Bitte warten...

[OBF-411118-002-01]
Briefkorpus

Dienstag, am 18. November 1941.

Herzensschätzelein! Herzallerliebster! Mein lieber, guter [Roland]!

So viele Stunden liegen dazwischen, seit ich Dir am [sic] letzten Male schrieb! Und nun halt' ich's doch garnimmer länger aus, Geliebter! Ich muß gleich zu Dir kommen! Ganz nahe zu Dir! Herzelein!! Und ganz lieb! Du!!! Sag? Hast Du recht voll Sorge gewartet auf meinen Boten? Liebes! Ich bin gestern wahrhaftig nicht dazugekommen. Und als Entschadigung [sic] bring ich Dir ein ganz liebes Kussel mit! Heute!! Ach Du!! Du!!! Wie male ich denn das auf? Damit Du auch weißt, wie lieb ich es meine? Du?? Ich lasse eine Zeile frei, ja? So lange und innig soll's sein!!!

„                                                                                                                                                        "

Du!!! Nun will ich Dir erst alles erzählen. Am Sonntag war also Ilse S. bei mir. Einige Stunden. Um 7 abends ging sie wieder heim. Ich bin darauf bald zu Bett mit Mutsch. Ich war sehr müde. Nachts um 2 ging es wieder los, mit den Luftbeschwerden. Ich bin dann aufgestanden und habe die vom Apotheker verordnete Emulsion eingeträufelt. Die wirkte kaum noch. Ich hab mich bis zum Tagwerden zwischen Wachsein und Schlafen hingebracht. Und es stand bei mir fest, daß ich heute, am Montag, mit nach Chemnitz zum Arzt fahren würde. Morgens brachte ich die Wirtschaft in Ordnung, bereitete das Essen und machte mich fertig zum Gehen. Wenn Mutsch heimkam ½ 12  sollte alles bereit sein. Ich lief schnell nochmal zur Krankenkasse, um mich zu vergewissern, ob dieser Spezialarzt Dr. H. praktiziert. Ja. Er wohnt in der B.straße. Kurz nach 2 Uhr langten wir bei Mutters Arzt an. Sie wollte gerne dabei sein, bei meiner Behandlung darum wartete ich, bis sie fertig war. Aber 2 Stunden vergingen, und es machte sich kein Vorwärtskommen bemerkbar im Wartezimmer. Scheinbar hat der Arzt erst seine Privatkunden behandelt. Weil ich fürchtete, zu spät zur Sprechstunde des Dr. H. zu kommen, bin ich allein gegangen. Ich wollte Mutsch wieder bei ihrem Arzte treffen.

Angst hatte ich nicht. Aber sonderbar war mir doch zumute, als ich die Tür aufklinkte zum Wartezimmer. Ich sah mich nur 2 Patienten gegenüber, das gefiel mir! Brauchte ich nicht so lange zu sitzen. Im Wartezimmer für Kassenpatienten rumorte es, da schien großer Andrang zu sein. Kinderweinen klang auf. Vielleicht ein ohrenkrankes Kleines. Nach etwa 20 min. war ich dran! Ein Fräulein [fü]hrte mich zu einem Stuhl, eine Art Behandlungsstuhl wie beim Zahnarzt. Vom Doktor sah ich noch nichts. Er war nebenan bei einem Kinde. Ich guckte mich ein wenig um im Raum. Große, weiße Schränke standen da, Tischchen mit vielerlei Handwerkzeug, Instrumenten und Flaschen darauf.

