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[OBF-410311-001-01]
Briefkorpus

Dienstag, den 11. März 1941.

Herzallerliebste! Meine liebe, liebe [Hilde]! Geliebtes Herz!

Ein bewegter Tag neigt sich dem Ende. Die Sonne scheint und läßt ihn nun sonnig ausklingen, und sie bescheint auch Herz und Sinne und will sie erhellen. Es ist gegen 6 Uhr. Wenn Du jetzt bei mir wärest, könntest Deinen Hubo zum ersten Male blau sehen. Wie es ihm steht? Gar nicht so übel. Möchtest ihn wohl dann öfter blau sehen.

Ein bewegter Tag, Herzlieb! Wir fuhren also gestern abend nach Kiel, mein Stabsfeldwebel (er steht unsrer Schreibstube vor) und ich. ¼ 10 Uhr brachte uns ein Personenwagen zum D-Zug, mit dem ich damals von Dir kam. ¼ 12 Uhr trafen wir in Kiel ein. Ich schlug dem Stabsfeldwebel vor, mit im Hotel zu übernachten. Er fragte, ob ich denn soviel Geld habe. Dann gingen wir hin – und bekamen kein Zimmer – es waren alle schon belegt und vorausbestellt. So mußten wir denn wieder im Roten Kreuz übernachten. Morgens ¾ 7 Uhr stellten wir uns auf die Beine – ½ 8 brachen wir auf nach dem Bekleidungsamt, 1/4 Stunde Weg. Dein Hubo bewaffnet mit dem Tornister und Koffer, in dem ich das ganze Grauzeug verstaut hatte. Wir kamen da nun hin in ein fabrikähnliches Gebäude. Im Büro wurde nun umständlich festgestellt, was wir zu empfangen hätten. Ausgerüstet mit einer Handvoll Scheinen stieg ich nun 1 Stock tiefer. ¾ Stunde warten, dann legte mir man meinen Stoß vor: 2 Arbeitsanzüge, 2 Nachtanzüge, zwei Blauhemden, 2 Überzieher, 4 Kragen, 4 Mützen, 2 davon mit Bändern, weiße Hosen und Blusen, weiße Mützenüberzüge – dazu einen großen Sack, den Seesack. Du kannst Dir mein Gesicht vorstellen. Das wurde noch um eine Handbreit länger, als ich erfuhr, daß die Kleiderabgabe in einem Kieler Vorort vonstatten gehe. Nun machte ich mich auf den Weg. ¼ 11 Uhr zeigte meine Taschenuhr. Um 12 Uhr hatte ich mich mit dem Stabsfeldwebel verabredet. Der Seesack mochte so seine 60 Pfund haben – und dazu meinen ganzen Huckepack Grauzeug. Überall aber fand ich liebenswürdige, hilfreiche Menschen – eine Frau, die mich beriet, eine Straßenbahnschaffner, der mich ein Stück über die Haltestelle hinausfuhr, ein Mann, der mir den Weg zeigte, ein Kamerad, der mir beim Ankleiden behilflich war. Es hat mich wirklich wundersam berührt. Ich buckelte also zunächst zu der Stelle, bei der ich meine Stieffel getauscht beka[m]: das ging überaus schnell und glatt. 6 Min. von da lag die Stelle, an der ich nun mein Grauzeug los wurde. Dort mußte ich nun einen treffen, der mich irgendwie anziehen konnte, denn durch das Blauz[e]ug braucht man richtig einen Führer. Und so traf ich denn auch einen. Nach ½ Stunde trat ich um einige Pfund erleichtert blau aus dem Haus. Die Sonne schien, und ob ich wollte oder nicht, ich konnte sie nicht mürrisch anschauen. Herzlieb! Du weißt, ich bin nicht abergläubisch – aber in diesen Tagen, da sehne ich mich nach einem Zeichen, daß mir ein Lichtblick sein könnte – ich nahm diese ersten Strahlen der Sonne seit vielen Tagen dafür – ich nahm den ganzen Strohzug dafür, der uns auf der Heimfahrt begegnete – und ich nahm die vielen Augenpaare der kleinen Kinder dafür, in die ich heute Nachmittag schauen durfte – ich war in ‚Reisende mit Traglasten' eingestiegen; dieses Abteil wäre wohl treffender mit ‚Reisende mit Kinderwagen['] bezeichnet. 4 Wagen habe ich wohl mit ausgeladen – und wenn Du gesehen hättest[,] wie groß und fest mich ein Mädchen angeschaut hat mit seinen Blaugucken, Du wärst wohl richtig ein wenig eifersüchtig geworden. Also, nach einer zweiten Straßenbahnfahrt mit Umsteigen langte ich tatsächlich Punkt 12 Uhr auf dem Bahnhof an, ich hätte nicht daran geglaubt. Um 1 Uhr ging unser Zug zurück nach Lübeck, um 4 Uhr landeten wir bei hellem Sonnenschein in unserem Lager. Nun bin ich ein Blauer unter Blauen. Morgen werde ich nun mit Hilfe der Kameraden meinen Seesack fachmännisch packen – mir das Mützenband einziehen lassen, den Knoten binden lassen und was der Kunstgriffe noch mehr sind. Ach Herzlieb! Mir hat gegraut vor diesem Tage – und nun ich doch alles habe und sehe, daß ich klarkomme mit allem, ist mir doch wohler.

Und dann will ich erst mal alles wieder beschlafen.

Ach Du! Ich habe Deiner so oft gedacht heute, Deiner denken müssen. Meine liebe, liebe [Hilde]! Ich denke, Du wirst meine Zeilen ziemlich pünktlich bekommen, während ich bis heute noch nichts von Dir in Händen habe. Morgen, denke ich, muß etlichs kommen. Herzlieb! Sei stark mit mir. Weil ich untr Kameraden bin, wird mir alles leichtr. Ein nettr Kamerad ist dabei aus Altenburg, auch in d[e]r Schreibstube. Mit dem werde ich mich gut verstehen; an ihn werde ich mich halten.

Herzlieb! Nimm die erste Briefseite in die Hand, halte sie gegen das Licht, dann merkst Du etwas. In Deiner Antwort auf diesen Boten nickst zum Einverständnis mit dem Kopfe, ja?

Mein liebes, teures Herz! Gott behüte Dich. Er schenke uns starke Herzen! Er sei uns gnädig! Er segne unsern Bund. Bitte grüße die lieben Eltern und erzähle ihn[e]n.

Du Herzlieb! Mein liebes, teures Weib!! Ich halte mich an Dich! Bei Dir kann ich mich anhalten, Du Liebe!! Wirst recht schwer tragen an allem? Vertrau mit mir auf Gott! Du!! Er kann uns nicht verlassen! Ich bleibe in Liebe und Treue immer und ewig ganz Dein [Roland]! Du!!!!!!!!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946