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[OBF-411221-001-01]
Briefkorpus

Sonntag, den 21. Dez. 1941

Herzelein! Geliebte! Meine [Hilde], Du! Du!!!

Nun stehen wir am Tor der gnadenbringenden, fröhlichen, seligen Weihnacht. Schon uns Kindern drängte sich für diese Woche alle Innigkeit und Süße und Geborgenheit zusammen, wie sie in unseren lieben Weihnachtsliedern zum Schwingen und Klingen kommt und wir fühlten das, was uns heute zu bewußtem Erleben geworden ist: die Liebe.

Nie sonst ist es so schön zu Hause, nie sonst ist das Band der Liebe, das sich zwischen Eltern und Kindern schlingt, so sichtbar. Die Liebe untereinander in der Familie, aber auch von Haus zu Haus wird lebendig, gute, schenkende Liebe. Und schon in uns Kindern war der Wunsch, daß doch wenigstens zu Weihnachten alle Menschen etwas von der Liebe, die durch die Welt weht, erführen und verspürten. Und ganz bewußt ward uns die Liebe dieses Weihnachtslandes erst recht, wenn sich seine Pforten wieder schlossen für ein Jahr. Mag die dunkle Zeit schon immer das Leben der Familie in den Vordergrund gerückt haben, mag man Sonnenwende gefeiert haben – sein [sic] Krönung, seine Beziehung zur Welt, zu Gott, und zum dunklen Menschenerdenleben erhielt dieses Feiern doch erst durch die Frohbotschaft des Heilandes. Sonnenwende, Familien sind Erscheinungen und Erlebnisse des Menschen, die Natur sind, irdische Erscheinungen wie Tod und Geburt.

Aber, das darf man nie vergessen, der Mensch ist nicht im Einklang mit der Natur – er beherrscht sie und sucht sie sich untertan zu machen, er bekämpft sie, macht sie sich dienstbar, er verbessert sie, veredelt, begradigt – – und dieser Herrenwille, dieser Wille zum Verbessern, dieser Schöpferwille im Kleinen, der Kunstdrang im Menschen (Kunst – Natur sind Gegensätze ) sind Eigenarten, die ganz eindringlich daraufhinweisen, daß im Menschen etwas webt und strebt, das über diese Natur hinauswill, ein göttlicher Odem, Geist – vielleicht vom Geiste Gottes. Und dieser Drang ist es auch, der nach einer Verbindung und Beziehung sucht zu dem Wesen, das gar nicht irdisch ist. Das möchte man denen immer wieder vorhalten, die zur Naturverehrung und zum Feiern des Lebens- und Jahreskreises unsrer Vorfahren zurückwollen. Es ist ein Schritt zurück, eine Verengung des Blickes, letzlich eine Mißachtung des Besten am Menschen und dessen, das unserem Leben erst Würde verleiht. Die Botschaft Christi weist uns zum Himmel über uns und auf die Seele, auf den Willen zum Guten, zur Liebe, in uns – und damit besiegt und überwindet sie alle Religionen. Und so, wie die kleine irdische Wärme und das Licht der Schein unsrer Erdenfeuer im großen Himmelslicht der Sonne einen Widerpart hat, einen unvergleichlich mächtige[re]n und herrlicheren, so hat die Liebe unter den Menschen ihr Gegenstück in der großen, reinen Liebe Gottes.

Die Weihnachtsgeschichte: in ihr vollzieht sich das Wunder der Berührung des Göttlichen mit dem Irdischen. Ein Wunder muß es sein voll Himmelsreine, voll Engelsang, voll Kindesgläubigkeit. Wer wollte diese Geschichte antasten? Wer muß nicht bewundernd sie vernehmen? Und wer nur glauben kann, daß Menschen sie geschrieben haben, der muß bekennen: es ist die bestgeschriebene, ‚besterfundene', sie ist meisterhaft, sie ist selber ein Wunder darin wie sie so innig und gewaltig zugleich Erde und Himmel vermählt – und der sie ersann, muß ein ganz frommer Mensch gewesen sein, zutiefst erfüllt und berührt von dem Erscheinen des Heilandes hier auf Erden und seiner Sendung –

