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[OBF-411227-001-02]
Briefkorpus

Sonnabend, den 27. 12. 1941

Herzallerliebste! Mein liebes, teures Weib! Geliebte, Du!!!

So viel Feiertage hintereinander – und wir können sie doch nicht miteinander begehen, ach Herzelein! So viel können nicht zusammenfeiern, die es doch gern möchten. Wir wollen nicht traurig sein darum, Geliebte! Wollen lieb einander trösten – es kann nicht sein – noch nicht – Goldherzelein! Habe Geduld, mit mir! Halt aus! Du! Du!!! Oh Herzlieb! Wie gern wäre ich bei Dir! Und wie schmerzlich empfinde ich gerade es an diesen Tagen, daß es nicht sein kann! Ach Du! Ich werde doch in gewisser Weise froh sein, wenn sie vorüber sind. Freie Zeit ohne Dich! Du! Oh Du!!!

Ach, freie Zeit habe ich ja kaum. Wenn ich will, kann ich alle Zeit verschreiben – und werde noch nicht fertig dann, alle Schreibschulden abzutragen. Und die Gesellschaft Deiner lieben Geschenke habe ich, der Bücher und Bilder – ach, Geliebte! Die rechte Muße zum Lesen, zum gewinnreichen Lesen wird doch erst wieder sein, wenn ich im Frieden bei Dir bin. Noch nie war Frieden in meinem Leben, Geliebte! Immer ein Ausschauen, Suchen und Sehnen, immer auf Posten, immer wie auf Abruf, täglicher Kün[d]igung – ach Geliebte! Nirgends mehr zu Haus, niemand, der mich hielt, an den ich mich halten konnte. Nirgends ließ man mich heimisch werden. Oh Herzelein! Und so mußte ich mich an die Freunde halten, die überall gleich treu sich bleiben: Gottes schöne Welt.

Und ist doch keine tiefe Geborgenheit [a]ls in einem Kreis lieber, vertrauter Menschen! Oh Herzelein! Erst im geliebten Mitmenschen, im Spiegel liebender Augen, im liebenden Vertrauen und Austausch der Herzen, im Bewußtsein des Geliebtseins und Miteinandertragens kommt der innere Frieden, gewinnen wir eine Heimat. Oh Herzelein! Ich schrieb es schon einmal: Ich habe besonders darunter gelitten, daß ich nirgends mich treu bewähren konnte, nirgends Wurzel schlagen und vor Anker gehen.

Oh Geliebte! Nun habe ich Dich! Einen Halt in dieser Welt! Eine Ruhe! Einen Hafen! Oh Herzelein! Heimat und Geborgenheit bei Dir! Einkehr – ach Du! Frieden! Ein Paar liebende Augen! Einen Weggesellen! Einen Freund! Ich habe Dich! Geliebtes Weib! Und nun kann Frieden sein in mir! Oh Herzelein! Wenn Gott uns einst zueinanderführt für immer, dann wird dieser Frieden vollkommen sein! Oh Geliebte! Ich halte Dich so fest – Du! Mein einziger Halt! Mein einziger Freund! Mein Ein und Alles! Spiegel meiner Seele! Seelengeschwister! Dich halte ich! Oh, so fest! Dir will ich treu mich bewähren – endlich, endlich kann ich’s! Oh Herzelein! Dir will ich Freund sein, einzig und ganz! Ganz Dein! – Ganz mein!

Noch nie war Frieden in meinem Leben. Geliebte! Du weißt, ich meine mit dem Frieden nicht die faule Ruhe. Wir werden schaffen und ein Kämpfen wird das Leben immer sein und bleiben, eine Aufgabe. Und wir freuen uns ja gerade auf dieses Schaffen und Kämpfen Seit an Seite.

Unfrieden meine ich noch in einem anderen Sinne. Erst war er in mir selbst – das Kämpfen um die Berufsentscheidung; die Schwierigkeiten und Hindernisse dann, die einer gedeihlichen und befriedigenden Arbeit entgegenstanden: der ewige Wechsel, der Parteihader; und dazu das Suchen und Ringen um den rechten Sinn des Lebens, um seine Ordnung, um die Ordnung der Kräfte des eigenen Herzens, das Durchringen zum Glauben auch an die rechte, gute Liebe.

