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[OBF-411112-002-01]
Briefkorpus

Mittwoch, am 12. November 1941.

Herzensschätzelein! Mein geliebtes, teures Herz! Geliebter Du!!!

So wie abwechselnd Donnerstag und Freitag Dein freier Tag ist, so ist Mittwoch mein unfreier Tag.

Aber ich klage nicht darum; denn der Abend gehört ja noch mir! Und nun ist es Abend und ich setze mich zu Dir, meinem liebsten Gesell! Zu Dir, dem ich alle meine Zeit schenken möchte! Ach, bei Dir bin ich doch am allerliebsten auf Erden! Du!! Du!!! Weißt Du das Herzlieb? Du!!! Ich muß Dich sooo lieb haben, oh!!! Die Eltern sitzen vor'm Ofen, Vater raucht mir und Mutsch von Deinen Zigaretten vor! Und ich soll Dir noch seinen allerherzlichsten Dank bestellen und viele liebe Grüße! Da kannst Dich bei ihm einkratzen, wenn Du ihm zu Rauchen schickst. Eine alte Strickjacke von Mutsch trennen sie auf zusammen, das ist noch gute Wolle und daraus will sie eine neue stricken. Der Vater wickelt feste Garn auf!! Du! Wenn Du nochmal Geld übrig hast und Gelegenheit, dann darfst [Du] mir auch ein bissel Wolle versorgen [sic], daß ich mir eine warme Jacke stricke. Denn meine Pumseljacke wärmt nicht so recht, man merkt doch schon, daß es eben keine Wolle mehr ist. Schreibst mir, daß Du für Dich Sockenwolle gekauft hast! Du!! Das ist fein! Da freue ich mich doch ganz tüchtig!! Nein zu teuer ist sie nicht! Für 6 Paar Socken? Nein, nicht zu teuer. Wieviel Gramm sind es denn im Ganzen? Wiege nur mal nach! Wir rechnen für 1 Paar Socken mit schönen langen Längen 200 g Wolle. Wenn Du nun für 6 Paar 1200 g gekauft hast, dann kriegst Du prima Socken. Die Art wie sie Deine Großmutter strickte, verbraucht etwas weniger Wolle, weil sie die Längen kürzer strickte – ich mag sie aber lieber länger. Du! Ich muß Dich doch wirklich loben, mein liebs' Mannerli, daß Du so brav wirtschaften hilfst! Ich freue mich über Dein Verständnis, das Du meinen hausmütterlichen Wünschen entgegenbringst! Sollst mal sehen, hast gewiß auch Deine Freude daran.

Ja, Wolle ist ein gar kostbares Gut! Ich will Dir nur mal eine Probe mit beilegen von der Wolle, die wir hier nach stundenlangem Suchen kaufen konnten für Vater. Der reinste Bindfaden. Überhaupt keine Elastizität liegt im Faden, die werden schön an Vaters Füßen reiben. Weil er nur noch nicht ganz abgebrannt ist [sic]! Es könnte einem angst [sic] werden vor solchen Socken, denn die wärmen auch nicht.

Besinnst Dich noch auf die Wolle, die Frau H. da hatte? Die ist zu Hemdchen und Höschen stricken ideal. Die hat mir sehr gefallen. Doch für eine Jacke ist die Farbe zu ekel [sic]. Was meinst Du, was mich kleidet? Dunkelblau, rostbraun oder rostrot, kaffeebraun? Sag?

Ich möchte ja am liebsten auch noch Wolle zu einem Pullover für Dich haben! Blau oder weiß. Bin ich zu anspruchsvoll, Herzelein? Weißt, Wolle ist aber auch was sehr schönes.

Daß Du Dich nach Hemdenstoff für Dich umsehen willst, das freut mich besonders, Du!!

Und nun will ich Dir erst mal etwas vom Gelde erzählen.Heute kamen Kontenauszüge aus Sch. Oh! Was habe ich für einen reichen Mann geheiratet!!! Ich komme mir ja richtig arm vor neben Dir! Aber zusammengenommen! Oho!! Da reichts ja für 'ne Weltreise, Herzlieb!!

Also Dein letzter Bestand: 1027,21 RM Es sind dazugekommen 235,59 RM, ob das Dein Gehaltssatz ist? Der langschemelige [sic] S. hat sich wohl auch noch nicht gerührt, was? Ob er unterdessen gestorben ist? Komisch ist das von ihm, glaubst?

