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[OBF-411207-001-02]
Briefkorpus

Sonntag, den 7. Dez. 41

Herzallerliebstes Schätzelein! Mein liebes, liebstes Weib!

Nun ist doch schon wieder Montag, da ich Dir schreibe. Laß Dir erzählen, Geliebte! Setzen wir doch gestern bei herrlichstem Wetter zu einem Spaziergang nach dem Kapellenberg an, gleich nach dem Mittag. Wir trappelten schon auf der schöner Straße nach Artakli [sic], als ein Autobus des Heeres uns einholte. Kamerad H. machte die Geste des Anhaltens – und er hielt doch tatsächlich, wir durften einsteigen und standen nun ¾ 2 Uhr in Artakli, noch ganz ungeschwächt, tatendurstig, vor uns den alten Herausforderer, den Chortiatis, um uns den strahlenden Tag und in unsrer Mitte den Kameraden H., der diesen Berg nur vom Ansehen kannte.

Und so kam es – halb wollen wir, halb zog es uns – daß wir uns nach dem Gipfel in Marsch setzten, hinunter von der Straße in eine Schlucht. Vor uns her trappelte ein Maulesel mit seiner Last. Wir haben dem kleinen Tierchen eine ganze Weile bewundernd zugeschaut, wie es geschickt die Füße setzte und seine Last zu Tal balanciert.

Und nun aus der Schlucht wieder steil hinaus zwischen zwei Vorbergen durch zum eigentlichen Fuß des langen West Westlehne unsres Berges.

Es machte viel Spaß, in dieser reinen Luft, fast windstill war es, – und in schönstem Sonnenschein zu steigen. Kamerad K. war immer ein Stücke voraus, ich stampfte mit Kamerad H. etwas langsamer hinterdrein. H.s Beine sind die kürzesten, er ist das Herumspazieren in den Bergen auch am wenigsten gewöhnt und zur U unsrer Unternehmung hatte er nur halb ja gesagt. Ob mein Schätzelein es geschafft hätte? Ja! Aber es müßte dann oben wie in Deutschland ein Gasthaus winken, in dem man sich ein paar Stunden erholen kann und aufwärmen. Rüstig ging es voran den Blick voraus – und manchmal zurück zum Meere, zum Olymp gewandt. Wir waren noch ganz frisch. Nur das letzte Stück hat es in sich, eine steile grasige Lehne. Sie war schon mit Schnee bedeckt. Das bekannte Wärmegesetz machte sich auch bemerkbar: je höher, desto kälter, ein leichter, kalter Wind machte sich bemerkbar. Gegen ½ 5 Uhr setzte auch der Kamerad H. seinen Fuß auf den Gipfel. Der Rundblick war bezaubernd. Stadtwärts die große Bucht. Entgegengesetzt die Spiegel zwei großer Seen. Ringsher das gipfelreiche Land. Die schneebedeckten Gipfel des Rhodopegebirges; auf einer Dunstschicht schwimmt der Gipfel des Olymp, und die Spitze des heiligen Berges Athos auf den östlichsten der drei Finger unsrer Halbinsel Chalchidike [wohl: Chalkidiki]. Aber lange hielt es uns nicht. Wir schwitzten, und froren nun. Zudem wollten wir bei Tageslicht noch möglichst viel vom Heimweg hinter uns bringen. Und so lenkten wir unsre Schritte wieder zurück. Das Mannerli diesmal vornweg. Vor uns die untergehende Sonne. Bald war uns wieder warm. Die Knie waren noch gar nicht weich. Wir setzten ein schönes Tempo vor, ½ 7 Uhr waren wir wieder in Artakli. Bis 6 Uhr hatten wir noch gute Sicht. Dann ließ es ein wenig mehr Obacht geben auf die Steine. Den Weg konnten wir nicht verlieren, wir kennen ihn schon zu gut.

