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[OBF-411123-002-01]
Briefkorpus

Sonntag, am 23. November 1941.

Herzensschätzelein! Mein geliebter [Roland]! Herzallerliebster! Du!

Heute ist Totensonntag. Ein ganz herrlicher Morgen begrüßte uns schon und das Wetter ist bis heute abend ganz und gar schön geblieben, so ausnahmsweise schön, wie selten am Totensonntag. All denen, die heute Schmerz und Weh empfanden, wird dieser schöne, sonnenreiche Tag ein wenig Trost gewesen sein. Wird den Trauernden gezeigt haben, daß nach allem Leid auch wieder die Sonne scheint, daß sich alles Dunkel doch wieder in Licht wandelt. Wird jedem Menschen, der sein Herze Gott erschlossen, ein beredtes Zeichen seiner ewigen Güte gewesen sein. War es nicht, als streiche in diesem milden verklärten Sonnenschein Gottes gütige Hand tröstend über all die Menschenhäupter, die der Gram und Schmerz gebäeugt hat, die ein Liebes opfern mußten für diesen Krieg? Ich empfand es gerade so. Und darüber war in mir kindliche dankbare Freude, daß gerade an diesem Kriegstotensonntag der Herrgott uns einen schönen Tag bescherte – mit einem Himmel voller Bläue, ach, voller unendlicher Weite und Erhabenheit.

Es müssen doch alle Menschen gespürt haben, die heute zu den Ruhestätten ihrer Lieben pilgerten.

Geliebter! Ich habe Dich heute ganz lieb und fest bei der Hand gehabt, als ich mit Mutter nach Tische hinauslief in den schönen Herbsttag. Ja Du!! Wir nützten das schöne Wetter. Der Vater war bei Oma um zu helfen, denn da hatte heute die H.J. Musiktag. Ich weiß garnicht recht, was ich mir darunter vorstellen soll – heute, am Totenfest. Nach unserem Stadtpark zu gingen wir, dann nach dem Großen Teich, immer in der Sonne, den Blick ins Weite gerichtet. Eine gute Sicht war heute. In P. kamen wir heraus. Wir gingen erst noch ein Stück auf der Landstraße hin, dann zurück, um uns im Cafe S. bei Kaffee und Kuchen zu laben und auszuwärmen.

Es war empfindlich kalt, wie mir schien; aber reine, gute Luft. Ich hatte Dein liebes Fellchen um, das hüllte mich so fein warm ein, Du! Ich bin Dir doch von Herzen dankbar, daß Du mir es schenktest, es tat mir schon gute Dienste und ich habe es sooo gerne! Aber Dich habe ich noch tausendmal lieber, Herzelein!!! Wir bestellten also Kaffee und herrliche Quarktorte dazu – wir dachten an Dich! – auch ein Stück Kuchen bekam man. Mehr als 2 Stück [b]ekommst du jetzt nirgends! Es hat prima geschmeckt. Ja Du! Ich bekomme leise meinen Geschmack wieder! Da bin ich ja auch froh darüber. Wir hatten einen schönen Fensterplatz, an der Seite ging die Dampfheizung lang und ich wärmte mich so recht fein aus. Wenn Du wieder zu mir kommst, müssen wir mal da hingehen, ja? Das ist etwas für unsre Leckermäulchen! Kennst Du das Caffe? In der Nähe des Schweizerhauses ist es. Für heute Abend haben wir uns versprochen zu einem Besuch bei G.s, weißt? Wo die Großmutter gestorben ist. Die Christa fährt morgen zu ihren Schwiegereltern, im Januar kommt das Kindchen an. Und die Tante Helene, welche Pflegerin ist, muß auch wieder nach Berlin zur Arbeit zurück. Sie hatte ihre Mutter gepflegt bis zum Tode. Mir liegt garnicht so viel daran, doch Mutsch hat es vorige Woche versprochen. Jetzt ist es gleich 6 Uhr, nach dem Abendbrot wollen wir gehen. Papsch kommt vor 8 – 9 Uhr nicht zurück.

Herzelein! Was wirst Du denn heute getan haben? Ein Spaziergängel nach dem Berg? Ein Bummel durch die Stadt? Ich möchte Dich doch gleich mal sehen kommen! Du!! Bloß von weitem will ich Dich sehen! Oh Du! Heute nacht träumte ich nicht von Dir, ich weiß überhaupt nicht wovon ich träumte. Du!! Am Morgen bin ich zum Gottesdienst, wir sangen: „Der Säemann streuet den Samen, die Erd’ empfängt ihn …" Text von M. Claudius. Vorher bin ich zur Post, trug Deinen Boten von gestern abend hin und erbat mir meine Post! Der Briefträger war noch garnicht gestartet. Herzelein! Du!!!

