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[OBF-410127-001-01]
Briefkorpus

Montag, den 27. Januar 1941.

Mein liebes, teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde] Du!

Nun gehen sie hin und her zwischen uns, die Boten der überquellenden Freude, Du!! Herzlieb!!! Nun steht sie auch auf Deinem geliebten Antlitz so rein und dankbar und herzlich und kindlich! Weißt! Wie ein Kind, so kann ich mich wieder freuen mit Dir – aber nur mit Dir – und niemand sonst darf es sehen! Nun wogt es auch in Deinem Herzen! Du! Du!!! Wie Du Dich sehnst!! Wie Du meiner wartest! Was Dein B Hubo darüber empfindet: Du!! Du!!!! Du!!!!!!!!!!!!!

[Es] Müssen immer zwei sein zum Glücklichsein – seltsam, geheimnisvoll – kann mir doch gar nicht denken, daß das Schlüsslein so notwendig ist – das Gärtlein ist doch viel wichtiger! Ach Herzlieb! Ich weiß es schon besser! Die böse Lust zu büßen genügt man sich tatsächlich selber. Du verstehst mich. Aber zum Lieben gehören zwei – und zum Glücklichsein, das gehören zwei, die es gewaltsam zueinandertreibt – die sich unendlich sehnen – die zueinander stehen so unwiderruflich wie die Sterne am Himmel zueinanderstehen. Und so ist es zwischen uns. Geliebte, Du!! Zwei liebe Boten, Zeugen Deiner unendlichen Liebe, bekam ich heute. Geliebte! Ich kann Dir nur immer wieder danken, daß ich so ganz Dir mich weihe – und das tut Dein [Roland]! Du!!!!!

Geliebte! So lange, liebe Boten! Du, so lang kann ich sie Dir nicht schicken! Aber Du verlangst es auch nicht. Herzlieb! Was Du von der Einsamkeit sagst, wer verstünde das besser als ich? Der so lange einsam war – der die Einsamkeit lieben lernte und dessen Wesen es ist, eigene Wege zu gehen. Du weißt, ich meinte es gut mit Dir. Ich bin doch genauso wie Du! Habe ich doch gezweifelt, daß ich Dir Dein liebster Geselle bin, auch wenn ich Dir fern sein muß? Daß ich Dich so ganz ausfülle, so daß Du nur ihn brauchst? Ach nein, Geliebte! Ich zweifle nicht mehr an Dir, nie, nimmermehr!!! Weißt, manchmal denke ich mir, ich müßte Dein Alter, richtiger Deine Jugend, in Rücksicht setzen. Du lieber Gernegroß! Du!! Willst Deinem Hubo gar nichts nachstehen – willst es ihm in allem gleichtun – und in der Liebe gar zuvor! Du!! Du!!!!! Ich vergesse doch ganz, daß ich alt bin –  ist doch überhaupt kein Unterschied mehr zwischen uns! Geliebte! Unsre Liebe schlägt feste Brücken über jeden Unterschied! Es geht mir ja so wie Dir: wenn ich Deine [sic] denke, dann bin ich doch am liebsten ganz allein, so wie ich auch sonst a[m] liebsten mit Dir ganz allein bin!! Du!!! Einsamkeit ist ja nicht nur ein schmerzlicher Mangel, es kann auch ein köstlicher Reichtum sein. Du, wenn ich so schreibe, da möcht ich doch manchmal ganz verzückt dreinschau[e]n – Dir ganz lieb zulächeln – das tu ich ganz gewiß, wenn ich allein bin; aber wenn ich mich beobachtet weiß, kann ich es nicht. Und zu Hause, wenn ich in Kamenz bin, da mag ich nicht zeigen, daß ich mich 2 bis 3 Stunden zurückziehe, um einen Brief zu schreiben. Solange dauert es doch bei mir, das Deingedenken – solange wie das Liebhaben jeden Tag, ja? Du!! Du!!!!!

