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[OBF-410121-002-01]
Briefkorpus

Dienstag, am 21. Januar 1941

Herzallerliebster!! Geliebter!! Mein lieber, liebster [Roland], Du!!

,In mir ist ganz viel Wärme’, so steht gleich zu Anfang Deines lieben Boten vom Sonnabend, ich erhielt ihn heute früh. Du!! Du!!! Sogar abgeben kannst welche davon? Und mir, nur mir magst sie schenken? Du!! Das ist großherzig!! Aber, wenn ich Dir nun heute sage, daß ich gar keine Wärme brauchen kann? Du?!! Weil sich bei mir selbst schon soo viel angesammelt hat, vom Sehnen, vom Warten? Du!! Nein — das ist gewiß nur, weil draußen Tauwetter ist, Du!!! Und weil es garnicht mehr kalt draußen ist! Ja — gewiß nur deshalb!! Ich hab ja gar keine Sehnsucht — das denke ich nur — ja — Du!!! Erst das gilt, was ich empfinde, kurz vor Deiner Heimkehr. Erst dann ist es Sehnsucht, was in mir brennt, und was ausmacht, daß mir so warm immer ist. Ja Du!! Heute gibt's noch keine Sehnsucht — ich will nicht.

Noch 26 Tage, wenn alles gut geht. Ja, mein lieber Hubo! Was machen wir denn nun mit Dir? — es ist eine vergebliche Hoffnung, die Du Dir machst, in meine Dienste zu treten als leibliche Wärmflasche – nicht als Leibwärmflasche!! Hörst?!! Du?!! Brauchst gar nicht so sparsam zu sein mit Deiner Wärme, brauchst auch nicht zu denken, daß es mir und Dir zu kalt sei im Stübchen! Was Dir an Wärme fehlt, das habe ich!! Und wenn mir solch Dickerle, wie Du bist nahe rückt — Oh – dann wird mir umso wärmer!! Kann sein, daß mir nachher sogar das Hemdel zu warm wird. Du sagst: Die Abgabe der Wärme richtet sich je nach den Brennstellen. Na – Du!! Sei nicht so großzügig!! Wenn Du wüßtest, wie viele Brennstellen Dein Bub hat im Moment!! Du!! Wer weiß, ob Du da auskommst mit Deinem Vorrat!!

Wäre nur noch eine Möglichkeit: Der Bademeister. Ja, wenn es nach meinem Wunsch und Willen ginge, da könntest täglich in Funktion treten – Du kennst ja bereits meine Leidenschaft für's Baden – waschen – Wasser!!

Uniform und Werkzeugkasten ist Bedingung – jawohl – doch dieses stelle ich Dir zur Verfügung; weißt, da habe ich nämlich meine besonderen Wünsche! Eine dicke Filzbrille gehört auch selbstredend dazu!! Also — mach Dir keine falschen Hoffnungen!!

Und wenn ich das nasse Element nun verlassen habe und das Evakostüm vertauscht mit irgendeinem, das der heutigen Zeit entspricht — dann – dann bin ich ganz gnädig zu Dir!! Ja – wirklich!! Dann darfst Dich wieder in Zivil, als mein lieber Gesellschafter bewegen – darfst immer an meiner Seite sein – und wenn Du ganz lieb und artig zu mir Dich stellst – darfst sogar mein Hubomannerli sein. Aber ein Lausbub bist Du und bleibst Du — Glaubst? ‚Ein Plätzchen will Hubo dann neben Dir – für den Anfang nur eine ganz schmale Kante – der fehlende Platz kommt dann schon von selber!!!!!’ Für den Anfang eine schmale Kante — ei – ei – wie mag das Bild dann am Ende aussehen? Du!!! Du!!! Schlimmer! Angst? Bewahre — ich habe keine Angst – zu Haus, Du!!! Da lasse ich mir so schnell die Macht nicht aus den Händen winden — und wenn ich mich vor deiner Stärke nicht mehr wehren kann? – Du!!! Es liegt auch in meiner Hand, daß ich Dich verhungern lasse!! Schlingel Du!!!

