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[OBF-410402-001-01]
Briefkorpus

Mittwoch, den 2. April 1941

Mein liebes, teures Herzlieb! Herzallerliebste mein!

2 liebe Boten sind wieder in meine Hände gelangt, die vom 22. und 24. März. Ach Herzlieb! Sooviel Geduld hast Du noch haben müssen und ich weiß nicht mal, ob Du heute schon etwas von mir in Händen hast. Es ist ein hartes Warten. Und es ist schwer, mit diesem Warten immer wieder gleichsam in den leeren Wald zu rufen. Aber bald, meine ich, mußt Du nun erlöst werden. Und nun schreibst Du mir trotzalledem Tag um Tag, trotz allem Zweifel – und behältst recht, Du mein liebes, teures Weib!!! Sie kommen zu mir Tag um Tag, Deine lieben Boten, keiner ging noch verloren, kommen mit ihrer lieben, kostbaren Fracht, mich zu beglücken, mir Heimat zu sein – o Herzlieb! ich weiß, Du kannst nicht anders, und ich könnte nicht anders an Deiner Stelle, weil wir einander so sehr lieb haben. Daß Du mich sooo lieb hast, sagt mir jeder Deiner lieben Boten. Und ich weiß, ich kann Dir nichts Lieberes sagen, kann Dir nicht besser danken als damit: Diese Liebe bedeutet mir alles! Geliebte!!! Was wäre ich ohne sie in dieser Zeit in den wildbewegten Jahren daher, da alles wankt und fällt?! Woher käme mir die Kraft, alles Ungemach zu ertragen, allen Widrigkeiten zu trotzen, wenn nicht aus dem Reichtum unsrer Liebe? Wofür stünde ich hier? Wofür möchte ich alles auf mich nehmen sonst?

Mein Beruf, der mich nicht allenthalben befriedigen kann, der mich längst nicht mit meiner ganzen Person in Anspruch nimmt? Sonst eine Stellung, ein Einsatz, der mich unentbehrlich machte? Geliebte! Dir bin ich unentbehrlich, unersetzlich, Dir allein! In unserem Einssein, in unsrer Aufgabe, ein Ganzes darzustellen, Herzlieb!!! Du!!!!! in unserem Kindlein – erkenne ich die Quelle aller Kraft, alles Lebensmutes und Glaubensmutes, mit Dir diese Lebensfahrt zu bestehen, darin sehe ich meine Möglichkeit, unser Leben zu steigern (worum sonst lohnte es sich zu leben?); in unserem Kindlein es fortzusetzen und in ihm unser Wesen zu verschmelzen und zu läutern zu lauterem Kristall, das dünkt mir ein hohes Ziel.

Aller Sonnenschein, alle Wärme aber geht doch auf mich über von Dir selber, von Deiner großen Liebe in ihrer Vielfalt und ihrem Reichtum, in all ihrer irdischen und himmlischen Seligkeit. Daß ich mich geliebt weiß, daß ein Menschenkind meiner harrt, oh, so getreulich harrt, Geliebte! Das gibt mir Kraft, viel Kraft, und das ist so unendlich lieb und groß! Das haben wir beide schon erfahren in vergangenen Tagen, und das bewährt sich jetzt aufs neue [sic]. Du liebst mich! Du wartest mein! Du hältst mich und ziehst mi[ch] zu Dir! Und damit bist Du mir immer gegenwärtig, bist mein Begleiter in die Fremde,– ich kann mich nicht verlieren,– und damit nimmst Du wenigstens ebensoviel auf Dich, setzt Du ebensoviel daran – wie ich hier ansetzen muß, um mich hier durchzuschlagen, um die Fremde zu bewältigen, Du!! Mein liebes, treues, tapferes Weib!!! Wie kann ich diese große, starke Liebe anders erwidern als wenigstens mit unverbrüchlicher Treue? Ach, sie dünkt mich so wenig, weil sie so selbstverständlich und leicht ist. Über allem steht mir unsre Liebe! Und so wenig ich meinen Beruf, und den Dienst an der Kunst und das Ringen um einen Lebensstil verleugnen und verraten könnte, die ich alle dieser Liebe unterstelle, um so viel weniger könnte ich diesen Schatz verschleudern und leichtsinnig aufs Spiel setzen. Geliebte! Gefeit sind wir gegen diese Gefahr, weil wir beide einen so hohen Maßstab an das Lebensglück legen, weil wir beide ihm einen so hohen Sinn geben müssen. Und wir lassen uns nicht verwirren von den vielen anderen um uns, die alle Liebe zum Genuß und zur Ware erniedrigen; zu niedrigem Genuß, um den [sic] sie alles verraten: Vaterland, Ehrgefühl, Gewissen. Da sehe ich etliche am Zaun verhandeln, sie schämen sich nicht, irgendeinen halbjüdischen Burschen, der ein wenig Deutsch radebrecht, als Vermittler zu benutzen; schämen sich auch nicht der Erwachsenen, die da stehen bleiben und zuhören; Bedenken, daß sie doch halbwüchsige Mädchen vor sich haben, daß sie hier im Ausland Deutschland vertreten sollen, kommen ihnen schon gar nicht.

