[420211–2‑1]

Mittwoch, am 11. Februar 1942.
Herzensschätzelein! Mein geliebtes, teures herz! Mein [Roland]!
Heute ist der dritte Tag, daß Du fort von uns gingst. Weit hat der Zug Dich mir entführt. Doch nicht so weit, daß ich Dir garnimmer folgen könnte mit all meinen Gedanken, den heimlichsten und süßesten auch. Du!!!
Zwischen Dich und mich könnte man die Ferne noch so groß legen, wir finden einander. Uns[e]re Seelen dringen durch jeden Widerstand hindurch, durch Weltenraum, durch Mauern, durch Türen. Und ich habe Bange, daß ich Dich, mein Herzlieb, einmal nicht mehr finden könnte in meiner Sehnsucht. Oh Du!!! Mein Geliebter Du!! Zu fest sind un[e]re Herzen ineinander verschlungen! Ganz unlösbar sind die feinen unsichtbaren Fäden, die uns[e]re Wesen verbinden, miteinander verkettet. Du!! In uns lebt mir noch ein Wille, in uns wirkt mir noch ein Drang, der mit Urgewalt unser ganzes Sein belebt: zueinander finden wollen wir! Unser Glück will sich spiegeln im Augenpaar des anderen, unser Sehnen sucht nach Widerhall, unser Herzschlag sucht seinen Gleichklang – ach Du! es ist nichts mehr in dieser Welt, das wir allein erleben möchten, allein ersehnen könnten. Das große Wunder der Liebe hat uns umfangen, nun gibt es nur noch eine Erfüllung: unser Einssein. In dieser Welt wollen wir zu Zweien sein und doch so einsam, als wären wir jedes allein. Das ist das Köstlichste, wenn zwei sich so ganz in Liebe finden, daß eines am anderen Erfüllung findet, daß sie in ihrem Einssein ganz einsam sein wollen. Oh mein herzallerliebster [Roland]! Ich bin mit Dir so ganz von Herzen glücklich! Du! Und ich weiß voll beseligender Freude, daß auch Dein Herz sich so ganz zu dem meinem geneigt hat. Ach Du! Herzelein! Was unsere Brust erfüllt, das kann man in Worten garnicht [sic] ausdrücken. Es ist viel zu überwältigend dieses Erleben, als daß es in Worten Ausdruck fände. Das beglückende ist, daß Du wie auch ich es gleich mächtig fühlen, daß wir von der Gewalt dieses Erlebens so ganz gebannt si[n]d. Daß wir uns dieser Gewalt so ganz ergeben – weil wir Stunden innigsten Glückes und Einsseins dafür tauschen. O Geliebter! Wir haben das große Wunder in den vergangenen, kostbaren Tagen wieder erleben dürfen. Wir haben im Sonnenschein uns[e]rer einzigen Liebe gelebt und es ist wieder mit Inbrunst der Wunsch aufgestanden in uns, daß wir doch [in] diesem, unserem Glück bald für immer leben könnten. Ach Du! Es ist immer Feiertag um uns gewesen, so oft wir nun zusammen waren, seit wir uns fanden. So brennend wünschen wir uns, daß uns auch der Alltag, das wirkliche Leben mit all seinen Pflichten überhaupt, zusammen finden möchte. So weit und groß ist unser Aufgabenkreis, so schön sehen wir unser gemeinsames Schaffen, mitten hineingestellt ins Leben. Ach Du! Und ich weiß genau, jeder Tag bringt uns Freude und Glück – auch der ernsteste, sorgenvollste führt uns in Liebe nur enger zusammen. Wir leben und streben nur füreinander; ach, so vielgestalt wollen wir uns[e]rer Liebe Ausdruck verleihen dann! Geliebter! Laß uns demütig bittend die Hände falten und den Allmächtigen bitten um solche Gnade, um Erfüllung uns[e]res heißen Wünschens. Wir sind bereit, miteinander den Lebenskampf aufzunehmen. Gläubig und furchtlos, in Treue fest verbunden wollen wir unseren Weg gehen in Gottes Namen. Die Zeit ist hart. Viel Geduld und Unverzagtheit verlangt sie von uns allen. Geliebter! Wir haben einander so lieb gehabt in den vergangenen Tagen. Wir haben uns an uns[e]rer guten Liebe Glück gestärkt, wir sind ganz eins miteinander. Oh, glückselig spüre ich es! Du!!! Nun wollen wir ganz getrost in die künftige Zeit hineingehen, wir halten einander unverlierbar fest. Und einer ist über uns, der unser Lebensschiff lenkt, ihm wollen wir vertrauensvoll angehören, auch einer Welt voll Widerständen trotzen. Herzlieb! Wer so wie wir Gottes Güte und Gnade erfuhr, der kann uns[e]re Treue zu ihm begreifen.
Gott ist das Licht auf unserem Wege und von ihm allein lassen wir uns leiten. Dich, mein Liebster, befehle ich ihm an. Er möge Dich behüten vor aller Gefahr. Dir Kraft schenken auszuhalten, Du! Ich warte Dein, Geliebter! In alle Ewigkeit! Du!! Du weißt es, mein [Roland]. Und es wird Dich stärken, wenn Deine Seele einmal zagen wollte. Du mußt mir heimkehren. Ich liebe Dich unendlich mein geliebtes Herz, Du!
Herzlein! Heute fegt ein wilder Sturm Schneewehen durch die Straßen. Ich bin so froh, daß an Deinem ersten Reisetage Sonnenschein war; nach Süden zu – so hoffe ich – wird das Wetter an und für sich besser geworden sein. Heute, wenn alles gut ging, wirst Du nun in S.[aloniki] ankommen. Ich habe Dich stündlich verfolgt im Geiste. Wirst Du die Fahrt auch gut überstanden haben? Ich warte im Stillen schon wieder auf den Postboten, der mir das erste Lebenszeichen von Dir bringen wird. Ich will von nun an die Boten nummerieren, damit sich ein Fehlender leichter erkennen läßt. Willst Du es auch so halten? Herzlieb! Gestern habe ich den ganzen Nachmittag geschrieben, es sind fast all meine Schulden getilgt. Abends war ich im Kursus. Es war gerade politische Schulung!! Eine Schutzmannsfrau sprach über die Judenfrage! Heute ist Kinderschar, ich weiß noch garnicht [sic], was ich ihnen vormachen soll. Es ist wieder Vormittag, da ich Dir schreibe, Du! Bei dem Wetter kann ich nicht groß reinemachen u. so nehme ich mir gleich Zeit für mein Schätzelein! Du! Ich hab[‘] Dich sooooooooo lieb! Gott behüte Dich! In Liebe und Treue grüßt Dich von Herzen Deine [Hilde]. Ein liebes Küßchen geb[‘] ich Dir! Du!!!