Wer nur ein wenig Liebe und Gläubigkeit in sich trägt, kann sich der Gewalt dieser ‚Mär' nicht entziehen. Und alle großen, wirklich großen Geister standen in ihrem Bann: Musiker, Maler zumal. Es gibt keinen besseren Beweis für die ‚letzte Wahrheit' der Weihnachtsgeschichte als ihr lebendiges Wirken in den Gemütern der Menschen. Geliebte! Ich will mit Dir mich immer wieder darein versenken zur Weihnachtszeit – oh Du! Du!!! Wie gerne! Oh Geliebte! [M]it unsrer Liebe, mit Deiner Liebe und Herzensgüte bin ich so reich beschenkt worden: sie hat mir gebracht, was ich sooo lang und schmerzlich entbehrte, was immer seltener wird in dieser Welt, was in mir sehnend seiner Befreiung harrte: oh Geliebte! in Liebe sich neigen können zu einem Menschenkinde, das volle Herze ausschütten und tauschen dürfen, das Herz sprechen lassen und das Gemüt ausschwingen lassen. Dir kann ich mich so in Liebe neigen! Dir allein mein Herz bringen und ausbreiten! [O]h Geliebte! Du hast mich ganz!!! In der Welt ist soviel Verstand, so wenig Herzensgüte und Gemüt heute – sooo wenig Liebe und tiefes, wahres Neigen – oh Geliebte, ich mag nicht zurück in die Einsamkeit, ins Alleinsein, ich halte Dich ganz fest, ich liebe Dich! Du!!! Du!!!!! Du!!!!! !!!!! !!!

Herzlieb! Es ist noch wenig weihnachtlich hier, auch in den Menschen. Und heute in acht Tagen, wird Weihnachten an den meisten spurlos vorübergegangen sein. Die liebe Vorweihnachtszeit kann man eben auch nur recht erleben in der Heimat und Häuslichkeit. In unserem Stübchen steht doch wenigstens Dein lieber Adventskranz. Und hinter unseren Kleiderhaltern stecken seit gestern Tannenreiser vom Kamenzer Berg. Sie kamen mit dem Weihnachtspäckchen der lieben Eltern: Hutbergtanne, Pulsnitzer Pfefferkuchen und eine ganze Schachtel aus Vaters Lichterschatz – oh Du! Soviel Heimatliches beieinander - ich habe mich so sehr gefreut darüber!

Herzelein! Und in meinem Herzen ist doch Weihnachtsfreude. Mit Dir möchte ich sie teilen, mit Dir!!! Und weil ich sie Dir mitteilen kann, erfüllt sie mich doch erst recht, Du! Oh, ich weiß, wie lieb Du mit mir Weihnachten feiern wirst, wie zwischen uns die ganze Weihnachtsfreude zu rechtem Klingen kommen wird – daheim, daheim bei Dir! Aber nun freu ich mich doch zuerst auf den morgenden Tag – noch einmal einschlafen, Schätzelein, dann darf ich Deinen lieben Boten öffnen! Ach, ich glaub, ich kann gar nicht recht schlafen vor Erwartung.

Geliebte! Er wird mir sagen, daß Du mich lieb hast, sooooooooooooo lieb – und wird es sagen mit besonderem Gewicht am morgenden Tage – Oh Du! Du!!! Und wie Du es auch sagen magst – es beglückt mich, beglückt mich unendlich, Geliebte! Geliebte!!!

Herzelein! Es mag sein, daß in einer Ehe der Mann mehr liebt als das Weib – oder umgekehrt; daß von einem der Ehegatten mehr Liebe ausstrahlt – daß ein Teil mehr Liebe empfängt als schenkt.

Wie ist es zwischen uns? Ach Du! Goldschätzelein, ich, Dein großes Mannerli, kann nicht nur lieben, ich muß mich auch geliebt wissen – und Du? Bist so wie ich? Oh, ich weiß: Du willst auch lieben, liebend umfangen und an Deinem Herzen bergen: Du! Du!!! Du!!!!! Schenkst mir Deine köstliche Liebe, die ganze, große, reiche Liebe Deinem [Roland] – oh Herzelein, daß ich Dir immer recht zeige, wie glücklich ich bin, daß Du es immer beglückend fühlst, wie glücklich ich bin in Deiner Liebe!!!