Der Pfarrer konnte mich nicht fesseln mit seiner Predigt. Ich bin nach der Empore gegangen, nach unserm Liede und habe Deinen Boten gelesen! Geliebter! Du!!!

Und ich ward so froh dabei! Ich danke Dir!! Du!!! Der Sonntagsbote vom Montag und sein Nachfolger vom Montagabend! Du!! So arg finster habt Ihr den vergangenen Sonntag beschließen müssen? Das ist aber weniger hübsch. Sind sie denn dort noch so primitiv mit der Lichtleitung, daß ein Sturm sich so nachteilig auswirkt? Ich möchte ja mal dabeigewesen sein, wie Ihr beiden im Tiegel herumgestochtert habt, um die Bratkartoffeln zu bereiten. Na, weil sie nur trotzdem fein schmeckten! Tust denn auch alle Gewürze hinein, wie die Mutter daheim? Speck, Salz, Pfeffer, Zwiebel, Kümmel – und nach Art noch Petersilie – die habt Ihr nicht, gelt?

Ich würde Dir gerne wieder mal eine Taschenlampenbatterie schicken, doch es gibt keine. Nun kannst Du aber sicher bald die Lichter am Kranze anzünden. Ich habe bis jetzt noch kein Tannenreisig bekommen für meinen Kranz; es ist alles vorm Totensonntag vertan worden. Da fällt mir eben ein, Deine lieben Eltern weilen heute in G. Und die Elfriede ist wieder beim Hellmuth, Mutter schrieb uns gestern im Briefe, daß sie fürchtet, Hellmuth kommt noch in ein andres Lazarett, weiter fort, wo sie ihn nicht mehr besuchen kann; deshalb nützt sie die Zeit.

Herzelein! Du hast nun immer so lieb mein gedacht und hast auf ein Zeichen gewartet von mir, es kam keines! Liebes Herzelein! Du sagst Dir schon selbst die rechten Worte zum Troste! Du!! Und nun hast Du gewiß schon wieder alle Nachrichten von mir, auch die guten all, wo ich Dir mein Wohlbefinden sage!

Du Lieber Guter! Du hast mich so fest und treu gehalten mit Deiner Liebe, ich habe es ganz deutlich gefühlt über alle Ferne! Du hast mir geholfen gesund werden! Du hast gebetet für mich, hast mich dem Herrgott anbefohlen! Und er hat mir die Gesundheit wieder geschenkt. Oh, ich freue mich ganz dankbar meiner Gesun[dh]eit. Und ich will sie mir erhalten – Dir, ja Dir! Geliebter! Es ist doch nichts Schöneres und Lieberes, als vom geliebten Wesen zu erfahren, daß es gesund ist und wohl! Ach Du!!! Ich muß Dir doch bleiben, mein Herzelein! Mein Ein, mein Alles! Du! Auch Du denkst daran, daß wir heute vor einem Jahre miteinander in Barkelsby weilten. Ich denke froh daran, es war gut, so unendlich gut bei Dir zu sein in der dunkelsten Zeit des Jahres, Geliebter! Wann werden wir endlich ganz beieinander bleiben dürfen? Oh! Du!! Wir hoffen bald, bald! Am Bußtag wolltest Du zum Abendmahl gehen, das freut mich[.] Denke nur! Heute sagte uns der Pfarrer, daß die kirchlichen Hel[d]enehrungen wegfallen müssen, die Partei habe es verboten. Mich wundert, daß man Euch Soldaten die Geistlichen noch läßt. –

Ach Herzelein! Mein ganzes heißes Wünschen ist, daß Du mir recht bald gesund heimkehren mögest. Wir wollten zusammen getreulich alles tragen, was diese Zeit an Unruhe bringt – zu Zweien ist es ja so leicht! Ich sehne sie so sehr herbei die Zeit, da ich Dich, mein Leben, für immer an der Seite habe! Du!!! Möchte der Herrgott unserem Wünschen Erfüllung schenken!

Oh, nichts, daß wir inniger erflehn, als beisammen zu sein! Geliebter! Du mußt es fühlen! Du bist mein Ein und Alles! Du bist meines Lebens Sonnenschein, Licht und Freude! Du! Nur Du!!!!!!!!!!!

Ich liebe Dich unendlich! Gott behüte Dich! Es küßt Dich Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946