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[OBF-411201-002-01]
Briefkorpus

Montag, am 1. Dezember 1941

Herzenschätzelein! Mein lieber, guter [Roland]! Du!!!

Mittagsstunde ist. Stille rings um mich. Vater schläft. Mutter ist fortgegangen, zu Oma nach Mittelfrohna. Ich habe meine Küchenarbeit beendet und nun will ich erst noch ein Weilchen mit Dir plauschen, ehe ich an die anderen schreibe. Nach Breitenborn, auch eine kleine Anmeldung an die beiden Landwirte möchte ich loslassen. Du weißt, der Breitenborner Besuch wird stets praktisch mit verbunden! Mal sehen, ob's was gibt. Und einmal wollen wir vor Weihnachten auch noch nach Glauchau zur Tante Marthel. Doch da muß ich erst ganz taktfest sein! Und das Wetter muß auch entsprechend dazu einladen. Nach Kamenz an die Eltern soll auch ein Brieflein fort heute. Dann wären noch dran: Hellmuth, Siegfried, Gertrud G., das Häsel, Frau K., Tante u. Onkel in Halle ... puh! Genug für dieses Jahr!!! Nur immer schön der Reihe nach, nur nicht drängen! Am Nachmittag will mich auch Ilse S. auf einen Sprung besuchen; dann heute Abend ist christlicher Frauendienst, will ich hingehen; es spricht Frl. Pfarrer Ruth L.! Du mußt sie zu Deiner Kantorenzeit schon mal gehört haben. Ich möchte es mal nicht versäumen. Heute um 1930 [Uhr] im Jahnhause.

Ach Du! Heute kam doch auch ein Nachzügler an von Deinen lieben Boten! Am 20.11.41 gestempelt. Herzlieb! Es ist der Brief vom Bußtag. Er fehlte mir noch. Und denke nur an! [Zeichnung, siehe Abbildung] Geöffnet!

Besinnst Du Dich auf den Inhalt dieses Briefes? Du! Du sprichst Dich offen aus über die Verhältnisse, die momentan herrschen; moralisch sowie wirtschaftlich. Im Auslande, wie auch im Inlande, daheim. Du läßt es an treffenden Beispielen nicht mangeln. Du faßt alles beim richtigen Zipfel an! Du redest ganz offen, wie Du scharf beobachtet hast und verschleierst oder bemäntelst nichts. Alles in allem: ein großartiger Brief! Mein Herz schlug vor Begeisterung, Du! Solche Kost bekommst die Prüfstelle nicht alle Tage vorgesetzt! Und darum ist es möglich, daß man diese Sorte Briefe vormerkt und ab und zu abfängt! Also: Vorsicht wäre am Platze.

Herzlieb! Du brauchst Dir nicht das Geringste vorzuwerfen! Im Gegenteil! Fabelhaft! Wie Du mir schilderst! Ich hätte vielleicht bereut daß so ein Brief nicht mal von den Herrschaften gelesen wird. Aber eines wundert mich doch, daß kein Tüpfelchen weggestrichen oder verbessert wurde!

So wie Du in Deinem Briefe die Lage schilderst, das ist wohl selten einem Soldaten gegeben. — Ich möchte doch mal wissen, was im Innern der Leute so vorgeht, wenn sie so unbefugt in Briefgeheimnissen stöbern. Und einmal mehr lesen müssen, als nur Angenehmes! Es sind doch eine ganze Anzahl Männer mit Geist Soldat, die sich mehr oder minder auch mal brieflich über dies und jenes austauschen mit ihren Angehörigen. Was da so alles niedergeschrieben wird, ich möcht es manchmal nicht wissen.

