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[OBF-411119-001-01]
Briefkorpus

[Saloniki] Mittwoch, den 19. Nov. 1941

Herzallerliebstes Schätzelein! Geliebte, Holde mein!

Es ist kurz nach 3 Uhr. Der Spieß macht frei heute. In der Mittagsfreizeit waren wir zum Baden. Ich habe ein wenig zu heiß gebadet, das Drecksschwein gleich mal richtig gebrüht. Nun war ich sehr müde. Im Sonnenschein bin ich herausgelaufen in unsre Behausung, damit ich richtig abtrocknete. Dann hab ich mich gleich noch ein Stündchen lang gelegt. Das hat gut getan. Und jetzt scheint die liebe Sonne auf den Buckel. Am Himmel ziehen von Westen her Schlieren auf, es wird wieder mal regnen wollen. Heute gab es noch keine Post, der Zug hatte Verspätung – nun ist noch Aussicht, daß sie heute Abend noch kommt, und darauf freue ich mich do so sehr. Und einen Bogen will ich doch aufheben für heute abend, daß ich Dir Antwort geben kann.

Einen Urlauber traf ich vorhin, er kam zurück aus der Gegend von Würzburg. 30 cm Schnee liegen bei ihm daheim. Ein andrer Soldat ging noch mit ihm. Und die beiden hatten recht düstere Worte. „Wenn ich nicht meine Familie daheim hätte, ich führe nicht mehr in Urlaub. Nichts mehr zu kaufen, zu rauchen, zu trinken – – !“ Und in diesem Tone weiter. Dem dritten Kriegswinter sehen wir nun entgegen. Die Reserven, von denen am Anfang gezehrt worden ist, gehen nun zu Ende, nicht nur in Deutschland, sondern auch in allen, von diesem Kriege betroffenen Ländern, den neutralen nicht ausgeschlossen. Zu den Sorgen um die eigene Ernährung kommt die um die Ernährung der besetzten Gebiete und der Gefangenen. Der Krieg hat die Landwirtschaft aller Länder nicht gefördert, sondern gelähmt. Und die Lücke des Handels mit der außereuropäischen Welt macht sich natürlich bemerkbar. Kommt hinzu, daß die Ernten mittelmäßig ausfielen, auch hier auf dem Balkan wegen der Dürre.

Bringt das kommende Jahr eine gute Ernte, so dürfen wir hoffen, daß wir aus der Zwangslage, in der wir jetzt uns befinden, ein wenig befreit werden. Denn die Organisation zur Ernährung Europas aus eigener Kraft macht jährlich Fortschritte. Dieser Winter wird also vielleicht der härteste sein.

Man darf nicht darüber nachdenken, sonst fühlt man diese Zwangslage, dieses Eingeschränktsein, das eigene und das in größtem Umkreis, bedrückend. Wir Soldaten spüren es kaum. Noch könnten wir zu unsrer Verpflegung hinzukaufen, Früchte, auch ein Mittagsgericht, wir haben es nicht nötig. Und ihr zu Haus? Ihr spürt es schon eher, wenn ein Leckerbissen nach dem anderen ausfällt oder unmöglich wird. Und spürt es auch an allen anderen Dingen, die nicht gerade für den Magen bestimmt sind. Aber das Notwendigste zum Leben habt ihr. Denk nur, die Griechen hier bekommen 40g120g  Brot am Tag, und was für ein Brot! 50 g ist bei uns zu Haus eine große Semmel. Das ist schon bei weitem schlimmer – wie sie damit auskommen, ist mir rätselhaft. Eine große Rarität ist hier der Zucker. Jetzt fehlt es auch wieder an Zigare[t]ten. Weißt! Ich bin doch heilfroh, daß ich um Trinken und Rauchen mir nicht den Kopf zerbrechen muß.

