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[OBF-411214-002-01]
Briefkorpus

Sonntag, 3. Advent _14. Dezember 1941.

Herzensschätzelein! Mein lieber, guter [Roland]! Herzelein!

Oh Du! Heute Nacht bist Du zu mir gekommen, im Traum! War das doch sonderbar, Du! Es dunkelte schon draußen, ich wohnte wieder in unsrer alten Wohnung Schröderstraße 10. Ich stand am Fenster in der Küche, von da aus ich die Kreuzung übersehen konnte. Plötzlich sah ich Dich, mein Lieb, um die Ecke biegen! Einen schweren Koffer schlepptest Du und gingst ganz schief! In Deiner Marineuniform kamst daher. Oh, ich fühlte richtig, wie mein Herz zum Zerspringen klopfte! Du!! Ach – wie soll ich's nur beschreiben?

Du! Du weißt ja gewiß selbst wie es ist, wenn man so plötzlich den geliebten Menschen sieht! Und dann klopfte es auch schon an die Tür – ich ging darauf zu voller froher Erwartung, voll Erregung! Und Du trat[e]st ein, setztest Deinen Koffer nieder und sagtest nur: guten Tag. Ich wollte Dich umarmen, doch auf halbem Wege sanken meine Arme wieder herab, Dein Gesicht war eiskalt und fremd, mit dem Du mich anblicktest. Ich war wie erstarrt, so hatte ich Dich noch nicht gesehen! Doch – einst, als Du mich noch nicht kanntest, noch nicht liebhattest – in der Kantorei: Oh Du! Wie mir da zumute wurde – ich kann's garnicht beschreiben. Was war nur geschehen? Du sagtest kein Wort – ich konnte auch nicht sprechen – Du sahst mich unverwandt an. Du! Ach Du!! Da stiegen mir die Tränen in die Augen, ich spüre noch jetzt, wie ich meinen Schmerz verbeißen wollte und es wurde ganz dunkel vor meinen Augen – Du! Geliebter! Da kamst Du auf mich zu und zogst mich so wild und ungestüm an Dich, daß ich aufschrie, weil Du mich so schmerzhaft fest hieltest. Oh Geliebter! So schmerzhaft grub sich Dein Mund in meine Lippen! Ich war so erregt, so maßlos erregt, daß ich erwachte.

Ich wußte garnicht, was mit mir geschehen war, meine Wangen waren ganz naß von Tränen, meine Augen. Und ich richtete mich auf im Bett, sah nach meinem Wecker, kurz vor 3 Uhr morgens war es. Oh Du! Herzelein, Du! Ganz deutlich sah ich den Traum noch vor mir, auch jetzt noch, wenn ich die Augen schließe. Du! Es war kein beglückender Traum! Mir war so schwer zumute, ganz bedrückt war ich, Herzelein! Womit konnte ich Dich gekränkt haben? Was [nu]r Dir zuleide getan, daß Du so ernst und verschlossen warst? Und doch mußtest Du mich noch liebhaben, denn Du hieltest mich soo fest in Deinen Armen: Als hättest Du Angst, es könnte mich Dir jemand entreißen. Ach Herzelein! So ein sonderbarer Traum! Ich konnte garnicht wieder zur Ruhe kommen bis heute morgen. Um 7 [Uhr] bin ich aufgestanden. Ich konnte es nicht mehr aushalten in meinem Kämmerle. Geliebter! Geliebter Du! Sag? So kannst Du doch in Wirklichkeit nimmermehr zu mir komme[n!] So herb, so kalt, so fremd! O sag, Du!!! Könntest Du so hart zu mir sein? Geliebter! Ich gäbe Dir nie und nimmer Grund dazu! Du weißt, wie ich Dich liebe! Herzensschatz! Es war nur ein Traum. Und durch meine Erregung, durch meine große Sehnsucht sind wohl meine Sinne, meine Nerven ein wenig überreizt, deshalb hatte ich einen so bedrückenden Traum. Ach Du! Ich muß zu sehr an Dich denken! Geliebter!! Ich verzehre mich vor Sehnsucht nach Dir! Herzelein! Ich will doch so tapfer sein – aber ich kann die Sehnsucht nicht mehr zurückhalten. Und in meinen Träumen sucht sie sich einen Ausweg. Du! Es ist doch so schmerzlich süß, mein Sehnen! Oh Geliebter! Früher war es nie so s[üß]! So mächtig und so alles übertönend! Weil ich Dich heute so unendlich liebe! Weil Du mein Herz so ganz gefangen hältst! Du!!! Weil Du mich erlösen kannst! Oh Du! Herzelein! Ich darf an unsre süßesten Stunden überhaupt nicht denken in diesen Tagen – ich könnte überhaupt weinen vor Heimweh nach Dir! Ach Du! Es hat mich so sehr gepackt, das Sehnen nach Dir, Geliebter. Wenn ich doch erst ruhiger wäre! Oh Herzelein! Was soll ich tun? Ganz vernünftig sein! Ach! Ich will ganz lieb und ruhig an Dich denken, Herzensschatz! Will daran denken, wie schwer [i]ch es Dir mache, wenn ich Dich mit meiner Ungeduld bedränge. Auch Du mußt ausharren, ganz geduldig! Auch Dich wird die große Liebe quälen – Du mußt auch warten, warten. Und der Tag kann doch nicht mehr allzu ferne sein, da Du heimkommen darfst zu mir. Wenn erst das Weihnachtsfest vorüber ist, dann ist jeder Tag im neuen Jahre ein Schritt auf Deinen Urlaub zu! Du!! Du!!! Du!!!!! Ich bete alle Tage so herzinnig, daß Du mir bald gesund wieder einmal heimkehrst, Geliebter! Der Herrgott wird unser Flehen erhören! Er wird uns gnädig sein! O Du! Schätzelein! Ich muß Dich doch immer mehr liebhaben! Immer heftiger drängt alles in mir zu Dir hin, Du! Oh Geliebter! Die Trennung macht mir so eindringlich bewußt, was Du mir bist! Was ich entbehren muß mit Deinem Fernsein! Oh – wie ich Dich liebe! Geliebter! So heiß!! So groß und mächtig brennt die Glut meiner Liebe zu Dir in meinem Herzen! Nichts – nichts kann sie jemals auslöschen!!! Ach Schätzelein! Ich will doch alles ertragen! Wenn Dich der Herrgott mir gesund wiederschenkt, nach diesem Kriege! Oh Geliebter! Geliebter! Du mußt mir bleiben! Du mußt mir bleiben! Ich liebe Dich sooo sehr! Oh Du!! So sehr!

