Bitte warten...

[OBF-410120-002-01]
Briefkorpus

Montag, am 20. Januar 1941.

Herzallerliebster! Mein lieber, liebster [Roland]!! Geliebter!! Du!!

Bei uns ist ein närrisches Wetter jetzt – gestern Kälte und Schnee. Heute Tauwetter und Regen, ja Regen! Die hohen Schneedämme an der Straße hüben und drüben sind so in sich zusammengesunken. Ach – mir graut immer so vor dem Übergang zum Trockenwerden – so ein dicker Brei ist alles, man muß nur so warten, und nun noch feste Asche drauf! Also mir ist's ein Greuel, da bleib ich am liebsten zu Haus. Hoffentlich hält uns der liebe Petrus nicht zum Narren – es kann auch nochmal kippen – wieder gefrieren und frisch schneien – wir haben immer erst Mitte Januar. Na ja – mit Feuerung und Schuhwerk sind wir ja versorgt. Bis zu Deinem Urlaub will der Schuhmacher auch Deine Halbschuhe fertig machen. Ich habe mir heut früh das Tauwetter gleich zunutze gemacht, indem ich meine Fenster wieder mal putzte, die sahen aus! Unter aller Würde. Immer waren sie bis obenhin gefroren in den letzten Wochen, nun sah ich erstmal den Schmutz als sie abgetaut waren – man konnte fast nicht mehr hindurchgucken.

Du?!! Ob Du mich wohl auch so hantieren läßt, wie mir's grade in den Sinn kommt und was ich eben für notwendig halte, wenn Du bei mir bist? Du?!! Ich glaube es nicht! Dickerle, gestrenges! verliebtes!!

Du!! Nur keine Bange! Und wenn dann die Scheiben so schmutzig sind, daß es ganz düster im Zimmer wird! Da rühre ich keinen Putzlappen an! Wenn Du bei mir bist nicht! Dann sehe ich ja auch nicht zum Fenster hinaus, dann ist mir drinnen das viel wichtiger – ! Brauche ich doch auch nicht nach dem Briefträger auszuschauen! Dann erzählst mir doch alles gleich!

Aber weißt, drinnen in den Räumen, wo wir uns aufhalten, da mag ich keine Unordnung haben! Sonst gefällt mir's nicht – auch nicht wenn Du bei mir bist – die Umgebung muß auch angenehm sein, nicht nur der Umgang! Du?!! Verstehst mich recht?! Lausbub?!! Ein bisserl mußt mich schon frei lassen, damit ich meinen Haushalt nicht verlumpern (so heißt das bei mir!) lasse. hörst?!! Du?!!

Wie wär' es denn, wenn ich Dich als Gehilfe anlernte? Als Stütze der Hausfrau? – darfst das jetzt aber nicht wörtlich nehmen, Schlingel! Das trau' ich Dir nämlich eher zu!, daß Du mich lieber stützen, festhalten möchtest!! Ja – so ist es – jedes Ding hat zwei Seiten.

Wir wären froh, wenn die Mutsch daheim sein könnte, damit ich nicht so angehängt bin mit der Kocherei u.s.w. – aber wir sind auch wiederum froh, daß wir den ganzen Tag allein sein können! Nur, daß ich ein Teil der Zeit meiner Arbeit widmen muß. Doch das geht schon am vorteilhaftesten einzurichten.

Und wenn wir werden in Kamenz sein, da ist deine liebe Mutter der sorgende Hausgeist und wir die Gäste und Faulenzer! Aber da ist wieder Peter, der uns zwei Verliebte zur Haltung nötigt. Ach – Du!! Wir wollen ja doch nicht darüber grübeln – das ist ja im Grunde so belanglos – wenn Du nur erst bei mir bist! Wenn ich Dich nur erst an meiner Seite spüre – dann ist doch alles gut! Du!! Geliebter!!! Und zum ganz Liebhaben finden wir sicher auch ein Stündchen, ja? Du!!!!! Heute früh kam er, der Heißersehnte, Du!!!

Geliebter!! Ich danke Dir herzlich für Deinen so lieben Boten! Am Freitag hast Du ihn geschrieben. Du!! Er läßt mich wieder einmal so beglückend unser Sichfinden spüren!

