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[OBF-410311-002-01]
Briefkorpus

(Montag) Dienstag, am 11. März 1941.

Mein geliebtes Herz! Du! Mein lieber, lieber [Roland]!

Nun schreiben wir den März schon wieder zweistellig. Wie war doch die Freude groß, als wir das gleiche im Februar erkannten! Da rückte dann mit jedem Tag Deine Heimkehr näher. Du!! Es ist mir, als läge das alles schon so weit zurück, und dabei sind es noch nicht einmal volle 14 Tage, daß Du von mir Abschied nahmst.

Es ist gewiß darum so, weil das Neue auf mich einstürmt, ich denke, und denke voraus – und es ist mir manche Stunde ganz wirr davon im Kopfe.

150 Briefe zählte ich, von Deiner Hand, seit Du Soldat bist. Fast jeden Tag hast Du mir geschrieben, man könnte denken: 150 Tage ist mein [Roland] schon Soldat. Doch das langt nicht; das sind ihrer mehr. Seit 26. August vorigen Jahres bis heute, sind es 197 Tage! Soo lange ists' schon her! Du!!

Ach, Herzlieb! Ich will nicht so zählen und rechnen. Davon wird es uns auch nicht leichter. Wir wollen uns nur immer wieder recht fleißig in Geduld üben. Es muß uns gelingen, diese Zeit der Trennung noch zu überwinden. Wir dürfen nicht zerbrechen daran!

Darnach, Herzlieb! Du! Darnach winkt Frieden und Freiheit! So Gott will, sind wir nächstes Jahr um dieselbe Zeit für immer beisammen. Ach – ich wäre es soo von Herzen froh! Und Du wärst es mit mir Herzlieb, ich weiß es, Du!!

Wenn ich nur meine Gedanken erst wieder auf einen sicheren, gewissen Punkt richten könnte! Das Warten, das Fragen nach dem Wohin, es läßt mich keine Ruhe mehr finden nun. Ich warte soo sehr auf eine bestimmte Nachricht von Dir! Aber, mein [Roland]! Dir ergeht es sicher ebenso, Du bist gewiß ebenso voll Fragen und Ungeduld über Deine künftigen Tage. Ich habe, seit ich Deine Worte las von der Wahrscheinlichkeit einer Versetzung (die mir übrigens immer meh[r] als Tatsache erscheint), den Atlas in jeder freien Stunde nicht aus den Händen gelegt.

Wohin könnte man Soldaten von Lübeck aus verschicken? Diese Frage ist geradezu irrsinnig. Ich weiß das. Kein Mensch, wenn er noch so klug wäre, könnte mir darauf Antwort geben. Aber sie bewegt mich nun Tag und Nacht. Alles habe ich erwogen – und nichts gibt mir auch nur einen geringen Anhaltspunkt.

Über das Balkangebiet schweifte mein Auge; ach, in jedem Zipfel von Europa habe ich umhergesucht. Als Matrose will man auch Dich einkleiden. Das besagt vorderhand auch noch nichts von Bedeutung. Du hast mir schon so oft von allen möglichen Dienstarten erzählt, wo sie in Blau umherlaufen.

Trotzdem: Wäre es möglich, daß Ihr, die Ihr als Schreiber ausgebildet seid, aufs‘ Schiff kommt?

Herzlieb! Davor bangt mir, wie vor nichts sonst.

Ich will nicht zaghaft werden. Das paßte doch garnicht zu unserem Gottvertrauen und zu unserem großen Liebesglück.

Ach Herzlieb!! Du!!!

Nur nicht in Gedankengespinste verlieren!

Aber das ist jetzt nur zu leicht möglich, wenn ich allein – ohne Dich bin. Es ist noch kein Brief da von Dir, Herzlieb! Er wird vielleicht ½ 4 Uhr noch kommen. Ach Du!! Wenn nur weiterhin täglich Dein geliebter Bote zu mir kommt! Dann kann ich alle Ferne überwinden! Mein Geliebter! Wenn ich nur Deine lieben Worte lesen darf, jeden Tag – ach! Das ist mir soo viel!! Dir ergehts‘ ja ebenso, mein Lieb! Und wir schreiben einander auch, jeden Tag – ich kann es ja. Und Du, mein Lieb? Wenn es Dir nur irgend möglich ist, Du schreibst mir auch! Ich weiß das. Und wenn es einmal nur paar Worte sind, ich bins‘ zufrieden! Aber täglich muß ich ein Lebenszeichen von Dir haben! Du!!!

Ich wüßte nicht, wie ich es anders ertragen sollte. Du! Mein Herzallerliebster!!!

Du! Mein [Roland]! Bei uns hier ist seit gestern die ganze Luft so dick und feucht – nichts als grauer, undurchdringlicher Nebel, überall wohin man blickt. Heute früh begrüßte mich eine neue Winterlandschaft, als ich ans Fenster trat um nach der Sonne zu sehen. Nebel, immer noch dicker Nebel! Wie diese Witterung sich aufs‘ Gemüt legt, es ist mir richtig schwer, seit gestern. Und ich hatte mich schon so sehr auf den Frühling gefreut. Jetzt dauert es wieder viele Tage, ehe die braune Erde hervorguckt. Das kann mich richtig traurig machen. Allenthalben sproßte das junge Grün schon hervor – und Schneeglöckchen blühten auch – nun deckt der kalte Schnee alles erbarmungslos zu. Es muß ja alles erfrieren – sterben.

