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[OBF-410210-001-01]
Briefkorpus

Montag, den 10.Februar 1941.

Mein liebes, teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde], Du! Du!!!

Nun ist er endlich zweistellig, der Februar, Du! Du!!! Für Dich eine, und für mich eine Zahl! Aber teilen mag ich sie nicht heute und die Teilung begründen! Ich muß ganz brav schreiben in diesem letzten Boten; womöglich kommt er mit dem Absender zur gleichen Zeit an, und dann könnte der Zorn womöglich noch nicht verraucht sein – nein, das ist zu verfänglich!

Ach Du, wie habe ich nach diesen Tagen sehnsüchtig ausgeschaut! Als sie noch so fern lagen, nun sind sie da. Und eben um diese Stunde vielleicht wird der Postbote noch zu später Stunde mein Herzlieb aufsuchen – wird doch nicht erschrocken sein darum? Herzlieb! Herzlieb!! Du! Der Fahrschein ist schon geschrieben! Am Mittwoch darf ich fahren. Ich hätte auch schon morgen dürfen, aber das wollte ich nicht. Erst alles noch in Ruhe übergeben – und dann ab! – Bist doch auch wieder ganz gesund! Ach Herzlieb! Die Ungeduld übertönt fast die Freude. Ich muß mich ganz sehr zusammen nehmen. Die Heimat! Mit Deinem lieben, lieben langen Boten vom Sonnabend stellt sie sich vor mich. Die Heimat! Ich liebe sie so sehr! Meine Heimat – die Lausitz – und Deine Heimat. Ja auch die Deine – und ich weiß gar nicht – welche ich mehr liebe. Die meine: mit ihrer Landschaft, mit ihren lieben, mir so vertrauten Bildern und Erlebnissen – weniger mit ihren Menschen.

Und die Deine? Du! Du!! Du!!!!! Weil ich Dich dort fand – zu allererst. Und weil ich dort am längsten und tiefsten mich sehnte, und diese Sehnsucht hinaustrug – und weil sie sich dort erfüllte, Du!! Du!!! Sie fließen so weich ineinander nun – die Bilder des Sehnens mit den Bildern des Erfülltseins! Du! Du!! Deine Heimat! Die Heimat meiner Liebe. Dort liegen all die Orte, um die meine Gedanken abertausendmal kreisten, dort steht das Haus meiner Liebsten, dort sind all die Orte unseres heimlichen Liebhabens. Du! Du!!! Mitten vieler Häßlichkeit und Wurzellosigkeit steht das Haus meines Herzlieb. Häßlich ist Limbach in vielen Teilen – wenig Schönheit bergen die Orte ringsum – und die Menschen darin sind der Schönheit entwöhnt – aber mein Herzlieb, das wurzelt dort, steht mit einem Beinchen in Kaufungen, diesem ganz eigenartigen Orte – mit dem andern Beinchen – eigentlich auch in Kaufungen – steht also ganz fest – und ist doch auch zum Guten immer ein Schuß fremden Blutes zugeflossen – zu dem rheinischen (?) Blute der Kaufunger. Ich erzählte Dir doch schon einmal davon? Mein Herzlieb wurzelt in dieser schönen, weiten, sanftgewellten Landschaft – die in die Weite lockt, und in ihren heimlichen Talern [sic] und Gründen doch auch zum Verweilen einlädt, die nicht ganz flach und eben ist – und doch den Blick offen läßt zum großen erhabenen Himmelsgewölbe. Die Landschaft – ach Du! – sie fesselt mich überall – sie spricht zu mir – und doch gebe ich meiner vor Deiner Heimat den Vorzug. Meine Heimat, sie lädt ein zu rüstigem Wander, zum Schauen von turmgekrönten Gipfeln – die Deine, sie will durchfahren sein – am liebsten mit dem Rade. Du[,] das haben wir uns schon lange vorgenommen. Die Menschen Deiner Heimat? – Ach einer er ist mir der einzigste [sic] und allerliebste auf der Welt Du!! Du!!! Und Vater und Mutter und die Kaufunger Verwandten und die Großmütter: es sind in ihrer Art ganze Menschen, die ich lieb haben muß, weil sie mir erzählen von meinem Herzlieb. Aber die Menschen sonst? Ach, sie haben mich wenig bekümmert und bewegt.

Herzlieb! So ergeht es mir in jeder neuen Heimat: Die Landschaft und der Himmel darüber, sie sind mir das Wichtigste. Die Menschen? Ich hatte an mir selber genug – und nun gar, da ich mein Herzlieb liebe, nun brauche ich die Freundschaft und Liebe der andern nicht. Ach Herzlieb, das soll nicht hochmütig klingen. Alle Menschen um uns bedeuten etwas. Aber sie bedeuten mir nur etwas, wenn die Bekanntschaft mit ihnen mehr ist als ein neugieriges und zudringliches Beschnüffeln und Bereden. Oft bedeuten mir fernstehende Menschen mehr als so nahstehende Menschen, die mir in O. etwas bedeuteten? Die Berufskameraden – fast alle hatten sie mir etwas zu sagen – D., Pfarrer E., Kantor L. – um nur einige zu nennen und damit anzudeuten, daß nicht die Enge einer Bekanntschaft gleichbedeutend ist mit ihrer Wichtigkeit. Vor solch engen Bekanntschaften werden wir schon unsrer Stellung wegen bewahrt bleiben.