Überall, so spüren wir, steht hinter der deutlichen Wirklichkeit das geheimnisvolle Walten, dem wir uns schließlich fügen müssen. Vom Tag, der uns beiden der erste bedeutende würde auf unserem Wege, schreibst Du mir. Mit welcher großen, inneren Spannung Du dahin gegangen bist einst, wie erst so viele Hinternisse [sic] zu überwinden waren. Und wie Du dann ein wenig befremdet, ja enttäuscht den Abend verleben mußtest.

Mit welcher innerlichen Stimmung ich damals kam? Fürs erste bangte ich darum, ob man mich überhaupt anerkannte und aufnahm in den Kreis, den ich ja zum ersten Male an dem Abend betrat. Und andersherum zitterte ich vor dem Augenblick, da mir Herr P. irgendwie nahe treten würde; denn das mußte ich im Laufe des Abends mit Gewissheit annehmen, seinem Verhalten nach. Ich habe sonst nichts gegen diesen Menschen – nicht[,] daß er mir ausgesprochen sympathisch sei – das auch nicht. Ich schätzte ihn eben bei mir so ein, wie man das bei einem guten Bekannten tut, von dem man nichts Persönliches weiter weiß. Aber das eine ließ mich erschreckt und peinlich berührt von ihm zurückweichen: daß er seine Art, mir gegenüber den Kavalier zu spielen, den Gastgeber sozusagen – bezahlt haben wollte mit meiner Willigkeit ihm gegenüber.

Und ich kann mir das, sein Verhalten[,] nun heute auch erklären. Nachdem Du mit mir tanztest, nachdem das Wunder an mir geschehn muß mir das große, wundersame Erleben als Glück aus den Augen geleuchtet haben – ich besinne mich, wie mich meine Freundin oft anstieß und mich fragte, weshalb ich so träume, woran ich denn denke? Ich habe sie ganz verständnislos angesehn und bin dann aber sehr verlegen und rot geworden, weil Herr P., der mir gegenüber saß[,] kein Auge von mir ließ. Und er hat mein verändertes Benehmen sicher zu seinen Gunsten ausgelegt und hat so auch den Mut aufgebracht[,] mich draußen abzufangen und versuchte, sich mir zu nähern. Wie wäre es dem sonst so verschämten Herrn P. gelungen, mir so gegenüber zu treten, wenn ich eine ganz verschlossene Miene gezeigt hätte? Ich habe ihm ganz gewiss unbewusst Mut gemacht – heute wird mir das erst klar.

Und auf dem Heimwege? Ach Du!! Du!!! Weißt Du[,] was Deine [Hilde], Deine ganz verträumte, da sich ausmalte? Daß sie jetzt, ohne daß es auffiele[,] an Deiner Seite gehen dürfte – nicht in dieser wundersamen, traumseligen Stimmung mit der Meute ausgelassen davonhüpfen – ach – sie wurde herausgerissen aus ihren Träumen – die Freundin – sie nahm mich so selbstverständlich unter den Arm, riß mich mit fort – und ich ließ es auch willenlos mit mir geschehen – Herr P. hielt sich immer so in meiner Nähe – mit ihm wäre ich um keinen Preis gegangen, dann lieber mit den anderen. Im Rautenkranz tranken wir noch eine Tasse Kaffee alle - Du sast [sic] mir gegenüber – ich suchte ein paarmal deine Augen – doch es stand nicht noch einmal das Wundersame darin, das mich so erschüttert, so aufgewühlt hatte vorher. Du sagst es heute selbst, Du warst nicht befriedigt von dem Abend – und Du warst auf einer anderen Fährte, daß Du hättest meinen langen, fragenden Blick aufgefangen.

So begann meine innere Unrast, die Sehnsucht – die Liebe zu Dir begann damals. Und in jeder Singestunde wurde sie größer, die Sehnsucht, ein Wort mir, aber ein ganz persönliches – allein mit Dir – von Dir zu hören, das dünkte mir allein schon so viel des Glückes. Und ich besinne mich, wenn Du vor dem Chor standest zu dirigieren, und Dein Blick schweifte über die vor Dir stehenden – bestimmt ganz bei der Arbeit – doch, wenn er bei mir sekundenlang verhielt, Dein Blick, dann erstarben mir die Worte auf den Lippen – ich konnte und konnte dann nicht mehr weitersingen – wie ein Bann legte es sich da auf meine Zunge, vor innerer Erregung – und ich mußte Dir in die Augen blicken wie festgebannt – einmal, oh – ich fühle das wonnige Erschauern wie heute noch, als wir ein ganz einfaches Volkslied sangen, ein Liebeslied, da lag unser Blick an einer ganz bestimmten Stelle ineinander – eine ganze Weile – und um Deinen Mund spielte ganz leis ein Lächeln, Deine Augen blickten so verheißungsvoll her zu mir – Du!! daß ich so zu Tode erschrocken war, aber auch so glückselig erschrocken, daß ich, als der Vers zu Ende war hinausstürzte, um meine Erregung zu verbergen – Du und alle sahen bestürzt mir nach.

