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[OBF-410309-002-01]
Briefkorpus

Sonntag, am 9. März 1941.

Mein geliebtes Herz! Du mein lieber, liebster [Roland]!

Aus Nachmittag wurde Abend. Wieder geht ein Sonntag zu Ende. Wo und wie wird ihn mein Herzlieb zugebracht haben? Ach Du! Ich möchte doch soo gerne Näheres von Deinem neuen Aufenthalt wissen. Wieder war ein Tag voll Sonne heute. Als ich mich nach Tische hinsetzen wollte, um Dein zu denken, da kam die Mutsch heim. Vater hatte nach dem Sammeln Holz gehackt und hielt Mittagsruhe. Er wollte am Nachmittag einmal zu dem uns befreundeten Herrn N. gehen; Du kennst ihn auch, der soll morgen ins Krankenhaus, um sich einer Magenoperation zu unterziehen. Nun sehnte sich Mutsch so hinaus an die Luft und wir beide sind denn mal losspaziert gegen 4 [Uhr] wars‘ schon geworden. Auf Limbach zu, in den Stadtpark gingen wir – erst ein Stück durchs Dorf (Stadt!) und wir hatten viel Freude und Genuß daran, so im warmen Sonnenschein zu gehen. Auf dem Rückweg sollten wir Vater abholen bei N.s, und das taten wir auch und blieben hängen. ½ 8 [Uhr] kamen wir erst heim. Sie sind recht bedrückt, weil es eine ernste Operation ist, so sagte ihm der Arzt. Wir müssen uns ihrer nun ein wenig annehmen, sie haben uns schon so viel Liebes getan bisher und wir hatten noch nie Gelegenheit, uns einmal abzufinden. Die Eltern kennen sich schon von Jugend auf.

Jetzt ist Abendbrotzeit vorbei, und es geht auf 9 Uhr. Die Eltern wollen schlafen gehen, sie sind müde. Aber ich muß erst noch ein bissel mit Dir reden, Herzlieb! Ich kann sonst nicht schlafen, Du!

Du! Der Mond ist bald voll. Ob die Flieger nicht mal wieder zu uns kommen?

Und nun muß ich mein Herzlieb wieder sehnend suchen! Finde es nicht in seiner alten Umgebung, die ich kennen lernen durfte. Du! Das will mir garnicht recht gefallen! Aber! Du wirst mir schon alles wieder lieb erzählen, wie Du es immer tust; dann ists‘, als wäre ich schon einmal bei Dir gewesen. Weißt, so war es auch, als ich Dich besuchen kam, es hat mich nichts in Erstaunen gesetzt, es war eben als müßt’ es so sein. Weil ich in Gedanken so oft schon bei Dir war, Du! Du Herzlieb! Da muß ich doch eben an eines denken, muß ich aber ganz heimlich und klein Dir schreiben!

Vielleicht lerne ich sogar Deine neue Umgebung selbst noch kennen, so Gott will. Aber – bis zum Mai ist noch lange hin, hoffentlich musst Du bis dahin nicht noch einmal wandern.

Ach Du! Herzlieb!! Ich habe nun meine Gedanken bloß auf das Neue gerichtet, das Dir widerfuhr.

Du!! Heute früh kam wirklich Dein lieber Bote vom Donnerstag! Herzlieb! Sei recht lieb bedankt dafür! Ich habe mich so gefreut! Auch Du freust Dich an dem aufsteigenden Lichte, es läßt doch garnicht so leicht trübe Gedanken in uns aufkommen. Es erhellt uns das Innere wie auch das Äußere. Und es führt uns doch dem Ende dieses Krieges immer näher, Du! So hoffen wir fest! Ach Du! Wenn Du erst wieder für immer bei mir bist, dann fragen und schauen wir vielleicht garnicht mehr so sehnsüchtig nach jedem Sonnenstrahl; dann ist uns jede Jahreszeit gleich lieb, gewiß! Der Frühling und Sommer, da wir froh in Gottes schöner Welt uns ergehen – Hand in Hand, glücklich wie zwei Kinder – ach, so wie es immer war, Du! Und dann Herbst und Winter, da wir einträchtig beisammen sitzen – im Heim, in unserm Heim! Und da wir fleißig schaffen, jedes auf seine Art, und da wir beglückt uns erfreuen an den Gütern einer schöneren Welt – da Du mir die Tür aufschließt zum Garten der edlen Freude, an Stunden des Feierns und der Ruhe. Oh – wie ich mich freue auf diese Zeit! Mein [Roland]! Gebe unser Herrgott, daß sie nicht mehr so ferne sein möge! Ach Du! Daß ich Dir jemals untreu würde? Du!!! Du hast mich ja so ausgefüllt mit Deinem Sein, mit Deiner großen Liebe! Bis in den letzten Winkel meines Herzens hinein! Ich habe in mir nur noch Raum für einen einzigen Menschen. Und der bist Du! Du allein! Geliebtes Herz! Ach! Du weißt es ja! Wenn ich auch noch so jung bin. Genau so treu bin ich darum! Du!! Du hast meine Liebe und damit hast Du mich ganz, Herzlieb! Ich lebe nur noch für Dich. Ein Ziel, eine Sehnsucht, ein Streben, ein Verlangen beseelt mich: Du! Du!! Und unser Weg!

