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[OBF-411116-001-01]
Briefkorpus

Sonntag, den 16. November 1941

Herzlieb! Geliebte! Meine liebe, liebe [Hilde]!

Das ist der Sonntagsbote, wird aber am Montagmittag erst geschrieben. Als wir beiden gestern abend schreibbeflissen nach Hause kamen, streikte das Licht wieder einmal - und kam den ganzen Abend nicht wieder. So, daß wir im Dunkeln uns[e]re Bratkartoffeln bereiten mußten. K.s sterbende Taschenlampe mußte ihre letzten Dienste tun, wenn wir umrühren wollten. Im Flackerschein des Herdfeuers haben wir im Tiegel gestochert — es hat trotzdem prima geschmeckt. Dann gab es noch ein Plauderstündchen bis gegen 10 Uhr. Und weil das Licht noch nicht dergleichen tat, legten wir uns nieder. Herzelein! Nun soll schnell nachgeholt sein, was ich versäumen mußte! Ganz lieb hab['] ich Dein immer gedacht. Auf einen Boten habe ich gespannt — aber es kam keiner — und heute auch keiner — und ich hätte doch gern gewußt, wie Dir nun ist nach dem Schwitzbad. Ach Herzelein! In der Enge des Nichthelfenkönnens und der Ungewißheit bleibt uns die feste Gewißheit, die beste und gewisseste Nachricht auch: Gott im Himmel ist mit uns. Er waltet über unserem Geschick. Sein Wille geschieht überall und zu jeder Stunde, und sein Wille ist der beste. Und dazu dürfen wir seiner Liebe und Gnade gewiß sein, und wir bitten ihn und hoffen beide voll froher Zuversicht, ja, nachdem wir so reiche Gnade schon erfuhren, mit demütiger Freude, daß Gott uns zusammenführt zu gemeinsamem Leben. Herzlieb! Wir wollen seiner Hilfe und Gnade auch nie vergessen, wenn wir am Ziele uns[e]res Herzenswunsches sind! Wollen mit unserem Leben ihm dienen!

Nun laß Dir vom Sonntag erzählen. Am Sonnabend wehte ein ganz kalter Wind, ein Sturm richtiger. Am Sonntagmorgen waren alle Berge frisch überzuckert, aber der Himmel zeigte sich freundlicher, es klarte auf und gab ein herrlich frische Luft bei guter Sicht. Gleich nach dem Essen schälten wir unsre Kartoffeln, die wir uns vom Mittag mitbrachten. Dann sind wir losgezogen in unser Gebirge. Es ist uns nun schon ein wenig vertraut mit seinen Schründen und kahlen Buckeln und lieb mit seinen Ausblicken über das Land, das uns als Aufenthalt nun eben zugewiesen ist. Es ist ein Gebirge im Kleinen: gar nicht weit entfernt, nicht sehr hoch. Die frische Luft war ganz herrlich und erquickend. In Verfolg unsres Planes zogen wir unsre Kreise nicht allzuweit, sondern steuerten die Stadt wieder an. An der Zitadelle kamen wir herein. Im Begriff hinunterzusteigen in die Stadt, lockt ein offener Garten zum Betreten. Inmitten stand ein Kirchlein und an ein anderes Gebäude gelehnt standen da Bruchstücke eines Reliefs und Säulenreste und mächtige Steingefäße: Überbleibsel eines Tempels, der vorher frei gestanden hatte. Ein Pope führte ein  italienische Gesellschaft, bestehend in einem Uniformierten, ein Regierungsbeamter anscheinend, zwei Herren und zwei Damen durch die Sehenswürd[ig]keiten, und wir beide gesellten uns dazu und schnappten auf, was wir konnten. Ein Herr trat dann noch hinzu, der uns einiges Verdolmetschte und uns auf einige Merkwürdigkeiten hinwies. Er sprach gut deutsch. Wir kamen mit ihm ins Gespräch. Von der Höhe des Kirchgartens die Stadt überschauend, haben wir uns wohl eine halbe Stunde mit ihm unterhalten. Beim Verabschieden stellte er sich vor: Professor der Musik (Klavier) Londos, Leiter des Konservatoriums von Saloniki. Hat in Wien Musik studiert. Ein feiner Kopf, der Typ eines feinsinnigen Musikers. Wir haben uns über die Geschichte der Stadt unterhalten, über die Politik, über die Musi[k.] Es war eine schöne halbe Stunde, die unsre Gedanken ganz fest und lieb auch zu der Heimat gehen ließen. Der Grieche vermutete in uns auch studierte Leute. Sind wir ja auch.