In Artakli gedachten wir nun einen guten Wein zu trinken. Aber damit war's nichts. Es gab keinen. Kühl war es im Gasthaus obendrein. So blieb es bei einem Fäßchen türkischen Kaffee. Und dann rafften wir uns auf zur letzten Etappe. Unser Abendbrot lockte. Eine fette, warme Stube Krerzenschein [sic] vom Adventskranz und eine Probe von Mutters Stollen. Die Beine wollten doch nicht mehr so recht – aber die guten Aussichten brachten uns auf der guten Straße rasch voran. Im Sternenschein wanderten wir heimwärts. Ganz herrlich und klar ist hier der Sternenhimmel. Und der Abendstern, Venus ist es wohl, verbreitet richtige Helligkeit wie der Mond, auch eine Bahn wird von diesem Stern im Wasser. Um 9 Uhr waren wir in unserem Stübchen, froh unsres Ausmarsches, froh aber auch, nun bequem niedersitzen zu können. Schnell haben wir unser Öfchen in Brand gesetzt. Und dann hat es uns geschmeckt! Schnitten mit Leberwurst und Blutwurst, dazu Bohnenkaffee noch vom Vormittag, 2 Mandarinen zum Nachtisch. Die Abendrunde haben wir vorübergelassen. Dann stand auf dem Tisch der Adventskranz von meinem Herzlieb – und vier Lichter brannten daran – und Kaffee u. Stollen gab's dazu. So warst Du mitten unter uns, und Deinem Mannerli ganz nahe – ach Schätzelein, doch den ganzen Tag!

Ich wollte Dir doch sooo gerne schreiben – auch Herzlieb! Ich sehne mich so darnach, wieder einmal in aller Ruhe mit Dir zu plaudern, ohne daß jemand mich stört, oder drängt, oder daß soviel andere Gedanken mich durchkreuzen. In der vergangenen Woche war es ganz toll. Und die  neue Woche fängt wieder an: Fortbericht, Entpflichtung, Beförderung, Einlieferung ins Gefängnis – alles ziemlich umständliche Prozeduren neben den laufenden Geschäften. Ach Herzelein! Auch das geht einmal wieder vorüber. Wenn ich könnte, ich wollte doch immer nur bei Dir sein! Aber diese Woche will ich auf jeden Fall ein wenig mehr Zeit erübrigen. Ein Brief an die liebe Mutsch liegt schon auch Tage angefangen in meinem Briefschaften. Nach K. muß ich schreiben und mich für den Christstollen bedanken.

Herzallerliebste! Dieses Zeichen soll noch mit zur Post. Damit Du gar nicht warten sollst. Ach Herzelein! Sollst nie auf das Mannerli warten müßen später! Gar nimmer. Nur mit Gewalt und härtester Pflicht kann man es jetzt Dir fernhalten – und nur räumlich. Ach Herzensschätzelein! Sonst sind wir einander doch ganz nahe, ganz lieb nahe! Oh Geliebte, ich weiß und fühle es ganz glücklich. Und von diesem Wissen kommt mir soviel Kraft, aller Mut zum Leben, aller Sonnenschein, alle Kraft zum Durchhalten.

Geliebte! Herzensschätzelein! Geliebtes Weib! Bleibe mein! Behalte mich lieb! Gott behüte Dich mir! Er segne unsern Bund. Herzlieb! Ich bin doch ganz Dein! Ganz ganz Dein! Das sollst Du allzeit wissen! Sollst es nie vergessen. Ich lasse Dich nie und nimmer! Und ich weiß doch nichts, was mich glücklicher machte: daß ich Dir so wert bin wie Du mir es bist!

Ich liebe Dich! Ich liebe Dich herzinnigli[ch.] Ich bleibe immerdar

Dein [Roland]!

Geliebtes Weib! Goldherzelein!!!!! !!!!! !!!

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Ausschnitt aus dem Brief. Zeichnung eines großen Berges mit einem Weg zum Gipfel.

Ba-OBF K02.Pf1.411207-001-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946