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[OBF-410105-001-01]
Briefkorpus

Sonntag, den 5. Januar 1941.

Mein liebes, teures Herz! Herzallerliebste, Holde mein!

Eben bin ich von meinem Sonntagsspaziergang zurück. Nach Barkelsby lenkte ich meine Schritte. Wollte nun doch mal sehen, was Du den Kindern geschenkt hast – sonst zog mich nichts dahin.

Herzlieb! Der Eindruck verstärkt sich immer mehr, daß hier etwas im Argen liegt. Die Kinder tun mir leid. Sie laufen in derselben Uniform herum, die wir beide kennen – ob sie wohl noch eine andre haben? Großmutter selber war nicht richtig angezogen – die Mutter der Kinder war gar nicht zu Hause. Ich fühlte mich unwohl und bedrückt in dieser unordentlichen Enge. Und auch sie sehen scheu den Besuch an, dessen Augen das Mißfallen wohl nicht ganz verbergen können. Die beiden Kleinen kramten nun Deine lieben Geschenke herzu – die Puppe liegt noch im Karton, den Faden um den Hals, noch keines von den Erwachsenen hat sich die Mühe genommen, den Kindern diese Geschenke näher zu bringen. „Haar“ sagte das scheue Mädchen, und strich über das Haar, daß ich selber erst aufmerksam wurde, wie niedlich es gelegt war. Der Holzzug Heinis zeigte schon eher Spuren des Gebrauchs, freilich eines Gebrauchs ohne hilfreiche Anleitung eines Erwachsenen, Lokomotive und Wagen ohne Räder. Herzlieb! Ein trübes Bild, das traurig stimmt, dieser Kreis. Sie Wem jagen sie nach? Dem Genuß, der Lust? Und merken ich nicht, wie sie alles Glück verscherzen, wie sie ins Verderben rennen! Wer möchte ihnen das sagen und vorhalten?

Herzlieb, ich bin bald wieder gegangen – hinaus an die freie, frische Luft – es ist milde heute und will regnen. Über den Bahnhof Barkelsby bin ich gegangen unseren Weg nach Eckernförde bis in die Siedlung, den anderen Weg wieder zurück zur Batterie.

Wo bist Du heute? Was fängst Du an? Dein Bote blieb aus heute. Bald wird die Post wieder in Ordnung kommen. Es ist ein trüber Tag heute.

Nun ist Feierabend bei den Soldaten. Am Tische nebenan kloppen Drei einen Skat. An der langen Tafel wird gelesen und geschrieben, zwei sitzen über einem Sch[ach]spiel. Den Tisch in der Mitte behauptet Dein Hubo augenblicklich. Er hat eben ein Paketchen fertig gemacht – ich verrate nichts. Über alle hin aber gehen die Klänge der Tanzweisen aus unserem Radio – für Stunden mögen sie uns wohl der zu täuschen darüber, daß wir in einer Welt irrender und verwirrter Menschen leben, darüber zu täuschen mit dem klaren, scharfen Rhythmus und der simplen Unbeschwertheit und Problemlosigkeit ihrer Komposition. Diese Musik ist wie Alkohol und Nikotin ein Rauschmittel.

Ich höre gern hin heute bei dem Gedanken, daß auch Du dasselbe hörst. Wirst eben auch Tinte und Feder brauchen diese Stunde.

Sonntag, Wochentag, es ist kaum ein Unterschied hier. Nichts von der frohen Vorbereitung und Vorfreude des Sonnabend. Mir tun die vielen jungen Matrosen leid, weißt, die in Blau, – für sie besteht der Sonntag in dem öden, gemütlosen Amüsierbetrieb des Tanz[kaffee]s. Weggerissen so früh in dem gefährlichen Alter aus allen guten sicheren Bindungen (bei manchen doch wenigstens) des Elternhauses. Wieviel Schmerz und welchen Verlust das bedeutet, kann ich recht ermessen, weil auch ich es erlebte. Jedes gute Elternhaus muß mit Sorge, wenn nicht gar abwehrend den harten Zugriff des Staates empfinden. Es ist ein richtiger Kampf entbrannt. Wieviel muß ein gutes Elternhaus in den wenigen Jahren, da ihm die Kinder bleiben, alles leisten heute, um die Kinder zu binden, um sie zu feien gegen alle böse Umwelt. Wieviel schwerer ist das heute. Wie bedeutsam wird in dieser Zeit das gute Beispiel der Eltern. Es muß in den Augen und Herzen der Kinder letzte Instanz ihrer Entscheidungen werden, das wachende Gewissen. – Dann hat das Elternhaus seine Aufgabe erfüllt, dann erst entsteht, was man Familiensinn, Familienehre und Familienstolz nennt. So will es das Schicksal: daß [d]ie Kinder mit ihrer Zeit letztlich über ihre Eltern hinauswachsen an Wissen, an Lebensformen. Aber der mit Worten gar nicht zu umreißende Inhalt und Inbegriff des Wortes Elternhaus muß ihnen leuchtend, wegweisend allzeit vorschweben; das Elternhaus, das den Grund legte, den sonst keine andre Institution legen kann, zu den adligsten Regungen des Menschen: Liebe, Güte, Dankbarkeit, die Tugenden des Herzens.

