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[OBF-411112-001-01]
Briefkorpus

[Saloniki] Dienstag, den 11. Nov. 1941

Herzallerliebste! Mein liebes, teures Weib!

Jetzt schläfst Du aber gewiß noch. Und das Mannerli ist schon munter. Eigentlich ist also schon Mittwoch. Gestern abend, ½ 9 Uhr war es, überkam mich die Müdigkeit und ich streckte mich eben lang zu einem halben Stündchen. Aber die Müdigkeit war nur größer geworden – und so haben wir (K. erging es ebenso) ihr nachgegeben. Es mag zu warm geworden sein in unserm Stübel vom Kartoffelbraten. Heut früh ist das Mannerli nun freilich munter – und nun hat es sich ganz leis angezogen und hinübergestohlen in die Schreibstube. Wirst vielleicht denken, es hätte mal richtig ausschlafen sollen. Ach Du! Ich bin doch schon ganz munter – und nun läßt es mir keine Ruhe – Mein Schätzelein muß seinen Boten haben – und wenn ich im Bettlein geblieben wäre, hätte ich doch auch nur mit ihm geredet. Ach Herzelein, so wie Dir, drängt es mir den Halter in die Hand, mit Dir zu plaudern, und wenn es ganz Bedeutungsloses ist, – ach Schätzelein – jeden Tag muß ich Dich ein wenig festhalten – ich kann nicht mehr anders.

Ich weiß heute auch garnichts Besonderes zu schreiben und erzähl Dir eben gleich mal etwas von meiner augenblicklichen Umgebung, der Schreibstube. Mal sehen, ob sich nicht ein paar Verbindungen ziehen lassen von diesen trockenen Dingen zu meinem Herzlieb. Ich weiß schon eine. Wenn Du jetzt hierher trätest, gäb es erst mal ein Donnerwetter, weil es so liederlich und bunt aussieht auf den beiden großen Tafeln. Ein wenig ordentlicher könnte es aussehen. Wie der Herre, so’s Gescherre. Aber das ist keine Entschuldigung für Dein Mannerli, und wenn es hundertmal zum Gescherre zählt. Unsre Arbeit und Tätigkeit ist so bunt. Es geht so viel durcheinander. Und dazu war es gestern abend punkt 7 Uhr – und der Raum wurde ob dieser Pünktlichkeit fluchtartig verlassen.

Was da nun so an dürren Schreibgeräten herumliegt? Bleistift und Feder, Lineale, Löscher, Locher, Hefter, Leim, Stempel, rote Tinte, schwarze Tinte, Stempelkissen, Radiergummi. Es ist eine trockene Gesellschaft. Aber vereint mit den Blättern im Aktenschranke vermögen sie doch mancherlei in Bewegung zu setzen – und sei es auch mal nur Ärger und Wut und Verdrießlichkeit. Das klapprige Ding da drüben sieht ganz böse her, weil ich es Dir nicht vorgestellt habe – ist ohnehin nicht mein Freund, weil ich lieber zu Tint[e] und Feder greife: die Schreibmaschine, das Trockenklavier. Nein, die Boten könnt ich daran nie und nimmer schreiben, an diesem Hackmesser der Worte und Gedanken. Solch große und kleine Buchstaben, wie wir beide manchmal brauchen, hat sie ja auch gar nicht. Und weil sie gar so ungläubig herüberschaut – und weil ich doch so großes Verlangen habe – Herzelein, weil ich mich so sehne – ich muß Dich erst mal ganz lieb küssen – Du!!! Du!!!!! Ich habe Dich sooo lieb!  Sooooooo von Herzen lieb! Sooooooooooooo lieb! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!!

Nun wird sie es wohl glauben, daß sie mir nicht helfen kann. Da liegen um mich her viele Mappen. Von der einen sag ich ganz zuletzt. Ist auch die Strafmappe dabei. Hu, die ist schon dick voll. Aber Dein Mannerli läßt sich hier nicht einsperren. Nur daheim, bei seinem Herzelein – in den Keller, wenn es nicht gefolgt hat. Du! Da stehen feine Sachen! – in die Speisekammer, noch feinere – ich weiß noch ein Gefängnis, gibt es nicht mal Wasser und Brot, und finster ist’s, aber ganz ganz süß, Du!!!!! Gibt es nur ganz süße Kussel – möchte mein Leckermäulchen wohl gern dabei sein!!! –

Steht auf dem Tisch ein Kasten. Sind alle Soldaten drin. Dein Mannerli auch. Hat da eine Nummer, die Du noch gar nicht kennst: 0.[...]MS. Das ist die Stammrollennummer. O. = Osten. MS kann ich Dir selber nicht recht deuten. Weiß nur, daß es Kennziffern für Reservisten sind. Zu meiner Rechten liegt die Kompanieliste. Steht auch mein Herzlieb drin. In dem Kasten übrigens auch. Ja, Herzelein – sie wissen es überall, daß wir zusammen gehören. Weißt Du noch den Zettel, auf dem Du meinen Namen probiert hast? Backfischlein, liebes süßes Du! Mein Backfischlein! Du! Was krieg ich denn für meine Unart jetzt? Ich freu mich doch schon so – Kussel oder Klaps –Du mußt ja dann dabei sein – und dann ist beides süß, ganz ganz süß, Du!!!

