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[OBF-411207-002-01]
Briefkorpus

Am 2. Adventssonntag 1941.

Herzensschätzelein! Mein lieber, allerliebster [Roland]!

Heute schneit es wieder, kalt ist's und ein Sturm hat sich aufgemacht. Aber gut tut einem die Luft. Sie ist so rein. Die Eltern wollen nachher einmal nach Mittelfrohna laufen, hinzu wollen sie den Staubsauger mitbringen; denn nun geht doch das Großreinemachen los! Man hat's so bissel leichter. Im Winter kann ich sowieso meine Betten nicht so draußen herum ausbreiten – aber der Staub muß trotzdem heraus. Und ich? was ich treibe?

Ja – zuerst schreibe ich meinem Herzlieb! Und dann? Gehe ich in die Kirche um 1600 [Uhr]; ein Singegottesdienst ist für heute angesagt. Und ich freue mich schon die ganze Zeit drauf – kann ich wenigstens mal alle unsre lieben, schönen Weihnachtslieder singen, die man uns sonst verbietet! In der Kantorei singen wir ja alle auch. Doch jetzt ist auch wenig Zeit, wir üben für die Feiertage. Bei Herrn S. dauert alles ein bissel länger. Eine Stunde wird das wohl dauern und dann habe ich heute noch etwas vor. Das verrrate ich Dir aber noch nicht. Du!!!

Heute kam Dein lieber Brief vom Dienstag an, Herzelein! Du hast mich soo sehr erfreut damit! Ich danke Dir viellieb dafür, Geliebter, Du!!! Eigentlich tanzt die Post aus der Reihe! Denn der Sonntag- und Montagbrief fehlen noch. Oder hast Du da garnicht geschrieben? Aber nein, das ginge doch aus deinen Zeilen hervor – sie werden schon noch kommen, die zwei Nachzügler. Ich freue mich auch wenn jeden Tag etwas kommt, und nicht gleich paar Boten auf einmal! Du!!! Will doch jeden Tag ein Teil Deiner Liebe nur haben, sonst nehme ich jeden einzelnen Liebesgruß garnicht tief genug in mich auf! 2 oder 3 Briefe auf einmal Du! dasß ist beinahe zu viel Glück!!

Und ich kann Dir doch garnicht ausf alles Antwort geben – schon ist der nächste Brief wieder da! Ach Herzelein! Daß wir uns immer so lieb verständigen können! Ganz dankbar müssen wir uns des Glückes freuen – wie wenig können die Soldaten aus dem Osten nur schreiben! Und dürfen doch auch nicht verzweifeln. Du! Herzelein! Wir haben einander doch sehr verwöhnt im Schreiben! Gebe Gott, daß wir immer so viel Zeit täglich haben zum Gedenken aneinander. Ach Du! Und wenn die Zeit auch nur zu einem kurzen Gruße reichte, wir sind es zufrieden. Aber so wochenlang ohne ein Zeichen sein, wie viele es halten – ach Du!! Das könnte ich nicht. Du, Herzelein! Ich hielte es nicht aus! Und Du auch nicht, das weiß ich, Du!!

Merkst Du es, wie schlecht mein Briefpapier wird? Aber ich ärgere mich nicht sehr drüber! Du!! Andre Leute haben nicht mal solches wie ich – es wird eben ganz schlecht mit dem Papi[er]. Vor allem vor Weihnachten. Ich bin nur froh, daß ich überhaupt noch so viel Papier habe, wie ich täglich verschreibe!! Auf die Qualität kann man halt nicht so schaun im Krieg. Und wenn Du es nur noch erkennen kannst, was ich Dir sagen will, dann ist's schon gut, gelt Herzelein? Ob Du es erkennen kannst, na! Das liegt wohl zum größeren Teil bei mir! Aber ich denke, in der langen Zeit, die ich Dir nun schon schreibe, hast Du Dich an meine „Handschrift“ gewöhnt! Du!!!

Du! Heute erlebten wir ja ein Überraschung! Der Postbote brachte eine Expreßkarte von O. [sic] A. aus Bischofswerda! Ich habe lange studiert, was der Gegenstand wohl bedeuten soll, um den sich's handelt. Dann hatte ich's heraus!!! Ein Handwagen! Ich war ganz sprachlos! Der nächste Gedanke war an Deine lieben Eltern! Die guten! Haben sie uns wieder solch schönes, praktisches Weihnachtsgeschenk beschert! Ich freue mich ja ganz sehr darüber! Und du gewiß auch! Liebster! Nun kannst Du mich ausfahren, wenn Du zu mir kommst! Fein ist er! Auch ganz schön groß! 2- 3 Kindel passen gewiß hinein! Du!!!

