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[OBF-410115-002-01]
Briefkorpus

Mittwoch, am 15. Januar 1941.

Herzallerliebster, Du!! Mein [Roland]!! Mein geliebter [Roland]!!

Eben habe ich in meiner Briefschaftenkiste mal bissel Platz geschafft, sie war wieder einmal zu voll! Du!! Unter dem Radio hat sie nun ihren Platz gefunden; weißt, ich muß sie doch täglich bei der Hand haben! Da kann ich nicht immer erst hinüber in mein Stüberl rennen, und wenn ich schnell mal Sehnsucht nach Dir hab, da brauch ich nur hinzulangen und schon hab ich meinen Liebsten bei der Hand – und er plaudert mit mir! Das ist so schön, Du!!

Und ich brauche dabei garnicht bang zu sein, daß Unbefugte darin stöbern — ich bin ja Alleinherrscher jeden Tag in meinem Reiche! Ach – Du!! Ich paß' gut auf! Du!!! 113 Briefe sind's schon wieder, Herzlieb!! Seit Du beim Militär bist! Viel! Nicht wahr? Es ist ulkig jetzt, als ich von 100 ab zu nummerieren begann, war die laufende Nummer jeweils mit dem Datum der Abstempelung gleich: Also: 101. Brief am 1.I.1941 abgestempelt — und so fort. Jetzt, bzw. gestern erhielt ich den 113. Boten, der ist auch am 13.I.41 abgestempelt. Kann ich mich also in diesem Monat garnicht irren!

Heute kam Dein lieber Bote noch nicht, weil ich nun von mir Dir heute garnichts zu erzählen weiß, als daß es mir gut geht und ich bald gesund bin, da will ich Dir nur gleich noch die übrigen Fragen beantworten, damit sie nicht in Vergessenheit geraten!

Oben fangen wir an, nicht wahr? Weil ich mir nachher den Kopf waschen will! Und da sind wir soeben bei dem kritischen Punkte angelangt.

Erst muß ich mal tief Luft holen —— !

Das Haar. Damit ist es ganz eigen bei der Frau. Wer nie langes Haar trug, kann schwerlich sich daran gewöhnen, einen Haarknoten zu tragen. Das ist aber jetzt so gemeint: der Übergang, die Zeit bis das Haar die rechte Länge hat für den Knoten, das ist das Abstoßende da[bei]. Man hat dann eben in der Zeit keine ordentliche Frisur. Man sieht so ungepflegt, beinah nachlässig aus; denn wohin mit dem kurzen Schwanz? Zu einer Rolle läßt er sich dann nicht mehr fügen, weil's zuviel ist – als Zopf ist das Haar noch zu kurz – und so auf die Schultern hängen lassen oder in den Nacken, wie es z.B. Elfriede tut, das gefällt mir nicht. Erstens ist das auch nichts für eine Hausfrau, wenn sie beim Kochen und beim Wirtschaften immer das Haar im Gesicht hängen hat, wenn es bei jeder Bewegung mitfällt – das ist meines Erachtens unhsauber.

Man könnte ja den Einwand bringen:, dann muß sie halt beim Kochen eine Kochhaube oder ein Netz umbinden, mag sein. Aber wenn sie den Tisch deckt, serviert, ob ihrem Manne oder dem Besuch, dann kann sie unmöglich mit verhülltem Kopf umherlaufen — ich möchte es nicht.

Wenn ich später die Absicht habe[,] mein Haar wachsen zu lassen, dann werde ich meinen Friseur um Rat fragen, wie man den Übergang am vorteilhaftesten unsichtbar gestaltet — er weiß bestimmt Rat.

Ich wehre mich ganz und gar nicht gegen Langhaar und gegen eine solche Knotenfrisur; im Gegenteil, ich finde sie sogar recht fraulich – aber erst den Zopf dazu haben – nicht, daß es aussieht als wollte ich und könnte nicht. Warum ich mein Haar dem Friseur anvertraue und nicht natürlich lasse?

