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[OBF-410331-001-01]
Briefkorpus

Montag, d. 31. März 1941.

Mein liebes, teures Herz! Herzallerliebste mein! Meine [Hilde]!

Du Liebes! Wie lange hast Du wohl noch warten müssen auf eine Nachricht von mir? Wie oft hast Du vergeblich nach dem Briefträger ausschauen müssen? Herzliebes, armes! Erst vorigen Mittwoch war es möglich, Post von hier aufzugeben. Die muß schon sehr schnell gegangen sein, wenn sie Dich gestern erreicht hat.

Ach Du! Der gestrige Sonntag wollte mich ganz mit Glück überschütten. Am Abend bekam ich noch 3 Deiner lieben Boten bis vom 21. März. Meine liebe [Hilde]! Du hast meiner so lieb und treu gedacht Tag um Tag! Du hast mich so lieb! Du!! In einem Deiner Boten sprichst Du von dem langen, dicken lieben Brief, der Dir zugedacht sein müßte. Ach Herzlieb! Wirst Du auch nicht enttäuscht sein, daß er nicht so aussieht? Du!! Du wirst mich verstehen. Du wirst es aus den wenigen Zeilen lesen, wie mir ums Herze war. Diese Reise war so [siehe Ausschnitt aus dem Brief] zermürbend in ihrer scheinbaren Planlosigkeit, Endlosigkeit, Unsicherheit.

Diese Fahrt spannte so alle Sinne.Herzlieb! Ich bin nicht feige. Aber die Wachsamkeit für uns, für unser Glück, sie ließ alle Empfindlichkeiten spielen. Herzlieb! Du warst mir jeden Augenblick gegenwärtig. Dieses Gespanntsein ließ keine Muße zu Betrachtungen. Herzlieb! Du gibst mir ein paar Tage an, da Du meiner so fest denken mußtest, und 2 Tage an denen Du geträumt hast, daß ich Dir so ganz nahe war. Unsre Sinne überbrücken auch diese große Ferne. Ganz fest dachtest Du meiner vom Sonntag zum Montag: da hatte Dein Hubo Wache. 24 Stunden lang mußte er in einem der Güterwagen sich aufhalten. Ach Herzlieb! ich war so in Sorge, daß ich mir etwas holen könnte; kalt [war] die Nacht. Trotz Müdigkeit kein Schlaf zu finden. Und immer weiter hinein in die Karpathen fuhr der Zug. Winter war es am Morgen und ein eisiger Wind blies tagsüber. Herzlieb! Da war ich innerlich so voll Grimm gegen solch unverständige geradezu grausame Wachregelung – und war so in Sorge um uns.

Und vom Mittwoch zum Donnerstag. Am Dienstag verunglückte unser Leutnant. Der Wagen, bei dem die Kupplung riß, war der meine. Wir mußten ihn räumen und wurden auf die übrigen verteilt – ich bekam einen Platz im ersten Wagen hinter der Lokomotive. Der Schrecken saß mir noch in den Gliedern, Verzagtheit umschlich Herz und Gemüt. Ich konnte kein Auge zutun, mußte hinausstarren und auf jeden Schienenstoß lauschen. Ich habe mich selbst kleingläubig gescholten. Aber eine Weile war ich doch verzagt und der Gedanke an Dich, mein Lieb, der wollte mich nur noch trauriger machen. Von den alten Kameraden war ich getrennt – und bei den neuen jungen fand ich keinen Trost – sie sind leichtfertig und gleichgültig, es steht nichts hinter ihnen, sie kennen keine Furcht, aber auch keine Liebe, sie haben keinen Plan, die allermeisten, wenige nur ausgenommen. Am Donnerstag und Freitag aber fand ich doch endlich Ruhe und mein Gleichgewicht, fand nachts, übermüdet, auch ein paar Stunden Schlaf – und fand auch ein paar Stunden lieben Gedenkens, in denen mir Dein Bild und Wesen warm und lieb und lebensmutig vorschwebte, ganz lebenswahr und auch süß. Ich habe auch geträumt von Dir, aber ich kann mich auf Einzelheiten nicht mehr besinnen. Ganz[,] ganz brav ist Dein Dickerle gewesen bislang – und will es auch bleiben! Herzlieb! So war mirs ums Herz! Jetzt ist es wieder ganz anders. Jetzt kommen mir die Worte wieder, und ich brauch nicht vor ihnen zu erschrecken und zu bangen.