Ich sehe dieses Ziel stündlich vor Augen. Ich kann garnicht abtrünnig werden. Mein Herzlieb! Ich müßte mich selbst auslöschen, wollte ich das verraten, was in mir brennt. Du! Du!! Ich liebe Dich für alle Zeit!! Ich hätte niemals von Dir zurück gekonnt – schon in den ersten Wochen unsrer Freundschaft nicht – und nun, da ich so ganz Dein bin erst recht nimmermehr! Du weißt es ja[,] mein [Roland]! Wie lange ich Dich schon so liebhaben muß! Und in der Zeit daher ist diese Liebe mir noch tiefer, inniger und wertvoller geworden. Wenn Du mich nicht mehr lieben könntest – dann oh – dann will ich sterben. Ich kann nicht ohne Dich sein! Nein! Nein!! Ach Herzlieb! Die Versuchung? Und wenn sie schon an meinem Wege stünde – sie käme viel zu spät! In mir ist ja alles so klar, so rein, ich denke nichts als: Du! Du!! Du bist mein ganzer Lebensinhalt. Kein andrer Mensch kann so sein wie Du! Kann mir das sein, was Du mir bist. Ich weiß das so deutlich! Und darum kann kommen[,] was will, ich gehöre zu Dir! Und wenn ich meinen Platz an Deiner Seite mit meinem Leben bezahlen und erkämpfen müsste. Lebend bekommt mich kein andrer Mann, niemals! So wahr ich vor Dir stehe.

Aber in so großer Gefahr stehe ich nun doch nicht. So unter aller Moral leben die Menschen nun doch noch nicht. Freilich, wo sich zwei Willige zusammenfinden, da werden alle Grenzen überschritten. Aber zu denen gehöre weder ich noch Du! Wir wissen, daß das Schicksal uns auf Proben stellen kann. Und für viele ist schon die Trennung, die der böse Krieg mit sich bringt, eine Probe, an der sie scheitern.

Die Trennung bringt Schmerz und Sehnen und Warten und Warten und Ungeduld – Versuchung. Mein [Roland]! Wir tragen das gern und leicht! Tragen es eines dem and[e]ren zu Liebe! Du!! Und wir tragen es auch demütig, als ein Geschick Gottes, von dem wir wissen, daß es einen Sinn hat. Und wieder muss ich hier an unsern Trauspruch denken. Ach, Du hast recht, Herzlieb! Der Mensch, der ohne Glauben ist, der kann eigentlich garnicht treu sein. Der Glaube allein gibt ja unserm Leben erst Sinn und Richtung; er verleiht dem Menschen erst Würde und Charakter. So ist er erst ein ganzer Mensch. Und die Haltlosigkeit und Untreue, die jetzt unter den Menschen Wucher treibt, die rührt im Grunde nur von der Glaubenslosigkeit her – sie sind taub für ein Gotteswort. Alles Gute und Wertvolle in ihnen wird erstickt und sie vergessen, was Treue heißt. Treue zu sich selbst und Treue zu dem Menschen, dem sie sich verbanden. Und solange der Mensch keine Beziehung zu Gott hat, ist er auch unfähig einer jeden edlen, würdigen Charaktereigenschaft. Und unsere Welt kann nicht besser werden, wenn man ihr den Glauben noch mehr untergräbt. Ein ganzer Mensch sein – etwas Ganzes wollen – einander so ganz zu gehören – einander so ganz zu erfüllen – gibt es denn noch etwas Schöneres? Warum lohnte es sich sonst zu leben?

Herzlieb! Unser beider Sinne stehen nach diesem Ganzen, wie glücklich sind wir darum! Ein Ganzes zu werden und zu schaffen, das ist die große Aufgabe, an der wir froh schaffen möchten! Wir fühlen jetzt schon, daß diese Aufgabe unser ganzes Leben in seiner Tiefe beanspruchen wird – wir brauchen keine Leere zu fürchten. Wir haben erkannt, daß die Liebe nicht nur eine süße Stunde ist, eine Laune; sondern eine Aufgabe, eine Lebensarbeit, an der wir froh schaffen dürfen. Wie froh sind wir Herzlieb, das zu wissen!

Und wenn wir diese Aufgabe treu erfüllen, dann dürfen wir auch auf Gottes reichen Segen bauen. Mein lieber, liebster [Roland]! Möge uns der Herrgott bald für immer zusammen führen. Damit wir unsre große Liebe und unsre große Freude betätigen können.

Ach, ich sehe unsres Weges kein Ende. Wie froh wollen wir anfassen und bauen an unsrer Lebensaufgabe. Du!! Eines wird dem andern helfend beistehen, Herzlieb! Ich bin so froh in mir geworden, Du! Wenn ich an unsre Zukunft denke! Bist Du es mit mir, Herzlieb?

Ich will nun schlafen gehn, Du! Es ist schon spät! Gott schütze Dich! Mein Sonnenschein! Du!!!

Ich küsse Dich! Gut Nacht, [Roland]! Herzlieb!!

In unwandelbarer Liebe und Treue

Deine [Hilde].

Recht herzliche Grüße von den Eltern.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946