[Saloniki] Donnerstag, am 6. Nov. 1941
Mein liebes, teures Herz! Schätzelein! Geliebte!!!
Kein geschriebener Bote ist gekommen heute, aber ein and[e]rer ganz lieber, Du!! Dein Päckchen ist schon da mit den Schmätzeln! Du! Weißt, wie gut sie geschmeckt haben, wie süß sie waren? – daß ich sie alle auf einmal gegessen hab[‘] – bis ich den lieben lieben Kartengruß fand. Ich wußte doch, daß ein liebes Wort dabeilag – oh Geliebte! Herzelein – nun schmecken sie doch erst noch einmal so süß – Schätzelein – von Deinen Augen kommt mir aller Sonnenschein – und von Deinen Lippen alle Seligkeit – Du! Du!!! Ich liebe Dich! Du!!! Und Du hast mich so lieb! Schätzelein! Laß Dir danken, Du! Du sagtest es in einem Deiner letzten Boten, wieviel Freude es macht, ein Päckchen aus der Fremde zu empfangen. Aber eines aus der Heimat, eines von Dir, Du!!! – das kann ich doch kaum sagen, was ich da empfinde – Du! Liebe! Liebe über alle Ferne! Edle, treue Liebe! Heimat! Traute Heimat! Du! Geborgenheit! Oh Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Ich bin nicht allein auf der großen, weiten, kalten Welt – ich bin nicht verlassen in aller Ferne – ich habe eine Heimat, eine Zukunft, – Dein Herz! Dein Herz, Geliebte! Dein warmes, liebes, treues Herz! Ich habe eine Hoffnung! Ein Ziel!. [sic] Oh Herzelein! In dieser Empfindung ist Jubel, und ist innige Freude, ist ein tiefes Aufatmen – Du! Du!!! Daheim, bei Dir!!!
Oh Herzlieb! So sollst auch Du empfinden und wissen, daß ich Dir Heimat, Geborgenheit sein will! Daß Du an mir Dein liebstes Geschwister finden sollst! Den Gefährten dieses Lebens, dieses bunten, rätselvollen, und doch bei Gott beschlossenen Lebens! Oh Du! Du!! Möchte ich Dir doch bald zurufen können: Ich komme, ich komme!
Herzlieb! Es ist schon spät, daß ich schreibe heute. Und Du Goldherzelein liegst schon in Schlafes Armen. Du! Du!!! Ich möcht[’] doch gern wieder einmal dieser Schlaf sein! Ach nein, Herzelein! Ich möcht[’] Dir sagen, wie lieb ich Dich habe – und möchte Dich ganz tief beglücken! Ach nein, Herzelein! Ich möcht[’] Dich ganz, ganz lieb haben! Möchte Dir ganz nahe sein – ganz eins sein mit Dir! Ganz eins sein! Oh Geliebte, Du!!!
Warum es so spät wurde? Wir hatten heute unseren freien Tag. Am Nachmittag habe ich ein Stündchen geschrieben an Hellmuth, und habe seinen Brief mit zu einem Brief an die K.er Eltern gesteckt, daß sie ihn richtig weiterleiten. Für Dich aber hatte ich ein Stündchen am Abend vorgemerkt, wenn es ganz still ist. Und still ist es jetzt. Nur dann und wann noch ein paar Schritte. Sonst nur das Kr[atz]en der Feder und das Klatschen und Rauschen des Meeres. Es ist in der Zeit des vollen Mondes unruhiger als sonst. Gegen ½ 6 Uhr, es wurde schon dämmrig, sind wir zu einem Bummel nach der Zitadelle aufgebrochen. Unwahrscheinlich weiß und leuchtend standen der runde Turm mit der Mauer vor uns. Und von oben überschauten wir die Stadt, die Bucht. Stadt in der Dämmerung. Die Nacht hüllt in ihre Schleier tausende von Schicksalen. Ach, was ist unser Menschenleben ein hartes, mühseliges Ringen und Kämpfen – in der Niederung! Wieviel Armut, wieviel Not„ [sic] Kummer, wieviel erbarmungswürdiger, blinder Drang„ [sic] wieviel Seufzer, [sic] liegen da zu unseren Füßen! Welch[‘] hohe, göttliche Majestät ist die Sonne, die über diesem Gewimmel auf- und niedergeht – welch[‘] Majestät die hohen Sterne, die darüber stehen! Und welch[‘] hohe, göttliche Gnade ist die Liebe Gottes, die sich des Menschen erbarmte, erbarmte ihres blinden Drängens, ihres Irregehens, ihres Aufschreis nach einem hohen, lichten Ziel! Oh, daß wir sie alle recht fest hielten, diese Gnade Gottes! Wir haben ein Ziel – unser Leben hat einen Sinn – es ist erhöht durch Gottes Liebe und Gnade!