Jeder hat ein Leid zu tragen auf Erden – ein kleines, oder ein großes – jedes Lebewesen. Aber das Leid muß da sein, wie könnten wir sonst die Freude so tief empfinden?

Ganz stille sein lernen will ich – ach, ich will! Du!! Mein [Roland]!! Du!! Du!! Er ist noch gekommen! Dein lieber Bote vom Sonntag! Du! Mein Herzlieb!! Sei tausendmal bedankt! Ich freue mich so sehr! So sehr, Du! daß mir die Tränen kommen, ach Herzlieb! Wie so lieb Du mich tröstest! Ich möchte jetzt bei Dir sein, Dir danken dafür, mit all meiner Liebe! Du!!! Ich schicke Dir so viele, liebe, heiße Küsse!! Du!!!!!

Oh Du!! Du!! Ich halt’ aus mit Dir! Ich bin tapfer mit Dir! Ich bete mit Dir! Ja, Du! Ich will!! Ich bin Dein lieber, ganz treuer Lebenskamerad – m[a]g kommen was wolle – ich stehe zu Dir, ich bleibe bei Dir. Und unser Herrgott wird unser Geschick zum Guten fügen. Ich glaube das so fest wie Du! Mein Lieb!! Herzallerliebster! Es trifft mich wie ein Lichtstrahl in der Finsternis, Dein liebes Schreiben! Du! Du hast so lieb meiner gedacht! Ich danke Dir darum von ganzem Herzen, Du!! Um die gleiche Stunde wie ich bist Du an der Luft gewesen und wie gerne hätte ich Dir ein wenig von unserem reichen Sonnenschein geschickt, am Sonntag. Abends, als Du mir schriebst, da schrieb ich Dir auch, Du!! Darum hat uns so das Gesicht geglüht, weil wir uns sehnten nacheinander! So erging es mir schon am Sonnabend, ach, Du hast es doch gefühlt! Wenn Dus' auch einen ‚alten Aberglauben‘ nennst! Du!!! Ich hab mich soo sehr gesehnt nach Dir! Und weil ich Dich allein wußte, in dieser Verwirrung; es ist schon eine Verwirrung, wenn ein Mensch so plötzlich herausgerissen wird aus seinem Gleichmaß und irgendwo hineingestopft wird, unter eine Menge fremder Menschen. Ach, alle empfinden das ja garnicht so tragisch, ob die nun mit Kaffern, oder Preußen, oder Bayern ihren Skat kloppen – ihr Bier trinken und ihre Witze reißen, ist den meisten ja höchst schnuppe. Aber Du bist doch nicht so! Ich weiß es ja, Herzlieb! Und darum hab ich immer so Sorge um Dich, mein Herz!

Ach, weil wir uns nur so ganz festhalten! Du!!! Weil wir uns nur täglich so lieb und treu die Hände reichten, das ist so gut und tröstlich! Du empfindest das auch, Herzlieb! Wenn Du nur erst all meine Boten in Händen hieltest! Hast noch garnichts von mir und es ist schon Sonntag, Herzlieb!! Ich bitte Dich, mein [Roland]! Setze Dich in Deiner Freizeit nicht hin in Eure Stube und lasse so die traurige Stimmung des Verlassenseins über Dich kommen, gehe hinaus! Suche Dir die Schönheit und den inneren Frieden draußen in der lieben Gotteswelt. Oder – schreibe mir, sprich Dich frei, Herzlieb! Ich will alles lieb anhören, was Dich bewegt. Du darfst zu mir kommen, darfst mir alles sagen!

Sieh, wenn Du mit einer Herzensnot oder mit einer Herzenslast zu mir kommst, dann vergesse ich den eignen Kummer und Schmerz – dann werde ich ganz stark und froh in dem Bewußtsein, einen geliebten Menschen helfen zu können.

Du!! Ich bin im Herzen garnicht so schwach, wie es manchmal scheinen will – ich muß mir nur immer meine große, heilige Pflicht vor Augen halten:

Dir ein liebendes, helfendes, treues Weib zu sein. Und unserm Herrgott in Demut und Dankbarkeit zu dienen. Dann wird mein Herze so stark! So frei und froh, daß ich freudig mein Teil, unser Teil tragen helfen will. Es müssen ja so viele, liebe Menschen das Gleiche mit uns teilen! Ich vergesse das auch nicht, Herzlieb!

Heute will ich Deine liebe Hand ganz fest und innig drücken, in großer Liebe! Du!! Morgen will ich sie wieder fassen, ganz lieb und froh! Die Pflichten rufen mich jetzt. Wenn Du nur auch eine Beschäftigung hast, Arbeit hilft über viel Grübeln und Denken hinweg.

Mein Herzlieb! Mein Sonnenschein! Du bist all mein Glück! Ich liebe Dich aus tiefstem Herzen! Du!! Du!!

Ich will mit Dir fein still werden und warten! Bei meiner Liebe zu Dir kann ich es, Geliebter! Gott sei mit Dir auf allen Deinen Wegen! Er behüte Dich mir! Du mein Leben!!

Ich liebe Dich! Du!!!!! Immer Deine [Hilde]. Dein!!!!!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946

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