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[OBF-411121-002-01]
Briefkorpus

Freitag, am 21. November 1941.

Herzallerliebster Du! Herzensschätzelein! Mein lieber, guter [Roland]!

Heute ist so schönes Herbstwetter draußen, die Sonne scheint richtig warm über Mittag und man kann sich garnicht denken, daß schon mal tagelang dicker Winter geherrscht hat und frostklingende Kälte. Das ist eine gefährliche Witterung jetzt! Man gerät in Versuchung, das dicke, wollene Zeug abzustreifen – aber das wäre das Dümmste, was man machen könnte. Ich bin sooo brav, Herzelein! Ich behalte all meine wollenen Sachen an, mag die Sonne noch so liebäugeln! Ich lasse mich nicht täuschen; ich [bin] froh, daß ich soweit wieder gesund bin. Du!!!

Heute früh bin ich um 7 aufgestanden, stockfinster war es noch. Und ich mußte bis um 9 Licht brennen, selbst dann sah ich noch nicht viel. Ich habe die Mutsch nicht geweckt, sie schlief noch so schön. Der Papsch ist vom Nachtdienst heimgekommen und in mein Kämmerlein geschlüpft, in meinem Bettlein hat er geschlafen. Ich hörte ihn heimkommen, er wollte uns nicht stören! Rasch machte ich Feuer, damit gleich heißes Wasser zur Hand war, dann begann ich die Küche reinezumachen. [Z]uerst hab ich aber mein Bäuchlein gefüllt! Damit ich auch Kraft zum arbeiten habe! Es dauerte nicht lang, kam Mutsch gekrochen und fing an zu schimpfen! weil ich sie nicht geweckt hatte. Sie ist noch sehr müde von der gestrigen Anstrengung. Na, ich habe sie nicht viel arbeiten lassen heute. Jetzt ist es ½ 3 nachmittags. Wir sind fertig bis auf die Hausordnung. Und um 3 will die Magdalene W. zu mir kommen, um mit mir ein Geschenk für die Hanni W. einzukaufen.

Man hat mich gewählt, weil die anderen berufstätig sind am Nachmittag. Was wollte ich weiter machen, muß schon einmal mitgehen. Heute abend, zum Polterabend soll das Geschenk überreicht werden, was wir jedoch kaufen, das ist noch ungewiß. Wünsche sind schon da, doch keine Aussicht, sie zu erfüllen. Es macht keinen Spaß, ein Hochzeitsgeschenk zu kaufen. Na, etwas muß sich finden. Wir singen heute abend bei W.s. Um ¾ 8 treffen wir uns im Pfarrhaus zu einer Probe. Morgen um ¾ 2 Uhr ist die Trauung. Seine Eltern gehen nicht mit zur Kirche, weil sie Bibelforscher sind. Ich hörte gestern, daß Hanni’s Mutter nicht zufrieden ist mit ihrer Wahl. Das tut mir leid, sie ist ganz allein zuhause nun und dazu noch mit der Sorge um das Glück ihrer Tochter. Der Junge ist im Krieg. Ihr Mann ist schon lange tot. Hoffentlic[h] verstehen sich die jungen Leute gut und führen eine glückliche Ehe. Ich glaube, die Frau W. könnte das sonst nicht verwinden. Alle Welt ist so verwundert über Hanni’s Wahl. Man hätte erwartet, daß sie sich einen anderen Lebensgefährten erwählt. Man kann dazu garnichts sagen – das muß sie selbst wissen. Freilich, ich selbst habe auch das Empfinden, daß sich vielleicht die Erwartungen nicht erfüllen, die sie in ihre Ehe setzt; denn Hanni W. ist, soviel ich urteilen kann, ein Mensch, der auch noch vorwärtsstrebt, sich in vielen Dingen weiterbilden will, sie liebt auch die Geselligkeit. Aber ein Frisseur, ist voll und ganz in Anspruch genommen von morgens bis abends, wenn sein Geschäft gut geht!, sodaß in den späten Abendstunden dann das Verlangen nach Ruhe und Entspannung größer ist, als noch irgend etwas zu unternehmen.

