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[OBF-410302-002-01]
Briefkorpus

Sonntag, am 2. März 1941.

Mein geliebtes Herz! Geliebter [Roland]! Herzallerliebster, Du!

Vier Worte gaben mir Gewißheit und Beruhigung: „gut angekommen, Dein [Roland]." Herzlieb! Ich lese sie immer wieder, wie um meine Unrast zu besänftigen. Du! Sag, bist Du auch so voll Unrast? Es ist sonderbar, Herzlieb. Gestern, ich war nun ab Mittag wieder allein in unsrer Wohnung, die Eltern gingen runter nach Mittelfrohna, und anstatt mich nun wie sonst immer meiner Einsamkeit zu freuen, trieb es mich aus einem Raum in den anderen. Ich fand keine Ruhe, mich litt es nirgends – überall sah ich Dich, suchte ich Dich, Du! Ach Du!! Nur über Deinen Zeilen, die ich für Dich schrieb, konnte ich ganz stille sein gestern nachmittag.

Ich werde mich bald wieder an das Alleinsein gewöhnen, sicher. Es wird mir nur so schwer, weil Du, Herzlieb, so viele lange Tage und auch Nächte bei mir warst. Und an den Gedanken, daß diese schöne, unvergeßliche Zeit nun wieder der Vergangenheit angehören soll, Du! muß, kann ich mich langsam nur gewöhnen, mein [Roland].

Als ich gestern Deinen Boten zur Post trug, ich hatte auch für die Eltern einen Sonntagsgruß geschrieben, schien die liebe Sonne. Erst gegen Abend klarte das Wetter auf für ein paar Stunden, heute ist der Himmel wieder bedeckt und es stürmt; so kommt neuer Regen. Seit ich Dich begleitete am Freitag, ist das Wetter außer diesen paar schönen Stunden das gleiche geblieben.

Ich bin gestern noch ein Stück weiter gegangen, nach dem Gang zur Post. Bei dem Gedanken an Zuhaus, an die Stille, an den Ort, da ich mit Dir so glücklich war, Du! Da überkam es mich wie Furcht. Es war, als fliehe ich vor mir selber. Und die einsamen Wege trösteten mich nicht. Ich lenkte dann meine Schritte zur Stadt. Es ging gleich auf sieben. Da kam ich am Kino vorbei, Bismark [sic], ich zögerte – und ging dann hinein.

Herzlieb! Es ist ein schöner Film, sieh ihn Dir an, wenn es Dir möglich ist. Er hat mich tief beeindruckt.

Kurz vor 10 Uhr kam ich heraus aus dem Kino. Es war Nacht draußen geworden, ein wunderbarer Sternhimmel spannte sich über mir. Ganz langsam ging ich heimwärts, den Blick immer nach oben gerichtet, meine Gedanken gingen zu Dir, mein Lieb! Sehnsucht und heiße Liebe drängten hin zu Dir, mein [Roland]. Und wieder empfand ich, wie so klein, so wesenlos ist ein kleines Menschenschicksal beim Anblick dieser unendlichen, erhabenen Größe und Schönheit und Allmacht über uns – Gottes Allmacht. Dieser Himmel, er bleibt, er vergeht niemals, mag die Erde unter ihm erschüttert werden wovon sie auch will – der Himmel bleibt. Er ist uns schwa[che]n Menschen Beispiel und Zeichen unvergänglicher Beständigkeit und Treue, Zeichen auch des Göttlichen, daß über uns steht, und dem wir uns demütig beugen sollen.

Du! Ganz stille und demütig ward ich im Herzen. Ich sah meinen Weg, unseren Weg wieder ganz klar, Herzlieb! Tief dankbar faltete ich meine Hände – kein Mensch war auf der Straße – mein [Roland], und ich betete für unser Glück, ich bat um Gnade und um Kraft, unseren Weg zu vollenden.

Herzlieb! Was mich nun leitete gestern auf meinem Weg, der Film hat mich nicht zu mir zurückfinden lassen – aber weil er mich 2 Stunden festhielt und weil ich dann den Anblick einer Sternennacht geschenkt bekam, darum war er eine Vorstufe zu meinem Seelenfrieden. Und ich fühle auch hier, es geschieht auch nicht das kleinste auf dieser Welt, ohne einen bestimmten Sinn.

