
[420104–1‑1]
[Saloniki] Sonntag, d.[en] 4. Januar 1942
Herzallerliebste mein! Meine liebe, liebste [Hilde]!
Schätzelein, geliebtes! Voll Fragen und Spannung und Erwartung ist doch Dein Mannerli – ganz voll, daß es ihm beinahe das Herzlein beklemmen will: ob ich denn zu Dir kommen darf? Zu Dir? Ob es denn über kurzem schon wahr werden soll, daß wir einander wiedersehen? Oh Herzelein! Ich spüre es: Du wartest mit mir – Du fragst mit mir – Du betest mit mir – oh Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Geduldig wollen wir bleiben, demütig ergeben in Gottes Willen – bei ihm ist alles beschlossen! Oh sag, Du! Was läßt so tief uns fragen? Was macht unser Herz erzittern? Worauf wartet es sooo in tiefstem bewegt? Oh Du!!!!! Du!!!!! !!!!! !!!
Daß wir einander wiedersehen sollen! Einander begegnen und voreinander stehen mit einem Herzen voll Liebe und Liebessehnen – oh Du!!! Sooo übervoll!
Oh Herzelein! Ich darf das nicht näher berühren, sonst mache ich uns ganz ungeduldig und bereite uns Schmerzen – und beides wäre Unrecht. Oh Geliebte! Laß uns die Hände falten! Es ist eine unendliche Gnade und ein großes Geschenk, wenn wir uns wiedersehen dürfen, Du!!! Es muß in uns tiefste, dankbare Freude auslösen. Oh Herzensschätzelein! Laß uns immer wieder bedenken, welch großes Geschenk uns schon mit dem Glück uns[e]rer Liebe zuteil ward! Diese große Gnade soll uns nicht ängstlich zittern machen – sie soll uns nur desto zuversichtlicher und ruhig gewiß machen im Glauben. Gott ist so reich. Er schenkt aus vollen Händen. Er muß uns liebhaben! Und wir wollen nicht bänglich fragen und dem Zweifel Raum geben – wollen ihn lieben und ihm uns in kindlicher Gläubigkeit anbefehlen: „Er wird’s wohl machen!” Oh Herzelein! Wem möchten wir die Entscheidung darüber, wann die Stunde uns[e]rer gemeinsamen Lebensfahrt anbrechen soll, vertrauensvoller in die Hände legen als dem Vater im Himmel? Wir dürfen uns nur stets recht an ihn halten: er ist der Lotse, der unser Lebensschiff durch alle Klippen und Fährnisse sicher leiten kann. In seinen Händen liegt unser Leben, in seinen Händen reift es – und wenn es Gottes Wille ist, reift entgegen den Tagen uns[e]rer gemeinsamen Erdenfahrt. Darüber sollten wir ganz stille werden – immer, auch dann, wenn Stürme uns bange machen wollen. Auch die Stürme müssen Gott gehors[a]m sein und untertan und ihm dienstbar.
Oh Geliebte! Wir wollen einander zu solchem Glauben halten, jetzt und immerdar! Damit uns[e]re Herzen stark werden. Nur mit starken Herzen können wir lange glücklich miteinander leben, Du!!!!! !!!!! !!! Oh Herzelein! Es gibt eigentlich keine größere und schönere Liebespflicht, als einander zu solchem Glauben zu halten!
Geliebte! Der erste Sonntag im neuen Jahre will nun zur Neige gehen. Froh bin ich erwacht. Und in der Erwartung Deines Liebesgrußes ging die Arbeit so lebhaft von der Hand. Die Post blieb aus heute für alle. Ach Herzlieb! Ich war nicht traurig. Ich weiß sie doch auf dem Wege zu mir! Sie ist zu den Feiertagen aufgegeben, wo auch die Post gern feiert – und so ist die Verspätung nur zu verständlich. Ich weiß – mein Warten wird ganz reich belohnt werden, oh Du!!! Vom Mittag in uns[e]rer Behausung angelangt, zu Fuß, die Straßenbahn verkehrt aus Gründen der Stromersparnis schon 14 Tage nicht mehr, haben wir unser Gemach erst einmal einer gründlichen Reinigung unterzogen, dazu den Ofen in Gang gesetzt, sodaß es am Ende uns[e]rer Anstrengungen warm genug war, sich auf uns[e]rem ‘Kanapee’ ein wenig lang zu strecken. Das Mannerli hat im Keßlerbuch [Walther Keßler: Und eines Tages öffnet sich die Tür: Briefe zweier Liebenden] gelesen, Kamerad H. hat einen ‚Versch’ [sic] weggemacht. Ein stiller Tag mit beinahe milder Luft und verhaltenem Sonnenschein war heute – und so wurde beschlossen, um 4 Uhr einen Bummel zu unternehmen. Der Straßenbahn nach schlenderten wir durch unser Villenviertel fast bis zur Endstelle und bogen dann in die Straße ein, die ich am Totensonntag schon einmal allein ging, auf der man sich leicht nach Hause träumen kann. Wenn ein paar schmucke Häuser inmitten schöner Gärten und ein paar gut gekleidete Menschen eben die