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[OBF-411114-001-01]
Briefkorpus

Freitag, den 14. Nov. 1941.

Herzensschätzelein! Mein liebes teures Weib! Meine [Hilde]!

Ausgelernt hat nun der Tag – Eigentum nun noch die wenigen Stunden an diesem Tage – beschränkte Freiheit für ein paar Stunden, Herzlieb! Ich verbringe sie doch am allerliebsten mit Dir! Du! Ach, wenn ich oder wir etwas vorhaben, so ist zuerst der Gedanke: am liebsten wär ich doch jetzt allein mit meinem Herzlieb! Und ich weiß es: so wird es bleiben. Und später wird es dann nur heißen: am liebsten bleib ich doch daheim! Herzlieb! Wenn ich ganz froh sein soll, musst Du dabeisein! Sonst wird mir immer etwas fehlen.

Ein stürmischer Tag war heute. Vom Norden, von den Bergen blies ein kalter Sturm in unsre Bucht und brachte Regenböen mit. Es war der unfreundlichste Tag bisher. Ulkig zu sehen, wie die Griechen dieser veränderten Wetterlage Rechnung trugen. Stiefel, und nun bei den Damen auch Strümpfe, Mäntel, Männer die sich die Mützen und Hüte mit einem Tuch am Kopfe festbanden. Und trotzdem in der Straße etliche rollende Hüte. War aber auch ein heftiger Sturm. Das Licht setzte mehrmals aus, und vorhin saßen wir fast eine Stunde im Dunkeln. Es ist hier alles ein wenig primitiver. Na, die Hauptsorge ist jetzt die warme Stube, und deren sind wir enthoben. Heute ist nun auch der Ofen in der Schreibstube in Schuß gebracht worden. Er zog nicht und qualmte unerträglich. Der Hauptfeldwebel als Bauerssohn liebt auch eine warme Stube. Herzlieb! Da möchte ich Euch und Dich im besonderen gleich ermahnen: Mutter schreibt, daß der neue „Bienenkorb“ eine Menge Strom verbraucht und die Lichtrechnung um ein Bedeutendes erhöht hat. Sieh die paar Mark nicht an! Benutze das Öfchen und spart die Kohlen! Sonst kommt der Tag, an dem ihr mit dem Kohlenvorrat zu Ende seid und gern ein paar Mark mehr zahlen würdet, um nur ein paar Zentner zu erhalten. Was nützt denn alles Geld? Hier heißt es großzügig und vorausschauend denken. Schätzelein, und wenn Du 10 RM von unserem dazu legst, ich o stimme dem voll und ganz zu!!!

Nun will ich von unserem gestrigen Ausmarsch erzählen. Trübe war es, aber warm. Dunkle Wolkenballen hingen über Stadt und mehr und  gaben der sonst übersonnten Mittelmeerstadt einen nördlichen Anstrich. Unser Plan: einmal westwärts, heimatwärts also, über den Bahnhof hinaus zu marschieren. ½ 4 Uhr kamen wir erst weg. Bis zum Bahnhof fuhren wir mit der oberen Straßenbahn. Vor dem Bahnhof stand schon die Menge der Urlauber, auf das Zeichen zum Einsteigen wartend. Wir befanden uns nun in einem ärmlichen Viertel. Keine richtigen Straßen, die Häuser ohne Plan hingesetzt, Wellblechbarracken darunter, schmutzige Kinder davor. Am Stadtrand dann große Gemüsegärtnereien. Viele Menschen, die eingekauft hatten und Fuhrwerke, vollbeladen mit mächtigen, schneeweißen Blumenkohlen und unwahrscheinlich großen Krautköpfen. Bald gelangten wir auf die Belgrader Straße, eine breite, gute Asphaltstraße, ziemlich belebt. Im Auto fahren fast nur die Deutschen. Die Griechen benutzen vierrädrige Wagen oder öfter noch zweirädrige Karren mit hohen Rädern. Bei ihnen geht es auch: Besser schlecht gefahren als gelaufen. Ein paar Omnibusse begegneten uns, die waren ausgenutzt bis auf das Letzte Fleckchen – auf dem Kofferträger auf der Rückwand saßen auch noch zwei Kerle. Wir schauten nun auch aus nach dem Schienenstrang. Über dem Schauen kamen wir unversehens vorwärts ins Freie und nach einigen Kilometern an die erste Haltestelle hinter Saloniki. Nur noch eine Viertelstunde, und der erste der Urlauberzüge mußte eintreffen, ihn wollten wir fahren sehen. Auf dem kleinen Bahnhof herrschte reges Leben. Alle Gleise waren besetzt. Mit Hochdruck arbeitete man an der Erweiterung der Gleisanlagen. Vor dem Bahnhofsgebäude griechische Eisenbahner und deutsche Eisenbahner in grauen Uniformen. Sie überwachen den Verkehr. Mit einem kamen wir ins Gespräch, Weltkriegsteilnehmer aus Schlesien. Nicht lange, so fuhr der Urlauberzug ein – und nach kurzem Aufenthalt setzte er sich heimwärts in Bewegung. Diesmal gehörten wir noch nicht zu den Glücklichen. Aber Kamerad K. zählt schon die Tage – und das Mannerli zählt ganz ganz leise erst schon ein bissel mit. Kurz nach 5 Uhr machten wir uns auf den Heimweg. Es war schon dämmerig, und Regenvorhänge in der Ferne beflügelte[n] unsere Schritte. Zurück mussten wir in unsre Stadt. Was ist das für ein Leben in den halbdunklen Straßen. Beim unmöglichsten Lichte hockten die Handwerker über den letzten Handgriffen. Größere Helligkeit drang nur aus den Friseurläden und Kneipen. Friseurläden gibt es hier die Menge – und Kneipen! Kneipen!! So malerisch wie unappetitlich. Überhaupt vermittelte dieser Einzug in die abendliche Stadt starke Eindrücke von der Romantik dieses Lebens. Aber so kann es nur der unbeteiligte Beschauer sehen. Denn sonst müsste die Armut und Not und Finsternis dieses Lebens ihn bedrücken. Armut, viel Armut kann man sehen! Und wenn man den vielen heimwärts strebenden Menschen folgen würde in ihre Behausung, würde das nackte Elend noch viel eindringlicher sprechen. Man wird angeregt zum Vergleichen. Unsre Städte, die Kleinstädte mit ihren engen Gassen und kleinen Häusern sind Mustersiedlungen und ein Urbild der Heimlichkeit, gemessen an diesen Zuständen. Wieviel anspruchsvoller sind wir in Deutschland – wieviel gediegener ist alles! Noch ein anderes beflügelte unseren Schritt heimwärts: Wir wollten einmal die Röstkastanien probieren, die jetzt in allen Straßen angeboten werden. 20 Drachmen zahlten wir für ein Tütchen, teuer genug schien es uns. Am besten schmeckt die heiß angebrannte Kruste des Kernes. Das Innere ist weich, mehlig und schmeckt ähnlich einer mehligen, süßen Kartoffel. ½ 7 Uhr waren wir zu Haus, freuten uns auf eine warme Stube und ein kräftiges Abendbrot – wir waren ganz schön hungrig geworden. Ziemlich trocken sind wir nach Haus gekommen.

