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[OBF-410104-002-01]
Briefkorpus

Sonnabend, am 4. Januar 1941.

Herzallerliebster!! Geliebter!! Mein lieber, lieber [Roland], Du!!

Ach, Du!! Heute möchte ich Dir garnicht viel sagen – heute möchte ich Dich nur liebhaben, mein [Roland]!!

Wie es nur kommt? Ich habe soo große Sehnsucht nach Dir!! Geliebter!! Ich möchte Dich so gerne bei mir haben, Du!! Ich bin heute ganz allein, Herzlieb!! So ganz allein [i]m Hause, Du!! Alle sind fort – und es ist unheimlich still bei uns, ich bin froh, daß wir das Radio haben. Fürchten? Nein! Doch sehnen muß ich mich nach einem Menschen, und das kannst nur Du sein! Du weißt es, Liebster! Nun mußte ich ganz einsam Abendbrot essen und jetzt sitze ich vor dem Bogen und, Du!! Es dünkt mich ja alles so blaß, so dürftig, was ich Dir schreiben möchte! Du!! Wärest doch heute bei mir, Herzlieb!!! Ich brauchte der Worte nicht, meine ganze Sehnsucht und Liebe leuchtete Dir ja aus meinen Augen entgegen, Du!! Die Worte sind dann überflüssig Du!, wenn wir beisammen sind!!

Vorhin war ich in meinem Stübchen, um meine Gummine zu holen, Du!! Da sah mich mein Bettlein so sonderbar an! Du!!! Ob es sich wohl auch so nach Dir sehnt?

Geliebter!! Wenn Du heute bei mir wärest!!!!! Wie viel Glück! Du!! Ich habe Dir gestern erst gesagt, daß ich Dir hinweghelfen will über die Zeit des sehnsüchtigen Wartens! Du!! Und nun quäle ich uns mit so süßen Gedanken, Herzlieb!! Ich will doch ganz tapfer sein! Du!! Wenn auch Deine Augen noch so sehr leuchten und so geheimnisvoll, sehnend in die Ferne schauen, Herzlieb!! Wenn ich Dein liebes Bild nicht hätte! Ich halte es so oft in meinen Händen, Du!! Geliebter!!!

Bald wird es wieder leibhaftig vor mir stehen! Bald!!!

Heute blieb Dein lieber Bote aus, mein [Roland]. Er wird morgen kommen. Am Vormittag hatten wir wieder eine Arbeit mit unserem Wasser, beide Leitungen waren abgefroren. Ich habe schon vor Tagen Herrn U. vorgeschlagen, er soll es doch über Nacht abstellen. „Ach was, wir haben doch die Heizung dur[ch's] Haus!“ Heute hab ich's ihm nun rangepfiffen, daß ihm seine Heizung doch nichts nütze, er könne sich selbst davon überzeugen. Konnte er natürlich nichts drauf sagen. Glaubst, die sind direkt zu bequem, für and[e]re mal etwas zu tun. Wenn nur in ihrer Wohnung alles klappt – das and[e]re ist ihnen egal. Aber wehe, wenn was im Hause verdorben wird! Die haben wieder mal eine Laune!! Das Dienstmädel hat sie an den Feiertagen schon im Stiche gelassen. Kannst Dir vorstellen, was da los ist!

Dann hat er mit der Lötlampe lange herumgewirtschaftet, dann lief es wieder. Bin nur neugierig[,] ob es einer abstellt von B.s, die haben es voriges Jahr immer gemacht. Auch im Klosett müssen wir wieder eigenhändig nachspülen! Ich warte nur drauf, bis es wieder springt.

Es ist ein Kreuz mit der Kälte! Nächste Woche muß ich mal auf's Rathaus gehen, unsere Feuerung ist gleich alle. Mal sehen, was die Herren sagen.