Die Geschichte mit dem Wärmeofen habe ich nicht außer acht gelassen. Vater hat aufgestellt, in Kändler will ein Arbeitskollege wohl,[sic] einen verkaufen, (Gasofen) er soll ihn sich mal ansehen kommen – es hat bloß noch nicht geklappt. Mal sehen, wie es nun wird. Im Februar will auch der Ofensetzer unseren Ofen umsetzen, er hat schon mit dem Hauswirt Rücksprache genommen – er ist einverstanden, wenn wirklich kein andrer Weg möglich ist. Wenn wir dann einmal beim Bauen sind, könnte gleich dieser Wärmeofen mit angeschlossen werden (so er zusagt!); denn nach der ‚Dreckerei’ wird unsre Küche frisch vorgerichtet vom Maler.

Hab keine Angst, daß Du etwa eben in diesen Trubel hereinkommst! Das geschieht alles erst, nachdem unser lieber Sohnemann seinen Urlaub gefeiert hat mit uns!

Und nun zu der leidigen Frage mit Mutters Dienst in Mittelfrohna. Weißt Du? Ich muß Dir recht geben, wenn ich Dich anhöre. Wenn ich die Mutter anhöre, so kann ich ihr aber wiederum im Innern nachfühlen, wie ihr zumute ist in dieser Angelegenheit. Sie möchte uns nicht betrüben – sie mag ihre Mutter nicht betrüben. Und nun ist ihr Ausweg jetzt: nur, solange noch der Tanz gestattet ist, helfe ich. Wie lange das noch ist, weiß im Moment keines [sic] von uns allen. Vielleicht richtet sich das auch nach der politischen Lage. Am Sonntag erzählte Oma, daß an den Grenzgebieten die Vergnügen schon wieder verboten seien. Mag sein. Das hat aber nichts mit uns hier zu tun.

Ach ja — ich habs nun im Guten versucht — im Bösen — ich habe nichts ausgerichtet. Ich gebe es nun fast auf. Und Vater? Der ist wohl auch ungehalten, wenn es Überhand nimmt mit der Nachfrage nach Mutters Hilfe – doch der ist auch genau solch gutes, dummes Schaf (verzeih! aber [e]s ist so!) wie die Mutsch. Er kann's auch nicht abschlagen, wenn man ihn bittet.

Sie wollen auch ein Dienstmädel einstellen, wenn die Verhältnisse wieder bestimmter, geregelter sind — aber wenn keine besonderen Veranstaltungen wären, nur Gastzimmerbetrieb, da kämen sie auch allein aus. weil [sic] sie jetzt auch eine Bedienung haben. Ich bin nun bei meiner Erfolglosigkeit Mutter gegenüber so weit gekommen, daß ich still zusehe – was nützt es denn — ich rede ja in den Wind. Und das kommt mir allmählich dumm vor. Aber das eine sage ich mir schon heute: sollte Mutsch einmal nach Haus kommen, so abgespannt, daß es ihr unmöglich ist in's Geschäft zu gehen, da schlage ich unverschämten Krach – und wenn's sein soll, gehe ich runter zu Großmutter und rede deutlicher mit ihr. Wenn es Mutsch selbst nicht fertig bringt, und wenn's die Großmutter nicht selber sieht, was sie ihr zumutet.

Bis heute blieb ja alles noch in Grenzen — und Mutsch sagt selbst, daß sie nur helfen will, weil es gerade sonnabends ist. Sonnta[ge] und am Montag früh arbeiten, das könne sie unmöglich. Wenn sie einen Tag Ruhe zwischen hätte, ginge das.

Ich habe mir nun so meine eigenen Gedanken gemacht hierzu, ich sage das nur Dir. Die Mutter hat ja später einmal ein Erbe zu beanspruchen, das sind ca. 5000 RM – so erzählte sie mal, als es die Rede gab — und nun wird sie sich sagen: da kannst dich auch nicht so auf die Hinterbeine stellen, wenn die Mutter dir etwas abverlangt, damit es nicht später heißt, ja – sonst hat sie sich nicht sehen lassen, aber wenn's was zu ernten gibt, da ist sie da.

