabänderlich. Noch unerfreulicher, daß ich meine Hotelbewilligung gestern nicht mehr erhielt. So mußte ich geschlagen das Feld meiner zäh verteidigten kleinen Freiheit räumen. Ach Herzelein! Was [b]edeutet schon solch kleine Niederlage vor dem  großen Ganzen! Ein paar mal ordentlich geschlafen und mich ausgewärmt [sic] habe ich doch – und für die kommenden Tage mache ich mir das Leben so angenehm wie möglich.

Das Nachtlager heute in der Kaserne war zwar etwas ungewohnt – unruhig war es auch, ein Kommen und Gehen – Lichte brannte die ganze Nacht – aber es war wenigstens warm. Ich habe mit meiner eigenen 4 Decken und habe so ganz warm gesteckt [sic]. Nach der Befehlsausgabe [ha]be ich mein Frühstück fertig gemacht und sitze nun jetzt in einem der zahllosen Wiener Kaffeehäuser, schon die zweite Stunde – und werde da sitzen, bis es Zeit ist zum Essen. Man kann die Betreuung der Urlauber durch die Stadt Wien nicht gerade vorbildlich nennen, aber dazu haben wir eben Krieg.

Gestern am Nachmittag, es taute ziemlich kräftig, habe ich also erst [ein]mal meinen Rückzug angetreten – und bin dann der Nase nach in die Stadt geschlendert bis zum „Steffel". Das ist ein Weg von über einer halben Stunde. Von Unterwegs [sic] merkte ich mir einen Bäckerladen mit feinen Brötchen und ein Kino, das den Film vom scheinheiligen Florian spielte. Wie in vielen unsrer Städte gibt es auch in Wien eine Altstadt, die City, den Stadtkern, ausgezeichnet durch enge, krumme Gassen und gedrängte Bauweise, ausgezeichnet durch große, z. T. wohl auch alte Geschäfte. Wien übertrifft darin Dresden wohl um ein Bedeutendes und läßt im Frieden sicher viel Luxus und Eleganz sehen.

Und wir merken uns d[ies]e Stadt für später einmal vor. Um den Stadtkern, dort, wo früher Wall und Graben führten, liegen die breiten, mit Bäumen bestandenen Ringstraßen, in Frankreich Boulevards genannt. Sie sind auch hier breite Prachtstraßen, in denen der meiste Verkehr flutet. Die hohen, schmutzigen Schneehaufen lassen die Pracht nur nicht recht zur Geltung kommen jetzt.

Vom Stadtinnern bin ich mit der Straßenbahn zu dem Kino zurückgefahren. Der Film war überaus lustig, er zei[gte] ganz köstliche Typen. Anschließend habe ich die Zeit noch in einem Kaffee verbracht. Meine Höhle suchte ich erst zur Schlafenszeit auf.

Gut, daß Du hast Dein Mannerli noch nicht längere Zeit verwöhnen können, daß er gelernt hat, sich in eine Lage zu schicken. Nun hast Du es ja eben 14 Tage verwöhnt, aber doch noch nicht so, daß er sich auf seine Anpassungsfähigkeiten nicht noch besinnen könnte. Gestern in der Mittagsstunde habe ich ein wenig in den Urlaub zurückgeträumt. Wie kann es nur sein, daß nun jeder von uns wieder seinen Weg geht, daß unser Zusammenleben nun der Vergangenheit angehört, als sei es nur ein Traum gewesen. Aber, Herzallerliebste! Wie wird es sein, wenn wir eines Tages doch unser Leben umeinanderschließen dürfen für immer!!!!! Schenke uns Gott in Gnaden dieses Glück.

Herzelein! Gestern habe ich daran gedacht, daß Du wieder die Kinderschar um Dich versammelst. Heute ist Singstunde. Das Wochenprogramm kommt wieder in Gang. Du kannst über Mangel an Ablenkung nicht klagen. Sie läßt die Zeit schneller vergehen.

Die Uhr zeigt jetzt ½ 12 Uhr. Wirst Du meinen Brief erhalten habe [sic] heute? Morgen abend will ich zum ersten Male nach einer postlagernden Sendung fragen. Jetzt will ich mich aufmachen zum Essen.

Lebt alle recht wohl. Grüß mir die lieben Eltern. Frau L. kannst Du gelegentlich sagen, daß der Verkehr nach S. [sic] anscheinend eine ganze Zeit völlig unterbunden war.

Nun sei selber recht herzlich gegrüßt. Herzelein! Alle Zeit, da ich getrennt sein muß von Dir, ist ein Warten darauf, daß ich wieder bei Dir bin! Du, mein lieber Weggesell. Vielleicht brauchen wir doch gar nimmer so lang zu warten, Du!! Ich liebe Dich! Und bleibe ewig Dein [Roland].

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946