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[OBF-411130-002-01]
Briefkorpus

Sonntag, am 30. November 1941.

Herzallerliebster! Mein [Roland]! Geliebtes Herzelein! Du!

Nun ist Advent! Ich bin so froh heute! Und ich fühle es, Geliebter! Alles Frohsein kommt mir von Dir, Du bist auch froh. Die liebe Sonne scheint heute, aber bitterkalt ist's im Schatten, meint Papa, der heute früh unsre 6 Zentner Kartoffeln noch heimholte. Wir sind recht froh, daß wir sie nun im Keller haben. Ich sehne mich hinaus, aber so lange mag ich auch nicht in der Kälte umherstiefeln, damit ich mir meine Näs' nicht wieder erkälte! Ich will doch fein artig sein, Herzelein! Und mich schonen. Es ist mir jetzt wirklich ganz wohl! Du!! Heute früh haben wir alle bis ½ 9 geschlafen, es war so [fe]in warm im Bettlein, daß wir garnicht herauswollten. Erst als Papa Feuer gemacht hatte, sind wir herausgekrabbelt. Du! zwei Adventskränze habe ich gewunden heute Vormittag. Schön sind sie geworden. Ein großer hängt im Flur, der kleinere hängt in der Küche. Ach, wie ist das schön! Für uns beide dann winde ich auch jedes Jahr den Adventskranz Herzelein ja? Und Du hilfst mit schmücken. Wie schön wird das sein! Ach, gebe Gott, daß Du mir bald, bald froh und gesund heimkehrst! Herzelein!

Heute nacht träumte ich nicht von Dir, ganz tief habe ich geschlafen. Du!! Hättest mich vielleicht garnicht wach bekommen heute, wenn Du dagewesen wärst! Aber ich weiß, sobald ich Deinen Blick lange auf mir ruhen fühle, dann schlage ich die Augen auf. Du!! Vom Morgen- und Abendkuß redest Du in einem Deiner lieben Boten! Oh Herzelein Du! Wie lieb das klingt! Ich bin so froh, daß Du die Zärtlichkeit magst – auch später noch, wenn wir älter sind! Du!! Ich kann mir doch überhaupt nicht denken, daß ich einmal so ohne jede Zärtlichkeit neben Dir herleben soll wie, ja – wie ich es bei meinen Eltern feststellen muß. Ach Du! Das ist doch nicht schön, gelt? Ich weiß ja nicht, ob sie sich heimlich ganz gut sind – aber ich glaub's nicht. Du! Unsere Liebe ist von allem Anfang an so heiß und so tief, daß wir sie uns immer wieder bezeugen müssen durch unsre Zärtlichkeit auch. Und ich weiß, ich könnte nicht ruhig einschlafen, wenn Du mir einmal keinen Gutenachtkuß gegeben hättest, Herzelein! Und wenn Du abends einmal fortgehen mußt ohne mich, das kann doch sein! Dann mußt ihn mir geben, ehe Du fortgehst, dann will ich ruhig schlafen gehen. Du!

Ich denke immer auch daran: wir wissen nicht, wenn Gott uns einmal abruft und dann müßte ich mir bittere Vorwürfe machen, wenn ich versäumt hätte, Dir meine Zärtlichkeit und Liebe zu bringen täglich! So ist's auch mit dem Morgenkuß, Herzlieb! Du fragst mich so scherzhaft, ob vor oder nach dem Zähneputzen! Du Schlingel! Wenn Du Dir nicht schon im Bettlein einen stiehlst, dann nur nach dem Morgenkaffee, den ich mit Dir immer einnehmen will[!!] Dann, ehe Du zum Dienst gehst, wenn ich Dir in den Mantel geholfen hab, wenn Du Dich vor mir um die eig[e]ne Achse gedreht hast, ob alles an Dir in Ordnung ist, dann – kriegst erst 'nen Klaps auf Dein „Dickerle" und zuletzt ein Kussel auf Dein Leckermäulchen – so nun lauf zu!