Ja, und seitdem sind sie schon so oft zusammen geschrieben worden, von Leuten selbst, die es gar nichts angeht. Sie wissen es alle. Aber sie wissen nicht! Wie glücklich wir sind, Du!!! Du!!!!! Eh zwei zusammenlaufen, da ist ein Spektakeln und Aufsehen und Tuscheln und Gerüchtemachen – wenn sie sich dann haben, kümmert sich keiner mehr so angelegentlich darum. Wollten mir doch auch mein Feinslieb abspenstig machen, die Gerüchtemacher und Neider. Aber das Mannerli hat sich kaum beeindrucken lassen von dem Geschwätz.

An der Wand hängt eine Tafel mit vielen Kästchen. Hat das Mannerli Karten geschrieben, für jeden Soldaten eine. Die lassen sich nun geduldig rangieren. Aber jeder Bewegung hier entspricht eine mehr oder minder folgenschwere in Person. Steckt auch Dein Mannerli an der Tafel. [Nordhoff] X. Die X bezeichnet die Laufbahn. Und auf eine violette Karte ist sein Name geschrieben, bedeutet, daß er noch zu den Mannschaften gehört.

Und Dein Mannerli schaut gar nicht nach den Rängen hier – will nur bei seinem Herzlieb gelten und recht, recht bald wieder bei ihm sein. Wieder ist gar nicht ganz richtig gesagt. Zum ersten Male sind wir ja dann für ganz umeinander – zum ersten Male, Du!!! Oh Du, Du!!! Wohin sollen wir dann mit aller Freude? Du!!! Wenn Gott und diesen Tag und diese Zeit erleben läßt der Heimkehr – – –

Die Pfeife schrillt. Wecken. Der Soldatentag beginnt. Ach, er hat in diesen Räumen, in diesem Gebäude allen grauen, kalten Schrecken verloren. Es ist noch besser als in der Zeit, da wir im Internat in Bautzen lebten. Oh, nun brennt das Licht gleich viel schwächer, weil so viele sich dranhängen. Gleich wird K. staunen, daß ich schon ausgeflogen bin.

Ja, nun will ich noch schnell etwas sagen von der Mappe zur Linken. Steht drauf – ziemlich groß geschrieben – Urlaub, ist eine Mappe von tiefhimmmelblauer Farbe. Ob das Mannerli bald wieder dran ist? Ein wenig Geduld noch, Herzensschätzelein. Ach, ich bin doch genauso geduldig und undgeduldig wie Du, wenn es um den Urlaub geht. Ein Monat noch, dann fährt der Spieß – na, vielleicht fällt bis dahin noch ein Wort – ich sag es meinem Herzlieb gleich weiter! – Kamerad K. hat seinen Weihnachtsurlaub so gut wie sicher.

Diese Woche noch, denken wir, wird Kamerad H. aus der Heimat zurückkehren.

So, Herzelein! Jetzt bin ich beruhigt. Hast denn meinen Boten angehört bis zum Schluß? Ach Du! Er meint es genau so lieb wie alle anderen. Schätzelein! Meine Liebe zu Dir ist so lebendig! Ich weiß nicht, wie groß sie ist, aber alle Liebe, die ich nur habe – sie gilt Dir! Sie drängt zu Dir! zu Dir!!! Und diese Liebe zieht die besten Kräfte aus meinem Wesen. Sie kann nicht verlöschen – es kann sie mir niemand ausreißen. Und aus dieser Liebe kommt mir aller Mut, Glaube, Freude und Sonnenschein. Oh Herzelein! Du! Du!! Du hast sie angezündet – Du nährst sie – unsichtbar und doch immer gegenwärtig, mir ganz nahe, am allernächsten, tief drin im Herzen!

Gott segne unsre Liebe! Er sei mit Dir auf allen Wegen und schenke Dir recht bald[,] bald wieder volle Gesundheit. Und der lieben Mutsch auch. Und den Vater erhalte er froh u. gesund. Ich habe sie doch alle zusammen recht lieb!

Du aber! Dich aber!! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Geliebte! Geliebte!!! Meine [Hilde]! Herzlieb mein! Geliebte! Mein liebes, liebes Weib! Ich habe Dich so lieb! Sooooooooooooo lieb! Du!!!

Weißt, wo ich am liebsten wär‘? – Dein! Dein!!! Dein [Roland]

[Hilde] und [Roland Nordhoff]. [Nordhoff] ist das Dach, unter dem sie beide wohnen. Oh Schätzelein! Bist zu mir gekommen! Bist mein! Mein!!! Ich bin so glücklich!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946