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[OBF-411204-002-01]
Briefkorpus

Donnerstag, am 4. Dezember 1941.

Herzensschätzelein! Mein liebster [Roland]! Geliebter Du!!

Die liebe Sonne möchte scheinen, sie gibt sich die größte Mühe durchzudringen, durch die dicken Schneewolken – vergebens. Es bleibt bei einem Versuch nur. Na, ich will ja heute sowieso nicht draußen herumspazieren, ich sitze warm! Doch die liebe Mutsch ist vorhin, ½ 200 [Uhr] wieder nach Chemnitz zum Arzt. Sie hat sich gut, warm angezogen. Und vom Bahnhof bis zum Hause des Dr. V. ist es nur eine Viertelstunde. Heute will sie versuchen, ob ihr Operationsarzt praktiziert, und sie untersucht. Ich bin neugierig. Für mich hat sich das Behandeln erledigt, ich bin auch sehr froh. Hoffentlich bleibt alles so gut. Was an mir liegt, soll geschehen, daß ich gesund bleibe.

Ach Herzelein! Heute muß ich Dir doch erst einmal etwas erzählen, Du!! Ich habe seit dem Montag richtig ein bissel in Angst gelebt; denn ich bin garnicht krank geworden. Am 1. Dezember war die Zeit um, nach dem letzten Male gerechnet. Nichts rührte sich. Dienstag auch nichts. Mittwoch – auch nichts. Donnerstag, heute – nun endlich vorhin ist es geschehen! Du!!! Ich war richtig erleichtert. Ich konnte mir doch garnicht enträtseln, weshalb es ausblieb! Wo ich doch soooo artig war, Herzelein!!!!! Du!!! Du!! Bist nun auch froh mit mir? Herzelein? Du!!!

Nun will ich aber ganz genau die Kreuzel auf meinen Kalender malen! Daß ich nicht einmal mich versehe und denke: was ist nur geschehn? Du! Komisch, daß ich Dir das immer gleich sagen muß. Was wirst Du nur denken von mir, wenn Du das liest! Beinahe schäme ich mich nun, da ich es niedergeschrieben habe, Du! Ach Du!!!!! Mit wem, außer meinem Herzlieb kann ich denn auch von all diesen kleinen Sorgen reden? Du!! Ich muß meine Gedanken dazu frei machen. Und Du hörst mich an, ja Herzelein? Du hast mich doch so lieb! Und Du bist doch auch mein Kalendermannerli! Mußt doch ebenso gut Buch führen wie ich, Du!! Du!!!!! Damit es dann stimmt, wenn Du kommst und wir vergleichen die Rechnung.

Ach Herzelein! Ich mag doch gar kein Geheimnis vor Dir haben! Du sollst an allem mit teilnehmen. Das Wunder unsrer Liebe überhaupt, das ist schon ein großes Geheimnis, ich will nicht nur Geheimnisse um uns wissen, Du!! Du sollst mein Herze schauen, wie es ist. Ganz, ganz weit offen steht es Dir! Ach Du!! Wir verstehen uns doch so lieb! Glücklich weiß ich es!!

Mein Herzelein! Heute sind wieder zwei liebe Boten von Dir angekommen! Sei vieltausendmal dafür bedankt, Du!! Am Donnerstag schreibst Du noch: „3 Tage keine Post – das ist eine ganz schöne Geduldsprobe!“ Glaubst Du, daß es jemals geschähe, daß wir einander 3 Tage lang nicht anschauten und nicht miteinander sprächen? Ach Du!!! Das hielt ich nicht aus!!! Das gibt es auch einmal nicht bei uns! Jeden Abend, wenn wir im Bettlein liegen und unsre Hände dann falten zum Gebet, dann soll aller Kummer und aller Streit ver[ges]sen sein, den vielleicht der Tag brachte! Vor Gott wollen wir stets ganz einig unsre Hände falten, froh und freien Herzens; denn bei seiner unendlichen Gnade und Güte schwindet aller kleinlicher Zwist aus Menschenherzen. Du! So wollen wir es immer halten, Herzelein! Niemals uns durch ein Mißverständnis unsre Tage verkümmern, ach! was gäben wir doch heute darum, alle Tage umeinander zu sein! Kein Gedanke daran, daß wir sie uns durch Mißstimmigkeiten vergällen wollten, diese kostbaren Tage all! Du!!!

Ach, mein Lieb! Auch Dich will das Unglück dieses Krieges [e]inmal mehr oder weniger packen, den Sinn umdüstern. Aber das geht wohl allen so. Wir können es nicht hindern, daß doch zuweilen eine Stunde der Ungeduld über uns kommt. Da wir an den Schranken rütteln möchten, die uns jetzt vorgelegt. Ach Schätzelein! Wir sind doch auch ganz vernünftig, wenn wir es nüchtern bedenken und feststellen müssen, daß wir uns noch mit viel Geduld wappnen müssen. Alle die vielen Menschen um uns müssen es auch – wir tragen nicht allein an dem Los, das der Krieg uns auf erlegte [sic]. Schätzelein! Wir haben doch allen Grund, froh und dankbar dreinzuschauen! Niemals wollen wir das vergessen! Und eines Tages wird unsre Geduld gekrönt sein mit dem herrlichsten Preis. Ach Du!! Ach, wenn nur alles gut ausgeht, mein [Roland]! Ich warte sehnsüchtig auf weitere Nachricht hierüber von Dir!