Aber es kam ja öfter vor, daß schnell eine mal raus mußte. Und es fragte mich auch zu meiner Erlösung niemand nach dem Grund, als ich wiederkam. Ich hatte so viel Angst daß die andern etwas an meinem Wesen bemerken konnten – so viel Angst. Und ich war so argwöhnisch – weil ich dachte, allen lesbar sei meine Verehrung zu Dir in mein Gesicht geschrieben. Nur nicht in den Schmutz der Masse ziehen, was so heimlich zart mich bewegte, das war das Schlimmste, was ich mir ausmalen konnte.

Ja – nicht einmal zu meiner Freundin fand ich Vertrauen, weil ich fühlte, daß sie mich nicht verstand in meinem Denken.

Und heute sehe ich nun auch hier klarer: seit ich mein ganzes Denken mit Deiner Person ausfüllte, seit ich in meinem Wesen verschlossener, ja, beinahe verträumt wurde, was Luise sehr auffiel, seitdem lockerte sich unsre Freundschaft merklich, Luise fühlte sich vielleicht vernachlässigt, ja am Ende gar hintergangen, weil ich ihr den Grund meiner Veränderung hartnäckig verschwieg – oft auch ableugnete. Ach ja – ich wußte genau, wenn ich weiterhin so an Dir festhielt, mich in meinem Willen behauptete, da würde ich alle meine Freundinnen verlieren – sie würden mich hierin niemals begreifen, ja nicht einmal zu begreifen versuchen. Aber das war mir ja so gleichgültig – wenn sich alle Welt gegen mich stellte und mich mied – wenn ich mir Dich gewinnen könnte – das allein wäre Erfüllung – das allein wäre reines Glück, das Glück, von dem so viel Schönes, Wundersames geschrieben steht – von dem alle träumen. So dachte ich.

Ach, Herzlieb!! Du!! Wenn ich denke, daß mir das Glück so ganz unverhofft entgegengekommen wäre, wenn es mich verlangt hätte, ich würde nicht so mit allen Fasern meines Herzens an Dir hängen, ich würde Dich nicht wie ein Kleinod schätzen und halten. Ich weiß nicht, ob alle Frauen so sind wie ich.

Aber wenn es um dieses geht, Du!! Da bin ich ganz eigensinnig. Und nun haben wir uns beide einander errungen – jedes auf seine Art, Du!! Wenn ich Dich auch über alle Maßen liebte von Anbeginn – ob ich Dir jedoch das Letzte geschenkt hätte, das ein Mädchen schenken kann, wenn mich irgendetwas an Dir geschreckt hätte, oder wenn es etwas gäbe, worüber ich betrübt[,] unversöhnlich betrübt gewesen wäre, das kann ich nicht behaupten – ich glaube, meine Reinheit wäre mir lieber gewesen, als daß ich blind gegen eine Sache, die unser beider Lebensglück gefährden könnte, mich meinem anfänglichen Verlangen nach Dir in Deine Arme gegeben hätte.

Das wäre für mich zwar eine bittere Enttäuschung gewesen, ja – aber ich hätte mich nicht hinwegtrösten können über solchen Riß in meinem Innern, indem ich mir gesagt hätte; das wird sich ändern – oder, daran mußt Ddu Ddich gewöhnen – nein – das hätte mir die Reinheit und Klarheit meines Bildes, das ich mir von meinem Lebensgefährten machte, genommen.

Es ist nichts zwischen uns getreten auf unserm Wege des Sichfindens, daß mir den Mut genommen hätte, zu Dir zu stehen alle Zeit. Du bist so, wie Du in meiner Seele standest – Du bist der Mensch, den ich mir ersehnte, erwünschte mit aller Kraft.