Oh Herzelein! Du weißt, ich war immer allein, habe mich allein durchgekämpft und durchgeschlagen, viele lange Jahre. Warum war ich so allein immer? Ich bin es doch, seitdem ich der innigsten Mutterliebe entwachsen bin. Die Erinnerung an die seligste Kinderzeit mag wohl immer mit mir gegangen sein – die Nähe und Innigkeit der Mutterliebe kann doch nur wiederkehren in der besten Liebe zum Weib – Herzelein, Herzelein, Herzelein! Ich habe sie doch wieder! Bei Dir! Bei Dir! Manch guter Freund und Wegweiser und Helfer hat an meinem Wege gestanden – Menschen, Bücher, die Musik. Im Elternhaus fand ich immer wieder Zuflucht, auf der Welt war sonst keine bessere. Aber in meinem Herzen war ich doch sooo allein.

Dieser Unfrieden macht müde, lieb- und freudlos, verhärtet den Sinn, trübt selbst den Blick für alle Schönheit. Ich habe es oft gefühlt, daß ich ruhlos war, daß ich nicht lieb und dankbar genug schauen konnte, und habe gesehen, wie andere Menschen glücklicher waren.

Und so ist denn in mir die Sehnsucht nach innerem Frieden aufgestanden. Oh Herzelein, nur nach einem guten Frieden, nach einem ganzen Frieden. Ich habe meine Einsamkeit ganz empfunden. Ich habe mich nicht betäubt und darüberhinweggetäuscht mit halben Freuden und billigen Genüssen. Ich habe meine Sehnsucht genährt mit den Liebsten, Besten und Höchsten. Und ihre Erfüllung mußte mir als etwas Großes und Wunderbares vorschweben. Oft bin ich zufrieden in meine Einsamkeit zurückgekehrt – aus der Enge und Dumpfheit verkrampfter Menschen in die Weite und Freiheit meiner Einsamkeit. Nimmermehr hätten Verlangen noch Bequemlichkeit, Ordnung und Befriedigung allein mich bestimmen können, diese Freiheit aufzugeben. Aber viel öfter kehrte ich wehen Herzens zurück in meine Einsamkeit – kein Menschenherz, das mit mir sich freute, das mit mir litt, dem ich mein Herz hätte ausschütten können, Geliebte! Ich glaubte an eine große, gute Liebe, die wie eine Sonne in mein Leben treten könnte. Dein [Roland] hatte schon ein Reich, eine Welt, die er liebte, an der er hing, die ihm Aufgaben stellte und voll beschäftigte. Aber es war ein Schattenreich, eine Welt ohne Sonne.

Oh Geliebte! Geliebte!!! Ich habe nicht umsonst gewartet und geglaubt! Die Sonne ist aufgegangen über meinem Leben, ist gekommen in meine Welt, in mein Reich – die große, lichte, warme Sonne – Du bist meine Sonne! Sonne meines Lebens!

So bunt und vielgestaltig, interessant und klug sich die Welt auch dünken mag, die einfache, große, runde Sonne thront beherrschend über allem, über allem.

Herzlieb! Und so Deine Liebe, unsere Liebe! Die Liebe zweier Menschenkinder zueinander ist so groß, wie sie von dieser Liebe erwarten, erhoffen und glauben. Oh Herzelein! Die Sonne fehlte meiner Welt, das größte, das wichtigste, beherrschende – Du meine Sonne, meines Herzens Königin!

Der Mann mag sich dem Weib gesellen in den verschiedensten Erwartungen: er sucht Ergänzung, Verstehen, Versorgtsein, Bequemlichkeit, Schönheit, Lust. Und ich glaube, das Weib fühlt und empfindet fein, was der Mann bei ihm sucht, wenn es ihn in seinen Armen hält, es fühlt, wie der Mann es erfüllt.

Herzelein! Was ich bei Dir suche? Viel oder wenig? Worüber bist Du wohl am glücklichsten? Du?!!! Geliebte! Geliebte!!! Alles! Alles!!! Die Sonne belebt und vergoldet alles! Und Deine Liebe ist meine Sonne! Sie übersonnt mein ganzes Leben und hat daran das beste Teil! Alles Schaffen, Erleben und Glauben ist in diese Liebe getaucht und gebettet. Sie ist ein Sauerteig! Meeresflut! Oh Geliebte! Du bist mir so unendlich wert und bedeutest mir so unendlich viel! Macht es Dich glücklich? Ich habe Dich so lieb!!!!! !!!!! !!! Und möchte Dir doch sooo gern nun alle Liebe und Wertschätzung erzeigen, und kann es doch nur recht, wenn wir alles miteinander teilen. Ach Herzlieb! Das ist doch manchmal mein heimlicher Kummer, daß meine Liebe zu Dir eigentlich erst noch ein Versprechen ist, ein uneingelöstes Versprechen – sein muß!

