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[OBF-401221-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 21. Dezember 1940.

Herzallerliebste! Meine liebe, liebe [Hilde]! Holde mein!

Der Weihnachtsbote soll heute abgehen. Die rechte Andacht ist nicht dazu. Es gab heute viel Arbeit, und in der Stube ist es unruhig. Ach Geliebte, immer in der Gesellschaft von 10 und 20 Menschen, das wäre seelisch mein Tod.

Nun ist es mit einemmal [sic] da, Weihnachten, so jäh — wie sonst noch nicht. Die ganze schöne Zeit der Vorbereitung, angefüllt mit Heimlichkeit und Freude des Schenkens und Empfangens, die schöne Zeit der Zurüstung auf das Fest — wir sehen und erleben sie hier nicht.

Weihnachten bei den Soldaten. Hat es einen Sinn? Hat es hier eine Stätte? Wenn es nur eine Gelegenheit sein soll, dieses Soldatenleben auszuschmükken [sic], so wie wie [sic] tatsächlich darauf gerüstet wird, dann mag ich es nicht. Mag es nicht, weil es am Sinn vorbeigeht, ihn verfälscht, und weil ich nicht mag, daß man die Waffen bekränzt — als nur zur siegreichen Heimkehr. Aber sonst, Weihnacht? Überall ist Weihnachten, wohin nur das Himmelslicht der Weihnacht fällt, und es fällt überallhin, wo sich ihm nur ein Menschenherz gläubig öffnet. Und so ist Weihnacht auch in mir. Wenn es irgend angeht, will ich am 1. Feiertag zur Kirche gehen. Du Herzlieb, weißt den Weg, und weißt auch den Platz, den ich wieder aufsuchen will. Und in diesem Sinne feiere ich es mit Euch Lieben allen eng verbunden, [^]mit Dir mein Herzlieb aber am allermeisten und tiefsten. Dich weiß ich an den Festtagen unter den Glücklichen, die mit den Engeln den Lobpreis Gottes singen dürfen. Ich stimme mit tiefstem Herzen mit Dir darein.

Wir stimmen darin ein, voll froher Gewißheit der Liebe und Gnade Gottes, die sich zu Weihnachten immer wieder herniedersenken [^]will auf diese dunkle, liebeleere Erde. Wir haben sie so sichtbar erfahren, Geliebte, das wollen wir nie vergessen! Mutter schrieb davon, daß Hellmuth nicht eher in Urlaub fahren konnte, als bis er die Weihnachtsfeier vorbereitet hatte. Er hat irgendeinen Raum ausgestattet und bebildert. Er hat ihnen Schafen, Esel und Hirten gemalt. Die Krippe mochten sie nicht. Im Radio ist noch nicht ein Weihnachtslied erklungen, das an den großen, weiten Himmelsbogen gerührt hätte, von dem wir wissen. Ja, Herzlieb, wenn wir uns umsehen, wie die Menschen das Fest begehen, dann sehen wir uns unter einer Mind[er]heit. Das darf uns nicht schrecken, darf uns nicht irre machen, nicht wankend machen. „Verstand ist immer bei wen’gen nur gewesen.“ Was auf dem Markte [sic] billig feil ist, es taugt meist nicht viel; so auch die laute, marktschreierische Meinung. Und dessen sind wir Zeuge: Diese unsere Zeit, die sich vielleicht viel darauf zugute tut, Gott zu entthronen oder wenigstens dahin zu rücken, wohin es ihr eben paßt; diese Zeit vergaß nicht nur ihren Gott, sie entfernt sich zusehends au[ch] von allen großen Werten (in den Reden großer Männer und in den großen Tönen, die zum Zwecke der Propaganda angeschlagen werden freilich nicht — aber in Wirklichkeit); diese Zeit ward nicht nur taub für die Stimme taub Gottes, sondern auch für die Stimme des Gewissens, für alle feinen Stimmen in unserem Innern, in den Werken aller großen Meister. Sie wollen nichts mehr wissen von dem Erbarmen und der Gnade Gottes. Freilich, der Mensch, der nie in seinem Leben strebte, nie über sein Leben nachdachte, wer nur wie ein Tier dumpf dahinlebte, der spürte nie menschliches Gebra[^]echen, menschliche Armseligkeit, menschliche Sündhaftigkeit — den verlangte es nie nach göttlichem Erbarmen. Und wer selbst in seinem Leben nie Güte dankbar erlebte oder spenden durfte, der versteht sie nicht, die Botschaft von Gottes großer Vatergüte. Und der große Dichter Dichter [sic] Kolbenheyer stellt fest als Charakterzug uns[e]rer Zeit: daß die Güte aussterbe. Da legt er den Finger in eine böse Wunde, in eine Herzwunde.