Weißt [w]elcher Wunsch mich bewegt und welche Bitte, wenn ich an unsre künftige Heimat denke? Daß sie uns recht zusagen möchte, daß wir gut uns einleben und eine Weile dort bleiben können – unsres Kindleins wegen. Du!!! Es wäre solch großes Geschenk, wenn ich meinethalben nach R. könnte! Wenn wir dort anknüpfen könnten – Dein Hubo – an sein erstes Heimatgefühl, an seine erste Heimatliebe: Weißt[,] früher war das möglich da konnte der Lehrer sich noch bewerben, und wenn er tüchtig war, da schlug er den weniger Tüchtigen. Hast die Zensuren von Deinem Mannerli schon mal gesehen? Du! Du!! Versteh mich recht, ich will mich nicht aufspielen damit! Aber Dein Mannerli wäre einer der ersten gewesen, denen man ihren Wunsch erfüllt hätte. Herzlieb! Was ich tun konnte, hab ich getan, um in meinem Berufe nicht hintanzustehen. Und nun gilt es heute nicht mehr. Es gilt nicht mehr. Es ist verfallenes Geld, verlorenes Kapital: das Können, die Leistung. Kannst verstehen, daß es mich manchmal schmerzlich berührt? Wie kann ein ehrlicher Mensch anders vorwärts zu kommen versuchen als durch seine Leistung? Und heute? Gunst geht über Kunst! Wie gerne hätte ich Dir doch das Kapital des Könnens auch zum Geschenk gebracht, wie es viele andere Männer (zumal aus der Privatwirtschaft) ihren Frauen bringen können.

Ach Herzlieb! ich kenne Dich und weiß, daß Du auf äußere Auszeichnungen Deines Mannerli gern verzichtest, daß Du allein nach seinem Wesen und Herzen schaust – und auf die Wertschätzung, die er von guten Menschen erfährt. Damit werden wir uns in unserem Berufe auch abfinden müssen. Auf unseren Herrgott wollen wir auch ihn hier vertrauen. Auf ihn haben wir alles gestellt – er wird Rat wissen, won niemand sonst Rat weiß. Daß die Kinder eine gute Heimat haben, das ist so wichtig für ihr erstes Erleben und Empfinden. Aber ein wenig haben wir es schon in der Hand, diese Heimat ihnen liebenswert zu machen. Und sollte wirklich die Zeit wieder einmal heraufkommen, da wir wählen können, dann wollen wir frei miteinander beraten und mein Herzlieb soll seinen Lieblingswunsch äußern dürfen.

Du!! Erzählst mir wieder so lieb von allem! Großmutter: möchte sie bald gesund werden! Mutter: sie hat nun wieder neue Sorgen und Pflichten, die wir ihr nicht abnehmen können. Vater: der nimmermüde. Ohne viel Worte umsorgt er Euch vorbildlich – Du, er ist so gut! Und mein Herzlieb? Es ist wieder meistens allein – mit der Arbeit – mit seiner Sehnsucht, seiner großen Freude – und bald, bald mit seinem Mannerli!!!!! Ach Du! Recht lieb und dankbar wollen wir sein auch unseren Eltern. Unserem Glück gilt ihr Tun und Schaffen – unser Glück ist ihnen reichster Dank und Lohn. Dieser Selbstlosigkeit und Fürsorge gebührt höchste Achtung, Dank und Liebe!

Meine liebe, liebe [Hilde]! Miserabel schreibe ich heute! 1. Habe ich nicht die richtige Feder. 2. Habe ich wenig Lust und Geduld. 3. Bin ich müde – will mich bald niederlegen, damit ich ganz hell und munter bei Dir bin!!!

Meine liebe, liebe [Hilde]! Du sagst mir so viel Liebes! Überzeugen willst Du mich, was ich Dir bin! Geliebte! Ich bin in Deiner Schuld!! Immer! Du!! Und wenn Du das nicht magst – ich habe ebensoviel Ursache, Dir meine ganze Liebe zu bezeugen. Du!! Du!! Daß ich doch nun bald bei Dir sein soll. Geliebte! Dein liebes, holdes Antlitz schauen!! Ach Du!!! Behüte Dich Gott! Er behüte Dich! Er schenke Dir bald Gesundheit – er schenke uns ein frohes Wiedersehen!! Mein liebes, teures Weib!! Meine liebe, liebste [Hilde]!

In Wittgensdorf auf Wiedersehen!! Winke, winke! Du!! Du!!!!! Paß mir gut auf! daß ich nicht vielleicht eher komme!! Dein [Roland] bin ich!! Ganz Dein!!!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946