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[OBF-411105-002-01]
Briefkorpus

Mittwoch, am 5. November 1941.

Herzensschätzelein! Mein geliebter, guter [Roland]! Du!!!!!

Mittagsstunde ist, die Uhr geht auf 2. Ich bin allein. Vater ging eben wieder zu Bett, zum zweiten Male! Und die Mutsch ist bei ihrer Arbeit, es geht ihr sonst gut. Eigentlich müßte ich mich nun heute vorbereiten, wie an anderen Mittwochnachmittagen, für die Kinderschar. Aber ich halte heute keine. Mir ist nicht gut. Der Kopf schmerzt und ein schlimmer Husten quält mich, andauernd muß ich dem Schnupfen zuleibe gehn. Ich bin doch froh, daß es so ist; denn nun löst sich die ganze Erkältung von innen her ab. Es wird nicht mehr lange dauern und ich bin wieder mopsfidel!

Ich schickte die Mutsch gestern mal zu Lore G., daß ihr Mann möge den Jungen Bescheid sagen, heute fiele die Schar aus. Denkst Du denn, sie hat es angenommen? „Mein Mann ist jetzt garnicht da, die Frau L. mag es nur regeln“ So hat die Frau L. die Frauenschaftsleiterin benachrichtigt, die auch z.Z. Lehrerin ist drüben in der Pestalozzi-Schule und die muß es nun verkünden! Ich war richtig empört, als ich das hörte von Mutter! Als ob das Lores Mann nicht ebenso gut hätte tun können, wo sie selbst noch als Scharleiterin geführt wird! Nur immer einem Haufen Umstände drum herum. Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich selbst gegangen und hätte Lore als meine Scharleiterin einfach übergangen. Sie hat Mutter wieder die Ohren vollgesäuselt, sie wäre am Freitag bald gestorben, so starke Herzanfälle hätte sie gehabt und ihr Mann habe sie die Treppe hinaufgetragen müssen, als sie beide von der Stadt kamen. Als Mutsch den Grund meines Fernbleibens von der Kinderschar ihr sagen wollte, sie sie [sic] überhaupt nicht drauf eingegangen. Also: nur ihre Angelegenheit ist maßgebend – sie könne mindestens ½ Jahr jetzt überhaupt nicht mehr Schar abhalten. Nun mag sie mir bloß den ganzen Krempel herausgeben, der zur Übernahme dieses Postens gehört, daß ich garnichts mehr mit ihr zu tun habe und unabhängig bin in meiner Arbeit mit den Kindern. Jedesmal erst hinrennen und mich bevormunden lassen – kommt nicht mehr in Frage. Entweder bin ich jetzt ihre Vertreterin oder mag es machen, wer will.

Mir scheint, die Frau ist im höchsten Grade gemütskrank. Herr G. geht ganz geknickt einher, er wird es auch satt haben mit ihr. Es ist ihm doch überhaupt keine Gelegenheit gegeben, sich ihr innerlich zu nähern, sie zu verstehen suchen; andauernd hat sie von ihrer Verwandtschaft eins da. Jetzt eine Schwester – auf 4 Wochen! An Herrn G.s Stelle würde ich aber hier mal einen energischen Punkt machen! Soll sich so ein Mann wohlfühlen zuhaus, wenn immer Fremde da sind? Zwischen den beiden Eheleuten muß ja die Schranke so ständig bleiben, wenn sie garnicht auf sich allein angewiesen sind. Ich begreife die beiden nicht. Sie sind ja tatsächlich nun alt genug und verständig genug.

Herzallerliebster mein! Heute ist so recht ein Tag zum drinsitzen und feiern. Alles draußen ist in Weiß gehüllt, dicker Nebel nimmt jede Sicht. Kaum die gegenüberliegende Häuserreihe erkennt man. Ich traue mich garnicht hinaus, die Luft reizt einenm mächtig zum Husten. Und ich brauche heute auch nicht hinaus. Der Vater besorgt mir die Wege. Am Vormittag trennte ich neben meiner Hausarbeit eine zu klein gewordene Strickjacke von mir auf. Ich muß eine warme Weste haben, wenn ich so dasitze. Ich habe schon zu stricken begonnen! Bald hoffe ich damit fertig zu sein. Mutter will heute die Sofadecke aus meinem alten Kamelhaarmantel mit mir zusammenbauen, weil ihr Auftrag auf eine neue abgelehnt wurde. So suchen wir nun immer so umher, wo sich aus altem etwas Neues machen läßt. Dein lieber Rat von wegen der kurzen Strümpfe, die ich mit alten verlängern soll, kam mir auch schon in den Sinn. Ich werde mal die passende Farbe heraussuchen dazu. Kaufe auf keinen Fall solche teure Strümpfe! Das ist ja Wahnsinn!!! Ich schone meine guten. Ich komme hin! Hörst Du?!

Überhaupt, wo Du siehst, hier treibt man Wucher, da lasse die Finger davon, daß Du das Geld so umsonst hinauswirfst ist zwecklos. Kaufe nur Erreichbares! Wir werden wohl nicht umkommen hier drin! Andre Leute haben auch nicht von allem! Und mir ist ja die Hauptsache, Du bleibst mir! Und Du bleibst mir gesund! Herzallerliebster mein!