3 fährst Du im Handwagen und eines fahre ich im Kinderwagen! Aber dann ist's genug! Mehr mag ich nit [sic]. Ach Geliebter! Ein Stück reiht sich ans andere – wenn ich Dich nur erst bei mir hätte, mein Lieb! Dann erst hätte ich an allem vollkommene Freude! Du!!! Eine Wirtschaft haben wir schon beisammen! Wie umfangreich!! Daß wir bald eine eig[e]ne Wohnung brauchen! Die Mutsch schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie nun den Handwagen sah in seiner Stattlichkeit!! „wohin! wohin bloß damit?!!“

Sie haben ihn gleich mit zur Oma genommen, da kann er oben im alten Vereinszimmer stehen ohne, daß etwas dran geschieht. Denn hier bei uns im Schuppen, Keller, oder sonst ist es viel zu feucht, da wurde er mir beizeiten vermodern. Ei, Du!! Wenn wir mal von Oberfrohna wegziehen – das wird eine schöne Führe werden! Wir wollen nur alles vorher zusammentragen von der ganzen Verwandtschaft! In jedem Orte haben wir – weiß der Kuckuck – etwas andres rumstehen! Und beneidet haben 'sie' mich im Hause auch schon um den schönen Wagen! Sie haben schon ein Jahr lang aufgestellt, bekommen aber keinen.

Mein Herzelein! Es ist nach 5 Uhr, eben bin ich aus der Kirche heim. Es war recht schön! Ich lege Dir die Bogen bei, auf denen alle Lieder gedruckt stehen, die wir sangen. Ich habe auch noch einen für mich. Der Singegottesdienst war so arrangiert, daß der Pfarrer zwischen jedem Liede eine Lesung hielt, so bekam alles einen Zusammenhang, einen Sinn. Viele Mütter mit ihren Kindern waren heute in der Kirche. Ich war ganz allein, von meinen Altersgenossinnen. Frl. W. sang Solo und Herr Lehrer F. aus Limbach. Es war eine frohe Stunde und ich bin glücklich, daß ich sie nicht versäumte.

Nun sitze ich zuhaus im Warmen. Der Sturm heult um's Haus. Mein Kranz duftet nach Tanne, die Lichter brennen. Unser Rauchtischel habe [ic]h eben hereingetragen, schön weihnachtlich schmückte ich ihn. In der Mitte unser Geselle! Ihn umgeben 4 Laternchen, solche, wie meine Buben bastelten. Eine rote, eine grüne – so im Wechsel. Wie warm, wie lebendig und traulich läßt sichs anschaun! Wie froh läßt sich's sein beim Kerzenschein! Unter alles habe ich eine weiße Decke gebreitet. Ach Du!!! Du!!! Und wenn Du erst nach Neujahr – im Februar, März! zu mir kommen kannst, Herzelein!! Unsere Lichtlabende, die halten wir trotzdem, ja? Ach Du!! Ich möchte ja sooo gerne auch einmal mit Dir, meinem Herzensschatz die [lie]be Vorweihnachtszeit erleben! Oh wie gerne!!!

Geliebter! Ob Du heute auch so froh im Herzen bist wie ich? Ob auch Du ein wenig von der Adventszeit erlebst im fremden Lande? Ach! Ob denn mein Kranz nun bei Dir ist? Du, Schätzelein!! Heute muß ich schließen! Ich muß noch mit jemanden ganz lieb plaudern heut! Ob Du ihn kennst? Ei freilich! Es ist der, der beinah ein Christkind geworden wäre! Und daran denke ich schon heute!!! Denn – wie schnell ist Weihnachten! Dann ist zu spät wenn ich da erst dran denke. Und heute bin ich noch so schön allein! Oh Du!! Wie ich Dich liebe! Mein [Roland]! Mein [Roland]! Gott behüte Dich mir allezeit!

Ich bleibe in Liebe und Treue ganz Deine [Hilde] Dein!

[*] Herzelein! Morgen früh fahre ich mit Mutsch nach Breitenborn. Mal sehen, wann wir zurück kommen.

 

[* = An den Rand geschrieben]

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946