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[OBF-411214-001-01]
Briefkorpus

Sonntag, den 14. Dez. 1941

Herzallerliebste! Herzensschätzelein! Geliebtes Weib!

Jetzt komm ich aber nun schnell, ganz schnell zu Dir, Liebste! Ach Du ! Mit Ungeduld habe ich doch auf die Stunde gewartet. Huschl huschl huschl! Ist es kalt bei meinem Herzelein? Muß ichs doch gleich ein bissel wärmen? Magst Dich gleich ein bissel auf meinen Schoß setzten? Der Schoß vom Mannerli ist nicht fein, ist zu hart und sehnig, ja? Oh – bei uns ist`s warm! Zu warm! Vom Öfchen her. Es schämt sich, so sehr haben wir ihm eingeheizt. In unser Stübchen möcht ich Dich doch jetzt gar nicht einladen! Würd doch meinem Herzelein alles zu warm – der Ofen und das Mannerli – gelt? Und der Kamerad H. ist doch mit da. Ich komm lieber zu Dir, ja? Du!!! Du!!!!! Wie gern ich käme? Du! Sooooooooooooo gerne! Herzelein! Ich liebe Dich so sehr!

Ach Herzlieb! Der Sonntag und alle Freizeit, die möcht ich doch Dir schenken, mit Dir verleben – dann käme mir doch erst die rechte Freude! Ach Schätzelein, keine Stunde möchte ich wegschenken an Anderes. Aber ich kann doch den Kameraden nicht allein lassen. Und Du bist ja trotzdem immer mit mir, auch wenn ich nicht schreibe. Vom Mittagessen sind wir heute im schönsten Sonnenschein nach Hause geschlumpert [sic]. Vorbei an der Frontbühne. Dort waren heute Arbeiten von Soldaten ausgestellt: Fotos, Zeichnungen, Aquarelle. Eine recht gute Ausstellung mit bemerkenswerten Arbeiten. Und dabei fanden wir gleich den Hauptpunkt unseres Sonntagprogramms: Kamerad H. wünschte einmal das Variete [sic] zu sehen. Zu Hause war das Stübchen schon warm, ich hatte vor dem Essen eingeheizt. Nun legten wir uns erst mal auf die Bärenhaut. Brauchst keine Sorge zu haben, daß dem Mannerli das Bäuchlein zu sehr schwillt. Wir waren doch schon wieder ½ Stündchen gelaufen nach dem Essen. Und wenn es wirklich zu dick würde, ich glaub, mein findiges Weiberl fände schon Mittel und Wege, es wieder abzutreiben, ja? Du!!!

Hab ich doch meine Gedanken nach Hause geschickt zu meinem Schätzelein und bin darüber eingeschlafen. Um 4 Uhr waren wir wieder munter und nun war es höchste Zeit, denn wir wollten die Nachmittagvorstellung besuchen. Bewegtes Leben auf den Straßen. Man erging sich in dem schönen Nachmittag, saß in Mänteln sogar im Freien vor den Kaffeehäusern.

Und nun Varieté, Zerstreuung. Schätzelein, mich verlangt es auch gar nicht danach. Sieht man sich die Soldaten an: sie warten darauf, mit einer gewissen Sturheit und Stumpfheit, mit dem Trieb der Gewohnheit eines Rauchers vielleicht. Varieté: Schau der Kuriositäten, – Kuriositäten der Natur, der Schöpfung – das seltenste die Akrobatik zweier Zwillingsschwestern: Saltos, Stellungen, Knochenverrenkungen in seltener Gleichartigkeit und unwahrscheinlichem Doppelgängertum. Ich musste daran denken, daß auch mein Schätzelein Anlage hat zu solcher Gelenkigkeit. In solch präziser, schöner Arbeit im Rampenlicht von fremden Menschen mag ich das sehen – aber von meinem Herzelein mag ich es nicht – ich würde mich grausen! Kuriosität der Begabung die Balancierkunststücke, die Ballfang- und Reifenspielkünste. Kurioser noch, daß Menschen ihr Lebenlang [sic] daran arbeiten, diese abnormen Begabungen durch Übung noch zu steigern, um sie dann zur Schau zu stellen. Man bewundert das. Beneidenswert scheinen einem diese Menschen nicht. Beneidenswert [scheinen] mir aber immer wieder alle Tanzkünstler. Das Tanzen ist doch echte Kunst, die das Leben irgendwie zu steigern und zu erhöhen vermag. Ich könnte mich dem Wunsche meiner Tochter, der Kunst des Tanzes sich zu widmen, nicht versagen. Ach Du! Was das Mannerli da sagt – ja? Du!!!!! !!!!! !!! Das Mannerli fischt sich auch aus der bloßen Zerstreuung immer wieder einen Bissen heraus – ich habe die Menschen da auf der Bühne mir betrachtet und mich in sie versetzt. Den Ansager machte eine Dame, mehr ein Mädchen noch, sie mußte sich zu Laune und zum Sichzurschaustellen zwingen, sie war von Natur ein Mensch mit Abstand. Ich habe sie bedauert. Im Film und auf den Brettern der leichten Muße [sic] muß die Frau sich doch gemein machen, wenn sie Beifall ernten will – im Film mit wenig[en] Ausnahmen. Das gute Theater ist doch dagegen hohe, adlige Kunst, in der die Würde des Menschen gewahrt bleibt.