Der Papa konnte ja heute garnicht zu seiner Bauernfrau gehn, soviel Schnee liegt bei uns! Es schneite heute wieder den ganzen Tag, es kann einem richtig Angst werden, die Wälle werden immer höher! Und so bin ich heute Vormittag um 11 [Uhr] losgefahren, mit den Brettern! Vater schlief noch.

Aber Du machst Dir keine Vorstellung, wie schlimm es ist auf den Landstraßen! Ich bin hinten weg gefahren, beim Ludwig B., dann die Landstraße am Bauer H. vorbei, weißt das letzte Gut, das weiße. Dort hinten lagen die Schneewehen hüfthoch, mußt jetzt denken, ich sei nicht aus Oberfrohna! Du! Das ist nämlich Tatsache – man muß sich sogar mit Brettern vorwärts kämpfen, zu Fuß kann dort niemand mehr gehn. Auch der Omnibus fährt nicht mehr nach Penig. Einer ist in den Graben gefahren und es fanden sich keine Pferde, die ihn abschleppen konnten – jetzt guckt nur noch das Dach heraus, so zugeweht ist er.

Aber mir macht es trotzdem Vergnügen, so hindurchzusausen. 3 Stunden hab ich fast gebraucht zu diesem Weg! Dafür hab ich aber auch 2 Stück gekriegt! Siehste, Deine [Hilde] richtet sich ganz schön ein! Ich soll nur mal wiederkommen, hat sie gesagt! Ich mußte ja so lachen! Ich hatte einen Brotbeutel um die Hüften, weißt, wie die H-J hat? Und darein sollte die Butter. „Nee!, nee!, um Himmels willen, die Schandarme! Die gucken iberall nei!“ [sic] Sie drang darauf, daß ich je eines in meine Hosentaschen verstaute! Ich zog los. Und außer Sicht, da hab ich umgeladen. Wer soll mir denn nachgucken! Wo ich wie eine harmlose Skifahrerin aussehe, die ihren Proviant auf dem Popo hängen hat! Sie ist eine ganz argwöhnische, die Bauernfrau.

Tüchtigen Hunger bekommt man, ich habe tüchtig gegessen, als ich zu Haus ankam. Die Eltern rüsteten für ihren Gang nach Mittelfrohna! Sie haben es nicht abgeschlagen, morgen früh um 8 [Uhr] ist Markenausgabe, da muß der Saal aufgeräumt sein und geheizt – bis um 1300 [Uhr] heut nacht geht der Tanz.

Allein können sie es nicht schaffen und fremde Leute wollen sie nicht allein lassen in der Nacht. Sie müssen es so einrichten, daß ein Teil schlafen geht wenn der Tanz vorbei ist, um morgens da zu sein, wenn die Leute kommen. Ein Teil muß die Räume in Ordnung bringen nach dem Ta[nz] und dann kann er erst schlafen. Das werden wohl die Männer übernehmen. Ich habe nichts dazu gesagt. Was hilft's denn auch. Sie mögen es ihnen eben nicht abschlagen, dann und wann einmal wollen sie aushelfen.

Ich helfe nicht mit. Sie wissen es auch. Und es fällt kein Wort mehr darüber auf beiden Seiten.

Die Eltern bleiben unten bis morgen mittag. Ich koche für mich allein. Nach dem Essen will ich wieder ein Stück hinaus fahren in's Freie, die K.er Hilde wird mich begleiten, wir haben uns heute in der Stad[t] getroffen und kamen darauf zu sprechen, sie hat auch niemanden, der mit ihr mal fährt. Ich bin schon früher oft mit ihr gefahren, es ist besser zu Zweien, wenn mal was passiert. Und man kann dann auch mal eine Strecke fahren, die einsamer ist, weil man ja nicht allein auf sich angewiesen ist. Vorm Dunkelwerden kehre ich ja sowieso immer zurück, es ist zu gefährlich sonst. Und ich versprech' Dir auch mein Lieb, daß ich ganz vernünftig und vorsichtig fahre!