Und Du nimmst meine Liebe, Du magst sie, Du empfindest sie und kannst Dich ihr nicht entziehen – oh Geliebte! Du! Du!! Ich kann Dich lieben! lieben!!! so von ganzem Herzen, mit allem, allem! Oh Du! Darf Dein Mannerli sein! Darf Dich schützen, umsorgen, Dich einhüllen und mit meiner Zärtlichkeit umgeben – und Du nimmst sie, und bist beglückt – und ich bin darum so glücklich!

Oh Herzelein! Beide lieben wir! Beide halten wir einander ganz fest und lieb umschlungen. Wir sind füreinander bestimmt. Oh Du!!! Segne Gott allzeit unseren Bund!

Herzlieb! Ganz häuslich sind wir heute. Seit gestern regnet es, erst ganz milde, heute etwas kühler. Vom Weg zum Mittagessen, die Straßenbahnen fuhren nicht, kamen wir ganz naß und schmutzig nach Hause. Ein Mittagsschläfchen haben wir gehalten. Anschließend Kaffee getrunken, Kamerad H. spendierte von seinem Stollen. Zwischen 4 und 5 Uhr haben wir reingemacht: die Fenster geputzt, damit der Weihnachtsmann auch hereinschauen kann, die Spinnweben entfernt aus den Ecken, die Schrankfächer ausgewischt. Es hat uns Vergnügen bereitet, wir freuen uns über die blanken Fenster und haben etwas gespürt von dem Behagen, das die liebe Hausfrau spüren mag, wenn sie wieder einmal alles gesäubert hat. Ach, das Mannerli wird immer einsichtiger, gelt?

Und dann war Schreibstubestunde. „Jetzt geht die Pinselei wieder los" - bemerkt H. ganz trocken – und pinselt mit. Ach Du! Es ist die allerschönste Stunde am Tage, da ich bei Dir sein kann, Du!!! Um 8 Uhr haben wir Abendbrot gehalten: Brot, Fett, Käse, Wurst, Bohnenkaffee – es geht uns nicht schlecht. Dann hat Dein Mannerli die Lichter am Kranze angezündet, ein Räucherkerzl dazu – und wir haben geplaudert bis vorhin. Unterdessen kamen etliche Betrunkene angepoltert – bei uns ist es fein still. Schön, daß wir so für uns sein können! Und nun will das Mannerli seinen Boten fertig machen, fertig für die lange Reise in die Heimat.

Heute mittag gab es wieder eine politische Neuigkeit. Herzelein! Wir wissen nicht, was alles das wieder bedeutet und wollen nicht unnütz uns mit Orakeln beschweren. Nur an Dich muß ich denken, Geliebte! Und ich weiß, Du wirst an mich denken, wirst mit mir, von dem heißen Willen beseelt sein, daß wir einander bleiben wollen. Gott im Himmel nur können wir alles anbefehlen, bei Menschen ist kein Verlaß, ist Ohnmacht nur und Verrat und Schwäche.

Herzelein! Nun will ich Tinte und Feder beiseitelegen. Aber in Gedanken bleibe ich bei Dir heute abend – und bis ins Bettlein und bis in den Schlaf! Oh Geliebte! Ich werd wohl gar nicht sehr schlafen können.

So wie Du mein ganz lieb und besonders denkst morgen, so muss ich Deiner denken. Du geleitest mich nun schon das dritte Jahr meines Lebens, so lieb und treu, mein Weggesell, mein liebster, best[er] Kamerad, mein einziges allerliebstes Weib! Oh Herzlieb! Du wirst an meiner Seite bleiben, mein Leben und Sonnenschein, Ergänzung meines Wesens, Erfüllung meines Sehnens.

Oh Herzelein! Ich will mich in Deine Liebe ergeben, so selig und gläubig und dankbar froh – und ich will Dich lieben! Lieben!!! Nimm meine Liebe! Behalt mich lieb! Du!!! Gott sei mit Dir und den lieben Eltern! Er segne unseren Weg und führe uns recht bald für immer zusammen.

Ich liebe Dich! Ich sehne mich nach Dir und will bald zu Dir kommen! Ich küsse Dich! Ich drücke Dich ganz lieb und zärtlich! Oh Du! Du!!! Mein Herzblatt, mein Leben! Ewig Dein [Roland]! Dein Mannerli.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946

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