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[OBF-411129-001-01]
Briefkorpus

[Saloniki] Sonnabend, den 29. Nov. 1941

Mein liebes, teures Herz! Geliebte! Holde mein!

Das Kleeblatt ist beisammen zum Wochenende. Häuslich sind alle. Am Tische zur Linken sitzt K., Zigarre rauchend und schreibend. Er schreibt viel, nach vielen Seiten. Auch täglich an seine Frau. Aber es geht ihm schneller von der Hand als Deinem Mannerli. Kamerad H. geht auf und ab wie ein Löwe im Käfig, die Schuhbürste in der Hand, er will seine Schuhe putzen. Wir haben schon viel Spaß gehabt. Unterhalten und Necken zu dreien ist schon reizvoller als zu zweien – unter Männern. Aber nun hat es das Mannerli wieder ein klein wenig schwerer, sich zu sammeln und meinem Boten die rechten Weisungen zu geben, ein [sic] kleine Umstellung wieder.

Es gilt nun auch wieder alles in drei zu teilen, auch den Platz. Nicht lange, so sind wir wieder zu zweien. Eben hat K. seinen Halter beiseitegelegt, er hat keine Lust zu schreiben. Nun ist Dein Mannerli allein über dem Liebsten des Tages, ach über dem Allerliebsten. Bist doch heute so lieb zu mir gekommen, Goldherzelein, mit Deinen Boten vom Sonnabend und Sonntag. Wie soll ich Dir denn danken? Ach, am besten doch mit meinem Frohsein und Glücklichsein, geliebtes Weib! Herzlieb! Wie köstlich, einen Menschen zu wissen, der treu zu uns hält. Nun aber noch ein liebes Weib, das täglich mein denkt, nicht aus einem Muß, sondern aus dem Drang des Herzens, das zu mir kommt mit allen Regungen seines reichen Herzens – mit seiner einzigen Liebe! Oh Herzelein! Dann fühle ich die ganze Kraft unsrer Liebe, die ganze Tiefe unseres Glückes – alle, alle Seligkeit - Du! Oh Du!!!!! !!!!! !!! Du liebst mich! Ich habe Deine Liebe! Dein Herz! Ich habe ein ganz ganz liebes Herzensschätzelein! Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Du! Sag, kann ein Weib auch so glücklich sein wie Dein Mannerli? Fühlst Du sie aus so übermächtig, die Liebe?

Oh, Du! Geliebte! Hast mir ja schon so oft Antwort darauf gegeben. Du sehnst Dich nach mir! Und träumst von mir, von unserem Glücke, ganz nahe und lebendig! Und ganz süß auch, Du!!! Oh Herzelein! Ich weiß es: Deine Liebe brennt so heiß wie die meine! Dein Sehnen und Verlangen ist wie das meine so mächtig! Herzensschätzelein! Gedulde Dich fein mit mir! Bald werden sie wieder zusammenschlagen, unsre Flammen – die Ströme uns[e]rer Liebe! Du!!!!! !!!!! !!!

Geliebte! So jung und heiß ist unsre Liebe noch! Und wenn wir zueinander könnten jetzt – müßten wir einander erst einmal ganz lieb haben – müßten unseren Durst löschen am Bronnen des Glückes. So war es noch immer, wenn wir einander besuchten bisher. Denn anders kann man unser Zusammenleben nicht nennen. Und die Kostbarkeit der Stunden ließ uns gar gierig und hastig trinken. Oh Geliebte! Die Zeit der Stille, des Reifens neuer Liebe, die köstliche Zeit, wir erlebten sie noch kaum. Und das Überfließen aus dem Überfluß – oh Schätzelein! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Geliebte! Geliebte!!! Mit Dir harre ich sehnsüchtig der Stunde, die uns auf immer zusammenführt!!! Herzelein! An Deiner Seite leben! Meines Lebens Rytmus [sic] ganz abstimmen auf den Deinen, meinen Herzschlag auf den Deinen! Mein Leben einmünden in das Deine zu meinem Leben, zu einem ganz eigenen, neuen Leben! Oh Du! Ich bete mit Dir, Gott möge unserem Wunsche recht bald Erfüllung schenken!

Oh Herzlieb! Wir wissen so ganz froh und glücklich, daß wir einander so ganz nahe sein können, daß wir an Leib und Seele eng umschlungen durch dieses Leben gehen werden. Daß unser Leben in all seinen Regungen und Empfindungen übersonnt und durchdrungen sein wird von unsrer Liebe. Daß diese Liebe dann tausendfältig sich brechen wird in allen Lagen und Stunden uns[e]res gemeinsamen Lebens. Daß wir nie vor einer Leere stehen werden, daß hingegen unsrer Liebe nur reicher und inniger sein wird.

Schätzelein! Ich bin so froh, daß Du mir wieder gesund geworden bist! Gott im Himmel sei Lob und Dank darum. Ich bitte Dich: Beherzige nur recht, was ich Dir riet in Liebe! Bleib mir gesund!