Nein Geliebte! Recht feiern wir es! Das ist gläubige Gewißheit in mir, von der ich nicht lassen mag, in die ich mich aber immer [m]ehr versenken will! Und will mich jemand darin irre machen, er soll kommen, ich will ihn mir erst einmal ansehen: Versteckt er sich hinter irgendeiner propagierten oder angelesenen Meinung, dann will ich sagen: Du wirst mich niemals irre machen! — Hat er aber eine eigene Meinung, so will ich ihn anhören und will mir sein Leben ansehen — und dann will ich ihm, wenn er es ehrlich meint, sagen davon, wie Gottes Güte und Gnade über unserem [L]eben lag. Ach Geliebte! Das ließe sich wohl gar nicht erzählen. Das muß man erfahren haben! Bei diesem Erzählen gäbe es soviel Worte des Mißverstehens. Man kann solche Menschen nur immer wieder auf den Weg hinweisen.

Das wichtigste Mißverständnis, bei dem man sich allzeit nur zu leicht selbst ertappt: Ich halte zu Gott, weil er mir hilft. Das ist Nützlichkeits- und Krämerglaube. Der Glaube ist viel mehr als eine Versicherung, er ist keine Versorgungsanstalt — die Botschaft ist [siehe Ausschnitt aus dem Brief: doppelt durchgestrichen] des Glaubens ist nicht die Botschaft des Schlaraffenlandes.

Oh nein! „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, und niemand kommt zum Vater, denn durch mich!“ Der Weg, das ist der Weg des Gottessohnes — und dieser Weg ist Liebe, Güte, Treue, Gehorsam bis in den Tod, dieser Weg ist Kampf mit der Sünde, mit menschlicher Beschränktheit und Unzulänglichkeit und Eige[^]nwilligkeit, dieser Weg ist ein Ringen um das bessere Teil — bedeutet Entsagen, Überwindung — oh, es ist ein steiler, schmaler Weg, ein schwerer Weg!! Wir Menschen können ihn allein nicht gehen, werden müde, fallen immer wieder zurück, schwindeln vor seiner Steilheit. Nur den Gläubigen gilt der Rat: „Rufe mich an in der Not!“ So schwer es ist — so groß der Widerstreit menschlicher und göttlicher Einsicht auch manchma[l] scheinen mag, so greifbar deutlich geht doch Gott durch unser Leben, so deutlich und wahrhaftig ^wie sich [siehe Ausschnitt aus dem Brief: doppelt durchgestrichen] der Himmel sich über uns wölbt in seiner Größe u. Weite und Ferne und Rätselhaftigkeit, in seiner Schicksalsschwere.



