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[OBF-411126-001-01]
Briefkorpus

Mittwoch, den 26. November 1941

Herzensschätzelein! Geliebte! Du!!! Mein liebes, liebes Weib!

Heute komm ich gleich mal zum Vormittag auf einen Sprung zu Dir. Jetzt ist es 11 Uhr. Da wird unser Lager abgebrochen. Alles begibt sich zum Essen und still wird’s im Haus. Ich fahre ja mit der Straßenbahn und richte es so ein, daß ich kurz vor 12 Uhr im Hafen bin, um 12 Uhr ist unten Dienstschluß und dann speise ich mit K. zusammen. Und jetzt bin ich ganz fein allein mit Dir! Mußt zu mir kommen, Du!!! Denn bei Dir zu Haus ist doch jetzt die liebe Mutsch. Ach, ein ganz liebes Kussel kann ich Dir schon geben, Du!!!!! Ach Herzelein! Ich will immer keinen Schluß machen beim Schreiben. Ich denke immer, das Liebste sei noch nicht gesagt. Aber das läßt sich auch gar nicht sagen. Und daß wir überhaupt Worte machen darum – weil anders wir es einander nicht sagen können. Was wirst Du denn eben jetzt angeben? Ach, ich seh Dich doch stehen – mein liebes, großes Schätzelein – kocht das Mittagessen – und guckst mit den Guckäugeln und Messer und Gabel ins Essen, obs nicht bald gar ist. Gleich will ich mich auch aufmachen. Mein erster Gang unten, ob die Post nicht gekommen ist. Und wenn sie da ist, dann kann es gut schmecken oder nicht gut, dann kann Dein Mannerli nichts vermissen.

Gestern und vorgestern habe ich Wolle gekauft. Eine Probe lege ich bei. Ich habe ganz viel genommen, kannst einen ganz, ganz dicken Herzwärmer stricken. Ich bin nicht eifersüchtig auf ihn – bloß ein bissel beneiden könnte ich ihn, Du!!! Ich möchte die Wolle nicht schicken. Ich bringe sie lieber selber, ja? Oh, dann kann ich aber mein Schätzelein umgarnen vom Kopf bis zum Zeh – kann es gar nimmer heraus – kann sich gar nicht wehren – vor wem? Nun vorm Mannerli.  Muß alles still und fein anhören, was es ihm sagen will. Du!!!

Ich habe dich sooooooooooooo lieb, so lieb!!! Herzelein! Du!!!

Herzlieb! Nun ist es abend, da ich den Faden wiederaufnehme. Gleich noch einmal den Wollfaden. Ich zog also aus, mit Scheinen bewaffnet. Sah links und guckte rechts, und blieb dann in einem der kleinen Magazine stehen, die es hier massenweis gibt, nicht größer als Euer Korridorraum. Ich wollte nur eben nach den Preisen und Qualitäten mich erkundigen. Wolle ist gar nicht mehr so viel angeboten. Und weil mir der Verkäufer oder die Verkäuferin vertrauenerweckend [sic] scheinen, sie sprachen ganz gut deutsch, da kaufte ich. In der besten Qualität standen vier Farben zur Wahl: braun, rot, grün, und blau. Und ich meinte, daß ich mein liebes Weiberl gern mal blau sehen möchte, blau in diesem ungefährlichen Sinne. Das Braun und Grün gefielen mir nicht recht, und rot sind ja alle Kleidel beinah, die ich in letzter Zeit herzugebracht habe. Nun will ich hoffen, daß dieses ganze Geschäft auch deinen Beifall findet, die Farbe zumal.

Weil ich eben an das Wärmen denke – blau ist ja nicht gerade eine warme Farbe – möchte ich noch einmal mahnen: sei doch gescheit, und benutze das neue Öfchen, Herzelein, auch vor dem 1. Januar! Und was die Lichtrechnung höher ist, bezahlst [Du] von unserem Gelde, ja? Ich war ja einen Augenblick so ungehalt[en], als Du mir schriebst, daß du Deine kalten Füßeln auf einem Ziegelstein wärmst. Bitte! Bitte! Denke großzügig! An den 10 M ist nichts, rein nichts gelegen – wohl aber an dem Kohlenvorrat im Keller und an Deiner Gesundheit! Schätzelein! Bitte! Folge mir hierin!

Das Mannerli war heute zur Untersuchung. Sie wollen einen Unteroffizier aus mir machen – und zu dem Vorschlag bedarf es einer Untersuchung. Heute startete deren erster Teil: Durchleuchten der Lunge. Der Befund ist gut. Morgen früh soll ich zur anderen Untersuchung gehen. Es kam ganz schnell, sonst hätte ich Dir schon einmal davon geschrieben.

Morgen früh erwarten wir Kamerad H.  zurück.

