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[OBF-411122-002-01]
Briefkorpus

Sonnabend, am 22. November 1941.

Herzensschätzelein! Mein Herzlieb! Du! Geliebter, liebster [Roland]!

Wochenende ist heute, der Tag neigt sich bald seinem Ende zu. Die liebe Sonne geht rot unter und Schäfchenwolken treiben am Himmel, weit hinten im Norden schimmern die unwarscheinlich [sic] farbigen fernen Wolkenhaufen, die im Herbste so oft sich zeigen. Man könnte den Himmel heute stundenlang beschaun, er ist so schön und farbenprächtig. Er will doch garnicht so recht zu der düsteren toten Zeit passen – die dunkelsten Tage sind jetzt; manche aber gemahnen an einen schönen Frühherbsttag, so sonnig sind sie noch – aber sind selten.

Herzelein! Du!! Ich bin eben erst aus der Badewanne gestiegen, es ist so spät geworden diesmal, weil Vater Nachtdienst hatte bis gestern. Ich sitze hinterm Vorhang, während die Eltern noch baden. Eine Wärme ist drinnen! Ich könnte Dich doch garnicht neben mir brauchen, Du warmes, heißes Mannerli! Aber heute Abend im Bettlein, Du da ist es sicher wieder recht kalt, da möchte ich Dich doch wirklich gerne bei mir haben, Du!!! Kämest Du wohl zu mir? Du!! Du!! Geliebter! Ich sehne mich sooo sehr nach Dir! Ach Du! Du!!! Ich liebe Dich so herzinniglich! Mein [Roland]! Und wenn Du heute bei mir wärest, ich könnte garnicht artig sein, [i]ch müßte Dich sooo ganz sehr liebhaben – bis ich todmüde auf mein Bettlein zurücksinke, oh Du!! Geliebter!! Du! Ich habe heute nacht so süß von Dir geträumt, ich kann die Bilder garnicht wieder loswerden – ach! Ich mag sie ja auch nicht verscheuchen! Nur – wenn sie mich fortwährend verfolgen, dann wird meine Sehnsucht nach Dir soo schmerzlich! Oh, so mächtig stark! Du!! Ich sehne mich so sehr nach Dir, mein Herzelein! Heute, als ich zur Trauung in der Kirche war, da dachte ich daran, wie schön es zu unserer Trauung war, Du!! Und heiße Sehnsucht überkam mich nach Dir! Wieviel sinniger, väterlicher, viel persönlicher sprach Onkel Erich zu uns – unser Pfarrer gab sich kein bißchen Mühe, es lief an einem herunter wie kaltes Wasser, alles was er sagte. Jeder andere Mann hätte so eine leere formlose Rede gehalten, denn Predigt konnte man es garnicht nennen. Die Tiefe fehlte, das Letzte, das Höchste – so ist dieser Deutsche Christ aber auch in seinen Sonntagspredigten. Weißt Du Herzlieb? Heute hatte ich das Empfinden, daß man an seinem eigenen Hochzeitstag garnicht so tief aufnahmefähig ist wie sonst, wie ich es heute war zum Beispiel, als es um eine Schulfreundin ging. Durch die mancherlei Aufregungen, durch den Drasch an diesem Festtag, bist du nicht so aufnahmefähig wie an einem Tag, der in ruhigem Gleichmaße verlief.

Und ich wünsche mir, daß ich in einer ruhigen Stunde noch einmal den Text von Onkels Traupredigt lesen könnte. Geliebter Du!! Nicht, daß ich garnichts in mich aufgenommen hätte von dem, was Onkel Erich an unserem Hochzeitstag an uns richtete! Du verstehst wohl, wie ich es meine.

Das ist uns doch so klar und deutlich eingegangen, ist so leuchtend vor unseren Seelen gestanden, daß wir ein gemeinsames Leben in Liebe und Treue zueinander führen wollen! Und daß wir dieses, unser Leben dem weihen zu Lob und Dank, der es gnädig fügte, daß wir zueinander fanden – unserem Vater im Himmel! Du!! Ihm wollen wir treu dienen, solange Leben in uns ist. Und es soll uns eine Freude se[in], ein Herzensbedürfnis, zum Vater im Himmel zu kommen mit allem was uns bewegt! In seine Hände legen wir unser Sein. Und ihn über sich zu wissen, das dünkt mich die größte Geborgenheit und Gnade auf Erden, das tut so wohl, in dieser Welt, wo alles wankt und fällt.

Ach Herzelein! Daß ich mit Dir im Glauben einig bin, das ist neben dem Empfinden unsrer unendlichen Liebe zueinander das Köstlichste an unserem Bund! Du!!!

„An Gottes Segen ist alles gelegen", liegt darin nicht eine ganze Welt voll Empfindungen und Gedanken?

