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[OBF-411129-002-01]
Briefkorpus

Sonnabend, am 29. November 1941.

Herzensschätzelein! Mein geliebter, guter [Roland]! Herzelein Du!!

Wo soll ich denn gleich mal beginnen heute. Du! So viel habe ich Dir zu sagen, und ich finde doch garnicht gleich den Anfang. Du! Der Tag war ja heute so voller Schenken! So voller Freude! Überall und für alle. Also, nun schön der Reihe nach. Es ist wieder Abend geworden, da ich dazukomme, mich zu Dir zu setzen. Wir sitzen alle drei im warmen Stübchen, Abendbrot ist eben vorbei. Vater liest die Zeitung, Mutter blättert in einem Buche und ich? Ach Du!! Feierabend halte auch ich! Und Du weißt doch, wie ich ihmn am liebsten verbringe. Mein Herzelein! Ach, könnte ich Dich doch einmal von Angesicht zu Angesicht sehen, wenn ich so mit Dir plaudere! Herzelein! Wie gerne möchte ich das!! Aber ein wenig Geduld nur noch!! Du!! Du!! Jetzt habe ich doch Dein liebes Bild, das erfreut mich doch auch ganz sehr, Geliebter!

Ach, wir sind doch zu verfressen! Der Vater fing an!! Nicht ich! Du!! Und jetzt haben wir die Dose mit den Weihnachtspfefferkuchen hervorgeholt und kosten und schmatzen! Du! Die schwarzen, weißt? Du wirst sie auch [n]och probieren! Die sind herrlich. Ich glaube, die leben zu Weihnachten nicht mehr. Wenn wir nur recht viele von der Sorte hätten! Aber leider braucht man zu viel Gutes hinein. Wenn Frieden ist, Herzlieb! Aber ich kaufe kein Paket Pfefferkuchen fertig – allen backe ich selbst.

Du! Dann brauchen wir die Feiertage keinen Besuch! Du wirst so dick und rund werden, wenn Du all das probieren und kosten mußt, was ich Dir vorsetze!! Du!!! Aber – alles können wir nicht dem Bäuchlein zukommen lassen, sonst wird das Köpfchen dumm und hohl! Mußt mich fein bewachen helfen und bremsen, gelt? Wenn's Dir bange wird. Ach, wir werden schon maßhalten lernen in allen Dingen, nicht wahr Herzelein? Ach Du!! Du!!! Und ich helfe Dir ganz gewiß dabei! Du!!! Du!!! Ja – Du!!! Herzelein, ich helfe Dir!

Du! Heute um ½ 4 trafen wir uns von der Kinderschar an den Jubellinden. Die Frauenschaft ging auch mit zur Bescherung ins Lazarett. 6 Körbe hatten die Frauen gesammelt voller guter Dinge: Kuchen, Pfefferkuchen, Äpfel, Wein, Pakete mit allerlei Inhalt, Müffchen und vieles mehr. Unsere Kinder hatten ihre Laternen mit einem Licht. Im Zuge marschierten wir ein ins Lazarett. Im II. Stock begannen wir. Zuerst stellten wir uns in den Gängen auf und sangen: „Leise rieselt der Schnee“. Dann die Mädchen mit ihrem Liede und die Frauenschaftshelferinnen boten auch Weihnachtslieder. Nicht ein bekanntes Lied wurde gesungen!! Schade, so schade! Und die Soldaten wagten sich auch keines zu wünschen – die wissen auch schon Bescheid. In jedes Zimmer mußten wir unsre Kinder führen, auf jedes Nachttischchen stellten sie ihr Laternchen. Die Soldaten freuten sich! Und so gingen wir von Tür zu Tür, bis wir alle durch hatten.

Nach einer guten Stunde waren wir wieder draußen. Schnell ließ ich wegtreten, es war kalt heute, die Kinder frieren leicht. Auch ich bin schnell heimgelaufen. Es war schön warm im Schulhause, die Zimmer voll besetzt. Manche lagen im Bett, einige liefen umher. Einig Betten waren leer, die Soldaten, die schon halbwegs geheilt sind bekommen Ausgang. Von allen Seiten werden sie betreut, es geht ihnen gut in O. Schwerverwundete sah ich nicht gerade liegen. Freilich viele ohne Bein und Arm, doch schon geheilt alle. So viele junge Menschen! Man muß tiefes Mitleid mit ihnen haben.