Ach, und so wie dieser Urlauber sagte, so ist es doch nicht. Ich käme doch gleich zu Dir! Und bliebe für immer! Und ertrüge gern alle Entbehrungen. Wir müssen hindurch und dürfen die Hoffnung und den Glauben nicht schwinden lassen, daß die Entbehrungen nötig sind, und daß alles ein gutes Ende nehmen wird. Ein Triumph ist unser Sieg schon nicht mehr, kann er nicht mehr werden. Zu viel Leid ist schon geschehen, zu viel Unglück ringsher [sic], Zerstörung, Vernichtung. Zu viele Wunden warten dann a[uf] Heilung. Ein Triumph, ein glänzender kann dieser Sieg nicht werden – eine gewaltige Verantwortung, Aufgabe und Arbeit nur. Das wird mit jedem Monat deutlicher. Es ist ein zähes Ringen! Und noch ist der Ausgang nicht abzusehen. Wie dieser Ausgang aber auch immer ist – wir wissen, es geschieht Gottes Wille. Ob mit unserem Kampf das gute Recht ist, wir müssen es glauben, nachprüfen können wir es nicht. Ob unser Volk zur Führung Europas stark genug ist, auch innerlich, ob es dazu berufen ist – die Zeit wird es lehren. Der Ausgang des großen Weltkrieges ist eine bittere Erfahrung. Mitten in den größten Siegen hätte ihn gewiß niemand für möglich gehalten. Er steht nicht in unsrer Macht, hier Entscheidendes zu wirken. Wir können nur Treue erweisen in unserem kleinen Dienst. Es war gewiß für viele Männer damals, daß das schmerzlichste Erlebnis, daß das Kaiserliche Deutschland dem sie in Treue gedient hatten, hinabsank. Auch Throne können wanken. Und die Verantwortung für die Summe aller treuen Dienste, für die Führung des Reiches, liegt nicht bei den Dienern. Herzlieb! Du! Mein liebes Weib! Eine Treue soll nimmer wanken! Ein Treusein liegt in seiner Bewährung und vollen Verantwortung ganz in unsrer Hand: Die Treue in unsrer Liebe! Herzlieb! Wenn alles rings her [sic] wankt und fällt, wenn nichts Beständiges mehr ist – an Dich will ich mich halten! – an mich sollt Du Dich halten! – Gott helfe uns zu solcher Treue! Und miteinander wollen wir uns an Gott halten – wollen nicht ermüden um seine Gnade zu ringen.

Herzlieb! Eben bin ich vom Abendmahl zurück. Spät ist es geworden. Beinahe wäre ich zu spät gekommen. Die Straßenbahn, auf die ich mich verließ, fuhr nicht, und ein halbe Stunde Weges war es bis hin. Der Gottesdienst findet jetzt im evangelischen Gemeindehaus statt. Dort ist ein einfacher, sauberer, geräumiger Saal, auch ein Harmonium drin, ein würdiger Raum. Ich freue mich darauf, dort den Weihnachtsgottesdienst zu erleben, womöglich im Scheine des Lichterbaumes. Etwa 33 Soldaten, darunter 6 Offiziere hatten sich eingefunden, eine ganz stattliche Gemeinde[.] Der Pfarrer Sch., der Bruder von Frau G., hielt das Abendmah[l.] Es war erhebend und feierlich. Nach dem Gottesdienst habe ich mich vorgestellt. Ich bin dann mit ihm in sein Geschäftszimmer gegangen. Dort haben wir uns bis ½ 11 Uhr unterhalten. Pfarrer Sch. war im Weltkriege aktiv. Er hat das E[iserne] K[reuz] I. 4 Jahre hat er mitgemacht. Im Okt. 1[918] ist er noch in englische Gefangenschaft geraten, aus der er erst 192[0] entlassen wurde. Nun ist er wieder mit dabei. Seit Januar ist er im S[üd]O[sten], nachdem er in Frankreich mit war, seit April hier in Griechenland. Er ist Divisionspfarrer und hat ein weites Wirkungsfeld und ist die ganze Woche dienstlich unterwegs, viele km Umkreis. Ich hatte die Züge bald zusammen, die an seine Eltern gemahnen. Mit Frau G. selbst hat er wenig Ähnlichkeit. Herzlieb! Am 1. Advent, dem Jahrestag unsrer Verlobung, will ich den Frühgottesdienst besuchen. Wenn Du ganz gesund bist, wirst Du ihn auch zu Hause besuchen, ja?

