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[OBF-411226-001-01]
Briefkorpus

Am 2. Weihnachtsfeiertag 1941

Herzallerliebste! Mein liebes, teures Weib!!!

Endlich! Endlich kann ich nun zu Dir kommen! Ja! Ich schrieb doch schon eine ganze Weile. An Kamerad K. ein paar Zeilen. Den Neujahrsbrief nach Oberfrohna und Kamenz. Und nun ist mein Schätzelein dran. Bekommt nun was noch übrig ist: was ganz zuunterst und zutiefst liegt im Herzen – meiner Herzensliebe! Du!!!!!

Ach, heute ist’s doch ganz anders draußen: rauh und stürmisch. Am Vormittage regnete es. Und nun schlagen die Türen, der Wind braust um unser luftiges Haus. In unserm Stübchen aber ist Behaglichkeit. Mollig warm haben wir es. Ganz häuslich sind wir heute. Nach dem Essen haben wir uns ein wenig lang gestreckt. Dein Buch habe ich mir vorgenommen. Ich lese darin mit wachsendem Interesse. Freue mich auch, daß ich dann und wann auf Deine Spuren stoße. In Deinen Photoalben habe ich geblättert. Habe gestern doch es gefüllt mit meinen liebsten Bildern! Kennst Du sie wohl, die da auf allen erscheint, immer wieder, immer die Eine: immer nur Du! Geliebte! Geliebte!!!!! !!!!! !!!

Und nun lassen wir den Tag ausklingen, recht lieb. Ganz daheim sind meine Gedanken am heutigen Tage – und nun sind sie es ganz – bei Dir! bei Dir!!! Oh Herzelein! Es sind meine liebsten Stunden, zu denen ich eile, wenn ich nur irgend frei bin. Und so geht es auch Dir. Ach Herzelein! Ich habe doch wieder so viel Geduld haben müssen. Seit vorigen Sonnabend ist nun heute wieder das erste Zeichen von Deiner Hand zu mir gelangt. Wenn ich Deinen liebsten Geburtstagsboten nicht gehabt hätte und Deine liebe Bescherung, Du!!! Kurz vor S. [sic] ist ein[e] Brücke unpassierbar geworden durch spülende Wasser – und nun muß die Post etwa 50 km mit dem Auto herangeholt werden. Leicht, daß auch Du nun manchmal warten mußt. Mit desto größerer Freude und Dankbarkeit haben wir nun genommen, was die Post uns brachte: von Kamenz Geburtstags- und Weihnachtswünsche, die Nachricht, daß Vater den Knecht Ruprecht spielen wollte in Oberfrohna, und daß mein Päckchen angekom[me]n ist, noch zurecht zur Bescherung.

Und ein liebes Päckchen aus Großdehsa: mit Pfefferkuchen und Schokoladenstreusel und zwei lieben Buchgaben: „Von Organisten und anderen Musikanten" von Franziskus Nagler und „Aus den Aufzeichnungen der Starez Sosima". Mit dem letzteren weiß ich zunächst noch nichts anzufangen. Ich bring ja alles mit in den Urlaub, ja? Ach, so reich bin ich nun bedacht worden.

Und den Boten von meinem Herzlieb! Den nenne ich zuletzt – weil er mir das Liebste ist, wie die anderen es gar nicht zu sehen brauchen, wenn ich Dich darum ganz lieb an mich drücke und küsse für alle Liebe, die er mir bringt. Es ist der vom Mittwoch/Donnerstag, mein Herzlieb hatte so großen Hunger nach etwas Süßem an diesem Tage Du! Hast wieder so viel erlebt daheim, mehr als Dein Mannerli in der Fremde. Ist doch der Reinmachteufel wieder in Euch gefahren. Ich muß bald kommen und ihn Euch austreiben – ja? Sind wohl die überschüssigen Kräfte!!! Hat mein Herzlieb nun mit seinen Buben Weihnachten gefeiert. Und ich hätte doch mit unter ihnen sitzen mögen und der lieben Stimme lauschen und ein paar liebe Blicke erhaschen mögen – Du! Du!!!