Ein junger Arzt sprach mich an, als ich meinen geleerten Korb nach der Ecke tragen wollte, wo niemand darüber stürzen konnte. Er half mir tragen. Er sei so überrascht gewesen, gleich als ich hereingekommen sei, ich sähe einer Dame so sehr ähnlich, die ihm einmal nahe gestanden und er hätte im Moment nicht anders geglaubt, ich müsse dieselbe sein. Erst nachdem wir gleich gehen wollten, sprach er mich an. Er hätte mich immer wieder beobachtet und verglichen es hätte ihm aber keine Ruhe gelassen. Er sagte das ganz höflich, ohne daß ich denken mußte, er habe andere Absichten. Aber so lange und so komisch schaute er mich an, daß ich ihn stehen ließ unter einem Vorwand und meine Buben antreten ließ zum Heimmarsch. Er kam mit heraus und stand noch da, als wir schon weit oben auf der Straße liefen.

Da werden nun die Menschen verstreut überall in der Welt und die Pflicht hält sie fest und in ihren Herzen tragen sie vielleicht eine Sehnsucht, ein Suchen. Und sie müssen immer Ausschau halten, überall und immer, weil sie von innerer Unrast getrieben glauben, ihr Glück zu versäumen.

Der Krieg bringt doch mehr Leid als Freud' – auch wer nur einer von denen ist, die Wunden, die der Krieg schlägt zu heilen, muß darunter mit leiden. Herzelein!

Ich könnte nicht Schwester sein, glaub ich – so schön ich mir es denken kann, wenn man Leidenden helfen darf – ich bin zu gut. Ich müßte auch mit Worten helfen und trösten, wenn ein Mensch in irgend einer seelischen Not zu mir käme. Und diese Güte wird in dieser Welt zu oft verkannt! Anders ausgelegt – vielleicht als Freibrief. Und ich stünde mit meiner Art, so wie ich nun eben bin dauernd in Gefahr. Du sagtest mir das schon einmal. Und ich weiß es nun auch.

Ach Du! Weißt? Schwester sein kann man ja eigentlich nur ganz, wenn man frei ist. Alle Gedanken, alle guten Kräfte müssen sich dann auf die Arbeit konzentrieren können. Ich kann das nicht. Du!! Meine Gedanken sind woanders! Mein Herz und mein Sinn ist auf ganz anderes gerichtet! Auf viel Schöneres, wenn ich so sagen soll. Ach Du! Frauenberufe, sie mögen noch so schön sein, Erfüllung werden sie einem rechten Weibe doch nie sein! Ich kann es nicht glauben! Das Weib ist zu anderem geboren, zu höherem bestimmt: Mutter zu sein. Herzelein! Wer einmal im Leben von Herzen geliebt hat, der kann im geliebten Berufe selbst nicht mehr Erfüllung finden, ich glaube das nicht! Die Sehnsucht bleibt! Die ungestillte Sehnsucht. Du!!!

Wir wollen Gott lobpreisen, daß er uns zusammenführte! Nun ist das Glück in seiner höchsten Vollkommenheit bei uns eingekehrt! Nichts auf Erden kann uns Ersatz sein für solches Glück! Kein Ruhm, keine Ehre sonst ist uns soviel wert, ist uns so kostbar wie unsere Liebe, wie unser Glück! Oh Herzelein! Du bist mir immer gegenwärtig! Du erfüllst mich so ganz! Und wo ich auch hinkam, Dein Bild, Dein Wesen, das ist mir noch nie wieder begegnet! Geliebter! Oh Du!! Ich suche ja auch nicht danach!!! Aber, es ist nur meine Betrachtung. Du bist und bleibst der Einzige, der mein Herz erfüllt! Erfüllt so ganz! Und mit all dem köstlichen Besitz bin ich so reich! So glücklich! Unendlich glücklich! Oh Schätzelein! Fühlst Du es, daß mir Dich niemand, niemand ersetzen kann? Geliebtes Leben! Mein [Roland]! Ich hänge sooo sehr an Dir! Ach, ich hänge zu sehr an Dir! Wenn etwas mit Dir geschähe jemals, ich würde es nie verwinden, Du! Ich liebe Dich zu sehr, Du!