Du! Wenn der Krieg noch eine Weile dauert, da werden doch aus uns steinreiche Leute! Gleich 2000 RM sind beisammen. Ach – ich wollte doch ganz arm sein, wenn ich Dich nur bei mir hätte! Du!! Das ist ja mein allergrößter Reichtum! Du!! Du!!!!! Herzelein liebes! Heute kam auch Dein braunes Büchlein an, magst Du es geschickt haben? Ich habe Deine Bücherwünsche durch eine L.er Buchhandlung dem Hanseaten-Verlag in Auftrag gegeben, bis heute ist noch nichts eingegangen. –

Herzlieb! Heute sind es nun 3 Wochen, daß ich mich mit meiner Erkältung herumschleppe, es ist besser geworden, aber noch nicht ganz gut. Die Gehörgänge sind beide verstopft und ich wollte eigentlich heute abend nochmal dämpfen mit Kamillen. Es wird mir aber zu spät, ich möchte nicht gleich aus dem warmen Zimmer gehen darnach. Sonst fühle ich mich wieder wohler im großen und ganzen – es wird alle Tage ein wenig besser werden, bis es eines Tages ganz gut ist. So ein Unkraut wie ich verdirbt nicht so schnell! Die Kinderschar ist mir heute nicht schwer gefallen, ich habe sie streng angefaßt und die Ausbunde einfach am Genick angepackt und rausgesteckt. Ich fackele da nicht sehr lange. 2 waren es, die nicht spuren wollten, sie kamen aber dann und baten mich, wieder mittun zu dürfen, sie wollten artig und fleißig sein.

Gewiß, es ist eine Menge Arbeit an den Laternen, 250 Stücke brauchen wir – für jeden Verwundeten eine – Liederlichkeit lasse ich nicht durchgehen und da verlieren manche die Lust! Aber meine Vorstellung, daß nur diejenigen mit ins Lazarett dürfen, die ordentlich mitbasteln, die zieht schon! Außerdem schrieb ich heute mit ihnen ein Lied auf: Leise rieselt der Schnee... übrigens, höre! Das lautet im Refrain: „freue dich Christkind kommt bald“, so darf ich es den Kindern nicht lernen!! Sondern: „freue dich Weihnacht kommt bald!“ Ist das nicht toll? Ich war platt, glaubst? Ist denn das gegen die nationalsozialistische Erziehung, wenn ich vom Christkind erzähle und singe?

Ich werde nun aber gerade mit Vorliebe solche Weihnachtsgeschichten erzählen, wo all das zur Sprache kommt. Sollen sie getrost mal ihren Eltern und Lehrern erzählen, was ihnen ihre Kinderschartante vorliest.

Schon im kleinen spüre ich die Fesseln, die ‚man‘ den Lehrkräften allenthalben auferlegt – nun ermesse ich um so mehr, wie es Dir, als Erzieher unsrer Jugend zumute sein muß unter diesem Zwange.

Na, nur den Bogen nicht allzu straff spannen, er kann auch leicht einmal zerreißen!

Rückblickend sprach ich noch vom 9. November und seiner Bedeutung. Das ist das richtige Thema, weißt? Politische Schulung. So soll es sein. In dem Sinne lauten auch die vorgedruckten Fragen auf dem Scharbericht, den ich monatlich ausfüllen und nach Chemnitz einsenden muß. Ich will mich hier nicht näher aussprechen. Du!

Heute kamen nun wieder 2 liebe Boten an, vom Mittwoch und Donnerstag. Herzlieb mein! Sei tausendmal lieb bedankt für all Deine Beweise Deiner treuen Liebe! Ich habe mich so sehr gefreut über Deine lieben Boten, Du!! Es ist mir doch manchmal so, als stündest Du vor mir und sprächest zu mir – so ganz nahe und vertraut bist Du mir in Deinen Worten, Du!! Ach Du! Daß Du mein täglich so lieb denkst, das ist sooo lieb von Dir, das erfreut und beglückt mich ja soo sehr, Geliebter! Du! Behalte mich so lieb!