Und wenn ich nun heimkomme zu meinem Herzlieb – da bin ich doch auch am liebsten allein mit ihm! Ja – ganz gewiß. Nein, nein, dagegen habe ich ja auch nicht gesprochen, daß sie arbeitet; nur daß sie leichtsinnig über ihre Kräfte geht. Was Du von dem Antrieb schreibst, das habe ich mir schon gedacht. Dafür habe ich auch Verständnis. Es ist nur manchmal so, daß man hinter ein paar Tausendern her ist und gar nicht merkt, daß man diese Tausender dabei verliert. Als Deine liebe Mutter sich entschloß, wieder zu arbeiten für Dich und für mich – so empfand ich – zu allermeist, Geliebte! Da empfand ich ich [sic] die ganze Liebe und Treue dieses Opfers mütterlichen Herzens. Geliebte! Hohe Achtung empfinde ich vor der lieben Mutter – und ich weiß auch, wer ihr darin ganz nachgeartet ist! Herzlieb!! Ich kann auch nachempfinden, daß dieses Sorgen und Teilnehmen der lieben Mutter an ebenso viel Freude und Erfüllung bedeutet, wie es ihr Mühe macht. Dieses aufopfernde und selbstvergessene Sorgen hat in seinem elementaren Antrieb auch etwas Enges – es verschwendet sich leicht auch zum Schaden. Du hast es selbst mit gehört, als Mutter sich selbst gestand, daß sie ausgenützt wird. Und das möchte ich ja nicht, so wie Du auch, und auf keinen Fall will ich dulden, daß Du einen Nachteil davon hast. Und dieser letzte Grund war es ja am meisten, der mich bestimmte mitzureden. Daß wir die lieben Eltern auf ihre Tage noch aus ihrem Gleise bringen, daran glaube ich selbst nicht – wir würden sie des Rythmus [sic] ihres Lebens berauben. Daß sie nicht wie wir sinnend und besinnlich verweilen können und mögen vor aller Tiefe und Schönheit dieser Welt – das ist kein Charakterfehler – es ist das Ergebnis ihrer Erziehung und ihres harten Lebens. Weißt! Geliebte! Der Gedanke glimmt schon lange in mir! eine Aufgabe steht hier vor uns, eine ganz große, die mit größter Liebe und feinstem Verständnis angefaßt sein will: Den lieben Eltern für ihre künftigen Tage und ihren Lebensabend die Abendröte inneren Friedens, und des wahren Gottesfriedens zu bringen. Hast Du daran schon einmal gedacht? Du! Wenn ich abends die Hände falte und auch die Eltern ins Gebet schließe, dann muß ich daran denken – daß so wie wir, auch die lieben Eltern unser Glück Gott im Himmel danken mußten. Wie diese Aufgabe anfassen? Ach ich wüßte es jetzt selbst nicht zu sagen. Wir müssen beide einmal ernst darüber nachdenken. Wenn wir unser eigenes Heim haben – wenn sie uns besuchen – wenn sie dann noch viel mehr als an unserem Glück teilnehmen, wenn es dann für sie viel deutlicher und sichtbarer in Erscheinung tritt in seinem Segen – ich denke, dann wird ihnen manches von selber aufgehen – und vielleicht bedarf es dann nur eines kleinen Anstoßes und weniger Worte.

Ich habe ja gar nicht gedacht, daß Du der lieben Mutsch den Brief ausliefern würdest, nach dem, was Du mir schreibst. Verteidigen werde ich Dich ganz persönlich. Mich interessiert im Augenblicke nur, ob sie sich mit Dir darüber ausgesprochen hat; die Kränkungen betreffend – und ob sie dafür Verständnis zeigt. Na, spar Dir die Tinte – erzählst mir's, wenn wir grad mal nichts besseres wissen.

Nein, nein! Die Freude und Lust zu Schaffen und zu sorgen mag ich der lieben Mutsch nicht nehmen. Du nimmst ihr mit Deinem Walten im Hause viel Mühe ab. Die Mutsch, das ergab sich aus einigen Gesprächen, ist drüben im Geschäft auch ganz unauffällig ein wachendes Auge und für die jungen Mädel eine Erzieherin. Das wollen wir nicht ganz übersehen. Und für meine [sic] Urlaub mag ich auch einer Sonderregelung nicht das Wort reden! Du!! Du!!!

Den Haushalt machen wir, ja? Hubo hilft mit, und sei es mit Unsinn oder sonstwie, Du!! Und wenn wir erst mal spät uns aus dem Bettlein finden, dann hilft er richtig mit, daß niemand was merkt, Du!! Du!!!!! Du! Früh wird's schon hell jetzt – und es ist schon wieder allerhand am Tage! Ja, und die Urlaubsbestimmung tritt pünktlich wieder in Kraft: daß ich Dir nicht von der Seite gehe, Du!!! das magst bei allem Programm–Machen bedenken!

Herzlieb! In ein bestimmtes Programm hast Dich wohl schon ganz sehr gefreut? Es wäre mir ganz sehr leid um Dich! Hör! Zu einem Vergnügen in der Kantorei bringst Du Deinen [Roland] nicht, Geliebte! Herzlieb! Meine [Hilde]!!! Du!! Du!!! Ich bitte Dich so herzinnig, mich zu verstehen! Geliebte!!! Ich möchte doch alles Dir zuliebe tun – und deshalb eben bringst Du Deinen [Roland] nicht dorthin.

Geliebte! Bitte denke Dich hinein in ‚ihr' Herz – ich kenne es nicht, ich weiß nicht, wie tief es ist – ich glaube nicht, daß es so ist wie Deines, ach nein, nein!! Niemals! – Aber wir wissen es nicht – Herzlieb, ich könnte nicht froh werden – ich würde nur bangen, eine Wunde aufreißen – Geliebte! Ich kann von anderen immer nur denken, wie ich selber bin – mein Schmerz würde aufbrechen. Herzlieb!! [B]itte, bitte! Schreibe, wie Du dazu denkst. Hörst Du? Ich will alles lieb wägend [sic] anhören – und wenn ich kann, will ich Dir Deinen Wunsch erfüllen!!