Herzelein! Heute nachmittag, es war nach ½ 2, da hast Du sicher an mich gedacht. Oder hast Dich gesehnt nach mir? Du? Du?! Meine rechte Wange war soo heiß! Sie brannte nur so, noch im Lazarett. Oder hast Du vielleicht heute den Adventskranz bekommen und daran gedacht, wie schön es nun daheim ist? Hast Dich also doch gesehnt, Herzelein! Ich habe es doch so deutlich gefühlt, die Gedanken an Dich ließen mich garnicht mehr los. Du!! Herzlieb! Ich habe unseren Kranz noch nicht gebunden, erst machte ich heute morgen die Laternen noch fertig, überall gab es noch ein bissel auszubessern. Morgen früh binde ich ihn. vielleicht langt das Reißig noch zu einem im Flur, denn das möchte ich gerne. Bei Euch in K. gefiel mir das immer so.

Der Tag war voller Schenken heute, so sagte ich zu Anfang! Herzelein! Du hast uns 3 Pakete geschickt! Wie waren ja ganz sprachlos, wir zwei Frauen! Du!!! Das eine trug einen Stempel „H.“ und das ist das Geheimnisvollste! Du Weihnachtsmann! Spannst mich nun noch 4 Wochen auf die Folter! Ach, ich will gerne warten! Umso inniger freue ich mich dann an Deiner Überraschung. Und Nummer 2 dürfte nur die [Hilde] öffnen! Mit ganzer Genugtuung 'kostete' sie diesen Vorzug aus, natürlich!!! Die Mutsch mußte in die Ecke! Und ich – ach ich, Du! traute doch kaum meinen Augen, als ich die [H]errlichkeiten auspackte! Diese schönen, schönen Kissen! Du!! Wir nehmen natürlich nur das altfarbene! Nur!! Das gefällt mir auch am allerbesten! So vornehm wirkt es, das kommt auf's (ach, ich sage lieber Diwan!) das schreibt sich anständiger!! Also auf den Diwan in das Mannerli Zimmer kommt das, wie alle die schönen Kissen, das Altdeutsche, das von Elfriede's handgewebte! Ach Du! Ganz fein muß es bei Dir sein, wenn Du mal Herrenbesuch empfängst! Höre!! Herrenbesuch! Eine and[e]re Dame als ich lasse ich nicht auf mein schönes Kissensofa setzen! Keine Angst Dickerle! Es wird kein „Kissensammellager“, Deine Ruheplätzel! Und für Dein Dickköpfel, das Du nicht waschen läßt, mußt Du noch einen Kissenbezug haben, der sich gut und schnell mal waschen läßt! Jawoll!! Sonst kommen die schönen Kissen gleich aus der Form und Farbe, wenn ich sie so schnell waschen muß. Ach Du! Die Kissen sind wirklich herrlich! In aller Heimlichkeit will ich mal unsres überziehen, damit ich die Wirkung so auch mal sehe. Ich freue mich sehr darüber, Herzelein! Wenn das unsre lieben Mütter sehen werden! Meine Mutsch hat nun zweie zu Weihnachten! Da wird sie ja gucken! Herzelein! Fein hast Du gewählt! Und wenn Du viel Geld über hast, dann kaufe uns nur noch eines! Mir gefällt es ganz sehr! Und feines Haarwasser habe ich wieder! Es kam beinahe zur rechten Zeit an!, denn meines ist nun gleich alle. Ungefähr 4 Wochen reiche ich, wenn ich's regelmäßig benutze. Jetzt, wo ich krank war, habe ich's gelassen! Schön von Dir, daß Du an meine zerrissenen Strumpeln denkst! Du! Ich bin doch schon ein bissel neugierig, was Du wohl der Mutsch geschickt hast! Du! beinahe sehr, sehr neugierig, Herzelein! Aber ich will artig warten bis zum Heiligabend! Denn dann kriege ich's doch, das Päckel, gelt? Ach Du!!! Du machst mich aber auch immer so neugierig! Du schlimmes Mannerli! Du! Nicht nur vor Weihnachten spannst Du meine Erwartung so auf die Folter – schon immer hast meine Erwartung so erregt! Du!! Ach, alles was von Dir kommt, das ist ein herrliches, köstliches Wunder! Auch – wenn Du das Gärtlein aufschließt zur Liebesseligkeit! Sooo lang vorher schon war ich voller Erwartung! Es war auch immer, als wäre bald Weihnacht. Selige Zeit!