Wenn's einen dann wieder mal gepackt hat, das weiße Fieber, da kann man's gar nimmer lassen! Das herrliche Weiß, jeden Tag frisch und weich, lockend! Du!!

Wir müßten nur günstigeres Gelände haben hier. Es ist zu wenig bergig. Aber es ist auch schon schön, wenn man immerzu in die Ebene hinein schreiten kann, es macht so frei, so leicht, es gleicht aus – ach und das Schönste ist, daß man die Pracht eines solchen Wintertages, der die Natur so ganz verzaubert, recht tief in sich aufnehmen kann.

[W]elch Glück, welch Reichtum, gesund und jung zu sein! Und dazu das Herz voll Liebe, so voll Seligkeit!! Du!!

Wenn es möglich ist, Herzlieb! Wenn wir beisammen sind wieder, für ganz, Du! Da legst Dir auch Bretter zu, ja? Ich möchte so gerne mit Dir in den Winter fahren, Du!, wenn alles schweigt, wenn alles erstarrt scheint, dann wollen wir beglückend unseren warmen Herzschlag spüren, dann wollen wir uns in unserm Glück ganz einhüllen lassen von dem Schweigen der weißen Natur, dann wollen wir froh und selig spüren, was Leben ist, was Liebe heißt, Du!!!

Wünsche – Wünsche – wir haben ihrer so viele. Du!!! Und die kleineren, nebensächlichen, sie verblassen doch alle vor dem größten und heißesten unserer Wünsche: Frieden und frohe Heimkehr.

In Gottes Händen liegt unser Geschick, wir können nichts als glauben, vertrauen. Du!! Das tun wir aus ganzem Herzen. Mein [Roland]! Mein geliebter [Roland]!! Du!!

In Norddeutschland hat der Feind heut nacht angegriffen. Mein [Roland]! Gebe Gott, daß Dir nichts geschehen ist. Ich fürchte mich vor dem Frühjahr – sie werden mit Gas angreifen, ich ahne es. Du!! Es ist furchtbar, das Unglück zu Ende zu denken. Was soll dann aus uns allen werden? So viel Grauen und Not, ach, wenn es unserm Volke doch erspart bliebe. Unser Herrgott kann es ja nicht geschehen lassen. Du!! Er kann es nicht geschehen lassen! Und Du bist nicht bei mir, Geliebter!! Du bist nicht bei mir!

Du!! Ich will noch ein wenig in Deinem lieben Buche blättern, dann wird mein Blick wieder hell, Du! Da[nn] werde ich wieder froher – die Stille und Einsamkeit macht oft so schwermütig – und ich bin so schnell empfänglich für eine Stimmung. Die Frauen sind so weich – ach, sind sie es alle? Bloß Deine [Hilde] ist zu weiblich, so anlehnungsbedürftig, wenn ihr Herz einsam ist. Du!! Du!!!? Magst Du mich denn so haben? Ich will Dir doch so gerne nur Dein Sonnenweibchen sein, will Dich nur froh machen! Du!! Es will mir nicht immer gelingen!

Herzallerliebster!! Ich will nun schlafen gehen. Ich denke ganz fest, so lieb und zärtlich Dein!! Du!! Du!!! Auf den Boden will ich zuvor nochmal, nachsehen, ob Deine Hemdeln u. Höseln getropft haben – ich hab sie heute nachmittag gewaschen und hinauf gehängt.

Geliebter!! Mein lieber, guter [Roland]!! Daß Du mein bist, Du!!! Du bist mein ganzer Lebensinhalt, wie leer wäre mein Leben ohne Dich! Herzlieb!! Du!! Du!! Mein Eigen bist Du!! Mein!!! Gott behüte Dich mir! Er erhalte Dich mir gesund und froh! Ich harre treulich Dein! In inniger Liebe, in Treue immerdar!

Ich küsse Dich, mein Lieb!! Ich bin ganz Deine [Hilde], Deine Holde.

Und Du bist mein [Roland ]!!! Mein lieber, lieber, liebster [Roland]!

 

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946