So sind wir einander wieder ferne – auf uns selbst gestellt, und müssen ganz aus eigner Kraft uns wieder im Alltag zurecht finden. Herzlieb! Auch Dich wird diese Umstellung jetzt noch befangen – und diese Umstellung geht nicht so ganz mühelos vonstatten, auch bei Dir nicht, ich weiß es. Wir hängen so fest, so innig aneinander, Du!

Und doch ist es eben gerade dieses innige Verbundensein, daß [sic] uns die Kraft gibt auszuhalten an dem Platze, wo uns das Schicksal hinstellte, daß [sic] uns die Kraft gibt, alles auf uns zu nehmen und zu tragen. Wir wissen: eines hält tapfer aus um des andern Willen, eines stärkt das andre, in seiner Haltung, in seinen Worten; alles, alles geschieht um unsrer herrlichen Liebe willen, Du! Du! Du und ich, uns beseelt nur eines zu kämpfen um unsre Liebe. Und Herzlieb! Wie lange dieser Kampf auch währen mag, ein Jahr und länger – wir werden nicht verzagen, unsre Liebe trägt uns – sie trägt uns hin bis zum Sieg – zum Sieg! Du! Da Du mir ganz wieder geschenkt wirst! Mein Sonnenstrahl! Mein Glück! Unser Herrgott sieht auf alle herab, die ihn lieben, die sich ihm anvertrauen, er vergißt keinen Menschen, auch Dich und mich nicht, Herzlieb. Wir dürfen nur nicht müde werden zu glauben und zu vertrauen, um Gnade für unsern Bund zu beten. Mein [Roland]! Weil wir nur beide um unsern Herrgott wissen, Du!

Sonntag ist. . Du! Ob Du wohl nachher, zu Mittag einen Gruß von mir erhältst? Du wirst warten, Du! Wie ich warte. Geliebter! Ich danke Dir so von Herzen, daß Du mich bis nach Leipzig mitgenommen hast! Morgen werde ich hören, wie Deine Fahrt verlief, wie Du angekommen bist. Ich freue mich so sehr auf Deinen Brief! Herzlieb!

Du! Wie ich nun geschlafen habe, wieder allein? Geliebter!! Freitagnacht sehr unruhig, um ½ 200 [Uhr] war ich einmal ganz hellwach. Hast Du Schlaf gefunden, Herzlieb? Ach, ich weiß noch nicht einmal wo mein Lieb, sein Köpfchen hinlegte.

Sonnabend früh um 8 [Uhr] bin ich aufgestanden, habe zuerst die Wege besorgt, die am 1. des Monats besorgt werden müssen! Aber abgehoben hab ich nichts! Du!! Bin ja noch so reich! Dann hab ich zusammen mit Mutsch auch die letzten Spuren Deines Besuchs beseitigt. Nun sehen meine Augen nichts mehr als Dein liebes Bild – den Waldstrauß und die lieben Bücher. Halt! Deine Schuhe, ja – die auch. Ach wenn ich Schränke und Kästen öffne, da trittst Du mir ja jedesmal entgegen in irgend einem Stück! Du! So allein schon könnte ich Dich garnicht vergessen, mein [Roland]!

Heute Nacht habe ich [z]um ersten Male wieder in meinem Kämmerlein geschlafen – ich fürchte mich allein zu sein in unseren 2 Bettlein, Du! Ich muß mich dann so sehnen. Müde bin ich kaum mehr, Herzlieb! Wenn Du heut Dein Mittagsschläfchen hältst, dann denke an mich Liebster! Wie ich Dein denken will! Gegen 3 Uhr will ich meinen versprochenen Besuch machen! In Gedanken wirst Du mit mir sein, Geliebter!

Und nun wünsche ich Dir einen frohen Sonntag und viel Glück zum neuen Anfang im Dienste, nach dem Urlaub! Morgen tritt Vater in Döbeln an! Mein geliebtes teures Herz! Mein [Roland]! Ich bin Deine [Hilde], ganz Dein! Ich bringe Dir meine ganze Liebe, Du!!!

Gott schütze Dich! In unverbrüchlicher Liebe und Treue

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946