Schätzelein! Ich mußte heim denken. Einmal, als Schüler, standen wir so über der dämmernden Stadt, Dresden, die Glocken läuteten, die Mahner und Rufer, und ihr Schall übertönte das Lärmen der Stadt symbolhaft: eins ist not [sic]! eins ist wichtig! eins ist Trost! Und so im Dämmern sind wir auch schon miteinander vom Berge gekommen. Und drunten, im Gewimmel der Häuser wußten wir eines, unser Nest – Heimat, Geborgenheit!
- Und nun ging’s zum Varieté. Es war uns als hervorragend empfohlen. Die Organisation K.d.F[.] hat ein griechisches Theater mit Beschlag belegt – und darin wird Tag um Tag gespielt. Fast aller [sic] acht Tage wechseln Programm und Truppe. Der Eintritt ist frei. Wenn man aber einen guten Platz haben will, muß man ½ 7 Uhr da sein – ½ 8 Uhr geht’s erst los. Ein[en] guten Platz hatten wir. Bis zum Beginn füllen sich das Theater in Rang und Parkett, zusammen etwa 1000 Plätze. Das Programm brachte wirklich Hervorragendes. Ich hatte die meiste Freude an einem Grotesktänzerpaar (Junik [sic: vielleicht bezieht er sich auf einen Tanz oder Tänzer aus der Stadt Junik in Albanien]). Mittelalterlicher Bauerntanz, Hamburger Zimmerleute, Stelldichein – das war beste Tanzkunst. Weißt! Richtig Lust zum Mittun bekam man. Und ich vermeinte zu sehen, wie die beiden selber auch Freude daranhatten [sic]. Und ich mußte überhaupt nachdenken darüber, wie die Kunst allenthalben das Lebensgefühl steigert – zu erhöhtem Bewußtsein bringt – wie sie den Schmerz vertieft, die Lust erhöht, wie sie alle Empfindung steigert und damit unser Erleben. Und unter den Künsten die Krone gebührt wohl darin die Musik.
Was wir noch sahen? Akrobaten. Ein paar Jongleure: Spiel mit 7 Ringen! Einen Leiterkünstler: Stieg an freistehenden Leitern auf und nieder. 5 Kunstfahrerinnen: Kunststücke auf dem Fahrrad – ich mußte an Dich denken – auf Hochrädern. Eine Tanzgruppe noch. Das alles in flottem Nacheinander war eine gute Unterhaltung. Ich habe nicht bereut, daß ich mitging. Von guten Dingen gehen doch immer auch gute Anregungen, Impulse aus, und das ist, was über die Güte einer Darbietung entscheidet.
Nun sind wir wieder zu Haus. Ein Südwestwind ist aufgekommen, es ist ziemlich selten, liegt genau vor uns[e]rer Tür und bläst durch unser Lokal. Ich habe gleich das Öfchen auf den Eindringling gehetzt – frieren werden wir also nicht.
Und mein Schätzelein? Ich wüßt[’] doch gern, ob es ihm wieder besser geht! Morgen werde ich es erfahren, vielleicht!
Ach Herzlieb! Du!!! Könnt[‘] ich doch bei Dir sein! Ganz brav sein müßt[’] ich ja heut[’], ich weiß, aber ich wollt[’] es doch auch. Ach Du! Möcht[’] nur das böse Hälslein küssen! Möcht[’] gleich ein bissel mit Dir krank sein und Dir ein paar Schmerzen abnehmen, Du!
Schätzelein! Nun will ich heute schlafen geh[e]n. [Ich] Will mein Gebet sprechen – und Dich einschließen darin – und dann noch lieb Dein denken – ach – ich schlaf[‘] ja so schnell ein jetzt immer. Aber vor[‘]m Aufstehen, da bin ich munter, da denk[‘] ich Dein umso lieber! Schätzelein! Geliebte Du!
Gott behüte Dich mir! Er sei mit Dir auf allen Wegen und schenke Dir Frohsein und Gesundheit.
Halt[‘] Dich gut! Geliebtes Herz! Halt Dich fein warm! Und wenn Du frierst – denk[‘] an die Wärme uns[e]rer Liebe – an die Glut uns[e]rer Liebe Herzen in unseren seligsten Stunden! Oh Herzlieb! Denk[‘] daran, daß ich mich sehne nach Dir, mich sehne, Dir heimzukehren, Dir alles Glück zu bri[ng]en! Denk[‘] daran, daß Dir mein Herze offen steht. Denk daran – daß ich Dich liebe, sooo sehr! Daß ich Dich festhalten muß! ganz fest! Daß Du mir bleiben mußt – mein Herzschlag, mein Sonnenschein! Mein Leben! Du! Du!!
Oh Herzlieb! Ich will Dir heimkehren – und Du wartest mein! Du! Du!! Mein liebes Lieb, mein Weib – und ich Dein Mannerli – das glücklichste auf dieser Welt!
Ich küsse Dich – Du!!! – herzinniglich!
Ich liebe Dich! Ich liebe Dich! Du! Meine [Hilde]!
Ich bleibe ganz Dein, ewig Dein [Roland]
Viel liebe Grüße an die Eltern!