Schreibst mir von Deiner Zahnarztbehandlung. Recht so, mein Sohn, daß Du gehst! An Dir könnte ich mir ein Beispiel nehmen! Ich graule mich so sehr!!! Mir tut auch noch kein Zahn weh – aber dann ist's auch schon reichlich spät, wenn man Schmerzen hat. Mal sehen, ob ich dies Jahr noch den Mut aufbringe zu gehen. Liebster! Und nun steht auch noch in Deinem lieben Freitagsbrief, was ich Dir nun auch mitteilte! Just an dem Freitag, da Du mir von Hellmuth's Glück schriebst, erzählte mir Deine Mama alles. Dir erzählte sie es schon eher im Briefe! Nun hat sich unsre dankbare Mitfreude an Hellmuth's Glück richtig gekreuzt! Elfriede wird nun viel zu erzählen haben, sie ist sicher am Montag früh zurück von Hellmuth. Und ich bin schon ungeduldig, auch von ihm und seinem Ergehen zu hören.

Geliebter! Es erfüllt mich wie Dich mit so dankbarer Freude für die beiden! Dankbar erfüllt es mein Herz gegen Gott, der alles zu unserem Besten wendet – wenn alles am Dunkelsten scheint, dann ist seine Hilfe am nächsten.

Geliebter [Roland]! Ich bin so froh und dankerfüllt mit Dir, daß wir Gott über uns wissen – keinen ungewissen, unbestimmten Gott, sondern Gott, den gnädigen Vater! Du!! Er wird auch uns beistehen! Er wird uns gnädig durchhelfen, durch die harte Zeit des Wartens und des Getrenntseins. Geliebter! Wir sind seiner Gnade schon in so reichem Maße teilhaftig geworden! Wir wollen froh gewiß ihm alles anvertrauen, unser Leben, unsre Liebe, und uns[e]re lieben Anverwandten alle. Du sagst es: „Ich und mein Haus, wir wollen den Herrn dienen!“

Ach Herzlieb! Ich hab so große Sehnsucht nach Dir! Ganz still möchte ich neben Dir sitzen, meinen Kopf an Dich lehnen, Dich fühlen – ganz nahe – so ganz wirklichkeitsnahe, Du!! Ganz still wollt' ich sein – nur spüren wollte ich, daß Du bei mir bist, Du!!! Du! Meine Geborgenheit, meine Heimat! Oh Du!!! Herzelein! Du sagst mir in Deinen lieben Boten all, wie sooo lieb Du mich hast – wie ich so ganz die Deine bin – wie all Dein Vertrauen mir gehört – oh Du! Geliebter!!! Dein Herz steht mir allzeit offen, Du!! Ich darf zu Dir kommen, mit allem, was mich bewegt! Du! Ich danke Dir mein Geliebter! Mit all meiner endlosen Liebe und Treue will ich Dir danken, Du!! Ach Herzelein! Du sagst es mir: „das Leben an Deiner Seite ist mir liebste Wirklichkeit. Ich glaube an Deine Liebe, die wundersam und geheimnistief, Dich unser Glück finden ließ, die uns Seelengeschwister einander zuführte und erkennen ließ.“ Oh Du! Ich weiß und fühle wie glücklich und selig und stolz Du bist, meine erste und reine Liebe zu besitzen! Geliebter!! Du!!! Ich bin so überglücklich, daß ich mich Dir schenken konnte mit dem Höchsten, was ich habe! Und so ausschließlich und ganz will ich Dir immer gehören, immer! Mein Lebenlang [sic]! All meine Liebe strömt zu Dir – nimmer kann ich zurück! Vor Gottes Thron legten wir die Hände ineinander, Herzlieb! damit leisteten wir ein Eid, den Du und ich niemals brechen können, der uns ganz aneinander weist und auf den heiligen Bezirk der Ehe. Herzlieb! Dieser Eid aber ist nur Ausdruck unsrer heiligen Entschlossenheit, miteinanderzugehen bis in den Tod, Entschlossenheit, die aus uns[e]rer großen Liebe wächst. Geliebter! Ich schenkte Dir mein ganzes Vertrauen, Du führtest mich – ich folgte Dir.  Bleib Dir immer zu Seite mit meiner ganzen Liebe – und Liebe drängte mich immer auf's neue, Dich zu beschenken, Dich zu beglücken, oh Herzlieb! Ich fühle es so gewiß in mir: so wird es immer sein! Du!!! Ich bin Dein! Dein mein ganzes Lebenlang [sic]!

Schätzelein, liebes! Ich bin so selig froh, so müde – ach, wärest Du bei mir, ich wollte an Deinem Herzen einschlafen, mich ganz gesund schlafen. Du!!

Ich möchte noch lange mit Dir plaudern, Herzelein, aber ich kann jetzt nicht mehr. Ich bin auf einmal so schwach und so müde. Ich will mich ein Weilchen hinlegen und ausruhen. Du!! Bitte, bitte sei mir nicht böse! Du!! Morgen bin ich gewiß schon wieder ganz kräftig, es ist vielleicht ein klein wenig Fieber in mir. Du! Sorge Dich aber nicht! Herzlein! Ich werde gesund! Für Dich! Für Dich! Der Herrgott behüte mir Dich! Du mein Ein mein Alles! Ich liebe Dich so herzinniglich! Mein [Roland]!

Gib mir Deine liebe Hand, Du!! Ich bin so gerne bei Dir, bei Dir!

Du!! Deine [Hilde], Dein!!!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946