Demütige Menschen wissen sehr wohl, wie unersetzlich ihnen die Liebe und die Gnade Gottes ist, darum werden sie nie müde, darum zu ringen. Geliebter! Wir wollen auch keine Ruhenden sein im Ringen um Gottes Gnade! Und wir helfen uns gegenseitig dabei, in Liebe und Verstehen, wie wir in allen Dingen des Lebens zueinander stehen, fest und treu und hilfsbereit. So mußte ich heute denken, als ich unser Glaubensleben mit dem des jungen Paares verglich.

Die erste Disharmonie fiel nun schon am allerersten Tage ins gemeinsame Leben dieser beiden Menschen. Die Eltern des Bräutigams fehlten im Gotteshause. Hanni’s Mutter hat das bitter weh getan – sie weinte unaufhaltsam. Hanni merkte ich nichts [an]. Muß es nicht wehtun, wenn die Eltern des geliebten Mannes ihr Zugegensein versagen, beim letzten und höchsten, bedeutsamsten Schritt, da sie ihr gemeinsames Leben Gott dem Vater anbefehlen? Ich könnte den Schmerz nicht verwinden.

Dürfen Eltern ihr Kind vor dem Göttlichen zurückhalten? Haben sie ein Recht dazu? Wer oder was gibt ihnen so viel Recht? Ich sehe es als bitt[e]res Unrecht an. Wie können sich Menschen so in falsche Glaubensbewegungen verbohren! Mußte hier nicht einmal das Herz sprechen, das Gefühl? Am schönsten Tage des Lebens ihres Jungen entzogen sie sich der Feier in der Kirche. Nicht nur das, sie haben seine ganze Kindheit und Jugend hindurch eifersüchtig darüber gewacht, daß er nichts andres hörte und lernte, als das, was sie selbst in ihrer Sekte empfangen, daß er nichts andres glaubte.

Solche Außenseiter des Glaubens findet man immer wieder, ich weiß das. Doch wäre es nicht besser, sie verbänden sich mit Menschen ihrer Art fürs Leben? Glaubst Du, daß die Verschiedenheit ihrer Glaubensgrundsätze immer im Leben zu vereinbaren sind? Eines muß sich untreu werden.

Er oder sie. Und wenn Kinder kommen, wird es vielleicht wieder aufbrechen, das Übel der Gegensätzlichkeit. Ich weiß nicht Bescheid über die Ausmaße des Bibelforschertums. Ich vergleiche es mit, wie soll ich sagen – mit dem Katholizismus – ich lehne eben gefühlsmäßig all das ab, was ausartet.

Ach Herzlieb! Ich merke schon, wir beide mit unsrer Gründlichkeit, wir sehen halt alle Widerstände – die Hundertsten beachten das vielleicht kaum, sie denken überhaupt nicht so weit? Wir können eben nicht anders. Wir haben es schwerer im Leben, die wir von dieser Art sind. Ich glaube aber, daß wir das Leben auch reicher und tiefer und köstlicher empfinden in seinem Auf und Ab – in seinem Licht und seinem Schatten. Du!! Und ich will es so empfinden! Ich will! Weil ich den Mut in mir spüre und die Kraft, allem zu begegnen, was u[n]s das Schicksal bringt. Und was ist es, daß uns so unerschrocken und vertrauend zuversichtlich sein läßt? Nichts als unser unbändiges Gottvertrauen – Du!!! Wir sind Sieger des Lebens, ob in seiner Höhe oder in seiner Tiefe; denn Gott ist in uns, ist mit uns! Geliebter! Und daß ich in Dir den geliebten Lebenskameraden fand, der mich in meinem Glauben nur noch fördert, stärkt und weiterführt, das ist mein ganzes Glück! Im seligen Erleben unsrer körperlichen Liebe liegt viel trautes Glück, viel Geborgenheit – doch im innige[n] Umfassen und Verstehen, im Höchsten, daß das Menschenleben verklärt, da liegt doch letzte Köstlichkeit, letztes Vertrautsein, ach Du! Je reifer wir im Leben miteinander noch werden, je länger wir in inniger Gemeinschaft leben, umso unentbehrlicher wird uns diese Gewißheit sein! Wenn einst ernste Sorgen, Pflichten, Verantwortungen an uns herantreten, dann braucht der Sonnenschein unsrer Liebe, der uns trägt, noch einen Rahmen – einen noch helleren und festeren, das ist das Licht göttlicher Gnade und Wunderkraft. Und gerade Du und ich werden uns ganz fest an das Niewankende, Niefallende halten, ganz fest! Weil unsre Wesen sich nicht blindlings der jeweiligen Volksführung unterordnen können, die sich als „von der Vorsehung über ein Volk zu gebieten" ausersehen wähnt. Du verstehst mich recht Liebster, wenn ich auch schwer Worte finde, das recht auszudrücken, was ich hiermit meine. Wir werden es nicht leicht haben in Zukunft. Weil wir keine Menschen sind ohne Pläne und Grundsätze. Aber ich sehe nicht schwarz. Es wird auch das Bild unsrer Zukunft nur in einen gewissen Rahmen gepreßt werden können! Mit Dir zusammen fürchte ich nicht Tod noch Teufel! Wir kämpfen uns hindurch!

