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[OBF-410309-001-01]
Briefkorpus

Sonntag, den 9. März 1941.

Mein liebes, teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde]!

Was wirst Du denken? Ich hatte so wenig Zeit für Dich diese letzten Tage. Ach Geliebte! Nichts Arges wirst Du denken, ich weiß es. Wirst Dir nur wünschen, bei mir zu sein in diesen kritischen Tagen und Stunden. Herzlieb! Du bist es auch – immer Du!!! Bist es mir zum Troste, zur Wachsamkeit, als Mittelpunkt all meines Denkens und Sinnens und Betens. Herzlieb, es ringt in mir! Ich frage nach dem Sinn des Neuen – es ist die Ungeduld, ist Verzagtheit, und ich bitte Gott, er soll sie von mir nehmen. Herzlieb, Schmerz will mich erfüllen bei dem Gedanken, daß wir noch einmal so weit und so lange getrennt werden sollen, wo wir uns doch so sehr sehnen, eins zu sein und miteinander zu gehen. Ich frage Gott und bitte ihn, er möge uns demütig machen in seinem Willen.

Herzlieb, wie wirst Du alles aufnehmen? Sei tapfer mit mir! Halt aus mit mir! Bete mit mir! [Noch wissen wir gar nichts. Gott hat tausend Wege, uns zu helfen.] Wir wollen nicht verzagen, wollen nicht zweifeln – wir wollen vertrauen und fest auf ihn bauen. Er wird es fügen, daß wir uns wundern über seine Weisheit, daß wir danken für seine Güte und Gnade – wie in allem bisher! Gib mir Deine liebe Hand – Du! Mein Lebenskamerad, mein Herzlieb! – so sehr dankbar müssen wir sein für alle Güte und Gnade, die wir empfingen bis in diese Stunde. Alles ging uns nach Wunsch bisher. Daß ich eingezogen würde, es konnte uns nicht überraschen, andere waren es längst. Wir durften vor Gottes Altar treten an eben dem Tage, da wir es wünschten. Wir durften uns wiedersehen, so wie es unser sehnlicher Wunsch war – Du durftest mich besuchen – und in angemessener Zeit durfte ich Dich zu Hause wieder sehen [sic]. O Herzlieb, an alles kann ich doch unmöglich erinnern, wie gütig Gott uns war. Es ist uns alles nach Wunsch gegangen. Das wollen wir bedenken! Recht verwöhnt sind wir von so viel Gnade. Und nun haben wir schon wieder Wünsche. Einen ganz großen, unseren Herzenswunsch – könnte es auch anders sein – ? – daß wir nun recht bald Seit an Seite durch dieses Leben schreiten dürfen, daß wir einander ganz Heimat sein dürfen – ist es ein so vermessener Wunsch? – ach Du!! Herzlieb!!! wo wir einander nun so ganz erfüllen können? – freilich, es ist ein ganz großer Wunsch. Und wir sollen wieder an die denken, die diesen Wunsch ebenso sehnlich hegen wie wir – sollen an unsre nächsten Verwandten denken, an Hellmuth, Elfriede, an Siegfried, bei denen wir das am lebhaftesten nachempfinden können. Herzlieb! Es wäre Sünde, aufzubegehren. Was ahnen wir und wissen wir davon, was Gott mit uns vorhat? – Du!! Willst mit mir fein still werden und warten – Geliebte! Gläubig und vertrauend warten? Vertrauend darauf, daß Gott uns nach unseren Kräften bedenken wird! Eingedenk aller Liebe und Gnade, die wir bis auf diese Stunde erfuhren.

Du! Meine liebe, liebste [Hilde]! Geliebte! Diese Gedanken allein können mich Frieden finden lassen, sie allein können mir Trost spenden – daß wir den Himmel über uns wissen, es ist eine große Gnade.

Allerlei Neues drängt auf mich ein – am meisten aber bisher doch die Gedanken.

Neue Kameraden – ja nur auf ein paar Tage, dann ist die Gruppierung wieder eine andere. Ich kann kaum erkennen, wie sie das alles ertragen. Sie sind schon knapp 14 Tage hier. Sie schaffen sich alle Stunden des Behagens mit [S]naken, Trinken, Kartenspiel, mit den Gedanken an Genüsse, sie schaffen sich Minuten des Genießens mit dem Rauchen. Du weißt: das hilft mir nicht, das kann ich nicht, dazu bin ich nicht jung genug, dazu beschweren mich zu sehr die Gedanken an die Linie unseres Lebenss, an unseren Weg. Ach ja, ich trage an allem schwerer, ich weiß es; aber Du hilfst mir tragen.

Unter denen, die zur Schreibstube gehören, erkannte ich einen wieder, der mit in Bülte war. Ich habe ihn eben nur flüchtig begrüßt. Neue Umgebung: Darüber kannst Du ganz beruhigt sein, wir sind ganz ordentlich untergebracht in einem ganz neuen Lager – ein bißchen dicht, aber das ist erträglich. Nun hieß es nur für mich, den verspäteten Neuankömmling, einen Platz finden mit meinem ganzen Huckepack. Ich schleppe zuviel mit mir herum, wenn es fortgehen sollte. Bin doch so reichlich und neu erst ausgestattet von Dir gekommen. Zudem werde ich nun im Laufe dieser Woche ganz neue Sachen fassen sollen, viel, viel, wahrscheinlich alles Grauzeug abgeben müssen, viel neue Wäsche dazu. So muß ich nun, was ich nicht unbedingt brauche, heimschicken – den kleinen Koffer mit Wäsche und noch ein Päckchen mit Deinen Briefen. Den guten Koffer werde ich mitnehmen, um dort die unentbehrlichsten Dinge und die immer zur Hand sein möchten, unterzubringen. Für alles übrige gibt es ja dann anstelle des Tornisters einen Rucksack, da paßt viel rein. Hast ja welche in Kiel auf dem Bahnhof gesehen. Noch ist es nicht ganz so weit. Noch läuft Dein Hubo faßt [sic] als einziger grauer Spatz unter den Blaujacken.