Kamerad K. ist schon wieder zum Kino. Er wird wohl bald eine Philosophie des Kinos schreiben können. Aber er geht nur dahin, wo es nichts kostet, ins Soldatenkino, wir haben jetzt zwei hier. Das eine schaffte er nicht mehr. Zwei Kinos und 1 Fronttheater, die laufend spielen – für Zerstreuung ist also genügend Sorge getragen. Wenn ich sie alle mitnehmen sollte, müßte mein Tag länger sein. Ach, ich brauche diese Zerstreuung nicht – ich vermisse sie überhaupt nicht – meist gehe ich ihr aus dem Wege. Zerstreuung und Ablenkung bringt der Tag genug. Nach Sammlung und Besinnung sehnt man sich.

Schätzelein! Ich bin so glücklich zu wissen, daß auch Du die besinnliche Stille und Ruhe mehr liebst als das verwirrende Getöse, daß Du so wie ich verlangst, Dich wiederzufinden, den eigenen Herzschlag und Rhytmus [sic] des eigenen Lebens  zu fühlen – daß Du die Muße nicht fürchtest und fliehst. Viele Menschen können das nicht mehr. Sie fürchten die Langeweile, die eigene Leere und Hohlheit, sie fühlen sich zur Herde gezogen, sie mögen [s]ich auch nicht mehr selbst stellen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell die jungen Menschen festfahren in ein Gleis, sich Altmännermanieren zulegen und sich darin gefallen, wie schnell sie zu Typen und Originalen verholzen oder verkalken, wie man will, wie wenig sie Kritik an sich selbst üben. Aber das liegt daran, daß sie es nicht übten, daß ihnen die rechten Maßstäbe fehlen und daß der Satz : “ich weiß, daß ich nichts weiß“ nicht zu ihrem täglichen Umgang und zur täglichen Beichte gehörte wie uns auf den Schulen. Wer keine Vorbilder kennt, wonach soll der sich strecken, wonach soll er streben? Und neue Erziehung meint ja, daß man nicht früh genug damit beginnen kann, dem jungen Menschen ein möglichst großes Selbstbewußtsein einzureden, das ihn erhaben macht über die Autoritäten und Weisheiten der Alten – und gefügig und urteilslos für die Lehren der Jungen.

Nun, die Wurfschaufel [sic] Gottes wird säuberlich Spreu vom Weizen scheiden und allem hohlen, aufgeblähten Wesen und Getue wird die Geschichte bald das verdiente Urteil sprechen.

Herzlieb, wenn man all das so sieht und sich von jungen, neuen Strömungen in die Opposition gestellt drängt sieht, kommt man sich manchmal recht altmodisch vor. Und Du erlebst es ja mit mir: altmodisch ist unser Lieben, unser Glückträumen, altmodisch und absonderlich scheinen uns[e]re Anschauungen und Meinungen von diesem und jenem. Aber Herzelein, sie scheinen es nur, sie sind nicht – und darin lassen wir uns auch nimmer durch die Meinung einer Mehrheit beirren. Wir sind nicht alt im Herzen und altmodisch, aber wir mögen uns nicht an den Parolen des Tagesgeschreis hin- und herzerren lassen – wir finden unseren Weg ganz von selbst nun. Und ich bin so dankbar für die Erziehung, die wir genossen haben, wie sie uns urteilen lehrte, weil sie uns Möglichkeiten und Entscheidungen zeigte. Herzlieb! Und ich bin wieder und wieder so froh, daß wir einander darin so gut verstehen. Und ich weiß und fühle es, daß Du nich[t] nur etwa mir zuliebe so gesinnt bist, sondern aus eig[e]ner Überzeugung. Ach, mein Herzlieb hat auch seine eigenen Gedanken und seinen eigenen Kopf und einen starken Willen – das weiß ich recht gut – aber auch einen gesunden Verstand, der es befähigt, abzuwägen und zu urteilen. Herzelein! Das ist doch ein Teil unserer glücklichen Gemeinsamkeit, daß wir miteinander den Weg suchen und uns austauschen und unseren Blick üben und schärfen für die Erkenntnis des Guten und Bösen! Geliebtes Herz! Nun ist es schon wieder 11 Uhr. Ich muß schlafen gehen. Ich liebe Dich! Ich habe Dich so fest in mein Herz geschlossen!

Gott behüte Dich! Er segne unseren Bund! Und er lasse dieses böse Kriegsgewitter recht bald gnädig vorübergehen! Werd mir recht bald wieder gesund! Komm immer zu mir! Lehn Dich an mich! Ich mein es so gut mit Dir! Ach, ich möchte Dir der Allerliebste sein auf dieser Welt, so wie Du mir der allerallerallerliebste [sic] Herzensschatz bist auf diesem Erdengrund! Du!!!!! !!!!! !!!

Dein [Roland]

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946