Gerade dieses Handwerk ist heute so in Anspruch genommen, daß dem Meister nicht einmal die Feiertage gehören. Ich sehe es ja bei dem Friseur, wo ich hingehe. Er muß Abend für Abend bis mindestens 8 Uhr im Geschäft sein. Seine Frau klagte mir's so oft, daß er kaum mal eine Mahlzeit mit ihr gemeinsam einnehmen kann. Und wer auf sein Geschäft sieht, wer vorwärtskommen will, der muß sich auch seinen Kunden widmen. Da tritt dann das persönliche Leben zurück. Das sind die Opfer, die man unter Umständen seinem Berufe bringen muß. Ich glaube nicht, daß Hanni ein Charakter ist, der dieser Tatsache mit vollem Verständnis entgegensieht. Sie ist herrschsüchtig im gewissen Grade. Und es wird wohl oft einmal Konflikte geben.

Vielleicht ist ihre Liebe zu dem Manne so groß, daß sie ihm zuliebe alle Opfer bringt. Es wäre nur gut für sie und den Bestand einer wahrhaft glücklichen Ehe. Ist doch sonderbar, wie sich ein Mensch auswächst, wie seine Neigungen so entgegengesetzt seines Wesens verkörpert und gestaltet. Ich habe viele Jahre zusammen mit Hanni die Schulbank gedrückt, bei ihren Leistungen und bei ihrer ganzen seelischen wie geistigen Veranlagung, hatte ich ihr späteres Leben mir einmal anders vorgestellt, nicht in der Enge eines solchen Friseurbetriebes.

Ach, ich verliere mich doch ganz! Ich will das doch garnicht! Ich denke nur, es müssen alle, alle so glücklich, so überglücklich sein wie ich und Du! Vielleicht sind sie es auch? Auch in ihrer Umgebung? Wer weiß?

Herzensschätzelein! Nun war ich in L. Eine ganze Weile stiefelten wir in L. umher. Es gab nichts Gescheits! Da verfiel ich auf das Korbmachergeschäft D. in der H.-straße. Und hier konnten wir etwas Schönes, Praktisches erstehen. Einen Wäschekorb, den kleineren, ein Plättbrett, aber lange nicht so schön stabil wie meines was wir aus W. holten!! Ohne Fuß auch! Und ein geringer Bezug. Dazu ein Ärmelbrett und einen Reisigbesen. Und – einen Papierkorb! Da haben wir auch noch keinen! Du!! Sag? Sind das nicht feine, wirtschaftliche Geschenke? Das wird dem jungen Paare schon zusagen. Kostet alles zusammen 18.- Rm. Eben schrieb ich noch die Hochzeitskarte. Es ist jetzt schon um 7 Uhr abends. Ich werde wohl meinen Boten fertig schreiben, wenn ich wiederkomme vom Singen. Wenn ich jetzt, von der Uhr gedrängt, Dir schreiben soll, da kann ich nicht so schön zwanglos mit Dir plauschen. Das gefällt mir nicht, Herzelein! Der Brief geht heute sowieso nicht mehr mit fort!

Um ½ 6 kamen wir aus der Stadt zurück. Und vorhin besuchte mich Frau G.! Ganz bemitleidenswert benahm sie sich. Und lamentierte über ihren Mann. Es wäre kein Leben mit ihm. Zu ihrer Schwester, die noch immer da ist, hätte er ein so herzliches Verhältnis, zu ihr aber wäre er völlig gleichgültig. Ich sagte nichts dazu. Ich mag garnichts hören mehr. Warum ich so lang nicht bei ihr gewesen sei, fragte sie. Daß ich auch mal leidend sein kann, das will ihr, wie’s scheint, garnicht in den Kopf. Jetzt kriegt sie nun eine Spritze nach der anderen, damit sie zu Kräften kommt. Sie nennt das Lebereinspritzungen, ein ganz neues Verfahren und sie hält so auf das Zeug! Sie mag nur wieder so essen wie erst, dann bleibt sie auch bei Kräften. Man sieht es ihr gewaltig an, wie wenig ihr die vegetarische Kost bekommt, sie ist tüchtig abgekommen und sieht jetzt richtig schlecht aus. Dazu noch die Fehlgeburt im Frühjahr! Dieser Blutverlust ist bei ihrer Kost noch lang, lang nicht aufgeholt!