Mein Herzelein! Heute früh vor dem Kirchgang ließ es mir keine Ruhe, ich mußte zur Post und fragen, ob etwas für mich da sei. Ja, Du!! Deine lieber Sonntagsbote! Ich las ihn in einer Ecke in der Kirche. Du! Sei viellieb bedankt, mein Herzelein! Ich freue mich über die genaue Angabe Eures Weges zum Chortiatis! Du!! Ich bekomme ordentlich Lust, auch mal mitzukraxeln! Daß ich es nicht schaffen würde? Oh Du! Ich habe schon Kraft jetzt! Vom vielen Nichtstun!! Und wenn auch kein Gasthaus auf dem Gipfel unsere Mühe des Steigens belohnte. Wenn Du mir zum Lohne ein liebes Kussel schenkst – dann bin ich sooo stark und so froh! Dann habe i[ch] auch wieder Mut und Kraft zum Abstieg. Und außerdem, wenn man mit einem Weiberl diese Tour macht, da kann man gewiß sein, daß auch Proviant mitgeführt wird; das ist nun mal die schwache Seite aller Hausfrauen, daß sie ans Essen denken! Wohin die Rutsche auch gehen mag! Du! Ich danke Dir, Herzelein, für alle Zeichen Deiner Liebe. Du!! Klagst ein wenig, daß Du nicht in Ruhe an mich schreiben kannst! Du!! Ich bin doch sooo ganz zufrieden mit Deinen lieben Boten! Sie sagen mir doch alles, was ich gerne wissen möchte! Du!!! Und ic[h] kann mir denken, daß auch bei Euch vor dem Fest viel Arbeit und Drasch ist im „Büro“! Soundsoviel drängt sich zusammen! Ich weiß doch, wie es mir manchmal geht! Und wenn schon mal ein Brief nicht so lang und einmal bissel weniger liebevoll ausgedrückt ist – ach Du!! Wir wissen trotzdem, wie so lieb es gemeint ist! Jeden Tag ist man nicht aufgelegt, alles von der Seele zu schreiben – jeden Tag hat man auch nicht die Zeit und Sammlung! Ach Du! Wir verstehen das doch so gut! Herzlieb!

Was wirst Du wohl heute treiben? Ich will noch Topflappen für unsre l[ieben]. Mütter umhäkeln! Du!! An Siegfried möchte ich auch noch schreiben. Du! Heute habe ich einen Christbaum erstanden! Ach Herzelein! Wie sehne ich mich nach Dir!!! Ich muß Dich sooo liebhaben! Du! Bist mein ganzes Glück! Gott behüte Dich! Ich liebe Dich, Herzelein!

Deine [Hilde], Dein!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946