Es freut mich, daß Du Freude hast an Deinem Dienst. Du weißt, daß auch ich die Kinder liebe, daß meine Arbeit mir auch Freude bringt. Ich muß mich doch bei den Kleinen oft zwingen, sie in die harte Schule der Arbeit und des Lebens zu nehmen. Ein wenig anders ist es schon noch, wenn man die Geister dann täglich um sich hat, nicht nur die Kinder, die freiwillig kommen. Wenn man an sie herantragen muß, was sie nicht gern mögen. Und wenn sie dann aus den Jahren der Unschuld herauswachsen! Dann müssen neben der Liebe Härte und Strenge stehen. Und dann gibt es Tage, an denen die Strenge die Liebe verdunkelt wie die Wolken die Sonne. Und es steht doch auch hinter der Strenge die Liebe.

Ach Herzelein! „Beim Lehren lernen wir" – der Lehrer und die Eltern auch lernen nie aus. Und ich weiß, worauf dieses Lernen letztlich hinausführen muß: auf den rechten Gebrauch von Liebe und Strenge, und das rechte Maß auf das Leiten und Führen und Gewährenlassen zur rechten Zeit – die Hauptsache aber ist und bleibt, das [sic] hinter allem die Sonne der Liebe, die Herzensgüte steht! Geliebte! Und zunehmen an Herzensgüte möchte ich doch! Ach Du! Seit Du nun all mein Lieben und meine Herzensfreude entbunden hast, da ich vor mir ein ganz frohes, glückhaftes Leben an Deiner Seite schaue – da weiß ich, daß ich diese Herzensgüte auch erlangen werde. Sie ist in mir. Sie lag verdeckt unter meinem Sehnen, unter dem Kummer meiner Einsamkeit und Heimatlosigkeit. Ach, geliebtes Weib! Du! Und sie wird doch erst recht erblühen, wenn wir erst selbst Kindlein unser eigen nennen. Ich kann doch nichts Lieberes denken, als mit Dir sie zu erziehen und über ihrem Leben zu wachen. Und ich weiß, welch geschickte und glückliche Hand mein Herzlieb hat zu Kindern – ich werde manches lernen können – ach Du! Du!!!

Und nun wart Ihr auch noch einmal bei den armen Verwundeten. Ach Herzelein, wie müßte ich mich sehnen nach Dir, wenn ich da so läge. Wie habe ich die Klänge der frommen Gesänge im Schwandorfer Krankenhaus so tief empfunden – und doch auch so schmerzvoll. Ich hatte das Radio bei mir! Ich mochte es nicht. Ach, ich mochte gar niemanden um mich. Dich müßte ich allein herbeiwünschen, Dich, Geliebte!!!

Und nun schreibst mir von dem kleinen Erlebnis wieder beim Gehen. Herzelein! Ich bin Dir dankbar, so dankbar, daß Du es mir berichtest. Und dann klopft doch mein Herz rascher und erregter – Geliebte! Ich bin Deiner Liebe gewiß! Ganz gewiß!!! – aus Sorge, aus Liebe! Herzlieb, ich bin Dir so dankbar, daß Du mit Deinem Mannerli im Herzen entschiedest und Dich entschlossest zu gehen. Herzelein! Dieser Weg ist, diese Absage, dieser Entschluß ist hart, entschieden, ist ein reifer Entschluß. Er steht Dir, meinem jungen Weibe, wohl gar nicht ganz zu Gesicht – und Du mußt in Kauf nehmen, daß man ihn Dir falsch auslegt, daß man Dich daraufhin falsch beurteilt. Was wird der Arzt von Dir denken? So magst auch Du Dich schon gefragt haben. Vielleicht meint er, Du fühltest Dich unsicher, fürchtest Dich, oder seist feig, oder habest strenge Weisung von Deinem Manne – vielleicht legt er sich Dein Ausweichen als ein tiefes, verborgenes, schmerzvolles Lieben aus? – Und wenn er Dir nun eines Tages begegnet und Dich fragte, Sicherheit und Überlegenheit ausspielend, warum Du ihm ausweichst? – Herzlieb! Mein liebes Weib. Da wünschte ich mir nur eines: Daß Du ganz stolz und gar nicht schamhaft, daß Du noch überlegener und bewußter ihm sagtest: „Ich weiche Ihnen nicht aus. All meine freie Zeit gehört meinem Manne!" Herzelein! Daß Du sagst, so wie es ist! Daß Du Dich nicht schämtest!