Und darum bin ich so sehr, von ganzem Herzen glücklich mit Dir, und bin so ganz erfüllt von Dir, Du!!!

An jenem Abend dachtest Du an eine bestimmte aus dem Kreis, ich weiß es – und es schmerzt mich auch nicht. Jetzt kommt Fräulein S., sie ist eindrucksvoll, weiblich, anziehend in ihrem Äußeren, ich sehe das. Das wurde ihr auch zum Verhängnis in ihrem Leben, denn sie war sich ihrer Reize bewusst, die sie auf Männer ausübte, es schmeichelte ihr – sie probierte das auch an jedem aus. Schreckte sogar nicht einmal vor Verheirateten zurück – das ist schändlich. Und bei diesem Tun verschüttete sie in ihrem Herzen das Empfinden für Gut und Schlecht. Es war ihr gleich, ob sie in des Pfarrers Armen oder in denen, eines anderen Mannes lag. Sie lebte den Genuß der Stunde. Und heute, was hat sie vom Leben? Wohl kann sie auf viele glückliche Stunden letzter Traute zurückblicken – aber – muß ihr dabei nicht Scham u. Ekel vor sich selbst hochkommen, wenn sie all jenen Männern wieder begegnet? Aber, wer so veranlagt ist, hat da kein so feines Empfinden mehr.

Vor einigen Wochen hat sie geheiratet, wie sie zu Ilse S. äußerte: keine Liebesheirat. Einen äußerlich unschönen Mann, er schielt – aber das ist ja letzten Endes nicht maßgebend, wenn man sich sagen könnte, sie liebt ihn von Herzen. Er ist in einer Wurstfabrik zur Zeit, später will er eine Fleischerei kaufen. Nun frage ich Dich: was hat ihr Leben für einen Sinn, welche Erfüllung? – wenn ich nur heirate, um den Leuten den Mund zu stopfen – oder nur – um versorgt zu sein oder – weil alle meine Freundinnen auch heiraten – nein – das sind Dinge, die sich nicht mit meinem Grundsätzen vereinen. Es ist aber auch eine alte Wahrheit: wer sein Leben genossen hat, der kann nicht hohe Ansprüche stellen vor einer Ehe. Ich habe ihr das in so krassem Maße können nicht zutrauen [sic], was man sich immer erzählt von ihr. Aber wo es auch die Rede gibt von ihr, da hörte man abfälliges Äußern; diejenigen Personen, die ihre Jugend miterlebten, erzählen schöne Dinge – das ist nebenbei bemerkt nicht hübsch, als einstige Jugendkameradin im Verein, oder irgendwo erlebte Dinge auszugraben – aber wer eben auf Abwegen geht, wird bekrittelt so oder so. Das ist so auf der Welt und wird auch bleiben. Doch genug davon.

Der frühere Herr Kantor heißt: L.! Und wohnte auf der Karlstraße. Denke nur: der hat jetzt bei einer Bewerbung (weiß nicht[,] von welcher Seite aus das ging, es handelte sich jedenfalls um eine eigene Komposition) den 2. Preis gemacht! Er war auf der Felsenbühne Rathen, wo es wahrscheinlich geprüft und vorgetragen wurde, abgebildet in der Zeitung. In der Singstunde hatten sie das Blatt mit.

Er ist ja jetzt in Merane hauptamtlich tätig. – Nun habe ich Dir heute eigentlich wieder mal genug erzählt, Du!! Meinst nicht auch? Und in's Schmieren bin ich auch wieder gekommen! Aber das ist so, wenn man mit seinem Gedanken zugleich schreibt! Du!!! Also, mein liebes Lausbübchen!! Für heut'.

Morgen auf Wiederhören! Gott behüte Dich mir! Er erhalte Dich gesund und froh. Ich bin ganz Deine [Hilde], mein Herzlieb! Ich liebe so von ganzem Herzen, Du!!! Ich mag Dich nie und nimmermehr lassen!!! Ich brauche Dich! Dich, meinen allerliebsten, guten Weggesell, Du!!! Ich gehöre Dir in inniger Liebe und Treue – nur Dir allein – alle Zeit! Geliebter!!

Deine [Hilde], Deine Holde

und Dein Bub, Du!!! Auch noch Dein Rehlein und Herzblümlein! Und Du bist mein Herzallerliebster.

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946