Du! Hast wieder so vieles angeschnitten in Deinen beiden Boten. Und alles zu beantworten reicht der Abend garnicht aus. Ich will nur noch kurz mich zu dem äußern, was Du da über die Treue gelesen hast beim Zahnarzt. Weißt, was sie da im „Schwarzen Korps“ schreiben, das soll die Tatsache bemänteln. Sieh doch mal um Dich: Wo ist noch Treue! Treue im Sinne des Wortes! Ich habe es am Sonnabend wieder im Schweizerhaus gesehen, wie es in Wirklichkeit aussieht. Die Verwundeten aus dem Lazarett, es waren vielleicht 30 anwesend. Sie saßen mit Mädchen und Frauen, jungverheirateten zusammen, die überhaupt nicht die Schwesterntracht trugen; denn nur so, aus dem Grunde hätte ich Verständnis für eine solche Art der Vertraulichkeit. Und wie sie zusammensaßen, da konnte man eher von Zusammenhocken sprechen. Eine Schwester, ich kenne sie gut, sie ist verlobt: Elfriede R., eine blonde, sie war mal in unsrer Apotheke, weißt? So ein Pommerle ist's. Saß auch in unsrer Nähe neben einem solchen Kerl; denn so muß ich die Männer nennen, der den Ring trug und seinen Arm um sie legte, während den [sic] Darbietungen, als müßte es so sein. Glaubst, wenn man das beobachtet – kein Abstand, keine Konsequenz, keine Hemmungen, nichts kennen diese Kerle von alledem! Schändlich. Und die Mädchen und Frauen haben auch kein Schamgefühl mehr im Leibe. Sitzt doch am Nachbartisch eine frühere Kollegin von mir mit ihrem Soldat, sie ist ein Jahr verheiratet nun. Und ich begrüße sie, als ich kam und frage so nebenbei ob wohl ihr Mann vom Osten her auf Urlaub da sei. Verlegenes Schweigen – sie sehen einander an – da bricht der Soldat in helles Lachen aus und sagt im Wiener Dialekt, daß er garnicht der Herr Gemahl sei!

Ich muß wohl kein sehr geistreiches Gesicht gezogen haben, weil mich Gerda, so heißt die Bekannte, bei der Hand nahm und mir ungefähr in dem Sinne antwortete. Ich würde das gewiß nicht verstehen, so wie sie mich kennen würde; doch was sei schon dabei, wenn sie durch einen zufälligen Besuch im Lazarett dem Herrn da begegnet wäre, der ihrem eignen Manne wie aus dem Gesicht geschnitten sei und auf seine freundliche Einladung hin sei sie eben mit zum Konzert gegangen.

Ich frage sie: Wenn dich nun noch andere Leute hier sehen? „Nun, denen mache ich weis, daß mein Mann kurz auf Urlaub da ist!“ Ich konnte mich kaum beruhigen an dem Abend über soviel Frechheit und Kaltblütigkeit!

Also, das war nur mal ein Ausschnitt von einer Geselligkeit, wo man durchschnittlich gewählteres Publikum findet; denn für die Kunst ist nicht jeder beliebige Mensch. Nun frage ich mich: was mag bloß in den Lokalen beisammen sitzen wo billigere Vergnügungen geboten werden? Mir graust, wenn ich dran denke! Es ist zu schlimm mit der Haltlosigkeit in dieser Welt. Man kommt sich vor wie eine Fremde, wie eine von einer anderen Welt, wenn man das so miterlebt.

Nun schreiben die Leutchen da: die Ehen, die so zu Bruch gehen, um die ist es nicht schade im Grunde; denn sie seien nicht viel wert gewesen. Gewiß daran ist manches Wahre. Erschreckend dann, wieviele Ehen nichts wert sein sollen! So empfindest auch Du!

Das größte Unrecht an allem ist, daß die Menschenkinder so oft, oft ohne jegliche Überlegung und Prüfung zusammenlaufen, ihre Gemeinschaft zumeist auf ganz falschen Grundsätzen aufbauen und dann so, früher oder später in Konflikte geraten. Weil es eben nicht Liebe ist, was sie verbindet und aneinander kettet! Wahre Herzensliebe, die will ausschließlich allein bestehen – sie duldet nichts neben sich! Du!! Ach Liebster! Liebster! Du! Wir können doch nie und nimmer begreifen, wie man sich untreu werden kann! Du! Was uns bindet, uns zusammenschließt, das ist mit solch schmutzigen Elementen garnicht in Vergleich zu bringen. Das ist zu grundverschieden. Geliebter! Ich muß nur immer wieder fühlen, wie mir alles Blut heiß zum Herzen strömt, denke ich Dein, bei einem solchen Erleben – was habe ich in Dir gefunden! Welch köstlichen, unwiederbringlichen Schatz! Geliebter! Nie könnten wir unseren Bund und unsere Liebe verraten! Nie!! Nie!! Wir müßten denn unser Herz herausreißen! Geliebter! Wir gehören einander vor den Menschen, wie vor Gott! Im Leben und in Ewigkeit – ich bin Deine [Hilde].

Du!! Du!!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946