In der Ecke sein Schreibtisch, mit einem pompösen Ledersessel dafvor. Jetzt erschien er in der Tür. Ein mittlerer, vollschlanker Herr, ich schätze ihn reichlich 50 Jahre alt. Kurz und sachlich waren seine Fragen, die Behandlung äußerst geschickt und schnell, aber gründlich wie mir schien[!] Denn er bohrte mir fast bis ins Gehirn mit einer langen Sonte [sic], die mit einem getränkten Wattepfropfen umwickelt war. Sofort bekam ich Luft. Unangenehm war das Gefühl, das ich bei seiner Behandlung hatte, jedoch nicht schmerzhaft. Ein Nasenkatarrh sei es. Und ich wäre der soundsovielte Fall! Erkältung. Aber nicht leicht zu nehmen. Ich bekam eine Esseznz zum Einträufeln wieder; die muß ich je nach Bedarf nehmen. Mindestens 3x täglich. Na, sie hält so 3-4 Stunden knapp vor, dann beginnen sich die Luftwege wieder zu verstopfen. Nach und nach würde eine Besserung eintreten. Auch zum Einnehmen habe ich Arznei bekommen. Ein äußert [sic] ekliges Zeug, das ich tropfenweise auf Wasser nehmen muß. Für den Hals und Kehlkopf. Er hat alles beguckt! Spiegel eingesetzt in Nase und Rachen. Nach einer Woche soll ich wiederkommen. Dann wird er mal in das Ohr sehen, was da los ist. Das linke ist jetzt mehr verstopft. Besondere Haltung und Schonung hat er mir nicht verordnet. Warm halten! Tu ich auch!! Das hat mir doch mein Mannerli längst verordnet, gelt? Und ich hab es selbst schon erkannt, wie gut das ist. Herzlieb! Nun darfst [sic] Du und ich beruhigt sein über meine Krankheit! Ich bin in guter Behandlung, das glaube ich. Und ich weiß nun wenigstens, was es ist. Zum Stirnhöhlenkatarrh kommt es nicht. Ein regelrechter verstopfter Schnupfen ist's. Ach Du!! Ich war ja so erleichtert, als ich heraustrat! Beinahe dachte ich nämlich: es könnten auch Polypen sein. Du! Nun will ich schon gut aufpassen, daß ich bald ganz wieder gesund bin! Du!!! Bist nun auch erleichtert und froh, Herzelein?

Ja – ich denke ich sehe nicht recht, als ich zu dem Dr. H. komme. Steht da an der Haustür noch ein Schild: Dr. Wolfgang V. Das ist doch der Arzt, der meine Mutter einst operierte! Ich fragte die Einlaßdame meines Arztes, ob Dr. V. zurück sei aus dem Felde. Und da sagt sie: „Ja! Doch seine Praxis eröffnet er erst etwa in 14 Tagen." Du!! Ich war aber so freudig erschrocken über diese Antwort! Nun wird die Mutsch, sobald er wieder praktiziert, zu ihm gehen! Er weiß doch gleich was los ist; denn er hat sie ja behandelt vorher! So eine Zufallsfrage!!

Mutter ist nicht recht zufrieden mit dem Dr. Franz V., obwohl der Ausfluß behoben ist, lassen die Beschwerden im Leib nicht nach. Er hat sie gestern erst auf ihren nachdrücklichen Wunsch hin krank geschrieben. Und er ist ihr in Redensarten so dreist entgegengekommen, daß Mutter am liebsten überhaupt nicht mehr hinginge.

Mutter wird normalerweise nach 3 Wochen kranksein zum Vertrauensarzt gerufen. Dahin wird sie aber nicht gehen, sondern sich vom Geschäft einen neuen Krankenschein ausstellen lassen, der auf Dr. V. lautet. Diese Handlungsweise ist durchaus erlaubt, sie hat heute schon mit ihrem Chef gesprochen. Denn der Franz V. wird Mutsch auf keinen Fall zum Wolfgang V. überschreiben!

So lange will sie nur noch hingehen, bis der andre arbeiten wird. Und ich kann nur zubilligen in dem Falle. Denke Dir! Gestern, als Mutsch fertig war beim Arzt, bin ich doch nochmal zu ihm und habe ihn in aller H[ö]flichkeit gebeten, daß er sich einmal ganz offen ausspricht, über Mutters Befund. Weil ich doch trotz seiner Medikamente keine Besserung sehe bei ihr, im Gegenteil: Mutsch leidet zusehends an einem Kräfteverfall. Jetzt ist es soweit, daß sie nicht mehr nähen kann. Sie muß ausspannen.

Es wäre garnichts, meinte er: Wechseljahre; es fehlte eben Butter und Gänsebraten!, das ginge allen Leuten so. Er wäre auch kaputt und fühle sich schwach und müßte doch arbeiten. Und ob ich meiner Mutter Feldwebel sei daß ich immer mitkäme. Das war mir doch zu stark. Mit ein paar kurzen, aber höflichen Worten ließ ich ihn sitzen und ging hinaus. Was er von mir denkt, ist mir schnuppe. Er muß doch sehen, daß es nur die reine Sorge um Mutter ist, die mich fragen läßt nach dem Grund. Weißt Du? Ich habe manchmal ungeheure Angst darum, daß es Krebs werden könnte.