Denke Dir nur! Die Frau L. redete auch zu mir davon, daß ihre Ehe nicht ginge, die Leute auf der H.straße erzählen es. Weil sie halt allen gegenüber lamentiert. Jedenfalls: Herr G. würde seine erste Frau jedesmal klistiert haben, wenn sie miteinander irgendwo eingeladen waren, damit ja nichts in den Därmern [sic] bliebe von dem, was nicht vegetarisch ist! Ich war entsetzt! Es sei tatsächlich war [sic], seine erste Frau hätte es selbst erzählt. Was sagst Du dazu!

Ist denn dieser Mensch noch normal? Unfaßbar ist mir's. Daß er jeden bearbeitet mit Redensarten und beeinflussen will, ob seiner „Mazdaznanerei", das weiß ich, wie auch mit seiner krankhaften Neigung zur Astrologie!

Aber das [sic] diese Leidenschaft in Tätlichkeit ausartet? Nein! Das hätte ich nicht erwartet. Er zwingt auch Lore, das und das und das zu essen. Mein Gott! Darf er denn so weit gehen? Kann er das vor seinem Gewissen verantworten? Es müßte ihm doch genug sein, wenn er den Verfall seiner ersten Frau wirklich miterlebt hat. Ich verstehe das nicht.

Ach Herzelein! Das ist doch ein gar verdrehter Tag heute. Nun bin ich vom Polterabend zurück – weißt Du, wie spät es ist? 10 Uhr vorbei! Und nun bin ich wahrlich müde. Es war soo warm in dem engen Raum, W.s hatten uns für ein Stündchen zum Sitzen gebeten. Wein haben wir getrunken, Du!! Bloß ein Glas habe ich! Weil ich doch an mein Mannerli dachte! Es war recht nett, wir sangen einige Lieder und Späße wurden vorgebracht. 2 Mädels trugen ein Gedicht vor, wobei nützliche Gegenstände überbracht wurden. Die Freude über unsre Gaben war [se]hr groß! Ich wäre soo gerne eher heimgegangen, ich sehnte mich soo sehr, Dir nahe zu sein, Geliebter! Dir zu danken für Deinen soo lieben, lieben Sonnabendbrief, der heute zu mir kam, Du!!! Und der alle Liebe und Sehnsucht so mächtig wach rief! O Schätzelein! Schätzelein geliebtes! Wie unermeßlich reich Du mich machst mit Deiner Liebe! Wie einen mächtigen Strom fühle ich es durch mein Inneres pulsen, wenn ich an Deine große Liebe denke, die Du mir heute wieder so herzinnig beweist! Oh Geliebter!!! Geliebter! Wie soll ich Dir nur danken? Du!!! Du!!!!! Ich muß Dich ja sooooo unendlich liebhaben!!! Ach Herzelein! Das Süßeste, das Geheimste berührst Du heute so lieb auf Deine Art! Herzensmannerli! Liebes! Herzliebes! Du denkst auch daran, daß wir heute vor einem Jahre den letzten Schritt erklommen auf unsrer Leiter zum Glück, zum seligsten Liebesglück! O ja, Herzelein! Es war im Norden, bei Dir in Barkelsby, als wir die innigste Seligkeit im ganzen Zauber, in ihrer höchsten Einmaligkeit empfanden – der Strom unsrer Liebe hatte sein Bett gefunden – Du hast mich erlöst, so ganz erlöst zum ersten Male – Oh, Geliebter mein! Laß mich mit diesem seligen Zurückträumen schlafen gehen! Ich will sooo lieb Dein denken! Herzensschätzelein Du!!! Ich sehne mich so nach Dir! Oh so sehr! Soo sehr! Geliebter! Gott behüte Dich mir immerdar! Bleibe mein!

Ich liebe Dich! Auf Wiedersehen morgen! In Ewigkeit Deine [Hilde]

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946