Nun warst Du mit zur Hochzeit. Du hast schon recht, daß als Unbeteiligtem einem alles viel deutlicher bewußt wird. Ich besinne mich auf viele Hochzeiten während meiner Amtszeit als Kantor, die mich mächtig gepackt haben. Pfarrer E. hatte viel Geschick, die Feier würdig zu gestalten – und ich hatte kaum einmal das Gefühl, seine Amtshandlung sei lieblose Routine. Das Verlassen der Eltern des Bräutigams? Nichts ruft den Fanatismus mehr auf den Plan als Glaubensstreit. Dieser Fanatismus macht nicht halt vor Grenzen und Ordnungen; er bringt Zerwürfnisse in Familien und vermag die stärksten, natürlichen Bande zu brechen. Im Fanatismus ist Leidenschaft und Temperament und Entschiedenheit. Glaubenseifer ist wohl eine Stärke und auch Schwäche. Christus war bei aller Entschiedenheit und Bestimmtheit seiner Lehren und seines Lebens doch kein Eiferer, der die Menschen zwingen und nötigen wollte. Im Glaubenseifer ist wenig Liebe. Das Gegenstück zum Fanatismus ist die Toleranz (Duldsamkeit) in Glaubensdingen. Toleranz ist nicht Gleichgültigkeit und Verschwommenheit. Sie achtet auch jede andere ehrliche Meinung.

Die Bibelforscher sind verschroben, besessene Fanatiker. Ihr Glauben ist ein Aberglauben. Sie sind weit entfernt davon, zum Wesen und zur Wahrheit der Gottesbotschaft vorzustoßen. Sie stehen in der größten Gefahr der Hoffärtigkeit, der Sebstüberhebung. Ihr Glaube lebt nicht aus göttlicher Liebe und Gnade. Es ist ein trübes Gemisch von Aberglaube und Spekulation. Herzelein! Ich empfinde so wie Du: Diese Entartung des Glaubens lehnt mein Wesen ab. Und es bedeutete mir wohl ein unüberwindliches Hindernis, wenn ich mit einem so fanatisierten Menschenkinde die Ehe eingehen sollte. Verwunderlich ist es also nicht, daß die Schwiegereltern der Hanni W. der Hochzeit fernblieben. Es ist ein Zeichen freilich auch der Enge und Lieblosigkeit des Herzens – und ist ein Mißklang in des Lebens schönster Feier.

Und so ist es ähnlich mit allem Fanatismus bestellt. Mit Verwundern und Kopfschütteln lese ich, was Du da von Familie G. wieder berichtest. Dann ist sein Wesen, wie es einem im Vorübergehen begegnet, Maske. Wenn diese Reden sich bewahrheiten, ist er ja ein Tyrann, eben auch ein solch besessener und verbohrter Fanatiker. „Mazdaßnaner", ist es nicht schon ein furchtbares W[or]t? Und Astrolog[e] paßt gut daneben. Irrlehren! Irrlehren! Christus schon hatte mit solchen Zauberern und Irrlehrern zu kämpfen, die da vorgeben, abseits vom Wege des Glaubens das Mittel und die Patentlösung gefunden zu haben. Und es hat nie an Nachläufern und Nachbetern gefehlt, die solchen Kurpfuscher [sic], solchen Winkeladvokaten nachliefen – meist auch Menschen, die müheloser und billiger zu einem Erfolge kommen möchten.

Oh Herzelein! Die Liebe und Gnade Gottes ist der Schlüssel zu allen Fragen, ist der Weg aus aller Bedrängnis und Sünde. Alle Not und Bedrängnis der Menschen ist letztlich Sünde. Die Hilfe aber aus dieser Not ist Gottes Gnade. Vermessen ist alles Sinnen darauf, diese göttliche Gnade zu übergehen.

Der Herr G. ist irgendwie krank. Seine Krankheit ist eine Blutkrankheit. Diese Krankheit bringt ihn zum Grübeln. Worüber der Gesunde gar nicht nachdenkt, darüber macht er sich Gedanken. Er will selber Klarheit haben und Herr werden über diese Krankheit, und das führt ihn zu Gedankenkonstruktionen und  -spekulationen. Sofern er das mit sich  abmacht, wäre es nur gut und verständlich. Ich kann noch kaum glauben, was Du berichtest. Neben solchem Mann zu leben, ihm eine liebende Frau zu sein, ist gewiß ein Meisterstück und erfordert viel Liebe und Kraft und eigene Festigkeit. Das bedenkend, wird wohl die Ehe eines Tages zerbrechen. Kann sie so nicht zur Folter, zur Qual werden; zur Quelle des Leidens? Wie soll man nun Frau G. gerecht werden? Ist es schon so schlimm, daß sie sich keinen anderen Rat mehr weiß, als das Band des Vertrauens zu zerreißen und aller Welt von ihrem Kummer zu sagen? Oder hat sie so wenig Herzensbildung, daß sie nicht spürt, wie sie sich und ihren Mann bloßstellt und damit die Kluft nur vertieft.