Herzallerliebste! Mir ist nicht bange vor dieser Aufgabe, weil Du an meiner Seite gehst. Nur manchmal sehe ich mich schon in scharfer Auseinandersetzung mit irgendeiner Dienststelle, oder einem Hitlerjugendführer. Schon heute bin ich zum äußersten entschlossen, das Elternhaus und Elternrecht auf das entschiedenste zu vertreten. (Von wegen Sonntagsdienst usw..). Na, ich weiß, daß ich darin in Dir den besten Anwalt zur Seite habe – Du! Meine liebe, liebe [Hilde]! Die sich schon so fleißig übt als Kindlmutter. Herzlieb! Herzlieb!! Meine Gedanken springen. Weißt, woran ich denken mußte heute? An den Haarknoten. Du hast mich jetzt wieder mal gefragt. Es ist keine aufregende Sache. Ich habe nicht den mindesten Grund, mich in Deine Angelegenheiten, Verschönerung betreffend, zu mischen. Aufgedudelt sagen die Männer zu solcher frischen, künstlichen Frisur. Du hast selbst schon empfunden und gestanden, daß es Dir nicht immer gefällt.

Daß Du damit einer Mode huldigst, ist klar. Einer Mode, die jedem Mädchen ein[^]en Puppenkopf, einen gelockten, aufsetzt – die damit einem Gesicht, einem Kopf, etwas von Natur Charakteristisches nehmen kann. Dein Gesicht ist kein Puppengesicht. Nimm einmal unser Bild, das uns mit Deinen Eltern zeigt, zur Hand. Die Frisur verschwindet dort ganz im dunklen Hintergrunde – betrachte es – und denke Dir dann Dein Haar schlicht nach hinten fallend. Also meine Gründe für ein schlichtes Haar: Es ist natürlicher – läßt das Charakteristische eines Kopfes besser in Erscheinung treten – das Haar wird nicht mehr gepeinigt.

Gedudeltes Haar macht jung: diese Ansicht ist wohl mit Vorsicht aufzunehmen – ich könnte sie nur so verstehen: wer mit der Mode geht, ist jung. Na, das kann ich nun nicht wissen, ob Du schon zu Verjüngungsmitteln greifen mußt. Du! Also Herzliebes, Du verstehst mich doch recht. Du selbst hast daran gerührt neulich. Dein Köpfchen bleibt so oder so mein liebes Köpfchen, nur daß ich dann vielleicht manchmal es etwas furchtloser zu packen kriegte, Du!! Also, wenn Du willst, mag dieses Thema damit zur Debatte gestellt sein.

Herzallerliebste! Ein Sonntag geht zu Ende, wieder ein Sonntag ohne Dich – wieder ein Sonntag näher unserem Wiedersehen, dem Frieden, unserem Nahesein für immer, so hoffen wir fest und inbrünstig.

Gott behüte Dich, Herzlieb! Er führe uns bald zusammen, daß wir einander rechte Lebenskameraden sein können. Ich habe nur diesen einen Wunsch, diese eine große Zukunft: zu Dir!! zu Dir!!!

Ich liebe Dich! Du!! Ich küsse Dich!! Ich gehöre Dir so ganz mit allem, was ich bin und habe! Du, mein ganzes Glück und Leben!! Dein [Roland] bin ich!! Und Du bist meine liebe [Hilde]!!!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946