Zum ersten:, (eingestanden!) aus einer gewissen Eitelkeit heraus. Eine Frau, die sich nicht pflegt im Äußeren, wird in unsrer Zeit von anderen wenig geschätzt. Nicht von Männern allein! Zum zweiten: ich habe nicht soviel eigenes Geschick, mich so zu frisieren, daß ich vor anderen bestehen könnte. Und weil mein Haar verhältnismäßig rasch fettig wird, kann ich unmöglich ohne jede Pflege (also, ohne dem Zutun des Friseurs) herumlaufen. Mein Haar ist viel zu dünn, um es ungebrannt zu lassen, das kleidet mich nicht, sehe ich aus wie eine gebadete Maus; ach – viel schlimmer! Kurz: wenn ich so gehen soll wie es von Natur aus ist, erscheine ich mir einfach unmöglich. Wie ein Schulmädel, kindlich, besser kindisch. Wenn ich mich nun vom Friseur behandeln lasse, so ist das keine Prozedur, die mich hernach ganz verstellt, entstellt scheinen läßt – das kann man nicht behaupten – außer, dem ersten Tag, wo ich mich noch nicht selbst gekämmt habe. Ich lasse mir schon keine unmögliche Frisur anbringen, die absolut nicht zu meinem Gesicht paßt. Aber, wie gesagt, Fasson muß der Friseur herein bringen – sonst geht's eben nicht. Das Haar wird gepeinigt, wenn man es zu oft mit der Brennschere behandelt, gewiß – wenn man zu oft hintereinander Dauerwellen machen läßt. Aber ein guter Friseur wird stets auch ein guter Berater und Fachmann sein der Kundschaft gegenüber und wird wissen, was er einem jeden Haar zumutet. Ich habe mich bei meinem Friseur noch nicht beklagen können, daß er unvernünftig mit meinem Haar umgegangen sei in den 5-6 Jahren, da ich hingehe. Ja, mein Dickerle, so ist das eben mit einem Weiberl.

Nicht, daß ich zu Verjüngungsmethoden greifen müßte — nein! — aber ich kann mich so ungepflegt – so natürlich, wie es meinetwegen heißen muß – nicht ersehen.

Wenn ich mein Haar mal soweit habe, daß ich's zu einem Knoten winden kann – dann mag ich vielleicht auch im Gesamteindruck gut aussehen, wenn es schlicht den Kopf umschießt. Ich gebe das zu. Aber jetzt – wenn ich die paar Fransen hinten abstehen sehe, so erbärmlich – nein – ausgeschlossen – dazu von vorne auch noch glatt! Du!! Wir wollen bloß nun aufhören – ich könnte mich richtig in Eifer reden!! Und eines will ich noch berichtigen, Du Schlaumeier!!

Du sagst: „nur, daß ich es dann (also ungedudelt) etwas furchtloser zu packen kriegte.“ Das Köpfchen! Weißt, wenn Du den Drang verspürst, mich beim Schopfe zu fassen, dann tust Du es in jeder Weise, Du Lausbub!! Mit oder ohne Locken! Das hab ich ja schon erlebt!! Du bist ein Schelm!! Ein schlaues Luderchen!! Dickerle, Du!! Hab ich mich nun nicht brav gestellt? Ich kneife nicht, Du!! Du!!!? Du fragst mich, ob ich es noch weiß, wie ich Dir zum ersten Male auf dem Schoß gesessen hab. Du!!! Ja – ich weiß! Ist es nicht sonderbar, Herzlieb? Alles, was von einschneidender Bedeutung war auf unserm Weg bisher, es geschah zum größten Teil im Zuge! Du!!

Zuerst hab ich mir einen Kuß gestohlen – im Zuge.

Dann haben wir Du zueinander gesagt – im Zuge. Nein eher saß ich noch auf Deinem Schoße! Du!