Herzlieb! Es ist der Rat des erfahrenen Schiffers: den Klippen auszuweichen. Herzelein! Du sollst Dich ganz sicher fühlen bei Deinem Entschluß. Geliebte! Sollst ganz fest an Dein Mannerli denken dabei. Sollst Dich ganz als sein Weib fühlen. Die anderen mögen es wohl an Dir noch nicht immer erkennen: bist noch so jung, hast noch nicht Kind und Heim – äußerlich, Herzelein! Innerlich, Du! Da hast Du es, da haben wir es schon, schon lange, und haben und halten es so lieb fest: unser Heim – und auch unser Kindlein – Du! Du!!!!! !!!!! !!! Und so geschwind und selbstverständlich wie dann, wenn Du sie haben wirst, so bist Du nun auch heimgegangen nach dem Dienst der Liebe – zu Deinem Mannerli, der Dein wartet daheim! Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Geliebte! Ich danke Dir so sehr! Du wirst recht verstehen, was ich Dir sagen wollte.

Oh Herzelein! Ich bin Dein ganz gewiß, Deiner treuen Liebe. Oh Du! Wenn ich es nicht wäre, ich müßte mich verzehren im Zweifel, in Unruhe – ach, ich könnte dann nicht mehr lieben! Und ich weiß, daß Du mit mir den Schatz unsrer Liebe hütest, lieb und treu und tapfer. Es ist harte Zeit. Und doppelt auf der Hut sein heißt es. Ganz festhalten, was wir haben. „Halte, was Du hast, daß niemand Deine Krone nehme!"
Böse, wilde Stürme toben. Und vieles Morsche bricht und fällt, und alle schwachen Menschen fallen. Ganz feststehen wollen wir und halten, was wir haben: Unseren Glauben und unsere Liebe! Herzlieb! Wieviele Menschen, die beides nicht mehr haben, die dastehen mit leeren Händen. Die sich beides entreißen ließen von den Stürmen unsrer Zeit! Wie sie noch leben können! Oh Geliebte! Wenn ich sie verlöre, ich könnte nicht mehr leben! Ich muß glauben und lieben – und eines nicht ohne das andere. Gott sei uns gnädig: Du bist meine Liebe! Liebe, die mich zum Glauben geführt hat. Und darum bist Du mein Leben!

Oh Herzlieb! Und ich bin das Deine! Ich weiß es, ich fühle es – ich habe Deine ganze Liebe, Dein ganzes Vertrauen, Deinen ganzen Glauben – ich fühle sie auf mir ruhen; glücklich, beseligt, süße La[st]! – Liebe! Liebe! Große, tiefe, ganze Liebe! Sie erfüllt mich so ganz und bewegt mein Herz zu frohem Lebensmut – sie allein! Und so wie ich Deine Liebe fühle, muß ich Dich wiederlieben, so groß und tief und ganz!!! Oh Herzelein! Ich weiß mir keinen besseren Wunsch nun, an der Schwelle zum neuen Jahre als den: Wir wollen halten, was wir haben, unseren Glauben und unsere Liebe! Gott schenke uns Kraft und gnädiges Gelingen zu solchem Tun!

Oh Geliebte! Ich befehle Dich ihm an! Gott erhalte Dich mir! Froh und gesund! Er segne unsre Liebe und mache unsre Herzen stark. Oh Geliebte, mein teures Weib! Du sollst es wissen: Ich bin Dir zur Seite! In Liebe und Treue! Dir gehört all meine Liebe! Deine Liebe ist meine Kraft, mein Glaube, meine Hoffnung, mein Lebensmut, mein Frieden, meine Heimat; in die ich zurückkehren möchte, Dir heimkehren! Hilf, Gott im Himmel! Ich liebe Dich! Ich drücke Dich an mich ganz fest, Du! Mein Weib! Mein liebes Weib! Mein Herzlieb! Mein! Ganz mein!!!Und ich bin Dein! Ganz Dein!!! Ewig Dein [Roland]!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946