Euer Kamerad H. ist nun bald eine Woche wieder bei Euch, wenn er pünktlich ankam! Und ich habe es aber noch nicht bestätigt von Dir. Morgen ist Donnerstag, da erwarte ich Deinen vorigen Donnerstagsbrief. Kamerad K. geht noch immer so oft ins Kino! Wundert mich eigentlich. Weiß er sonst nichts anzufangen? Du wirst ihm halt nicht der rechte Gesellschafter sein, Du Schreiberseele! Sitzt dauernd an einem Briefe für Deine Frau! Das ist ihm wahrscheinlich langweilig! Und da geht er halt aus. So denke ich's mir. Ach Du! Wenn ich nicht so genau wüßte, wie Du veranlagt bist – ich dächte vielleicht, ich nähme Deine Freizeit zu sehr in Anspruch, Du! Aber Du bist wie ich, Herzelein! Du mußt Dich nicht zum Schreiben zwingen, es zwingt Dich, zu schreiben. Es zwingt uns – es, was ist das? Die Liebe! Das feste Band, das uns umschlingt!

Ach Schätzelein! Ich liebe die besinnliche Stille und Ruhe viel mehr als das verwirrende Getöse. Ich will mich wie Du vielmehr im eignen Herzschlag wiederfinden, im eignen Rhythmus des eignen Lebens – ich fürchte die Muße nicht, fliehe sie nicht. Und so wie jetzt, da wir noch jedes allein, für uns ja leben müssen, so wird es doch auch später zu Zweien bleiben: die traulichsten Stunden werden wir in gemeinsamer Runde erleben – zuerst nur Du und ich – und dann? Eines mehr, oder zwei, oder? Ach Du! Nicht in die Zukunft schauen wollen! Fein geduldig abwarten, was Gott uns schenkt! Aber das ist gewiß, den reichsten Gewinn hat man im eignen Kreise seiner Lieben. Du! Wir sind beide keine Vergnügungsmenschen und wir werden auch nie einmal satt sein, so satt wie viele andre, weil wir so vielerlei um uns haben dem wir Herz und Sinn gerne öffnen, das aber nicht schaal [sic] und langweilig wird, nachdem wir uns einige Male mit ihm beschäftigten. Ach Du! Es sind der schönen Dinge so viele in unserem Leben! Und Du wirst mich noch manches Gute lehren, wirst mir deine Welt immer noch weiter erschließen, die ich so ersehne! Du! Ich sehe unsres Weges kein Ende! Wenn Gott uns nur gesund zusammenführt! O Geliebter! Dann ist ja soviel Glück! Soviel Gelegenheit auch, all unser Tun im Dank und Lob an Gott zu vollbringen. Dieses allein ist ein schöner Dienst, eine Aufgabe, die unser ganzes Dasein ausfüllen wird. Ach Herzelein! Wir erleben es nur zu oft, daß wir so anders sind als die Menschen um uns her. Anders im Empfinden, Urteilen, Handeln – im ganzen Wesen schlechthin.

Du sagst es auch ganz recht: altmodisch kommt man sich vor! Altmodisch ist unser Lieben, unser Glückträumen. Altmodisch und absonderlich scheinen unsre Anschauungen und Meinungen von diesem und jenem. Aber du! Sie scheinen es nur! Sie sind es nicht! Und darin lassen wir uns auch durch nichts und niemanden beirren[.] Wir sind nicht alt im Herzen und altmodisch, aber wir mögen uns, wie Du, Liebster, ganz richtig auch sagst: nicht von den Parolen des Tagesgeschreis hin und herzerren lassen. Wir finden unseren Weg ganz von selbst nun. Du! Ich bin soo froh, daß wir uns einander hierin so gut verstehen! Und Du weißt, daß ich nicht nur Dir zuliebe so gesinnt bin, sondern aus eigner Überzeugung. O ja, Herzelein! Das ist doch ein Teil unsrer glücklichen Gemeinsamkeit, daß wir miteinander den Weg suchen und uns austauschen und unseren Blick üben und sch[ärf]en für die Erkenntnis des Guten und Bösen!

Ach Du!! Mein Herzelein! Ich liebe Dich! Ich hab Dich so fest in mein Herz geschlossen! Du!! Du!!! Geliebter! Nun will ich noch einmal Deinen so lieben Boten vom Dienstag lesen, wo Du so lieb mir erzählst von Deinem Glücksträumen in unsre helle, lichte Zukunft! Ach Du! Geliebter! Du beglückst mich doch soooo unendlich! Gebe Gott, daß das böse Kriegsgewitter recht bald vorüberziehe, daß Du mir recht bald gesund heimkehrst, mein Herzelein! Das wunsche [sic] ich mir sooo sehr! Das erflehe ich so heiß in all meinen Gebeten! Oh Geliebter! Ich bin Dir sooo gut! Ich liebe Doch sooo herzinniglich! Fühlst Du es? Weißt Du es? O ja! Du!! Du!!! Herzlein!

Sagst mir's ja alle Tage! Und wie lieb Du mich hast, Du!!!

Nun gute Nacht! Herzensschatz! Ich bin ewig Deine [Hilde], ganz ganz Dein!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946