Es wird natürlich viel davon geredet, wohin es gehen könnte. Ich kann Dir nur sagen: daß es allen Anzeichen nach nach einem Ort geht, in dem die Marine gezeigt werden soll und auftreten. Alles Mann sind nämlich mit allen Paradesachen ausgerüstet – und so gut wie gewiß ist, daß es mit der Eisenbahn fortgeht.

Herzlieb! Fein still abwarten, Du!! Willst das mit mir? Mein liebes, teures Herz! Gott weiß und sieht, wie wir zueinander stehen – er wird uns nicht verlassen!!

Ein grauer, regnerischer Sonntag ist. Falls es nach dem Essen sich aufklärt, will ich ein Stück hinausgehen – Du wirst in Gedanken mit mir sein, immer, immer!! Und so oft ich kann, will ich Deiner denken und Dir schreiben. Und bald, darf ich hoffen, kommt auch wieder ein Bote von Dir!!

Gott behüte Dich! Er stehe uns bei und stärke unsre Herzen. Ich bin Dein [Roland] und habe Dich so lieb wie mein Leben, das ich mir nur noch an Deiner Seite denken kann, Du meine liebe, liebste [Hilde]! Herzlieb mein!!!

 

Sonntagabend.

Herzlieb, ich muß an einen Aberglauben denken,den Du Du [sic] mir sagtest. Mein Gesicht brennt, gestern auch um dieselbe Stunde. [Ich] Weiß gar nicht, was das bedeutet. Es ist nur eben, weil ich von der frischen Luft draußen in die etwas überheizte Stube komme.

Ach Geliebte, daß ich Dich zu Hause weiß, das ist so tröstlich! Zu Hause!!

Es litt mich nicht im Lager. Ich ließ mich nach dem Mittagessen in die Urlaubsliste eintragen – legte mich ein Stündchen lang und machte mich dann fertig. Grau und trübe blieb es heute. [A]ber es hörte auf zu regnen. Ich mußte mich ein wenig auslaufen und lenkte meine Schritte nach der Stadt. Unterwegs mußte ich daran denken: Vor 3 Wochen war der Tag ähnlich trübe, aber da waren wir so froh beisammen. Lübeck ist eine schöne Stadt, eine überaus schöne Stadt, eine überaus reizvolle Stadt, eine Stadt mit großen Kirchen. Weithin sichtbar ragen wohl mindestens 7 spitze Türme, mächtige, wuchtige Türme gen Himmel, davon 2 Doppeltürme. Viele malerische Winkel, der Stadtkern ein altes geordnetes Stadtwesen, man fühlt sich so schnell heimisch und eingenommen wie meinethalben in Kamenz oder in einer wohnlichen Stube. Dazu ein Hafenviertel mit seinem eigenen Gesicht und Geruch, viele schöne Anlagen mit altem Baumbestand am Wasser entlang fast rund um die Stadt. Ich wäre hier sofort heimisch. Ach Herzlieb, wie ich mich all der Schönheiten hätte von Herzen freuen mögen, aber Du hättest müssen dabei sein oder sonst eine frohe Nachricht hätte mich erfüllen müssen. Wo ich umhergestrichen bin, traf ich nur wenig Soldaten, sondern meist zivile Sonntagsspaziergänger. Und sie mögen mir mit ihren Blicken begegnet sein wie wir früher auf unseren Spaziergängen manch einzelgehendem Soldaten begegnet sind. Herzlieb, Du weißt, was mich bewegt, ich muss suchen nach unserem Weg, muß mir Rechenschaft legen, wo wir stehen. Solch Bummel draußen, er beruhigt mich immer ein wenig, weil ich die Beine setzen muß, finde ich auch leichter das innere Gleichgewicht wieder. Alles, was künstlich mich betäuben könnte oder auf Stunden könnte vergessen lassen, das würde ich weit von mir weisen.

Herzlieb, ich habe so oft Deiner denken müssen! Auch an unseren Trost. Und auch daran, daß Gott uns nicht vergessen wird. Herzlieb, ich bin ganz ruhig heute abend. Meine Schreiberei hat eben vorhin auf mehr als eine Stunde geruht, ich wurde von Kameraden in ein Gespräch gezogen, aus dem ich mit Zufriedenheit entnahm, daß doch ein paar ganz patente Kerle darunter sind. Das stimmt mich ein wenig zufriedener.

Geliebtes Herz! Wir wollen fein still warten, ja? Du!!! Nicht unnütz sorgen, nicht unnütz Gedanken machen! Mein liebes, teures Herz! Ich habe Dich so sehr lieb!

Du bist mein Ein und Alles! Um Dich kreist all mein Sinnen und Denken! Wir wollen einander ganz fest halten, ganz lieb und innig einander denken, dann werden wir durchhalten, was auch kommen mag. Nun will ich mich schlafen legen. Herzlieb! Ich bin Dein, Du bist mein – das ist uns[e]re Liebe, unser fester, heiliger Wille! Gott segne ihn! Er behüte Dich! Er schenke uns starke, feste Herzen!

Bitte grüße die lieben Eltern und erzähle ihnen.

Dein [Roland]

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946