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[OBF-411223-001-01]
Briefkorpus

Dienstag,  den 23. Dez. 1941

Herzensschätzelein! Herzallerliebste! Mein liebes, teures Weib!

Nun ist doch schon der erste Tag in meinem neuen Jahr. Strahlend blauer Himmel, kalte klare Luft, stahlblau das Meer - nur die Bergkuppen sind schneebedeckt, sonst erinnert nichts an Weihnachten und Winter. Auch nicht in der Stadt. Ein paar Blumenläden halten Tannenbäume feil. An mehreren Ständen verkauft man große Zweige mit grünen, rundlichen, ledrigen Blättern und roten Beeren - ist wohl der Mistelzweig, der in England als Weihnachtsschmuck dient. In einem Schaufenster steht solch ein Zweig, angeputzt mit buntem Glasschmuck. Ob und wie hier das Weihnachtsfest gefeiert wird, danach will ich mich noch umtun.

Heute zu mittag wollten wir noch einmal baden gehen vorm Feste – aber es war so großer Andrang von Frauen und Kindern, eine Stunde sollten wir warten. Möchten wir nicht.  Waschen wir uns die Beinel zu Hause – und zu dem andern wird auch noch Rat. Aber gelacht haben wir, daß sich vor [W]eihnachten so viel auf die reinigende Wirkung des Wassers besinnen.

Wie wir das Fest begehen, kann ich Dir heute noch nicht einmal schreiben. Soviel mir bis jetzt bekannt ist, soll am Heiligabend nicht mal ein Gottesdienst sein, sondern nur „überkonfessionelle Weihnachtsfeiern“. Für die Feiertage, Sylvester und Neujahr sind evangelische Gottesdienste angesetzt. Ich bin ein wenig enttäuscht darüber, daß keine evangelische Weihnachtsfeier sein soll. In die anderen Feiern mag ich nicht gehen. Das ist weder Fisch noch Fleisch. Mit dem Schlagwort „überkonfessionell“ tarnen sich die Christenfeinde. Sie weisen auf die (freilich bedauerliche) Zersplitterun[g] der Kirche hin, schieben die Frage der Einigung in den Vordergrund (weil auch im Politischen alles auf Einigung hindrängt) aber nur, um den Glauben zu verwässern und damit dem Glauben die Kraft zu nehmen. Fragen der Kirchenorganisation sind zweiten Ranges. Ich könnte mir durchaus denken, daß die Christen innerhalb des deutschen Reiches einmal eine große Gemeinde bilden. Die Überbrückung des Gegensatzes und der verschiedenen Glaubensprägungen katholisch und evangelisch bleibt dabei das schwerste Stück. Aber jetzt geht es um mehr als um die Organisation des Glaubenslebens, es geht um den Bestand des Glaubens überhaupt, es gilt ihn zu verteidigen gegen Feinde, die seine Vernichtung und Verbannung wollen. In dieser Zeit ist die Frage der Organisation ganz zweitrangig.

Wer sie in den Vordergrund schiebt, beweist, daß er nicht weiß, worum es geht. Oder schlimmer, daß er es nicht wissen will und die Kirche nur politischen Machern in die Hände spielen will. Es ist eine ganz böse, ernste Krise, in der die Kirche sich befindet. Wo sich d[ie] Kirche nicht treu bleibt jetzt, wird sie zermalmt. Treue zur Wahrheit ist oberstes Gebot.

Ach Herzelein, ich habe mich verloren.

Es soll dann am Heiligabend auch eine gemeinsame Feier sein der Bewohner unseres Hauses, militärischer: der Soldaten unsrer Kaserne. Wie diese Feier aussehen soll, weiß ich nicht.

Sie wird gar nicht feierlich sein. Erstens ist es viel zu eng. Zweitens ist unter den Burschen, wie wir sie hier in der Überzahl haben, ein Weihnachtsfeiern überhaupt unmöglich. Ach Herzelein, das muß man ganz nüchtern feststellen, so erschütternd es auch ist. Mildernd kann man hier nur anführen, daß eben Krieg ist, daß diese jung[e]n Menschen herausgerissen wurden aus jeder Ordnung – das Militärleben, so wie es jetzt ist, ist keine Ordnung in diesem Sinne – und daß diese Menschen eben noch jung sind.

Ich möchte mir nicht wagen, es ist, glaube ich, fast unmöglich, diesen Leuten etwas von Glaubensdingen nahezubringen. Sie zeigen keine Spur von Ernst, ihre Interessen sind so ganz anders gerichtet, sie leben sich aus und haben dabei doch kaum etwas zu leisten, sie sind rüde, renommieren mit „Mannestugenden“ und markieren irgendein Kraftmeiertum. Und nun, wo hier sich solche Elemente auch noch zusammenfinden – wo sie einander gewissermaßen rechtgeben! Nein, ich glaube, diese Menschen muß das Schicksal erst einmal wieder auf sich allein stellen und hart anfassen – anders kann ich mir nicht denken, daß sie diesen Dingen überhaupt nur begegnen, und dann gar Gehör schenken. Und vergessen darf man nun freilich nicht, daß man es hier mit einer ungünstigen Auslese von Menschen zu tun hat. Das kann man behaupten und beweisen. Ich erzähle Dir einmal davon. Immerhin bleibt ein Problem: Warum ist die Jugend, die männliche zumal, so schwer an Glaubensdinge heranzuführen? Ist männliche Kraft denn unvereinbar mit der Demut des Glaubens?