Die Bahnfahrt hätte mich gar nicht so mitgenommen, wenn der Zug ganz in Ordnung gewesen wäre und auch die Heizung wirklich funktioniert hätte. [siehe Ausschnitt aus dem Brief]

Die meisten Kameraden haben einen ordentlichen Katarrh abbekommen. Die Sitze waren [g]epolstert, dazu hatten wir immer unsere Decken zur Hand. Und nachts hat sich jeder lang gestreckt. 3 spannten Hängematten und 2 lagen auf den Bänken. Es war das reinste Zigeunerlager. Die Beköstigung funktioniert Dtadellos. Wir haben für viele Wochen alles mit, was wir brauchen. Butter, Fleisch, Gemüse, Brot, alles in Dosen, viele Zentner Kartoffeln lose, dazu eine Unmenge Bier usw. Man macht sich gar keine Vorstellung, was zur Vorbereitung solcher Expedition alles gehört, und dabei reisten wir nur mit reichlich 300 Mann! 

Herzliebes! Heute haben wir zum ersten Male in der Schreibstube gearbeitet. In der Freizeit habe ich meine Wäsche fortgebracht zum Waschen und den Film von gestern zum Entwickeln. Bald hoffe ich[,] Dir ein Bild schicken zu können. Schwül war der Tag wieder, und über der Stadt liegt drückende staubige Luft. Ein herzlicher Regen könnte nicht schaden.

Von unseren lieben Sternen schreibst Du! Freilich sehe ich sie noch! So weit bin ich nun doch nicht von Dir entfernt. Fühl Dich nur nicht gar so sicher – der liebe Mond könnte mir so manches verraten! Auch in der Uhrzeit gehen wir miteinander. Die Bulgaren zählen nach der osteuropäischen Zeit, sind uns in [sic] Westen also eine Stunde voraus. Weil wir doch aber die Sommerzeit haben und unsre Uhren eine Stunde vorgehen, gehen die Uhren gleich! Verstehst Du das?

Mein Herzlieb! Mein [Hilde]lieb! Du sagst mir so unendlich viel Liebes, Du hältst mir Dein Herz so lieb und warm offen – wie glücklich das mich berührt, wie heimatlich wie traut. Geliebte! In Deinem Herzen wohnen, nichts Lieberes kann ich mir wünschen! Und ich nehme ja so oft meine Zuflucht zu ihm, zu Deinem jungen, großen, weiten, lieben, ach so unsagbar lieben Herzen und ich kenne keine and[e]re Sehnsucht, als zu eilen, an diesem Herzen zu ruhen! Du!! Du!!!!! Herzlieb! So wie Du mir das Deine offen hältst, mir allein, so gehört Dir das meine, so ganz, so ausschließlich. Du allein in dieser Welt kennst mich, Dir allein mag ich alles vertrauen, mit Dir lebe ich jede Stunde, mein Herz, es schlägt mit dem Deinen. Und dieses Vertrautsam [wohl: Vertrautsein] macht unsre Liebe so unendlich köstlich. Herzlieb! Du hast mich so tief in Dein Herz geschlossen, Du hast mir so unendlich viel vertraut und anvertraut – ich halte es hoch und heilig. Dieses gegenseitige, tiefe Vertrauen ist der Anker unsrer Liebe, de und der ruht fest und tief und unverrückbar in unseren Herzen!

Meine liebe, liebste [Hilde]! Gott sei mit Dir! Er sei mit unserem Bunde. Er schenke uns bald eine gemeinsame Lebensfahrt!

Meine liebe, liebe [Hilde]! Ich denke Deiner so lieb und herzlich. Ich bin mit Dir, und Du bist mit mir allezeit. Wir können ja gar nicht anders, als innig verschlungen dieses Leben gemeinsam zu bestehen! Mein Herzlieb! Ich bin mit Dir so froh und glücklich unsrer großen Liebe, sie ist mein Stern und Leit, ist mir Kraft und Trost und Freude in aller Ferne!

Dein [Roland] bin ich! Ganz Dein!! Und Du bist meine [Hilde]!

Bitte grüße die lieben Eltern! Recht lieb!

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.410331-001-01c.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946