Recht angeregt von dieser seltenen Begegnung stiegen wir nun hinab — um den Leckermäulchen ihr Recht zuteil werden zu lassen. Aber der Kuchen war schon alle. Schnurstracks sind wir nach Haus gefahren. Dort winkte guter Bohnenkaffee und eine feste Schnitte. Auf unserem Programm stand nun Kinobesuch: Anneli, die Geschichte einer Familie. Enttäuscht kehrten wir zurück. In seinen besten Stellen und seiner Anlage erinnerte der Film an "Mutterliebe" , reichte aber nicht im entfernten heran und hatte ein paar ganz unmögliche Stellen. Eine Niete. Wie so viele Filme. Wir haben uns noch lange den Kopf zerbrochen über die Gründe des Versagens eines ernst angelegten Filmes und waren also wieder angeregt. Und freuten uns nun auf die Bratkartoffeln und die anschließende Schreibstunde. Der Lichtstreik enttäuschte uns wieder Herzlieb! Wie wirst Du den Sonntag verlebt haben? Ob Du wohl wieder gesund und munter bist? Ich habe Dein oft denken müssen. [Ich] Bin jetzt schon ein paar Tage früh ganz zeitig munter und denke dann Dein. Aber ich merke, daß Du schläfst um diese Zeit. Die dunkelste Woche des Jahres ist angebrochen. Bußtag. Er wurde bei Euch zu Hause schon am Sonntag, also gestern, gehalten. Bei uns ist am Mittwoch abend eine Abendmahlsfeier angesetzt - ich habe mir vorgenommen, sie zu besuchen. Ich nehme Dich mit. Ganz nahe wirst Du mir sein. Und kommenden Sonntag Totensonntag.

Vor einem Jahre verlebten wir ihn zusammen in Barkelsby. Weißt Du es noch? Wir marschierten zur Stadt. Ich habe sie in Erinnerung als eine etwas kühle, unheimliche Stadt. Unheimlich wohl deshalb, weil man des abends immer schleunigst wieder der Batterie zustrebte, um bei Alarm zur Stelle zu sein. Die Unruhe des Alarms geisterte in der Stadt. Wann wird der Frieden wieder über allen Landen liegen einmal? Alle Menschen sehnen ihn herbei — aber mächtiger als dieses Sehnen ist der Haß und der Wille und die Gier nach Macht und Gewinn.

Herzelein! Mußt Dir nun an diesen raschen Zeilen genügen lassen. Die Mittagspause geht zu Ende, gegen ½ 4 Uhr kommt der Postillion und wird den Boten mitnehmen. Heute abend, in ein [p]aar Stunden schon, will ich Deine lieben Hände wieder fassen. Gott im Himmel schütze Dich! Er sei unserem Bund gnädig. Herzlieb! Ich möchte wieder bei Dir sein! Möchte mich sonnen in Deinem lieben Wesen und wärmen in Deiner Herzensgüte und Herzensliebe, möchte ganz daheim sein und mit Dir leben! Ich möchte Dir all meine Liebe und Verehrung zeigen, möchte Dein Herzenschatz sein und Dein Mannerli! Ach Du! Dieser Wunsch ist immer mit mir - er läßt mich nie los - er ist die Brücke in unsre Zukunft, zu Dir! An diesen Wunsch knüpfen sich die liebsten und geheimsten Gedanken. Und ich hege ihn und nähre ihn! Er ist das Köstlichste, das ich mit mir habe in der Fremde. Oh Geliebte! Ganz fest und tief bist Du in mein Herz geschlossen. Ich habe Dich soooooo lieb. Werd mir recht bald wieder gesund! Mein Herzelein! Goldherzelein!

Mein Sonnenschein! Mein Leben! Mein Ein und Alles! Du!!!!!

Ich bin ganz Dein! Ewig Dein [Roland]!

Ich habe Dich sooooooooooooo lieb! Du

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946