Wirst Du Dich gedulden? Wirst Du noch warten: wirst Du mir Gelegenheit geben, es einzulösen? Oh Herzelein! Was frage ich denn noch? Ich weiß doch, wie auch Du darauf brennst, mich ganz lieb zu haben. Oh Schätzelein! Daß wir in Liebe zueinander fanden – es ist ein Wunder, Geschenk Gottes, ist allein schon unseres großen und seltenen Glückes Bestätigung. Herzlieb! Ich bewege in mir noch immer die Worte Deines lieben Geburtstagsboten. Als ich heute, zum Sonntagmorgen wach lag und diese Gedanken fasste, erschien es mir in seltener Klarheit, daß unser Warten und Fernesein erst recht zu solch inniger Liebe geführt hat.

Geliebtes Weib! Gott läßt uns Seite an Seite gehen – aber zuvor erst noch so wie in den glücklichsten Stunden der ersten Zeit uns[e]rer Freundschaft, da wir so wie auf dem Weg nach Augustusburg einst oder zur Hohen Liebe[.] die Herzen tauschend und zueinanderneigend miteinander pilgerten. Wie lange wird er uns noch so gehen lassen? Oh Geliebte! Laß uns Gott von ganzem Herzen danken für alle Güte und Gnade!

Herzlieb! Auch ich weiß und fühle es, wie wir einander nähergekommen sind – weiß auch, woran es mir noch gefehlt hat: daß ich mich ganz Dir erschließe, Dir alle Herzkammern öffne, damit Deine Liebe hineinströmen kann; daß ich ganz gläubig und vertrauend mich in Deiner Liebe berge und geborgen fühle, daß ich die Sonne Deiner Liebe ganz hereinfluten lasse in alle Herzkammern; daß ich Dich recht und ganz erkenne, Du Liebe, Gute, mein liebes, teures Weib! Oh Herzelein! wenn wir erst immer umeinander sein dürfen! Herzlieb! So groß meine Sehnsucht, so hoch mein Glaube an die gute Liebe war – so stand ich doch nun zitternd fast und bangend fast um den Bestand so überreichen Glückes vor ihrer Erfüllung.

Oh Herzlieb! Du! Mein Weib! Nun weiß ich es wie Du mich liebst! Nun fühle ich es, wie Du mit Deiner wundersamen Liebe ganz mich umfassen kannst. Nun kann ich ganz mich Deiner Liebe ergeben. Fühlst Du es glücklich, wie ich Dein Eigen bin, Herzelein? Wie ich mich berge in Deiner Liebe? Wie ich sooo nahe mich an Dich schmiege, Geliebte?

Fühlst es so glücklich wie Dein [Roland]? Daß Du ganz Dich mir zu Eigen gegeben hast – daß Du ganz unverlierbar mein bist – daß Du bei mir ganz glücklich bist – oh Geliebte, Du! Du!!! Oh Herzelein! Wer vermöchte das Weben unsrer Liebe noch zu stören? Wer ihre wundersam verflochtenen Fäden zu lösen? Ich nicht – Herzelein! Und Du nicht! Und ein Fremder nimmermehr. Geliebte, laß es mich noch einmal sagen: Du bedeutest mir so unendlich viel! Alles!!! Alles!!!!!

Herzelein! Du weißt: das sind keine leeren Schwüre. Ich habe nur Dich! Du bist die Sonne über meinem Leben! Und nun sie mir scheint, bin ich so glücklich und ganz erfüllt davon – ich kann nicht mehr im Schatten leben – ich kann ohne Dich nicht mehr sein! Lieben und Geliebtwerden: das ist einander Sonne sein, unendlich wert und unersetzlich sein, einander ganz zu Eigen sein!

Oh Geliebte! Gott im Himmel segne unser Glück! Er sei mit Dir auf allen Wegen! Herzelein! Heute ist Dein lieber, lieber Bote vom Freitag zu mir gekommen! Ich danke Dir von Herzen! Morgen will ich auf ihn eingehen. Herzlieb! Seit an Seite läßt Gott uns schreiten! Du gehst mit mir! Du liebst mich! Ich bin so glücklich!

Und liebe Dich!!! Und küsse Dich herzinnig!

Und bleibe in Liebe und Treue

ewig Dein [Roland]

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946