[Saloniki] Sonnabend, den 18. Oktober 1941
Mein liebes, teures Herz! Herzensschätzelein, Holde mein!
Der Gedanke vom Scheidewege beschäftigt mich noch. Mit mir kennst Du einen, der so deutlich und symbolhaft ist, wie nur einer im Märchen. „Der Weg zur Rechten? Nein. – Der Weg der Mitte? Nein. – Der Weg zur Linken führt Dich zum Glück!“ Über das Nein war ich mir im Klaren. Aber die Möglichkeit des Glückes uns[e]rer Liebe, die erkannte ich nicht.
Heute? Schätzelein?! Oh Du! Oh Du!!! Tausendmal möchte ich ihn jetzt gehen, wenn ich nur könnte, den Weg zu Dir! Zu Dir!!! Ohne Zögern. Ohne Ermüden. Mit immer größerer Sicherheit und Freude. Daß wir am Scheidewege standen, wird uns oft erst nachträglich recht bewußt. Wir sehen wohl mehrere Möglichkeiten, aber wir sind nicht frei in uns[e]rer Wahl. Bei der einen Möglichkeit sind die besseren Gründe, ist uns[e]re größere Neigung, uns[e]res Herzens Entschluß. Und dieses Übergewicht bestimmt unser Handeln. Unser Verstand ist es, der uns wiederum nachträglich vorspiegelt, wir wären ganz frei gewesen in uns[e]rer Entscheidung, wir hätten auch anders gekonnt. Herzlieb! Noch einmal muß ich daran denken: Du verabschiedest Dich von Deinen Freundinnen – sie sind kaum 2, 3 Jahre jünger – ein Dienst in der Ferne winkt ihnen, eine Zeit, in der sie ganz froh frei sich bewegen können, das Erlebnis einer Gemeinschaft – – – ach Herzlieb! Ich könnte so gut verstehen, daß es Dich gepackt hätte dabei, daß Dich der Wunsch bewegt hätte, mitzugehen. Ich könnte es so gut verstehen und würde Dir auch nicht den Vorwurf der Unzufriedenheit machen. Du würdest gar nichts darnach [sic] fragen, wenn Du selber die Stelle schon ausfüllen könntest, die Dir gebührt. Herzlieb! Ich möchte Dich ganz lieb trösten! Ich warte mit Dir! Und Du wartest mein! Geliebte!!! Du weißt, welch[‘] unermeßlichen lieben Dienst Du damit versiehst!!! Ich weiß Dich in einem trauten Kreis, in häuslichen Kreis wie Millionen and[e]rer Frauen, die ihre Männer mußten ziehen lassen. Und ist es auch nicht unser eigenes Hauswesen, das Du verwaltest, so ist es doch auch kein fremdes, ist das, in dem ich einkehre als in meine Heimat. Herzlieb! Du weißt, wie gern! Oh Du!!! Sind die Räume, die jetzt noch all unser Glück bergen, die mir sooo lieb vertraut sind, in denen ich so oft weile in Gedanken, in denen ich Dich weiß und finde, sind eine Ruhe, eine Gewißheit so wie Dein Herz, Deine Liebe!
Geliebte! Du selbst hast es schon gefühlt, wie wir am liebsten uns festhalten können, wenn wir einander an vertrauten Orten wissen. Und festhalten wollen wir einander doch, ganz lieb festhalten, als gäbe es gar keine Trennung und damit die Gefahr einer Entfremdung ganz bannen.
Oh Herzlieb! Wie viele mögen dieser Gefahr erliegen – weil sie einander nicht festhalten und auch einander nicht von Herzen lieben.
Geliebte! Wir können einander n[ic]ht mehr verlieren. Du bist immer bei mir! mir immer gegenwärtig. Und meine liebsten Stunden am Tage sind, wenn ich Dir nahe sein kann. Keine Zerstreuung, kein Vergnügen, keine Gesellschaft können mir diese Stunden ersetzen. Und ich weiß, so ist auch Dir um[‘]s Herz.
Geliebtes Weib! Laß Dir aus tiefstem Herzen danken für alle Liebe und Treue, mit der Du mir die Heimat hältst und bewahrst, mit der Du mein wartest! Ich fühle sie! Sie hilft mir!
Herzlieb! Du! Mein bester Kamerad! Mein allerliebstes Weib!!!!!
Nun ist Feierabend bei Euch und bei uns. Und die Gedanken gehen herüber und hinüber. Wir sitzen im warmen Stübchen. Eine Jacke nach der anderen haben wir ablegen müssen, weil es zu gemütlich wurde. Hell ist es im Zimmer. Unsere Lampe ist heute durch eine große weiße Kugel verschönt worden, dazu hat der Elektriker eine Wandbeleuchtung in Schuß gebracht, nun glüht es aus zwei Birnen Licht und Wärme. Aus den Nachbarstuben klingt Radiomusik herüber, so schön gedämpft durch die Wand, daß man [e]s sich gar nicht lauter und näher herbei wünschen mag. Mehr an Komfort können wir uns füglich nicht wünschen. Wieviele von den Soldaten hier haben es in ihrem Zivilleben noch so gut?
Aber die Gedanken und Herzen nehmen nicht vorlieb mit all den Bequemlichkeiten – sie sind rastlos und ruhelos – sie gehen nach Hause. Ich könnte in meinem Buche weiterlesen – es litte mich nicht dabei. Kamerad K. hat in der Mittagpause schon geschrieben – er geht nun. [Er] Hat sich eben rasiert und dichtet jetzt eben die Glasfenster nach dem Flur et[w]as ab, weil von dort das Licht so aufdringlich hereinscheint. Jetzt hat er sich eine Zigarre angesteckt und gibt unserem Zimmer eine männliche Note.

Dieser Tage mußten alle Postbeamten gemeldet werden. Eines Tages sind vielleicht einmal die Lehrer dran – ich glaube es nicht.
Vielleicht hat die N.er Großmutter wieder einmal nach Gardinen gefragt. Es gibt welche, aber der Umtausch, Du weißt schon, hätt[‘] [sic] diesmal sehr schwer.
Herzlieb! Die furchtbare Wärme im Zimmer macht so müde. Ich habe mich vorhin schon einmal [ein] paar Minuten langstrecken müssen und wäre doch beinahe darüber eingeschlafen, wenn nicht die Fliegen mich gestört hätten. Nun haben wir erst mal unter ihnen aufgeräumt. Sie sind zu frech.
Morgen, Sonntag, bei schönem Wetter, habe ich mit Kamerad K. einen größeren Ausflug vor. Nicht lange mehr, dann halten uns Ungunst der Witterung und Kälte zu Hause. So wollen wir die Gelegenheit nützen.
[Du] Sollst nicht eifersüchtig sein darum, Herzensschätzelein. Überallhin nehme ich Dich mit. Und di[e] Stunden des Deingedenkens habe ich mir schon ausgedungen. Wir kehren zeitig genug zurück, daß Du in kürzester Zeit als erste Bericht erhältst. [Du] Bist in dieser Welt das allerallererste und allerallerliebste Menschenkind, Du! Herzensschätzelein. Und später will ich Dir das doch täglich ganz ganz deutlich zeigen. Ach Herzelein! Heut[‘] morgen habe ich mich das erstemal doch wieder so recht sehnen müssen nach Dir! Geliebte, Du!!! Nach Deiner holden Nähe! Nach unserem Einssein!
Ich liebe Dich!!!!!!!!!!!!! sooooooooooooo sehr!
Ich küsse Dich herzinniglich – Du bist mein! ganz mein!!! Oh Geliebte!!!!!
Behüte Dich Gott!
Ich bin ewig