Oh Schätzelein! Ich kann doch nur glücklich sein, wenn du glücklich bist. Meine Liebe muß sich an der Deinen entzünden, geliebtes Weib! Unser Lieben ist ein gegenseites [sic] Umschlingen und Durchdringen. Ich mag nicht fordern, nicht rauben und ertrotzen. Nichts soll sich verhärten zwischen uns, kein Herzenskämmerlein sich abschließen – weit und offen sollen alle Herzenskammern füreinander stets sein! Zu innigstem Verstehen wird unsre Liebe uns führen – zu schönstem Einklang werden uns[e]re Herzen gelangen.

Geliebte! Ich mag Dich gar nicht tyrannisieren. Und Du sollst doch auch Dein Haar pflegen, wie Du es für recht hältst. Will doch Dein liebes Köpfchen, Dein geliebtes Antlitz nur von einem ganz fremden, namenlosen Tyrannen [be]freien: Mode. Die Mode ist ein Tyrann, ist der Tyrann vornehmlich vieler Frauen. Und das Liebste auf dieser Welt, das allerköstlichste, das meine Hände umschließen können, Dein holdes Bild, ich möchte es dem Fremdling entreißen. Ach Herzelein! Du verstehst mich – aus lauter Liebe!

Herzlieb! Während Du mein so lieb gedacht hast am Totensonntag, war Dein Mannerli ganz bei Dir mit seinen Gedanken auf dem Spaziergang, just auf demselben -  so bildete es sich ein und so erschien es ihm -  den Du mit der lieben Mutsch gegangen bist – nach P. zu. Geliebte! Geliebte!!!

Ganz allein bin ich nun mit Dir! Die Kameraden waren müde und gingen zeitig zu Bett. Ich bin in die Schreibstube gegangen und kann nun ganz ungestört mit Dir reden. Ganz still ist es. Im Haus. Und auf dem Meere. Nur die Feder kritzelt und das Blut singt in den Adern.

Morgen, Geliebte, jährt sich unser Verlobungstag zum zweiten Male. Ich weiß es noch wie heute: in elterlichem Schutze kam ich zu Dir. Und es war ein ganz eigenes Gefühl des Frohseins darüber in mir. Hellmuth kam, um an unsrer Feier teilzunehmen. Und so standen wir uns am Adventssonntag einander gegenüber als Kinder unsrer Eltern, die einander die Hände reichten, um sich von den Eltern zu lösen und ein neues Elternpaar zu bilden – und damit doch gleichzeitig die beiden Familien und Sippen zu verbinden – ganz ganz eng und tief in unseren Kindern. Oh Schätzelein! Welch bedeutsame Begegnung! Welch großes Glück! Wieviel Freude! Innige Freude! Du und ich! Und unsre goldenen Ringlein, die tausendaberlieben [sic], goldenen Fesseln, mit dem jubelnden Glanz! „Rein und lauter wie Gold und ohne Anfang und Ende wie das Ringelein soll uns[e]re Liebe sein!" Oh Geliebte! Welch erstes, herrliches Ziel! Du wurdest mein! Mein!!! Mein!!!!! !!!!! !!! Herzlieb, Du!!! Und heute? Viel froher und reicher und glücklicher sind wir trotz allen Fernseins!

Und weißt Du es denn auch noch? Du!!! Du! Du!!!!! Die Stunden, da wir allein waren mit unserem Glück, mit unseren übervollen Herzen? So heimlich und still alles wie jetzt. Da es uns drängte zu der letzten Seligkeit des Einsseins. Oh Schätzelein! Geliebte!!! Du!!!!! Du!!!!! !!!!! !!! Da wir sie zag und fe]i[n] zart tauschten, die Zeichen letzter Traute: Oh Du! Du!!!

Herzlieb! Nun will ich das Bettlein aufsuchen. Will mit Dir schlafen gehen. „Komm zu mir!!!" Du!!! Du!!! Ich komme! Ich komme! Geliebte! Weißt Du es, wie gerne?

Du! Ist es schön, den Liebsten zu empfangen?

Oh Du! Du!!! Du!!!!! Es ist so unsagbar schön, kommen zu dürfen! Oh Herzelein! Zu Dir! Zu Dir!!!!! !!!!! !!! Wenn ich jetzt ins Bettlein komme, dann muß ich mein Kissen erst einmal in die Arme nehmen – ich muß, Geliebte! Aber ich will ganz brav bleiben! Oh Du! Ich liebe, liebe Dich!

Ich bin Dein! Ganz Dein! Ich bleibe ewig

Dein [Roland].

Gott behüte Dich! Er schenke Dir Frohsinn und Gesundheit!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946