Ach Du! Jetzt höre ich aber auf – ich muß mich gleich so sehr sehnen nach Dir, Herzelein! Wenn ich von so lieben Dingen schreibe. Du! Und jeden Abend wollen wir dankbar die Hände falten zusammen, Gott unser Glück anzubefehlen, ihn zu bitten um seine Gnade. Oh Herzelein! Sag? Freust Du Dich nicht auch unbändig auf unser Leben? Wenn es nur erst soweit wäre, daß Du ganz heimkämest! Heute jährt sich nun unser Verlobungstag wieder. Damals dachten wir nicht daran, daß auch Du einmal so weit fort müßtest! Aber, es ist uns trotz allem so viel Gnade und Glück beschieden worden von Gott, daß wir nur immer wieder tief danken müssen, daß wir einander noch haben! Daß wir froh und gesund leben unter seiner Sonne! Oh Du! Das ist allein schon so viel Glück! Geduldig ausharren wollen wir bis zuletzt! Wenn wir einander nur bleiben! Gott walte es!

Herzallerliebster mein! Heute morgen, am Montag, schreibe ich Dir erst wieder weiter. Wie es kam? Nach dem Nachmittagskaffee gestern, unterm Adventskranz, kam Vater auf die Idee, ins Kino zu gehen. „Mutter" mit Benjamin Gigli. Es soll ein guter Film sein, wie ich schon hörte. Ich war schon einverstanden, doch die Mutsch, die hat ja nur bis 500  nachmittags Ausgang! Aber weil Papa, der so wunderselten mal nach dem Kino drängt, Interesse zeigte, meinte sie, wir sollten nur mal gehen. So sind Vater und Tochter losgezogen!, zur ersten Vorstellung gingen wir ½ 500 . Und wir wurden nicht enttäuscht. Von Gigli's Stimme nicht! Opernmusik von Guiseppe Verdi untermalte das Ganze. Es war ein kleiner Kunstgenuß. Szenen aus „Othello" wurden geboten. Wirklich, es war schön. Die Handlungsweise an sich war dem Sinne nach ähnlich allen anderen Filmen, die diese Überschrift tragen. Von der aufopfernden, selbstlosen Liebe einer Mutter handelte auch dieser Film. Wenn Du Gelegenheit hast, schau Dir den Film an.

Um 7abends kehrten wir heim. Sternklar die Nacht, Herzelein! Und kalt! Du liebst auch solche winterlichen Mondnächte, ich weiß es – ach, ein unerklärliches Gefühl überkommt mich, wenn ich dann über mich blicke in die Majestät des Himmels, ein Gefühl der Geborgenheit kehrt in's Herz ein, so heimatlich ist einem zumute. Ach Du!! Wenn Du doch bald wieder bei mir sein könntest! Mein Herzensschätzelein! Ein ganz heller, großer Stern steht am Himmel jetzt, Richtung Südosten schätze ich, ach Du! Den muß ich immerzu betrachten! Du siehst ihn auch, gelt, Herzlieb? Kennst wohl seinen Namen? Und nun strebten wir dem warmen Stübel zu! Aber als wir eintrafen daheim, gab's eine Überraschung. Mutsch hatte Besuch! N.'s von der Bergstraße. Sie wollten bei uns Advent feiern, weil wir immer einen Kranz hätten; sie haben noch keinen, es fehlt an Reißig [sic]. Herzelein!

Da konnte ich nun den Abend nicht in Deiner Gesellschaft beschließen, wie ich mir's so schön ausgedacht hatte! Ach Du! Aber Dein gedacht habe ich immerzu, Du!! Und ich fühlte es, auch Du warst in Gedanken bei mir zuhaus! Du Liebster! Um 10 abends bekam ich einmal so heftig den Schlucken! Du glaubst ja nicht an „das Telephon"! Aber ich schwöre drauf, daß Du zu der Stunde besonders an mich dachtest! Stimmt's? Wie wirst Du den 1. Advent verbracht haben, Herzelein? Weißt Du noch? Als wir am letzten Tag in Barkelsby kein Gefährt erwischten, um nach Kiel zu kommen? Und wie wir dann im schönen Hotelzimmer auf den Alarm warteten, der glücklicherweise grade mal ausblieb? Ach Du! So weit liegt es schon zurück – und doch steht's ganz nahe vor meinem geistigen Auge, wenn ich nur zurückdenke.