Schätzelein! Ist doch noch Dein lieber Bote vom Mittwoch gekommen. Ich bin Dir so dankbar für alle Liebe und Sonne die Du mir bringst mit ihm. „Wie könnten wir unseren Bund und unsere Liebe verraten! Nie! Nie! Wir müßten denn unser Herz herausreißen!“ Geliebte! Du bist mein! Im Leben und in Ewigkeit! Wir gehören einander vor Gott und den Menschen! Oh Geliebte! Daß ich Dich fand! Daß Du so treu bist, so treu sein mußt wie ich! Ich bin so froh und glücklich darum! Oh Herzlieb! Was hast Du Dir für ein selten festes Herz bewahrt! Und in welch guter Geborgenheit des Elternhauses hast Du leben dürfen! Und rings her [sic] so viel Versuchung, Zügellosigkeit! Oh Herzensschätzelein! Laß uns Gott bitten, daß er unser Herz immer fester, unseren Sinn immer treuer macht! Du hast Einblick in die Zersetzung des Lebens um uns her, in den Verfall jeder Ordnung. Herzlieb! Wir wissen auch darum, wo die Wurzel dieses Übels liegt und wer diesen Verfall aller Ordnung und Sitte, dieser Schamlosigkeit zumindestens [sic] Vorschub geleistet hat. Ob der Schaden je wieder gutzumachen ist? Das Unglück ist doppelt groß, weil diese Lockerung der Sitten schon vor dem Kriege einsetzte, der an sich schon eine Sittenverwilderung mit sich bringt. Zur Rüstung auf einen solchen Kampf hätte es gehört, die Moral nicht zu erschüttern, sondern im Gegenteil zu festigen.

Herzlieb! Laß mich heute schließen! Morgen will ich wieder ganz lieb Dein denken und auf Deinen Boten etwas näher eingehen.

Sagst heute selbst, daß Du Dich nun schon die dritte Woche schl[eppst] mit Deiner Erkältung. Herzlieb! Solltest noch radikaler und energischer sein mit Dir und noch mehr darauf bedacht, Dich recht auszukurieren! Die Erkältung ist noch nicht ganz gewichen! Du schadest Dir und auch Deinen Mitmenschen, wenn Du zu zeitig Dich gesund schreibst. Kannst ja andre auch anstecken! Ach Herzelein! Bitte! Bitte!! Sei recht vernünftig und umsichtig!

Unkraut? Oh Du! Unkraut bist Du nicht! Bist ein ganz seltenes Blümelein. Und mir das einzige auf dieser Welt, mein Herzensblümelein!!! Ein so seltenes, wie ich es einmal fand auf einem Ausflug in der L.er Zeit, als ich zum ersten Male unsre Liebe hinaustrug und sie in mir bewegte. Oh Herzlieb! Du mußt mir bleiben! Darfst mich nicht allein lassen! Ich brauche Dich! Geselle mein! Herzensschätzelein! Bist doch meine Heimat! Mein Glück! Mein Sonnenschein! Bist meine ganze Hoffnung! Mein Herzschlag! Mein Leben! Bist der einzige Mensch auf diesem Erdenrund, den ich sooo sehr liebhaben muß, der mich ganz kennt und versteht und liebt! Liebt!

Gott schütze Dich! Er segne unseren Bund!

Ich drücke Dich an mich, Goldherzelein! Ich küsse Dich ganz lieb! Herzlieb mein!

Ich liebe, liebe Dich! Mein liebes treues Weib!!!!! !!!!! !!!

Ich bin ewig Dein [Roland]! Gut Nacht! Herzelein! Du!!!!! !!!!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946