Ich denke mir das so aus, bei mir. Und ich glaube, da denke ich auch nicht so ganz verkehrt. Also, lieber [Roland] — wir beiden Kinder, wir wollen nun das Gute – gewiß – aber es ist ja nichts auszurichten — und wenn ich es heute auf die Spitze treibe und Mutter sagt womöglich: Ja – Du ziehst später einmal fort, bist für Dich und wir möchten auch, daß wir für unser Alter hier versorgt sind – wir können nicht von Dir verlangen, u. von Deinem Manne, daß Ihr mich oder Vater mit unterstützt.

Sieh — so könnte man mir dann antworten – überlege Dir das einmal – was gebe ich dann zur Antwort? Es ist eben hier nicht nur, daß es um Mutters Gesundheit geht und um ihre Schonung allein, es greift eines ins andere – und soviel Willen hat sie eben doch, daß sie sich nicht von mir dreinreden läßt – sie will auch noch nicht alt sein und nicht mehr so leistungsfähig wie eine Junge! Das will sie nicht hören! Wir wollen die Dinge jetzt einmal gehen lassen vorderhand, ich denke, so ist es am Besten – was dann wird, wenn ich einmal nicht mehr daheim bin, ergibt sich von selbst.

Du!! Ich habe heute einmal im Leitzordner nachgeschlagen, um nach den Briefen zu sehen – ich finde nichts. Doch ich entsinne mich, daß Du mir einmal schon ausführlich davon erzähltest, damals in Lichtenhain. Ich glaube, Du hast mir sogar einen Brief gezeigt. Ist ja auch nicht so wichtig. So neugierig bin ich nicht darauf!

Aber es freut mich, daß Du mich an dem längst Vergangenem teilhaben lässt, daß Du mir auch hier Dein Vertrauen schenkst. Ich sehe, wie Du schon lange, lange die Sehnsucht nach einem erfüllten Liebesglück in Dir trägst. Das ist mir auch nur zu verständlich. Ein Mensch, jeder Mensch, der ein Herz, ein warmes gefühlfvolles Herz im Leibe hat, trägt dieses Sehnen nach Liebe und Anlehnung in sich – er kann nicht die Erfüllung seines Lebens allein in der nüchternen Gleichförmigkeit seines Berufes finden; das ist wohl auch schon ein Reichtum, ein rechter Beruf, aber er reicht nicht aus zu einem vollkommenen Glücksgefühl, zur Befriedigung für ein ganzes Leben. Wenn auch das Leben des Mannes sich in strengeren, härteren Grenzen sich bewegt, so ist es doch nicht ohne jede weiche Regung. Sie kann wohl erstickt sein in ihm, wann er von Kind auf in der Fremde sich bewegte – wenig Liebe empfing – so auch nicht das Bedürfnis hatte, Liebe zu schenken. Doch wer ein liebes, trautes Elternhaus sein Eigen nennt, wer Mutterliebe erfuhr, der ist nicht kalt und gefühllos für jede weichere Regung im Inneren.