Ach Herzelein, man könnte wohl Bücher füllen mit der Antwort auf diese Fragen. Der recht verstandene Glaube hat allzeit ungebrochene und starke Menschen als Streiter für sich gehabt. Es ist eine Verfälschung des Christentums, an der die Kirche nicht ganz unschuldig ist, daß zumal im vorigen Jahrhundert eine falsche Sanftmut und Weichlichkeit und Welt[fr]emdheit als dem Christentum eigentümlich angesehen wurde. In diesem  Ansehen steht sie er (der Glaube) bei vielen oberflächlichen Menschen noch heute. Um zum rechten Glauben zu finden, gehört eine gewisse Reife. Und wenn es mit der Jugend einmal besser werden soll, muß dieses Glaubensleben als eine selbstverständliche feste Ordnung ihnen entgegentreten, in die sie hineinwachsen wie in die Elemente uns[e]rer Bildung – muß ihnen eine Welt der Erwachsenen vorstehen, der dieser Glaube selber fester, unbestreitbarer Besitz ist, muß ihnen vorstehen in Einigkeit und Geschlossenheit. [Ob] es dahin jemals wieder kommen wird?

Wer kann es wissen? [A]ber hoffen müssen wir es.

Oh Geliebte! Ich bin so glücklich, daß Du glaubst wie ich! Daß wir einander ganz verstehen auch im Glauben.

Nun bin ich schon wieder abgeschweift. Wir beide, Kamerad Z. und ich, werden uns so bald als möglich davonstehlen und für uns feiern – ach Geliebte! Den Kranz, Deinen Kranz mit frischen Kerzen bestecken, die Lichter anzünden – und bescheren – und heimdenken. Ach Herzelein! Ich mag nicht vorweg denken. Ich will nicht traurig sein. Schon darum nicht, weil wir hoffen dürfen, bald beieinander zu sein! Ich erzähle Dir, wie alles gewesen ist.

Herzlieb! In mir ist doch noch soviel Geburtstagsfreude! Freude, die Du mir bereitet hast! Ach Du! Wievielmal ich ihn wohl schon gelesen habe, Deinen lieben Boten! Ach, und seine Worte bewegt,

[*]

[G]eliebte!

Herzelein! An die Worte meines ersten Pfingstbriefes an Dich [m]uß ich denken. Ich spreche darin von unserem Ausflug. Den vielen geputzten, frohbewegten Menschen: „Und nun zu denken und vorzuha[be]n, eines mir von den Menschenkindern wählen zu dürfen! Aus der Fülle der Möglichkeiten eine zu ergreifen – größte Freiheit und [str]engste Beschränkung so dicht beieinander!“ Nur in [Ge]danken ist diese unendliche Freiheit – das Schicksal weist mit zwin[ge]nder Notwendigkeit auf die eine Möglichkeit. Herzelein! Wir [f]anden einander – neigten einander in Liebe – und um uns schließt sich der Kreis – und wir stehen mittendrin vor der [A]ufgabe, diesen Kreis ganz zu erfüllen. Und so schließt sich der Kreis [u]m jedes Menschenpaar. Und welches Menschenpaar ihn am besten [er]füllt, welchem der Garten der Ehe am reichsten blüht und Frucht [tr]ägt?: Das sich am meisten liebt, das in Liebe eng verbunden gemeinsam [sch]afft. Geliebtes Herz! Wie herrlich blüht uns der Garten, wie [f]üllt sich unser Kreis vom Reichtum der Liebe, wie leuchtet die [Blu]me der Liebe in jedes Herzenskämmerlein, wie ergießt der Liebe [St]rom sich auch in die feinsten Verästelungen, wie durchsonnt die [L]iebe unser ganzes Leben!!! Oh Du! Du!!! So ganz erfüllt sind wir [v]on unsrer Liebe! Ganz nahe sind wir einander!

Oh Herzlieb! Diese Gewissheit Deiner Liebe birgt soviel Freude, soviel Kraft! Ach Herzelein! Auf ihr steht mein ganzes Leben nun, an ihr hängt der Gang meines Herzens, ruht der Mut zu diese[m] Leben. Diese Gewissheit ist mir immer deutlicher und köstlicher geworden! Du liebst mich! Liebst mich unendlich! Und Du bewahrst mir diese Liebe – Du hältst mir die Heimat!

Behüte Dich Gott! Geliebtes Herz!

All mein Denken und Sehnen und Lieben geht zu Dir!

An Deiner Seite, an Deinem Herzen ist mein Platz! Herzelein! Ich liebe Dich!

Ich herze und küsse Dich! Ich bleib Dir ganz treu! Ich kann dich nimmermehr lassen, Dich nicht betrüben – ich muß Dich ganz liebhaben!!!

Ich bin Dein! Ganz Dein!

In Ewigkeit

Dein R[oland]

 


[* = Brief unvollständig erhalten: an dieser Stelle fehlt zumindest eine Seite.]

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946