Bitte warten...

[OBF-410308-002-02]
Briefkorpus

Sonnabend, abends um ¼ 9 Uhr.

Herzlieb! Du!! Wie hast du mich erschreckt! Oh – Du!! Gerade war Vater fortgegangen nach Niederfrohna. Ich hatte den Tisch eben abgeräumt vom Abendbrot. Ganz genau höre ich im Radio sagen: die heutige Rundfunkschau von Hans Fritsche fällt aus – es ist genau 19 45 [Uhr]. Da schrillt unsre Glocke. Soo lange. Ich rufe zum Fenster hinunter, wer da?

Depeschenbote! Oh, mein [Roland]! Du glaubst ja nicht, wie ich erschrak – bis ins Herz hinein. Ich zitterte am ganzen Körper, als ich das Telegramm in die Hände nahm, eiskalt waren sie im Moment, sie sind es jetzt noch, Du!!

Wie ich die Treppe herauf kam – ich weiß es nicht, Du! Mein Herz klopfte, als wollte es mir die Brust zersprengen. Du! Ich setzte mich hin, immer noch das ungeöffnete Telegramm in [den] Händen. Du! Du! Ich war zum ersten Male voll Furcht[,] voll schrecklicher Angst – ja, ich glaube sogar[,] ich war zu feig, es zu öffnen. Ach Du! Herzlieb! Es waren ein paar qualvolle Minuten. Wie konnte darin eine frohe, glückliche Nachricht stehen? Nie und nimmer – so dachte ich. Du warst doch eben erst bei mir, Du würdest Dich doch nicht schon wieder anmelden! Und etwas ganz Wichtiges müßte es ja sein, das Du mir sagen mußt, sonst würdest Du mir ja nicht telegrafieren. Ach Du! Du!! Ich sah ganz lange und fest zu Deinem lieben Bilde hin, Du!! Da zog es wie eine unerklärliche Ruhe über mich hin – und nun öffnete ich.

Herzlieb! Du!!! Eine neue Feldpostnummer: 43460.

Ich erschrak aufs‘ Neue! Du!! Warst du fortgekommen?, weit fort? Lübeck, der Aufgabeort, also doch. Weg bist Du von Eckernförde, weiter herein, Du! Um 1715 [Uhr] ist es aufgegeben – 1935 [Uhr] war es hier in Oberfrohna aufgenommen – 1945 [Uhr] hielt ich es in Händen. So schnell, Du!

Ach, Herzlieb!! Ich möchte mit Dir reden – jetzt – gleich! Du!! Fragen über Fragen stürmen auf mich ein. Du verstehst das gewiß. Wie kommt es, daß Du fort mußtest? Warum? Wo bist Du nun? Was tust du jetzt? Bist du allein weg? Bist Du direkt in Lübeck? Ach Du!! Du!!

Geduld! Geduld!

Aber eines ist mir nun verständlich geworden mit dieser Nachricht. Meine Unruhe. Seit Donnerstag überkam sie mich. Es war sonderbar. Ich habe [mit] n[ie]manden davon gesprochen. Du!! Ich erklärte sie mir so, weil ich krank wurde und Du vordem bei mir warst, ich meinte, daß ich darum doppelt erregt und unruhig wäre. Aber nun ist es gewiß gewesen, weil Du an mich gedacht hast, weil mit Dir eine Veränderung vorgegangen ist. Bald werde ich nun erfahren, an welchem Tag Du fort bist, Herzlieb. Wenn ich nach meinem Empfinden urteilen soll, dann am Donnerstag, da mußte ich am heftigsten Dein[er] [ge]denken. Und vergangene Nacht fand ich überhaupt keine Ruhe; Donnerstag nachts nur wenig.