Und gerade Du, der Du ein empfindsames Gemüt und Wesen hast, Du hast unter dieser Einsamkeit gelitten. Ich kann Dir das ganz wahrhaftig nachfühlen — das habe ich schon, so lange ist es her, damals aus Deinem Wesen lesen können – wenn Du Dich ganz unbeobachtet fühltest. Ich weiß nicht, wie es kam, ich habe es eben gefühlt, daß Du etwas Suchendes, etwas Sehnendes an Dir hattest – ach – ich weiß garnicht, wie ich es recht ausdrücken soll. Ich empfand so etwas, als ob Du nicht recht zufrieden seist mit Dir und Deinem Leben – was es sei, daß Dich so in Deinem Wesen kennzeichnete, das konnte ich erst lange nicht finden – aber dann – als Du spieltest, so selbstvergessen spieltest und Deine Züge ohne Willen, ohne eine bestimmte Ausdrucksweise sich zeigten, da habe ich es gesehen, Du!! Was Dein Sehnen war – auf welches Ziel es gerichtet war!, und ich habe mir damals zu Haus abends im Bett Vorwürfe gemacht, ob es recht sei von mir, Dich so zu belauschen – es ist doch eigentlich nicht recht – es war zudringlich – aber Du!! Ich konnte von meinem Platz aus in Dein Gesicht schauen – und wer konnte mich denn auch hindern, daß ich anstatt mehr auf meine Noten zu sehen, Dir ins Gesicht blickte? Alle hatten die Köpfe gesenkt, meistens hoben sie sie ja nur während des Singens vom Buch, wenn Du dirigiertest, wenn wir ohne Musik sangen. Und es zog mich halt zu Dir hin wie mit tausend Banden – aber wachsam war ich auch, daß Du und die anderen nichts spürten.

Ach Herzlieb!! Glaubst Du mir? Manchmal war ich ja schon soo zufrieden, wenn ich Dich so schauen durfte, so, wie Du warst, ohne Zwang! Dann gab ich mich wieder die ganze Woche über zufrieden, bis wieder Donnerstag war. Aber welcher Schmerz für mich, wenn Du später dann einmal fehltest! Wie ohne Seele war mir so ein Abend – so leer – so fremd. Und die Lieder, sie wollten gar nicht den rechten Klang haben ohne Deine Stimme, die immer hinter mir klang dann. Und dann kam ein Tag, wo sie sagten Du seist fort von hier – Du!! Wie mir da zumute war, das kannst Du mir nicht nachfühlen — es stürzte alles über mir zusammen, es wurde so finster um mich her – es war eine furchtbare Zeit für mich. Und heute mein Geliebter, da sehen wir, wie wir beide erst ganz allein, ohne Beistand bis dahin reifen mußten, daß wir zusammen den Weg weiter wandern konnten.

Gott war uns beiden unsre Zuflucht in unsrer Not und Verirrung — und er hat die Fäden so wundersam entwirrt, er ließ uns nahe kommen einander.

Was unser menschliches Auge nicht übersehen konnte, was unser menschliches Gefühl nicht zwang, Gottes Güte hat alles so wunderbar gefügt. Du!! Es ist ein Gotteswunder, unsere Liebe – immer wieder wird uns das klar u. deutlich. Gott hat Dein Gebet erhört. Gott hat mein hilfloses Flehen von einst in Erkenntnis gewandelt, er hat mir die Kraft geschenkt, für das einzustehen, was mein Herz erstrebte, ersehnte, erkämpfte. Und so ward ich immer fester, immer bestimmter in meiner Liebe zu Dir. Wenn wir das bedenken, was vor uns war, ehe wir einander begegneten, so müssen wir heute sagen: es war alles Übung, Rüsten auf das Eine, das Letzte hin, auf die rechte, einzige Liebe und Zweisamkeit, mein Herzlieb!! Und diese glückhafte Zweisamkeit muss aus zwei gleich treuen guten und liebereichen Herzen er[ha]lten werden – sie darf nicht nur von einem Herzen aus genährt werden[,] nein – wenn sie vollkommen sein soll, muss ein Herz so liebereich sein wie das and[e]re, Du!! Und Geliebter!! Heute dürfen wir uns mit einem Schelm im Auge fragen, wer ist reicher an Liebe? So gewiß und froh und glücklich kennen wir die Antwort!! Herzallerliebster!! Geliebter!! Ich habe Dich noch vieltausendmal lieber gewonnen, seitdem wir uns gewiß wurden! Du!!!!! Ich gehöre Dir allein – in alle Ewigkeit! Du!!

Ich liebe, liebe Dich!! Mein Glück – mein Leben! Gott sei mit Dir!

Immer Deine [Hilde], Deine Holde.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946