Die Verlobung haben wir fest gesetzt – im Zuge.

Ach – so vieles war es, ich kann's jetzt nicht alles aufzählen. Wenn Du in der Eisenbahn sitzt, dann bist in Deinem Element, so ist es! Dann bekommst Du auch Mut, dem Mädchen [Hilde] gegenüber, stimmt's?

Ach Du!! Was damals mein Blick Dir sagte? Ich weiß es nicht. Du!! Du sagst es: nimm mich ganz! Herzlieb!!! Du!!!

Wenn ich Dich zuerst mag ein bissel verschämt angeschaut haben — aber dann, Du!!! Als ich es fühlte – Du – als ich es fühlte – Du!! – so süß – so wonnig süß – Dein Schlüsslein – da ist er gewiß hervorgebrochen, ungehemmt, der Strahl meiner Liebe und Sehnsucht!! Du!!! Ich werde das nie vergessen!, da habe ich Dich wohl zum allerersten Male so gespürt — dann später, in Lichtenhain auch – Du! Herzlieb!! Auch Dir ist so wundersam zumute, wenn Du mich fühlst, auf Deinem Schoße — es ist so seltsam, es durchzuckt mich dann wie ein ganz süßer Schlag und ich möchte mich immer fester, immer enger an Dich schmiegen. Du!! Es ist wahr, was Du sagst: es verliert die Lust das Böse, wenn wir uns so eigensinnig lieben – nur Du mußt es sein, mit dem ich alle Traute teile – und so ist es umgekehrt auch. Du!!

Du!! Weißt worüber ich so froh bin? Du!!? Daß Du erkannt hast, daß ich Dich nur um Deiner selbst willen liebte, um Dein Wesen, eben um Deiner selbst. Du!! Nie habe ich in Dir die gute Partie gesehen, wie man sagt. Glaubst – was das eigentlich noch für Konflikte geben konnte, mit Deinem Stand, das wurde mir erst ganz deutlich, ganz kraß deutlich, [al]s sich die Mutter mit mir darüber auseinandersetzte. Ja. — Und ich habe Dich doch festhalten müssen – ich hätte müssen, Du!!! Und wenn ich Deinen Namen, Deinen Beruf nicht gekannt hätte – wenn Du ein bescheidener Arbeiter gewesen wärst – ich hab Dich geliebt – und liebe Dich eben so, wie Dein Wesen ist – Du!!

Und ich habe noch an eines gedacht in diesen Tagen einmal: Herr P. aus der Singstunde, er war es, der unbewußt uns näher gebracht hat. Er war vom Schicksal wie ausersehen, unsre Wege sich kreuzen zu lassen. Er war es, der mich überredete zur Kantorei zu kommen, er lud mich indirekt zu dem Fest in Bräunsdorf, wo ich Dich fand. Und Du hast ihn das Geld übermittelt, woran Du eine leise Hoffnung knüpftest, daß sich möge etwas anspinnen – und eine Zeit war er sogar der Träger unserer Boten, Du!! Wie sonderbar es doch zugeht.

Aber heute will ich nun schließen mein Lieb!!

Will den Boten gleich mitnehmen, wenn ich Wege besorge. Vatern muß ich noch eine Suppe kochen für die Nacht. Es ist heute wieder kälter. Und dann muß ich den Kopf mir waschen. Möchtest Du ihn mir nicht waschen? Aber richtig! Nicht moralisch. Du!!!

Mein Herzallerliebster!! Gott behüte Dich mir! Bleibe gesund u. froh! Ich bin ganz Deine [Hilde]! In Liebe, in Treue, in aller Anhänglichkeit! Du!! Ich habe Dich sooo lieb!! Mein liebes, gutes Dickerle!! Nun sind es nur noch 4 Wochen! Dann kriegst kein Tintenkussel! Du!!! Du!!! Ich sehne mich so nach Dir!! Ich liebe Dich!!!

Immer Deine [Hilde].

 

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946