Herzliebes! Wir gehen unseren Weg weiter unbeirrbar, dankbar und treu allezeit. „Sei getreu — — —!” „An Gottes Segen ist alles gelegen!“ Weil wir das wissen und fühlen, strecken wir uns nach der Hand Gottes. Und der uns diese erbarmende Hand Gottes wies, das ist unser Herr und Meister, dessen Geburtstag wir wieder feiern. Geliebte! Wieviel Schönheit und Reichtum, inneren Reichtum, haben die besten und größten Menschen diesem Geburtstag geweiht, weil sie von diesem Wunder erfaßt waren und sich gläubig darein versenken, weil das Licht der Weihnacht ihnen aufging! Schon diese Geburtstagsgeschenke wären Beweis genug für die gewaltige Tatsache der Weihnacht, wenn es dessen bedürfte. Und dieses ewige Licht, das wirklich und einzig ewige — es leuchtet noch immer den Menschen zum Heile — so nahe und tröstlich, uns Menschen zu erheben — so ehern und fern ^aber auch wie die blitzenden Sterne, erhaben, hoch erhaben über allem Gezänk und Gespött und allen Anfeindungen dieser Erde. Welch gewaltiges Gleichnis, dieser bestirnte Himmel, welch gewaltige Predigt, welch Finger Gottes! Zuversichtlich und demütig werden wir allzeit zu ihm aufschauen.

Herzlieb! Dein [Roland] wird nicht traurig sein zu Weihnachten! Und Du sollst es auch nicht! Wir müssen nur Geduld haben! Und kommt doch einmal eine trübe Stunde, dann wissen wir, es ist nur eine leichte Wolke, die sich vor die Sonne schob. Die Wolke geht, die Sonne bleibt! Die [So]nne unsrer Liebe, Holde!, die Sonne unsrer innigen Gemeinschaft, uns[e]rer Lebenskameradschaft, Geliebte! Diese Sonne, welche Wolke möchte sie auslöschen?

Unter der großen Gnadensonne Gottes, im Aufblick zu ihm, dürfen wir dann auch an unserem Glück bauen, dürfen daran denken, wie wir das Weihnachtslicht in unser Heim pflanzen wollen, in uns[e]re Kinder, wie wir als schönstes menschliches Gleichnis zu dem göttlichen sie beschenken wollen, damit sie die Güte kennen lernen sollen und erfahren für ihr ganzes Leben.

Meine liebe, liebe [Hilde]! Ich sehe Dich unter dem Lichterkranz — Tränen schimmern in Deinen Augen — diesmal nicht von einem beglückenden Geschenk, ich habe keines, — sondern weil Du zu mir denkst, weil Dein Herz zu mir schlägt, weil Dein Sehnen in die Ferne geht, Dein Sehnen, Dein Verlangen, weil Du zu mir willst, weil Du zu mir gehörst —— und so geht es mir, weil mein Herz zu Dir schlägt, weil ich zu Dir gehöre — Geliebte! Es sind wohl Tränen, aber Tränen des Glückes, wer sie hat, ist reich, so reich und glücklich! Geliebte! Meine liebe [Hilde]! Ich fasse Deine lieben Hände, lange, und werde ganz ruhig und schaue mit Dir auf zum Himmel, zum Gebet: Gott, Herrgott im Himmel, sieh uns hier stehen, sei uns gnädig, segne unseren Bund!

Meine liebe, liebe [Hilde]! Verlebe mit Deinen lieben Eltern und Deinem [Roland] ein frohes, stilles Fest! Ich bin immer bei Euch, bin immer bei Dir, Du mein Glück, mein Leben! Ich bin ganz Dein! Dein in aller Liebe und Treue! Allzeit Dein, ganz Dein!! Und Du wartest auf einen — er sitzt jetzt ganz allein noch mit besonderer Erlaubnis, hat alle Lärmer [sic] überdauert mit seiner Schreibwut — auf einen allein — und gerade auf ihn — und wartest auf ihn mit Deiner großen Liebe, Du!! — Du!!! Wirst nicht vergebens warten! Er kommt! Ach, er käme gleich! Er kommt!!! Und will zu Dir!! Allein nur zu Dir!!! Zu meinem lieben, reichen Weib! Zu meiner [Hilde]!!! Zu meiner lieben, guten [Hilde]!!!!!

Dein [Roland].

Die lieben Eltern will ich morgen mit einem Brief bedenken. Grüße sie recht herzlich von mir!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946