Oh Herzelein! So viel Liebe bringst Du mir immer! Ach! Auch ich möchte Dir immer so viel Liebe bringen. Du! Ich will zum Feste ganz froh sein mit Dir! Du!! Du hast meine Sorgen, daß Du Weihnacht nicht würdig feiern könntest, oder verlassen, so lieb zerstreut, ich bin nun ganz froh und zufrieden, Du! Geliebter mein! Du weißt nun, wo Du Weihnacht wie daheim empfinden kannst! Du kennst den Ort im fremden Land, wo das große Gotteswunder in deutschen Lauten jubelnd offenbar wird – im deutschen Weihnachtsliede, im Worte aus der Schrift. Die ewig neue Geschichte von der Geburt des Heilandes. Ich bin nun so froh, Du! Und Kamerad H. wird bei Dir sein. Ob er schon da ist?

Ach, ich möchte zu Weihnachten die Kirche in K. besuchen! Vielleicht gehe ich einmal nach L.

Du! Herzlieb! Des Vaters Päckchen hat die Mutsch ihm mitgenommen heute Mittag, mit dem Essen. Und heute Abend kam er aber gestrahlt! Und gab uns seinen Schreibebrief zu lesen und auch die feinen Päckel Tee!

Nun! So schnell sind die Frauen nicht versöhnt! Dein Glück, daß eine Tafel Schokolade mit drin war! Die haben wir aber mit Hochgenuß verschnabuliert! Seit Du bei uns warst, habe ich noch keine wieder gegessen. Herzlein! Du teilst gar lieb mit mir! Du!!!!!

Vom Papa bestelle ich Dir die allerherzlichten Dankesgrüße, nun hat er eine Weile die Rauchersorgen vergessen! Er hat sich sehr gefreut! Und wenn Du kommst, wird er Dich schon mal tüchtig drücken dafür! Die Männer bei uns hier, die lamentieren tüchtig. Sie mögen sich nur alle das Rauchen abgewöhnen!

Herzelein! Alle Deine Sachen sind nun zu unser größten Freude angekommen! Und ich wünsche mir, daß meine Sachen auch so gut ankommen! Du!!!

Die Eltern sind zu Bett. Es ist gleich 10 Uhr. Die Mutsch hat das Heizöfchen angeschaltet, daß es bissel warm im Zimmer wird. Denn heute ist es sehr kalt draußen. Und in der Küche wird es jetzt auch kühl. Anlegen will ich nicht nochmal, das ist zu kostspielig, wenn man darnach gleich schlafen geht. Morgen schreibe ich Dir wieder, Du! Ach Herzlieb! Heute nacht träumte mir wirklich von Dir! Es war Sommer und wir gingen miteinander im Wald spazieren. Auf einem grünen Plätzchen, versteckt, da ließen wir uns nieder. Und dann warst Du mir so nahe, Herzlieb! Ich habe es so schmerzhaft gefühlt, wie Du mich küßtest! Oh Du! Meine Sehnsucht ist so groß! Sie muß sich noch ein langes Weilchen gedulden, Herzelein! Bleib mir gesund! Auch mir geht es gut!

Gott behüte Dich mir! Mein Ein, mein Alles!

Du!!! Ich liebe Dich! Von Herzen! Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946