Eigentlich ist es gemein! Du!! Es ist doch unser Ureigenstes, was wir in einem Briefumschlag bergen, füreinander bestimmt. Nichtwahr? Im Zivilleben wird ein 'Vergehen am Briefgeheimnis' so scharf bestraft— aber hier wird es gebilligt. Es verletzt ja auch das Briefgeheimnis, wenn ein Fremder berechtigt ist, diesen Brief zu öffnen. Gewiß: Der Krieg bedingt eben solche Maßnahmen. Aber gemein ist es doch. Und wenn ich den Sauhund kennen würde, der unsre Briefe öffnet, denn wäre eine Backpfeife sicher! Du!!

Wir wollen bloß künftig vorsichtig sein, damit nicht einmal Dein Urlaub an solchen Briefe scheitert! Ach Herzlieb! Wenn wir doch erst einmal frei wären! Ledig aller Aufsicht! Frei!! Du und ich im eigenen Heime! Oh, wie glücklich sind wir dann! Oh Du!! Alles, was wir einander sagen wollen, muß dann nicht mehr den Weg durch viele Hande [sic] nehmen. Muß nicht mehr fremden, zudringlichen Blicken standhalten. Ach Du!

Es wird eine herrliche, köstliche Zeit für uns! Und Du und ich, wir werden sie doppelt schätzen! Gebe Gott, daß alles zum Besten sich wendet! Oh Du!! Wir müssen hindurch! Wir dürfen die Hoffnung und den Glauben nicht schwinden lassen, daß all das an Entbehrungen notwendig ist, daß alles ein gutes Ende nehmen wird.

Du sagst recht: ein Triumpf ist unser Sieg schon nicht mehr, kann er nicht mehr werden! Zu viel Leid ist schon geschehen, zu viel Unglück ringsher und Zerstörung. Zu viele Wunden warten dann auf Heilung. Ein Triumpf ein glänzender kann dieser Sieg nicht werden — eine gewaltige Verantwortung, Aufgabe und Arbeit nur! Das wird immer deutlicher, es ist ein zähes Ringen. Und noch ist der Ausgang nicht abzusehen.

Mein [Roland]! Wie dieser Ausgang aber auch immer ist, wir wissen — es geschieht Gottes Wille. Und Gott vertrauen wir, vertrauen wir so ganz! Und ihm halten wir die Treue! Wie wir einander die Treue halten werden immerdar! Geliebter! Ich glaube fest, daß Gott auch unser kleines Geschick in seinen gro[ßen] Plan mit einbezogen hat! Nicht umsonst gab er uns zusammen! Wir haben hier auf Erden eine Pflicht zu erfüllen! Und wir warten nur darauf, daß wir endlich rüstig zur Tat schreiten dürfen! Geliebter! Ich habe Glauben!

Sei froh und zuversichtlich mit mir! Wie freue ich mich, zu lesen, daß der Pfarrer S. der ist, den wir schon in ihm vermuteten! Du wirst ein schönes Weihnachten erleben! Ach, ich freue mich ganz dankbar! Und an unserem Verlobungstage warst Du auch im Gotte[sd]ienst. Ich bin nicht gewesen. Schon zum Totensonntag hat mich so gefroren, unsre Heizung funktioniert noch immer nicht in der Kirche, das ist recht unangenehm. Die Tage hier sind jetzt zu kalt, daß man in einem ungeheizten Gotteshaus nicht gut sitzen kann. Hoffentlich bessert sich das bis Weihnacht. Herzensschätzlein! Nun muß ich wohl oder übel mal an die anderen denken! Ach Du! Ich schreibe doch viel lieber immer nur dir! Wie könnte ich das nur so lieb, immer Dein denken, wenn ich eine recht anstrengende Arbeit hätte? Geliebter! Du bist mein ganzes Glück! Bist mein Ein, mein Alles! Bei Dir allein finde ich Erfüllung und alle Herzensfreude und Liebesseligkeit! Oh Du!!! Du!!!!! Wie ich Dich liebe mein [Roland]! Wie ich Dich liebe! Der Herrgott behüte Dich mir! Allezeit bleibe ich

Deine [Hilde]

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.411201-002-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946