Und mit diesen Gedanken würde man nur bei ganz wenigen älteren Kameraden überhaupt auf Verständnis rechnen können. Woher aber nehmen wir das Recht zu kämpfen und einen Macht- und Führungsanspruch zu erheben wenn nicht daher, eine bessere, vollkommenere Welt heraufzuführen? Als ich vorhin von 6–8 Uhr Wache stand, ging der Hauptlehrer um das Schulgrundstück, um wenigstens die Kinder von dem Treiben fernzuhalten. Ich muß an die ähnlichen Umstände in Oberfrohna denken. Dabei sind die bulgarischen Mädels von großer Zurückhaltung.

Es ist eine wirre, irre Welt! Und Gottes Gericht wird viel härter noch werden müssen, ehe die Menschen auch nur aufmerken. Eines sehe ich immer wieder mit Schrecken, wie die jungen Leute so ohne alle Hemmungen, ohne alles Gewissen abgleiten: nichts ist ihnen heilig, auch das nicht, was die neue Staatsführung geheiligt sehen möchte. Es wird schwer sein, diesen Menschen überhaupt noch eine Autorität vorzusetzen. Geliebte! Wir aber werden unseren Weg unbeirrbar weitergehen! Nichts kann mich von Dir trennen. Gott sieht unsre große Liebe. Wir wissen ihn weise und gnädig waltend über uns, wissen unser Leben in seiner Hand – das macht uns froh und zuversichtlich. Herzlieb! Ich werde zu Dir zurückkehren!! Ist es vielleicht der Sinn unsres letzten Abschieds, unsrer Trennung jetzt, daß wir der Kraft und Macht des Glaubens recht inne werden sollen, daß er uns zu unverlierbarem Besitz wird?! Geliebte! Wie froh bin ich, daß Du mich auch hierin verstandest, daß Du mich nicht mißverstandest, daß Du Hand in Hand mit mir gehst, um den rechten Glauben zu ringen, der erst der rechte Grund ist zu allen Unternehmungen dieses Lebens. Du weißt, daß auch ich noch um diesen Glauben ringe, um eine männliche, starke Glaubenshaltung. Und wenn wir uns nur recht darum mühen wird Gott uns seinen Segen nicht versagen.

Du schreibst von Schneesturm. Hier herrscht gleichmäßig schönes, warmes trockenes Wetter wie bei uns an den schönsten Maitagen, mittags schon sommerlich warm. Die Kinder laufen barfuß. Pfirsiche, Kirschen, Pflaumen blühen. Am Montag sah ich die erste Schwalbe. Ach ja, der deutsche Sommer ist kurz und ungewiss – dafür ist er umso köstlicher, schwerer gereift – es ist so die Ordnung der Welt. Meine liebe, liebste [Hilde]! Du schreibst ganz in meinem Sinne: Wir wollen uns das Warten nicht schmerzlicher und schwerer machen. Mein Lieb muß so oft und lieb von mir träumen? Du! Du!!! Wenn es Dir nur ein wenig Erleichterung bringt, dann will ich Dir gern jede Nacht erscheinen!!!

Gott behüte Dich mir! Er schenke Dir Kraft und Geduld, auszuharren! Er segne unseren Bund und führe uns recht bald für immer zueinander!

Du aber, mein Herzlieb, sei des froh und glücklich gewiß, daß unsre Liebe über allem steht, daß sie mir der höchste Lebensinhalt ist, daß ich Dich liebe mit der ganzen Kraft meines Herzens, daß ich nimmermehr von Dir lasse!! Meine liebe, liebste [Hilde]! Mein liebes, treues Weib! Ich warte mit Dir! Ich harre aus mit Dir! Ich sehne mich mit Dir! Ich liebe Dich so tief und innig, wie Du mich liebst!!! Dein [Roland]!!!

Meine [Hilde]!!!!!

Viel liebe Grüße an die Eltern!!!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946