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[OBF-420102-002-01]
Briefkorpus

Freitag, am 2. Januar 1942.

Herzensschätzelein! Mein geliebtes, teures Herz! Geliebter!

Du!!! Heute will ich wieder zu Dir kommen.

Gestern war ich nur immer in Gedanken bei Dir. Der 1. Januar war gestern. Du! Denke nur: wir schliefen bis um 10 vormittags! Nicht, daß wir so schlafbedürftig gewesen seien! Nein – es war das Gefühl des „Nichtsdrängens“, eben des Feiertags. Unser Papa schlief ja auch bis Mittag, wußten wir, und so waren wir mal ganz faul. Herzelein! Ich habe sooo an Dich gedacht am Silvesterabend! Mußt es doch gespürt haben über alle Ferne, Du!!! Eine herrliche Nacht war es. So mondhell, frostklirrend, ganz still, ach Du!!! Ich bin eher aus der Kirche heimgegangen, nachdem die Predigt zu Ende war und viele Leute noch das Abendmahl nahmen. Ganz allein ging ich auf der Straße. Wie war das doch schön! Über mir die unendliche Himmelsweite – so friedlich alles ringsher.

Du!!! Am liebsten wäre ich ein großes Stück gelaufen, hinein in diesen herrlichen Winterabend. Ich war Dir so nahe in Gedanken! Du!!! Ach Geliebter! Wenn Du nur bald heimkommen darfst! Ich möchte so gerne mit Dir zusammen einmal durch solch stille, mondhelle Winternacht gehen.

Ganz ruhig und froh wird man innerlich, wenn man den friedlichen Hauch der Gottesnatur einatmet. Warum kann nicht in der ganzen Welt solch köstlicher Friede sein? Ach Herzelein! Sehnsüchtig dachte ich auch auf dem Wege nach Hause an unser Geschick. Der Pfarrer sprach ernste Worte zu uns.

Niemand von uns weiß, ob wir am nächsten Jahreswechsel die Glocken wieder klingen hören. „Es ist die letzte Stunde..“ so war das Leitwort seiner Predigt.

Bereit sein müssen wir – stets bereit und ganz wach sein müssen wir. Im Geläut zur Jahreswende klingt auch immer die Sterbeglocke mit. Wir sollen sie nicht überhören. Auch wir sollen den Gedanken nicht von uns abweisen, daß es einmal zu Ende geht mit unsrem irdischen Leben.

Herzelein! Christen sind nie am Ende. Wir leben unser Leben in Gottes Namen. Uns kann nicht Bange sein, wenn Gott uns einmal abrufen wird von dieser Erde. Wir wissen, wir gehen ein in eine bessere Welt. In eine Welt voll Frieden und himmlischen Glanzes. Und es ist das Vorrecht unsrer Jugend und unsres ungebrochenen Lebensmutes, daß wir heute viel lieber an unser gemeinsames Leben denken, daß wir uns von Gott erbitten!

Wir sind uns einig in diesen Gedanken um das Letzte, es bewegt uns im Innern und wir sind nicht so blind zu glauben, daß uns gerade dieses Scheiden vom Irdischen einmal erspart bliebe. O nein! Öfter als sonst müssen wir daran denken in den Tagen des Krieges. Wir können nur ganz vertrauensvoll und gläubig aufblicken zu unserem Herrgott, von dem wir unser Leben empfangen – in dessen Händen auch unser Vergehen beschlossen liegt. Solange er uns aber ein starkes Herze, Gesundheit und frohen Mut verleiht, so gehören wir dem Leben, dem schönen lockenden Leben, ihm wollen wir unsre Kraft widmen. Auch den Kampf und die Gefahr wollen wir nicht scheuen; denn wir wissen: so Gott will, steht hinter all dem Kampf das leuchtende Ziel!

In allen Menschenherzen brennt seine Flamme! Frieden! Frieden! So nennt es sich! Und was es für uns beide allein in sich birgt, oh Geliebter!!! Das zu sagen, sind Worte viel zu schwach und kraftlos. Das wissen wir allein! Ganz allein zu innerst! Was uns das bedeutet! Du!!! Oh mein liebster [Roland]! Von Gott allein kommt uns die Kraft zu allem Leben, möchte er sie uns ungebrochen weiter schenken! O möchte er das Schicksal der Deutschen in seine Hand nehmen und zum Besten wenden! Das ist mein W[u]nsch am Beginn dieses neuen Jahres.

Und für mein persönliches Leben wünsche ich mir nichts als Deine Liebe, Deine Treue und Deine Gesundheit! Du!!! Du!!!!!

Mir aber ein starkes, geduldiges Herze, das Dir allen Sonnenschein schenken kann, alle Lebensfreude erhalten und immer neu wecken vermag. Du!!! Helfe mir Gott im neuen Jahre, Dir ein treues, liebendes Weib zu sein – Dir Erfüllung zu sein. Daran hängt all mein Lebensglück, Geliebter! Denn, wenn ich Dir nichts mehr sein kann, dann mag ich keinem Menschen mehr etwas sein. Dann hat mein Leben keinen Sinn mehr. Geliebter! Wirst Du mich immer lieb behalten? Oh Du!! Wie kann ich nur so fragen – Du hast mich doch schon so vieltausendmal Deiner Liebe versichert. Ach Du! versichert, es ist nicht der rechte Ausdruck dafür. Oh Herzelein! Brauchen wir denn noch eine Versicherung unsrer Liebe? Sag? Wo unsre Wesen so entschieden zueinander drängen! Wo unsre Seelen doch gar keinen Raum mehr haben für etwas andres, als unsre Liebe! Du!!!