Und ein gerades, ehrliches, offenes Wesen wird nie fallen. Es kann wohl unterdrückt werden eine Zeitlang von der Übermacht – doch vergehen wird es nie!!

Ich glaube mit Dir an unsere Freiheit, an unser Leben zu Zweien! Ich glaube, daß der Herrgott uns hilft!

Ach Schätzelein! Ich möchte doch heute so gerne einmal ganz wirklich bei Dir sein können! Du!! Wie wollte ich Dich liebhaben! Dich herzen und küssen! Geliebter mein!!!!!

Ich habe Deinen lieben, lieben Sonnabendbrief vor mir liegen. Ach!! Wieviel Köstliches, Liebes, Heimliches sagt er mir! Von Dir! Von Dir! Deine große Liebe gab Dir die Worte, die mein Herze selig erzittern machen! Oh Herzelein! Wie wunderselig ist doch der Garten unsrer Liebe!

Du!! Nur mit Dir allein kann ich alle Seligkeit und Wonne in ihrer ganzen Tiefe und Einmaligkeit erleben! Nur mit Dir! Du hast meine junge, heiße, erste Liebe! Hast sie so ganz! Und sie wäre nimmermehr aus meinem Herzen gewichen, oh hätte sie nicht Widerhall in Deinem gefunden! Du!!! Du!!! Ich könnte Dich nie mehr im Leben vergessen! Ach, es gibt keine Worte für das, was die erste Liebe einschließt, was sie bedeutet, was sie uns ist. Das kann nur der ermessen, der so selbst schon geliebt hat, so ausschließlich, so entschieden. Der seine ganzen Gedanken und Sehnsüchte und Hoffnungen und Träume an diesen Einen verloren hat. Oh Du!!!!! Geliebter! Deine Liebe ist mir so köstlich, so lieb und wert und teuer! So unschätzbar ist sie mir! Geliebter!!! Ich glaube an Dein Glücklichsein! Ich glaube daran! Daß ich mich Dir schenkte, es ist Dir der köstlichste Besitz auf dieser Welt! Oh Du!! Sollte ich nicht überglücklich sein, wenn der Geliebte mir das bekennt? Du!!! Du!!!!!!!!!!!!! Geliebter! Ich küsse von Dank bewegt Deinen Mund, Du!!! Wie ich Dich liebe, um Deines geliebten Wesens willen; ach um alles, was in Dir ist und um Dich ist, liebe ich Dich! Du bist mein Herzallerliebster! Mein Sonnenschein! Mein Glück! Oh Geliebter! Diese Herbsttage lassen uns zurücksinnen an den Anfang unsrer Liebe. Herbst war, da ich Dich zuerst näher kennen lernte [sic] in der Singstunde – Herbst war, als ich von heißer Liebe getrieben Dich suchte, ohne Dein Wissen. Es war Herbst, da wir den Weg zur „hohen Liebe“ suchten – und fanden. Es war Herbst, als wir uns für's Leben versprachen, unsre Verlobung. Und voriges Jahr im Herbst, da erfüllte sich einzig, herrlich das Glück unsrer Liebe. Du hast mich erlöst! Oh Du! Die dunkelste der Jahreszeiten, die trieb uns von Anfang an einander näher, unsre Herzen suchten einander, wollten sich einander entzünden am eig warmen Feuer, das in ihnen brannte. Inniger denn je ist uns die Herbstzeit Symbol geworden unsrer Herzenstraute. Wenn draußen das Licht und die Wärme sterben, dann strahlt umso heller und wärmer die Sonne des Glücks aus unsres Herzens Mitte! Du!!! Wie wollen wir uns innig fest umschlingen, immer, auch heute, da wir einander ferne sein müssen! Du!! Denke mit mir an die Zeit, da wir für immer zusammen sein werden! Geliebter! Denke daran, wieviel ungeahnte Seligkeit uns noch erwartet! Oh Herrgott im Himmel! Sieh liebend auf uns herab! Behüte mir mein Liebstes! Mein Glück! Meinen [Roland]! Ich liebe Dich! Oh! Ich liebe Dich! Gut Nacht! Geliebter!! Ich möchte wieder von Dir träumen, Du!!! Komm zu mir!!! Ich sehne mich nach Dir!

Ich bin in Liebe Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946