Herzlieb! Heute zeigt sich der November auch bei uns von der rechten Seite. Und was ist das bei euch zu Haus schon für ein Wetter! Ach, wie zu keiner anderen Zeit sehnt man sich dann nach der Traute, Heimlichkeit, Geborgenheit und Wärme des Heimes. Und dazu gehören ja auch die lieben Menschen. Und zu meinem Heim, zu meiner Geborgenheit gehört Deine holde Nähe Geliebte! Du! Du!!! Freust Du dich darauf, daß wir diese Zeit einmal miteinander durchleben, die Zeit, da die Wärme und Helligkeit unsre Liebe nur deutlicher sich abheben von dem Dunkel und der Kälte ringsher [sic]. Oh Geliebte! Wieviel Heimlichkeit wird dann sein! Draußen der Herbststurm, rauschender Regen, fallendes Laub – und drinnen stille Wärme des Ofens – und das vertraute Ticken der Uhr, traulicher Lampenschimmer und der Schlag zweier Herzen – oh Du, so deutlich! So glücklich, so lebenswarm einander zuschlagend! Geliebte, Du! Mein liebes, liebes Weib!!! Sei Gott mit uns! Dann werden wir unsrer Liebe noch oft, oft ganz glücklich innewerden, unsres Einsseins, unsres seligen Alleinseins. Oh Du! Dann sind wir ganz aneinandergewiesen [sic]. Dann wirst Du zu mir kommen mit allen Anliegen Deines Herzens, wirst Dich an mich lehnen und schmiegen – und das Mannerli wird sich ganz glücklich fühlen als Hausvater, und wird als Dein bester Lebenskamerad mit allen Herzensfragen auch zu Dir kommen! Geliebte, Du!!! Ein klein wenig Geduld nur! Während der Dunkelstunde heute Abend stieg die G.er [Ort] Vergangenheit wieder einmal deutlich vor mir auf – ich erzählte Kamerad K. von den Freuden u{n}d Leiden meiner Nebenämter in der damaligen Zeit: Gesangverein, Posaunenchor. Und dankbar erinnerte ich mich doch der glücklichen Stunden, die als Frucht der Arbeit mir zuteil wurden. Und wurde dessen doch recht inne, wie schnell, wie so schnell diese Zeit verschwunden ist – wie diese Jahre schwanden! Herzlieb! So werden wir, will’s Gott auch[,] eines Tages stehen und rückblickend dasselbe empfinden: wie die harte Zeit der Trennung, die uns zuweilen so lange drücke, so schnell entschwand. Und wir werden ihr nicht nachtrauern – wir werden aber auch nicht vergessen, was sie uns bescherte an Güte und Gnade Gottes, an Reichtum der Liebe! Herzallerliebste! Ich will nun schlafen gehen heute abend. Morgen ist Kamerad K. wieder beim Skatabend – und ich bin mit Dir wieder ganz allein! Und darauf freue ich mich! Ganz sehr.

Behüt Dich Gott! Geliebtes Weib! Ich bin Deiner so ganz ganz froh und glücklich!

Ich habe dich sooo sooooooooooooo lieb! Du!! Du bist mein! mein! mein!!! Oh Geliebte! Mein Herzensschatz! Ich bin ganz Dein!

Ewig Dein [Roland]! Du!!!!!
 

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946