Aber setze es bitte nicht in Rechnung, wenn Du als Mitglied des Festausschusses beratend Deine Stimme erhebst. In jedem Falle ist es mir lieber, es geht ohne mich vorüber. Und wenn man in Dich dringt, dann sage, daß ja noch unbestimmt ist, wann ich komme, und daß wir ja auch die Eltern in Kamenz besuchen müssen. Geliebte! Wenn ich mit dieser Abfolge Deine Freude trüben mußte! Ach! Ich will es nicht hoffen!! Du!! Hast [Du] es wohl selber nicht ganz bedacht? Willst nur mit mir tanzen? Nein, das geht nicht, in dem Kreise geht das nicht! Dein [Roland] würde wie früher sich verpflichtet fühlen, möglichst allen einen Tanz zu schenken – und er brächte es nicht über sich, einem Tänzer Dich zu verweigern, er mag diesem Kreise seine tiefe, eigensinnige Liebe zu Dir nicht zeigen und preisgeben.

Meine [Hilde]!! Meine liebe, liebe [Hilde]!! Ich bitte Dich herzinnig, mich zu verstehen! Wenn kein Tanz ist – dann ist die Situation anders. Dann braucht Dein [Roland] sich nur zu unterhalten – dann werden die alten Erinnerungen nicht so lebendig – aber ganz froh wäre ich trotzdem nicht.

Ach Du! Du!! Ich mag mir heute darum den Kopf nicht warm machen, will mir auch die Freude, meine große Freude nicht nehmen lassen. Wir beide können uns nie mißverstehen – und es wird alles noch ein rechtes Geschick kriegen.

Herzlieb – und ich will doch auch gerne mit Dir tanzen – auch in Gesellschaft. Wenn wir in Chemnitz oder Dresden eine Veranstaltung besuchen, da kann ich Dir doch diesen Wunsch erfüllen – da können wir unter Fremden ganz lieb heimlich uns eins wissen und eins fühlen – da darf mein Herzlieb auch ganz eigensinnig einem anderen den Tanz weigern. Du!! Du!!

Ach, nun will ich auch ganz froh schließen, Du!! Neugierig hast [Du] mich gemacht mit Deinen vielen heimlich liebsüßen Zeilen. Was ist denn das, die Schule der Socken [*]? Ich kenne den Ausdruck gar nicht und kann das Wort auch nicht entziffern – ich lese Socken [**]. Na, nun hast Deinem Dickerle ja was weiß gemacht. Aber ich hab es ja gewußt, daß mein Evchen voller Geheimnisse ist – und der Hubo ein Dummerle. Zubeißen darf er? Und er zählte doch schon heimlich die Klitsche, die ihm sein ungezogenes Ansinnen einbringen würde. Ach Herzlieb! ob [sic] ich dumm bin oder nicht in diesen Dingen – es kränkt mich nicht. Ich habe Dich so lieb!! So lieb!!!!! Und diese Liebe will schenken und beglücken – und ob ihr das gelingt, das will sie an Deinen Augen sehen; Du weißt, wie reich Du mich beglückst, wie hoch mich erfreust, und Du weißt, womit Du mich am allermeisten beschenken kannst – und Dein Hubo wird in dem Willen, Dich ganz zu beglücken, aus seiner Liebe heraus, das rechte treffen – und er läßt von seinem lieben Weib sich lieb – leis – heimlich führen zu allen Gedanken und Süßigkeiten - und er wird sie beglückt empfangen und mit seiner Zärtlichkeit umhüllen – und er wird zuletzt noch ganz gescheit werden auch ohne Bücher und Lehren. [immer größer geschrieben] Ja? Du!!! Du!!!!! Liebes, süßes Weib. Mein liebes Weib!!!!!

Und das liebe Herzel [sic]! Das hab ich ganz, ganz sehr lieb!!!!! Du weißt es!! Das will Dein Hubo ganz lieb und lang schauen und streicheln – und drücken auch (das wußt er doch früher gar nicht). „Wie wunderbar Gott das Weib schuf"! Geliebte!! Eines gehört mir! Du!!!!! Eines darf ich schauen, bewundern und lieben!! Dich!! Dich!!!!! Meine liebe, liebste [Hilde]!!!!! Du schenkst Dich mir ganz – aus Liebe! Und ich darf mich beschenken lassen – und darf Dich mit meiner Liebe beglücken. Du! Du!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Behüt['] Dich Gott! Bald komm ich zu Dir!! Bleib froh und gesund. Ich liebe, liebe Dich! Dein [Roland] – meine [Hilde]!!! Du!!!!! Du!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

 

[* = in lateinischer Ausgangsschrift geschrieben]

[** = in Kurrentschrift geschrieben]

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946