Herzlieb! Am Freitag als ich gebadet hatte, habe ich Deinen Brief selbst zur Post getragen. Weil es so sehr schön draußen war und seltsam, ich konnte noch nicht heimgehen, meine Schritte lenkten gewaltsam mich weiter – hinaus ins Freie. So bin ich – es war kurz nach 5 Uhr – nach R. zu, die neue Straße herüber, durch den Wald und am Jahnhaus herein gegangen. Ich dachte immerzu an Dich, garnichts Bestimmtes. Nein. Es war mir, als müßte ich jetzt unbedingt, mit allem, was ich habe[,] Dir gehören – mit all meinen Gedanken bei Dir sein. Ich wurde so ruhig und froh dabei. Nur – als ich abends im Bettlein lag, da war sie wieder da, die sonderbare Unrast. Ich fand keine Ruhe, ich dämmerte nur so hin im Halbschlaf. Heute früh, als ich erwachte – ich hatte ein schweren Traum, das weiß ich und soviel ich mich besinne – ich finde ihn nicht zurück, ich finde ihn nicht. Viel Wasser war dabei – oh viel Wasser und Du und ich. Mehr weiß ich nicht. ich war wie zerschlagen beim Erwachen. Und wieder schob ich‘s auf mein Unwohlsein, daß ich die Ruhe nicht fand.

Aber nun weiß ich es, Liebster! Zwei Menschen, die sich ganz fest verbunden sind, die tragen und erleben ihr Schicksal gemeinsam, auch über die Ferne hinweg. Was Dich wohl Neues bewegt haben muß – es nahm auch mir die Ruhe, das Gleichmaß.

Und heute nachmittag, Liebes! Du wirst an meinem Briefe erkennen, daß es lange, lange währte, ehe ich ganz zu dir fand mit allen Sinnen. Soviel Gleichgültiges geht voraus, ehe ich ganz zu Dir finde. Ob er Dir zugestellt wird, der Brief? Und der Kuchen? Und die anderen Briefe?

Du! Es war 5 Uhr, als ich endlich ganz mit meinen Gedanken bei Dir war, heute nachmittag. Ich weiß garnicht wie es kam: mindestens 4 mal bin ich aufgesprungen, hab aus dem Fenster geschaut, wonach? Ich weiß es nicht. Nach dem Briefträger, ja nach ihm. Ich wartete, wartete und wußte nicht worauf.

Ach Du! Du!! Dein Donnerstagsbrief ist noch nicht bei mir. Aber er kommt ja morgen, soviel Frist ist noch gestellt, wenn er normal befördert wird. Wenn er morgen nicht kommt, dann ist es mir Beweis, daß das Dein Reisetag war, dann hattest du nicht Zeit. Ach – wenn nur erst ein Wort von Dir käme, über Dein Geschick. Ich sorge mich so um Dich, solange ich nicht Deine Umgebung kenne – nicht weiß, wo Du Dich aufhältst, wo mein Herzlieb schlafen wird! Ach Du!!! Möge der Herrgott mit Dir sein! Mein lieber, lieber [Roland]. Du! Du!! Ganz lieb will ich Dich in mein Gebet einschließen, will Dich unserem Herrgott anbefehlen. Du! Mein Herzlieb!! Ich bin so fest bei Dir! Ganz innig denke ich Dein! Mit all meinen Gedanken bin ich bei Dir! Du!!

Lesen kann ich nun heute abend nicht. Du hast mich aus [A]llem herausgerissen mit Deiner Nachricht.

Ist es nun eine gute, oder eine böse?

Bis jetzt besagt mit diese Zahl garnichts. Das werden mir erst Deine Worte sagen, Du! Alles wirst Du mir erzählen – nichts verschweigen. Ich weiß es. Ach Herzlieb ! Mein Herzlieb!

Es ist eigentlich garnichts Außergewöhnliches, so eine Versetzung beim Militär. Ich denke dabei an Deine Brüder: Siegfried – Hellmuth.

Nur – mir ist dabei ein wenig unbehaglich zumute. Ich kann mir gar keine klare Antwort geben, warum. Nun hattest Du Dich so gut eingearbeitet dort in Deiner Batterie. Deine Kameraden, sie waren Dir nun zum großen Teil bekannt mit ihrer Art. Und erst vor wenigen Tagen schickst Du mir, daß Du nun Deinen Platz Dir gewonnen hast, Deinen Platz unter ihnen – das ist so leicht nicht und ehe es soweit kommen kann, müssen viele, viele Tage ins Land gehen. Das ist nun alles zusammengestürzt – verwischt – als wäre es nie gewesen. Das ist eher Soldatenart. Weiter, immer weiter. Neues, neues erleben, kennen lernen, sehen. Konntest Dich nun schon so frei und froh bewegen unter allem Druck dieses Soldatenlebens. Und jetzt? Vorbei – von vorne beginnen. Von vorne – eingewöhnen – einleben in die neue Kameradschaft – in die neue Arbeit.