Morgen will das Mannerli doch schon wieder ausgehen – in dasselbe Haus: Symphoniekonzert, denk nur! Ausgeführt von deutschen und griechischen Musikern. Ein Quartett von Gluck, Schuberts Unvollendete, Beethovens Coriolanouvertüre und 3. Symphonie. Ich freue mich – mit Dir, Herzelein! Ja, ja, mit Dir!!! Das ist doch keine Zerstreuung, das ist Erlebnis, Erhebung, Begegnung mit der hohen Kunst unsrer Meister – in der hohen Kunst ist Himmelslicht, ist Himmelsweite, ist Wegweisen, Geliebte! Wie dankbar will ich mit Dir den Tönen lauschen – Du bist doch mit mir in meinem Herzen, Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Herzelein – so gewiß ich es fühle, daß hier das Hohe, Echte und Wahre liegt, das doch die meisten gar nicht erkennen und verstehen und um das Verständnis auch gar nicht sich bemühen mögen und am Besten vorübergehen, – so gewiß erkenne ich, daß die meisten Menschen auch an der Hoheit und Wahrheit des Glaubens vorübergehen. Ich werd Dir doch berichten, wie es war. Kamerad H. geht nicht mit. Es liegt in dem Eingeständnis des Nichtverstehens Ehrlichkeit. Aber wenn mir auch nur ein guter Bekannter sagte, Du! das ist etwas Großes, um das man sich kümmern muß, dann ginge ich auf jeden Fall. Und ginge immer wieder. Und so ist mein Goldherzelein auch – und des bin ich sooo froh!!!

Du! Schätzelein! Ich hab Dich doch so lieb! Weil ich Dir so nahe bin! Im Vertrauen! Und Verstehen! Und Empfinden! Weil ich Dir so nahe kommen kann! Und weil Du mich so nahe kommen läßt. Du!!!!! !!!!! !!! Herzelein! Ich kann es doch kaum erwarten, daß dieses Einssein wieder fühlbar wird, Du! Daß ich neben Dir gehe, und daß ich Dich an meiner Seite fühle und an meinem Herzen! Geliebte!!! Herzelein! Daß wir einander beschenken dürfen und beglücken! Du! Du!!!

So schön ruhig ist es heute abend. Der Kantinenraum ist geschlossen. Die Soldaten sind müde, sie haben Fußball gespielt. Und der Kamerad H. ist auch so ruhig, das ist fein. Kamerad K. muß doch immer mal dazwischenzappeln. Nur die fleißigen Federn hört man gehen und das Licht singen, und Dein Adventskranz, Geliebte! Duftet gar heimatlich in der Wärme – Du Liebe! Nachher soll er doch noch ein Weilchen erglänzen[.]

Herzlieb, Wie wird es wohl sein, wenn wir zum ersten Male miteinander Weihnachten feiern? Ach Du! Schenke Gott es uns in Gnaden! Wollen wir es denn auch mal ganz allein feiern? Wenn wir dann noch zu zweien nur sind! Ich fürchtete mich gar nicht davor. Erst gingen wir doch miteinander zur Kirche! Und würden zusammen im Chor mitsingen, wenn es einen gibt. Und dann zur Bescherung. Das Mannerli zündet den Lichterbaum an – und setzt sich ans Klavier, und mein Herzlieb daneben, zum Baume die Blicke gewandt – und dann singen wir – und dann lese ich die Weihnachtsgeschichte – ach, und dann, ich glaube, dann müssen wir einander erst einmal ganz fest und lieb umschlingen vor lauter Freude und Dankbarkeit. Und dann beschenken wir einander. Ach Herzelein, liebes Weib! Ich glaub, an dem Tage würde der Wunsche nach dem größten Beschenken, nach der Krönung unseres Glückes so brennend und übermächtig – Du! Du!!! Herzelein! Herzelein! Geliebte!!! Freust Du Dich auf solche Weihnacht? Schätzelein! Herzensschätzelein!

Gott erhalte Dich mir froh und gesund! Er segne unseren Bund.

Ich bin so froh und glücklich! Du, meine Freude, mein Glück, mein Leben! Hast ein Mannerli sooo glücklich gemacht auf Erden!!! Ich auch mein liebes Weib? – Du?! Ja! Ja!!! Und noch viel glücklicher will ich’s machen!

Ich küsse Dich! Ich liebe Dich!

Ewig Dein [Roland]!

 

 

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946