Heimat lebendig machen – reißt die nächste häßliche Baulücke mit dem Durchblick auf ungebändigte Wildnis und Öde und das Gefährt mit dem klapperdürren Gaul davor und ärmlich hockenden Menschen obenauf einen jäh zurück aus jeder Illusion – es ist wieder das Gehen auf der Asphaltstraße unter uns, die Löcher darin und ihr ungepflegter Zustand erinnern jeden Augenblick daran, daß diese Fahrbahn in diesem Lande nicht erfunden wurde, daß sie hergeborgt ist. Oh Herzelein, ich möchte hier nicht bleiben für ein ganzes Leben. Schöne Lage und Gunst des Klimas [ver]mögen nimmermehr auszusöhnen mit dieser Zwitterkultur. Ein Fremdling würde man immer bleiben und diese Fremde würde sich belastend auf[‘]s Herz legen. Und Du und ich, wir hängen an der Heimat mehr als viele and[e]re Menschen. Und ich weiß, auch im Osten bliebe ich ein Fremdling. Oh Herzlieb! Ich werde alles daran setzen, diesen Wünschen uns[e]rer Herzen Erfüllung werden zu lassen! Ich denke, daß sich genug Menschen finden werden, die freiwillig in den Ostraum sich ansiedeln, die lohnenderen Erwerb und freierer Betätigung nachziehen, die sich von ihrem Mutterboden der Heimat leichter lösen, die schon zufrieden sind, wenn man ihnen ein Eigenheim gibt, wenn sie Kino und Radio haben. Oh Herzlieb! Meinethalben könnten Kino und Radio verschwinden – aber die heimatlichen Gefilde, den Mutter- und Nährboden uns[e]rer Kultur möchte ich nicht verlassen.
Hältst Du Dir wohl noch die Zeitung „Das Reich”? Bekommst [Du] sie wohl nicht mehr immer. Ich sende Dir mit dieser Post einen Ausschnitt. Oh Herzlieb! Magst Du wohl mit mir Dich hineinlesen und ‑schauen und ‑sehen in die Schätze der Kunst? Zu schönstem Gewinn und wahrer Herzensfreude? Oh Du! Du!!! Ich weiß Deine Antwort! Schätzelein, Dein Mannerli steht vor all dem noch so wie Du, kein Eingeweihter, kein Kenner, kein Fachmann – und der höchste Gewinn wird Freude sein und Bewunderung und das Mitschwingen uns[e]rer Herzen. Ich spüre doch an mir, wie durch öfteres Schauen der Linien und Rythmen [sic] dieser großen Bauwerke man ihren Gedanken und ihrem Inhalt näher kommt. Der ungeheure Form- und Schöpferwille in diesen Kunstwerken kann eigentlich auch nur den gereiften Menschen recht ansprechen und von ihm verstanden werden. Und die Formlosigkeit uns[e]rer Zeit erschwert uns das Verständnis der Zeiten größter Kraft und Eigenart des Ausdrucks, größter Zucht und strenger Bindung. Oh Geliebte! Das Beglückende bei all diesem Gang durch die Schätze der Kunst ist auch stets wieder die Begegnung mit unserem Glauben. Fast ausnahmslos sind diese Werke ein Loben und Danken zu Gott, wahrhaft beredte und lebendige Zeugen der Kraft, die unserem Glauben innewohnt.
Herzelein! Wir schauen vor uns ein Leben, so reich und verheißungsvoll. Wir fühlen in uns so viel gutes Wollen – oh Geliebte! solchen Hunger mag dieses Leben! Gott sei uns gnädig! Er segne unser Wollen mit gutem Vollbringen!
Ich habe Dich sooo lieb! Oh Herzelein! Mit Dir möchte ich gehen, mit Dir dieses Leben leben! Oh Geliebte! Seit Du an meiner Seite gehst, dünkt es mir so reich und lebenswert! Behüte Dich Gott! Ich denke immer Dein! Und denke in diesen Tagen nur immer daran, Dir heimzukehren – Dich zu schauen, Dich an meinem Herzen zu fühlen, Dir all meine Liebe zu bringen, oh! Dir zu zeigen, daß ich Dich sooooooooooooo lieb habe. Ewig Dein [Roland]! Du! Mein!!!
Roland sieht Griechenland aus seiner chauvinistischen Betrachtung. Er vergleicht alles, auch die Landschaft, mit der Heimat in Deutschland. Dadurch fällt der Vergleich stets zu Ungunsten Griechenlands aus. Der Zustand der Häuser der Straßen und die Verarmung der einfachen Leute stoßen ihn ab. Er ist nicht in der Lage zu sehen, was die Ursachen sind, die Griechenland so viel schlechter erscheinen lassen, als Deutschland, dass es nach dem I. Weltkrieg und jetzt im Krieg, dem Land schlecht geht. Es herrscht Hungersnot in Griechenland, die verursacht ist durch die deutsche Besatzung und den Menschenverlust durch die politischen Wirren nach dem I. Weltkrieg.
Die “Zeitschrift, das Reich” empfiehlt er [Hilde] ob er damit die griechische Baukunst meint, bleibt völlig ungewiss.