Du und ich sind nun eins, ganz eins! Ein Ganzes sind wir! Ach Geliebter! Wie kann ich es je einmal vergessen?!

So groß ist unser Glück! So unermeßlich groß. Wir werden einander gehören bis in den Tod. Und wenn ich Jahre kein Wort von Dir hörte, kein Zeichen von Dir erhielt, ich müßte Dir die Treue halten! Ich müßte auf Dich warten! Ich bliebe ganz die Deine – mein [Roland]. Und ich weiß, auch Dir erginge es so. Du müßtest mir die Treue halten. Wir haben unsre Herzen getauscht. Du!!! Ist es so? Und nun kann keines von uns mehr allein leben, weil seine Ergänzung fehlt! Du!!! Oh Du!!! Ich liebe Dich! Herzelein! Im Aufblick zu Gott unser Vater wollen wir unsre Hände ineinanderlegen und herzlich bitten, daß wir einander weiter so in Liebe gehören dürfen, daß wir den Frieden erleben dürfen und den Sieg des Guten, Edlen über alle zerstörende Macht der Finsternis. O schenke uns Gott ein Leben in Eintracht und Frieden! Geliebter!! Bleibe Du mir!

Mein [Roland]! Ich habe noch immer kein Post von Dir. Ich warte so ungeduldig, ach – , sooo sehnsüchtig auf Deine Boten. 4 Tage sind es schon. Das ist lange, Du! Aber Du kannst es ja nicht ändern. Es muß am Transport liegen. Es ist nun schon 1942 und ich weiß noch nicht einmal wie Du Deinen Geburtstag und das Weihnachtsfest verlebt hast. Ob ich denn alle Boten noch erhalten werde? Oder kommst Du gar eher an, als Deine Briefe? Einmal ist es doch schon geschehen! Aber Du! Sooo lieb ich Dich habe, so ungern verlöre ich einen Deiner Boten, Herzlieb. Sie sind mir doch so unendlich teuer und wert! Ich werde sie niemals vernichten können. Und als mein Liebstes bringe ich sie mit in die Ehe. In unsren Hausstand, Du! Und an einem Plätzchen, das wir gemeinsam bestimmen wollen dafür, sollen sie immer liegen bleiben.

Und wenn ich einmal eher sterben muß als Du, dann will ich sie mit ins Grab nehmen.

Du mußt mir das versprechen, [Roland], daß Du meinen Wunsch erfüllst!

[Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]


Heute schrieb Deine Mama, Hellmuth möchte gerne unsre Hochzeitsbilder einmal sehen. Sie sind nun schon auf dem Wege! Hellmuth und Friedel sind in Schibock, ich sandte die Bilder mit einem lieben Brief dahin. Am 4. I. muß Hellmuth wieder fort. Ich weiß nicht, was dann weiter geschieht, weiß auch nicht, ob er ganz geheilt ist schon. Vom Siegfried habe ich lange keine Nachricht. Was wird er machen? Der Arme.

Bei uns sind wieder mal Soldaten einquartiert im Orte. Von Westen nach Osten kommen sie, als Austauschtruppen. Die Straßen wimmeln von Soldaten. In unsrem Hause sind keine, denn U.s sind in Franken. Wir nehmen keinen, das ist im Sommer mal möglich, doch im Winter muß jede ein ordentliches Lager haben. Noch dazu wo sie mehrere Tage bleiben werden. Wie den armen Kerlen zumute sein muß, gelt? Es ist zu schrecklich, das alles.

Gestern waren wir nun auch mal bei Großmutter [Laube]. Sie freuten sich alle, daß wir kamen. Auch Papa war mit. Um 3 [Uhr] gingen wir und vor 6 Uhr sind wir heim, weil Papa Dienst hatte. Sie lassen Dich alle herzlichst grüßen! [Du] Sollst bald kommen, ehe wieder neuer Schnee fällt! Denn seit gestern regnet es plötzlich wie toll. Die Kälte hat einer milderen Strömung Platz gemacht. Nun taut alles weg. Eine tüchtige Patsche ist. Gestern Abend haben Mutsch und ich mal gelesen in unseren Weihnachtsbüchern, dann sind wir zu Bett. Als wir Silvester bei den Bekannten waren, nahm ich ein Buch mit, das mich interessierte: Jud Süß. Der Abend verlief sehr nett und angeregt, wir sind um 1 Uhr nach Hause. Erst besuchten wir unseren Papa nochmal. Und nun ist der ganze Festtagszauber vorüber. Nun warte ich auf Dich! Goldherzelein! Auf Dich in leiblicher Gestalt! Und auf Deine Boten! Wirst Du bald heimkommen zu mir? Du!! Du!!! Oh, ich sehne mich sehr. Gott behüte Dich, mein [Roland]! Ich warte in Liebe und Treue Dein! Immer Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946