Mich macht das verstürzt: zum ersten Mal sagt er, es ist eine eitrige Entzündung, diesmal: es ist garnichts! Das ist keine Rede! So rasch kann das nicht behoben sein. Und Mutter gegenüber spricht er sich garnicht weiter aus. Und wenn er sich nicht die Mühe macht, auf den Patienten einzugehen, dann soll er ihn zu einem andern Arzt überweisen, der nicht so überlastet ist wie er. Er geht mit keinem Wort auf Mutter ein, wie sie mir gestern sagte. Er untersucht, schiebt sie hinaus und schreibt ein Rezept, der Nächste bitte!

Ich kann's verstehen. Das war nun gestern um 6 abends, als wir darankamen. Im Wartezimmer saßen noch 28 Frauen!! Und im Privatzimmer saßen auch noch welche. Der Mann kann sich garnicht gründlich um jede kümmern. Er hat ja auch noch seine Klinik. Aber für einen Kranken ist das kein vertrauenerweckendes Zeichen! Ich bin nicht, aber auch garnicht einverstanden, daß Mutter bei diesem Manne in Behandlung bleibt. Und nun, da ihr alter Arzt wieder aus dem Krieg zurück ist, gleich garnicht. Mutter will auch zu ihm gehen.

Wenn sie nun ausruhen kann daheim, wird es vielleicht auch besser mit ihr. Die Nerven sind total überanstrengt bei ihr. Und Vater will es auch nicht leiden, daß sie wieder voll arbeitet. Na – bis sie überhaupt wieder geht, hat es jetzt noch gute Weile. Und dann werden wir sehen, wie sie sich fühlt.

Ich nehme es als ein gutes Zeichen, daß gerade jetzt, wo man sich verzweifelt fragen sollte: was soll werden, wenn das anfängliche Vertrauen zu dem Arzte wankt? wenn gerade jetzt der Arzt wiederkommt, der ihr vor 4 Jahren Rettung brachte. Ich glaube, daß alles noch gut wird. Er weiß sicher sofort, wo er anzupacken hat. Herzlieb! Ich habe mir richtig die Seele freigesprochen, wenn ich Dir das alles so ausführlich erzähle. Eigentlich ist das kein Briefthema an den Liebsten in die Fremde! Doch wenn ich nicht wüßte, daß Du mich so lieb verstehen kannst, daß Du alles mit mir tragen willst, wenn ich das nicht so froh wüßte, dann fände ich nicht den Mut, mich Dir mitzuteilen. Du!! Mußt nicht Dich sorgen, Herzelein! Vertraue mir! Ich laufe lieber einmal mehr nach Hilfe als zu wenig, wenn ich auch anecke dabei. Ich tue es aus Liebe zu Mutter! Sie muß uns bleiben!

Ihr Leben war nichts als Liebe und Aufopferung für mich für uns alle – ich muß es ihr danken, mit allem was mir zu Gebote steht – ich kann nicht anders. Und ich werde nicht eher ruhen, als bis alles gut ist. Wenn Du meine Zeilen erhälst, dann ist der Sturm der Empfindungen über all das schon abgeebbt, Du darfst Dich nicht aufregen, Herzlieb! Und geschrieben sieht wohl alles auch ein wenig drastischer aus als es ist. Du sollst aber an allem teilhaben, was mich bewegt. Sollst mit uns daheim weiterleben, in Verbindung bleiben in allen Dingen. Und ich kann Dir nichts verheimlichen. Die Mutter wäre sicher böse, wenn ich Dir alles um sie erzähle – sie macht nicht gerne Aufhebens davon. Und sie hat Dir sicher nichts von alldem geschrieben in ihrem Briefe, ja?

Du bist aber mein Mannerli! Mein Vertrautester, mein Allernächster! Und Dir sage ich alles, alles. Gutes und Böses: Ich weiß, Du trägst alles mit mir. Und dieses Wissen Geliebter, das gründet unsere Liebe nur noch fester! Das läßt uns nur noch inniger verschmelzen zu einem Ganzen. Mein ganzes Vertrauen gehört Dir – es wird Dir immer gehören. Und nur so kann echte Liebe und letztes Verstehen zwei Menschen restlos erfüllen und verbinden. Du!!! Ich möchte nicht erleben, daß es anders sei zwischen uns!