Ach Du! Der Abschied war mir so schwer damals. Oh Herzallerliebster! Denkst Du noch der letzten Stunden, in dem fremden, großen Hotel? Wir fühlten doch Heimat beieinander, Geborgenheit! Und ich hatte Dich sooooooooo lieb!!! Herzelein! Ach Du! Ich hoffe im Geheimen schon wieder auf unser Wiedersehen! Im Geheimen! Du!!! Und bald, bald, so glauben wir fest, soll es wieder Wirklichkeit werden, daß wir uns gegenüberstehen!! Uns beglückt umfassen, oh wie beglückt! Herzelein! Nur nicht so sehr freuen, sonst läuft das Freudenbrünnlein gleich über! Und ich will's doch nicht leiden!! Jetzt noch nicht!! Erst mußt Du bei mir sein, geliebtes Herz!

Du! Gestern früh, als ich über'm Kranzwinden war, kam der Briefträger, ein andrer diesmal. Ich spannte auf's Klingeln! Endlich! Und als ich runterkam, war der Kasten doch leer! Ich mußte auf die Straße, da lief der Bote noch! „Tja, da müssen Sie ein Schild ranmachen! Ich habe alle Post in den großen Schlitz geworfen." Bei U. natürlich! Was nun? Ich war ganz unglücklich. Bis morgen warten, dachte ich? das [sic] kannst Du nicht. Im Hause war niemand zu hören. So bewaffnete ich mich mit der Taschenlampe und mit einer Schürze voll alter Schlüssel, ich mußte es versuchen! Wenn U.'s das gesehen hätten!!! Ach Du! Es paßte keiner – doch der letzte, ein alter Kellerschlüssel! Ich war selig!! Ein Brief vom Herzelein! Und eine Karte von Frau K., sie wünscht mir einen gesegneten Advent und fragt nach Bildern an! Ich bekomme keine mehr, außer einen Abzug von jedem. Da muß ich halt die Negative hinschicken. Ach Du! Du!! Ich hatte nun Deinen Brief! Und nun war Sonntag für mich!

Damit ich aber nicht in die Falle ging bei U.'s, indem der betreffende Postbote anfragen könnte, ob sie mir die Post ausgehändigt hätten, steckte ich die Karte von Frau K. wieder in U.'s Kasten. Sind die Frauen nicht schlecht? Herzelein?! Und heute früh steckte sie in meinem Briefkasten! Aber heute habe ich ein Schild angemacht!! Wehe, wer nochmal versäumt, die Briefe richtig einzuwerfen. Herzlieb Du!! Vom Montag ist Dein lieber Brief! Ich habe mich so gefreut über ihn! Ich danke Dir, Du!! Und noch klingt auch darin die Sorge um meine Gesundheit! Geliebter! Nun ist doch alles wieder gut. Wenn ich nur mein lebendiges Heizofchen [sic] bei mir hätte, dann käme es nie mehr zur Erkältung! Das hat neben seiner vorzüglichen Heizkraft auch noch den Vorteil, daß es mich behütet und bewahrt vor Leichtsinn und Unfolgsamkeit! Du!! Du!! Aber ich bin nun ganz, ganz artig! Immer! Du!!!

Du schreibst erfreut, daß die Post so gut arbeitet. Das hört man gern! So sind wenigstens die Nachrichten nicht gar so altbacken, Du! Sag? Wann fährt denn Dein Kam[erad]. K. heim? Dann ist der Spieß dran – und dann und dann????? Du! Oh, ich freue mich schon so! Herzelein!

Jetzt ist es um 11, die Mutsch kocht Birnen ein, vom Oberboden, sie beginnen zu faulen. Nach dem Essen will sie mal nach M. gehen. Sie soll viel an die frische Luft. Ich könnte ja auch mit – aber ich will schreiben. Auch noch ein wenig an Dich, Du!! Und nach K., nach B., ich will mit Mutter einmal hin, für H. das Geschenk mitnehmen. Aber erst nächste Woche. So Herzelein! Nun will ich helfen Essenkochen. Vater ist zum Lichtbaden. Dann muß er schlafen denn er hat Nachtdienst. Der Bote soll noch mit der Mittagspost fort. Auf Wiedersehen, Herzlieb! Gleich komme ich wieder! Ich hab Dich doch sooo lieb! Gott behüte Dich, mein Herzelein. Ich bleibe Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946