Bitte grüße die lieben Eltern recht herzlich.
Donnerstag, den 19. Dez. 1940.
Meine liebe, liebe [Hilde]! Herzallerliebste, Holde mein!
Siehst! Wärst bei mir geblieben! Warm ist es in der Stube. Draußen ist es um 0 Grad, feucht und rauh. Letzte Nacht fielen 5 cm Schnee. Da würdest nicht so frieren. Na, und wenn es dann noch an ein paar Grad fehlte, dann müßten, müßten wir eben ein bissel zusammenkriechen, wenn es uns auch schwer fiele!
Nein. Aber im Ernst! Hüte Dich recht [se]hr, Geliebte, besonders in Deinen kranken Tagen! Hast so wenig Blut?! Ich kann mir eigentlich gar nicht denken, daß Du im Wasser nicht frierst, wo ich doch dann friere. So kalt ist’s schon bei Euch! Die letzten Winter begannen alle mit dem kalten Zipfel. Es ist deshalb noch gar nicht ausgemacht, daß dieser Winter ein gestrenger Herr wird. Es wäre in Anbetracht der zugeteilten Kohlen auch nicht gut. Na, ich meine, es wird schon Rat, wenn Ihr nur gesund bleibt. An warmen Kleidern fehlt es nicht.
Nun hast so viel zu schreiben! Ach Du! Ich auch, viel Schreibschulden! An die dringendsten muß ich mich doch auch nun mal ranmachen. Aber erst kommt mein Herzlieb.
Viel Arbeit gab es heute wieder: 10 Mann rückten wieder ab, ganz plötzlich kam es.
Morgen, Du, gehe ich zum Zahnarzt. Einmal war ich schon da verflossene Woche. Zwei Zähne begannen zu schmerzen. Sobald Du Dich wieder kräftig fühlst, laß Dir nur Deine Beißer auch in Ordnung bringen. Schlechte Zähne können der Herd mancher Krankheit sein. Freitag wird es schon wieder morgen. Im Fluge vergehen die Tage, richtig hell wird es gar nicht. Die Arbeit hier ist nicht anstrengend, aber sie hält einen immer in Trab. Ich freue mich auf die Feiertage. Es heißt, daß wir dann unser Geschäftszimmer mal schließen. Vielleicht, daß ich alle Schreibschulden gleich auf diese Tage verschiebe. 3 Mann sind über die Feiertage auf Urlaub aus uns[e]rer Stube und 2 Mann wurden mit abkommandiert. So haben wir dagebliebenen etwas mehr Luft.
Herzliebes! Sollst nicht denken, daß ich traurig bin, weil ich nicht nach Hause kann. Wie gerne ich bei Dir wäre, so unverständig ist es, sich gegen das Unvermeidliche aufzulehnen. Froh werde ich nur ganz im Innern sein, froh mit Dir, Geliebte! Aber zu einer Feier, und zu deren Vorbereitung habe ich nicht die mindeste Lust. Wie ein Tier bin ich, das die Freiheit so li[eb]t, und nun in der Gefangenschaft nicht einen Augenblick vergessen kann, daß es hinter Gittern steckt; das dem Wärter, so lieb er sich auch anstellt, keinen freundlichen Blick vergönnen mag; das sich aber unablässig sehnt nach seiner Freiheit — und in dieser Freiheit, da bist Du, meine liebe, liebe [Hilde]!! Und Du weißt, wenn zu dieser Freiheit sich das Tor öffnet, wie froh und glücklich ich dann bin, zu Dir zu eilen, Dich festzuhalten und nicht wieder von meiner Seite zu lassen! Du!! Die lie[b]ste Feiertagsstunde wird mir darum sein, wenn ich früh vor dem Wecken, und beim Mittagsschläfchen und vor dem Schlafengehen Deiner denken kann! Vielleicht, daß ich mir noch ein, zwei Bücher mitbringe, um einmal auszuspannen mit meinen Gedanken. Und Du, Herzlieb, schreibst mir, was [Ihr] treibt und denkt, es wird mir die größte Freude sein! [Du]! Ich bin so müde heute. Es ist 11 Uhr. Warst Du wohl in der Singstunde? Mein Herzlieb! Behüte Dich Gott! Er erhalte Dich froh und gesund. Ich bin immer bei Dir! Und morgen ist Wachbatterie, da schreibe ich Dir länger, ungestört. Du?! Jetzt will ich ins Bettlein kriechen, will mein Gebet sprechen, und mit den Gedanken bei Dir will ich eingeschlafen. Mit diesen Gedanken liege ich morgens wach nach 6 Uhr. Und so alle Tage: Ich liebe Dich! Ich liebe Dich so sehr!! Meine liebe liebe [Hilde]!!! Ich bleibe in Liebe und Treu Dir allzeit innig verbunden