Geliebter! Nun muß ich Dir aber noch Frohes berichten! Die Mutsch ist also nun daheim bei mir. Und ich habe heute vormittag beim Gärtner meine Sach' für den Adventskranz geholt! Du!! Für Dich ist er doch!! Fertig ist er nun! Und er gefällt mir sehr! Und ich hoffe, daß ich Dir recht viel Freude damit bereite. Der Karton dafür ist noch im Bau, bei Herrn U. Bis um 6 will ich ihn zur Post bringen. Ich kann aber garnichts weiter reinpacken, Herzelein; denn alles miteinander wiegt schon reichlich 2 PF. Mehr darf ja ein Päckel nicht wiegen. Ach, ich schicke Dir bis Weihnach[te]n noch mehrere Päckel, ich habe so allerlei noch vor. Aber alle Dir zugedachten Geschenke kann ich nicht abschicken; denn Du weißt doch garnicht wohin damit. Da kriegst es halt daheim, ja? Einer Deiner Bücherwünsche ist heute erfüllt worden, nur einer erst! Mal sehen, ob alle noch ankommen bis Weihnachten.

Du!! Etwas ganz Reizendes habe ich heute Vormittag noch gebaut für Dich. Ja, auch für Dich – oder für uns alle beide! Soll ich Dir's sagen? Die niedliche Glockenhaide, die Du mir von Eurem Ausgang mitschicktest, habe ich noch eine Weile gepreßt und heute zu einem Sträußchen, flach liegend unter das Glas eines Bilderrahmens geordnet, weißes Papier dahinter und das Bildchen aufgehängt. Das sieht so reizend aus! Der Mutsch gefallt [sic] es auch. Und das schenke ich Dir, als liebe Erinnerung an Deine Zeit in der Fremde – oder besser daran, daß Du mir aus der Ferne den Beweis brachtest, daß Du immer mein denkst, auf allen Wegen und ich habe das treue Gedenken festgehalten, aufbewahrt für immer als Symbol. Und später, wenn Du einmal an Deinem Arbeitsplatz daheim sitzt und ein wenig den Kopf hebst, dann sollst Du das Bildchen anschaun, sollst ganz froh dabei werden und an unser Liebesglück sollst Du denken, das sich im Kleinsten künden möchte.

Ach Du! So ein kleines Ding, ganz unscheinbar mag es sein, es kann doch so viel köstliche Erinnerung bergen und so viel innige Freude und Dankbarkeit wecken. Ich hab es schon liebgewonnen, das Bildchen. Und Du wirst es auch! Herzelein! Ich habe schon den dritten Tag keine Post von Dir. Morgen muß aber nun etwas kommen. Du!!! Sonst werde ich ungeduldig! Ach! An Dir liegt es gewiß nicht, Liebster! Aber gestern kam ein andrer Gruß an! Ein lieber, feiner! Bloß tüchtig bitter schmeckt er! Du!! Die Mandeln si[nd] angekommen! Große Freude herrschte darum bei uns Frauenleut! Nun kann das Backen bald losgehen, die Butter fehlt uns nur noch. Vielen vielen herzlichen Dank, Herzelein! Sag? Wo ist denn die Rechnung? – Ich will so gerne Pfefferkuchen backen, aber dazu brauche ich doch „Geschmack" muß doch kosten dabei!!! Oder überlasse ich das nun der Mutsch? Mal sehen.

Du! Eben war die S. Ilse wieder da, sie wollte sehen, wie mir's geht. Ich hätte ihr am Sonntag garnicht gefallen. Aber heute! Das ist ein altes, gutes Mädel.

Herzelein! Nun ist es schon 5 Uhr durch. Wie schnell ist a[uc]h der Nachmittag vergangen. Und ich habe doch noch lang nicht alles erzählt! Wollte Dir doch noch sagen, wie so ganz sehr lieb ich Dich habe. Du! Du!! Schätzelein! Oh! Ich muß Dich sooo lieb haben! Du!! Du!!! Ach Geliebter! Du wirst es auch aus meinen Worten spüren, die nicht unmittelbar mein tiefstes Empfinden für Dich ausdrücken, wirst auch daraus erkennen, wie alles nur zu Dir drängt. Wie alles nur zu Dir will, was ich denke und tue. Oh Du!! Du erfüllst mich doch so ganz! Bis ins Letzte! Bist mein Sonnenschein! Und all mein Lebensglück! Ich liebe Dich! Ich liebe Dich! Der Herrgott schütze und behüte Dich!

Ewig Deine [Hilde].

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946