Aber nun hast Du wiederum auch schon Erfahrung, hast gelernt in diesem ½ Jahr, das Du dienst.

Und im Grunde, wir haben ja beide gewußt, daß früher oder später der Tag kommt, da Du einmal dort weg mußt. Niemand sitzt beim Militär jahrelang an einem Platz. Und je mehr ich es bedenke, ich komme am Ende zu der Einsicht: ich muß und Du mußt dankbar sein, daß Du nicht viel weiter, vielleicht ins‘ Ausland, wer könnt’ es sagen, wohin? versetzt worden bist.

Mein [Roland]! Es ist doch ein Wort von unerschütterlichem Bestand: Herr schicke was du willst..... .

Müssen wir nicht demütig stille stehn vor dem göttlichen Walten über uns? Und dankbar sein? Herzlieb! Ja wir alle, und sie alle, die Dir vorstehen, die Menschen sind nur Werkzeuge Gottes. Sein Plan und sein Wille geschieht nach wie vor. Und was uns auch gestellt wird an neuen Aufgaben, Herzlieb! Der Glaube und die frohe Zuversicht an das Gute, die sollen Dich nie wankend machen. Und ich weiß, Du weißt diese Wendung recht aufzunehmen: mit gläubigem, vertrauendem, dankbarem Herzen.

„Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten [sic] dienen.“

Mein [Roland], nun steht er wieder vor mir  an dieser Wegwende, unser Leitspruch fürs‘ gemeinsame Leben. Wir wollen ihn uns fest einprägen, Herzlieb.

Ich habe mich beruhigt, mein Herzlieb. Und ich möchte so gerne ein wenig davon auf Dich überleiten. Ach Herzlieb! Das alles sind vergängliche Wolken nur an unserem blauen, reinen Glückshimmel. Meinst Du nicht auch? Unsere unbedingte Zuversicht! Unser fester Glaube an das Gute! Unser Vertrauen auf Gott! Und unser beglückendes Wissen um unsre treue Liebe!Das alles wird Dich und mich das Neue tragen lassen mit der gesamten Kraft unsrer Herzen. Ich weiß es, Du!! Gott wird uns nach unseren Kräften bedenken. herzlieb! Mit Zuversicht und Vertrauen will ich den Tag erwarten, der mir ein Zeichen von Dir bringt. Und auch weiterhin soll mich diese Zuversicht nicht verlassen.

Ich denke ganz lieb und fest Dein! Und weiß froh, daß uns der Herrgott führt. Das ist mir Trost genug. Reicher Trost. Herzlieb! Bleibe stark mit mir! Du!! Einmal muß dieses Leben, wie wir es jetzt ertragen müssen, ein Ende nehmen. Und dann ist alles gut. Wenn endlich Friede in der Welt ist, dann wird auch Frieden in unsre Seelen einziehen und ich will dankbar mit Dir zurück blicken, auf die Zeiten, da wir einander so fern und doch innerlich ganz nahe, Trost zusprachen.

Mein Herzlieb! Ich will nun versuchen zu schlafen. Ich bin so müde. Du! Du!! Ich küsse Dich! Ich bin Dein! Gut Nacht! Mein Sonnenschein, Du!

Gott schütze Dich!

Deine [Hilde].

Mein Herzlieb! Es ist Sonntag, ehe der Mittag da ist, will ich den Boten auf den Weg schicken zu Dir. An den neuen Ort. Ich kann es nicht anders glauben, als daß Du an einem neuen Ort bist. Ich lese immer wieder den Aufgabeort Deines Telegramms: Lübeck.

Bald werde ich mehr hören von Dir, mein [Roland]! Am Nachmittag will ich noch ein Stündchen mit Dir plaudern, Du! Für heute, auf Wiedersehen! Du!!

Gott behüte Dich mir! Mein Herzlieb!

Ich bin und bleibe immerdar

ganz Deine [Hilde].

Einen herzlichen Gruß von Vater!

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946