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[OBF-401212-002-01]
Briefkorpus

Donnerstag, am 12. Dezember 1940.

Herzallerliebster!! Du!! Mein [Roland]!! Mein lieber, lieber [Roland]!!

Gleich ist es 300, ich bin mit meinen Backsachen startbereit. Es waren doch noch etliche Handgriffe, trotzdem mir die Mutsch schon vorgearbeitet hatte. Das Mehl habe ich gestern schon abgewogen und mit der Milch noch abends rüber zum Bäcker gebracht. Aber ich werde ihn heute auch warten lassen — erst warte ich noch den Briefträger ab ½ 400, er muß ja heute nachmittag etwas haben, früh hatte er nichts.

Heute morgen habe ich etwas Schönes vorgehabt, Du!! Psst! Und es ist alles gut gegangen — hoffentlich gelingt es so gut weiter, bis zum Ende. Es hat mir richtig Freude gemacht, Du! Und weil es heute wieder einmal ganz toll schneit, — schon die halbe Nacht hindurch — da habe ich es ganz fest an mich gedrückt, mit unter meinen Schirm genommen und habe es ein Stück an die Luft getragen. Dein Bote, den ich gestern abend fertig schrieb, war auch mit dabei. Vielleicht, daß er Dir was erzählt Du, wenn Du ihn lieb aufnimmst — aus der Heimat natürlich und vom vielen Schnee!

[N]un ist mir doch innerlich richtig ein wenig weihnachtlich zumute; draußen rüstet Frau Holle auf’s Fest hin, sie will sicher alles ganz in Weiß haben bis dahin! Und ich stehe nun dies Jahr so mitten drin im Vorweihnachtsdrasch — sogar backen muß ich ganz allein! Voriges Jahr, als ich noch arbeiten ging, da war es doch ganz anders, ich merke nicht so viel von all der Heimlichkeit vorweg u. vom Rüsten auf Weihnachten. Und während es in solch einem Betrieb recht nüchtern zugeht in der Vorweihnachtszeit — kein grünes Zweiglein, kein Weihnachtslied, nur Arbeit, Arbeit am laufenden Band — da habe ich doch jetzt zu Hause mehr Freude. Mein, unser!, Geselle steht da, auf seinen allabendlichen Dienst harrend, in einer Vase stehen Tannenzweige, auch hier und da in der Wohnung sind sie zu finden, manchmal verbreitet ein Räucherkerzchen seinen Duft — und — wenn ich mich ganz allein weiß, da summe ich sogar mal ein Weihnachtslied bei meiner Arbeit! Fehlte nur noch: Daß es mein Reich ist, wo ich herum hantiere — Du — dann wäre meine Freude ganz groß. Es wird auch noch dahin kommen, ja mein [Roland]?

Und wenn Du Dich dann mit mir gemeinsam erfreuen kannst an allem, was wir geschafft, womit wir unserem Heim immer mehr an Wärme und Behaglichkeit angedeihen lassen, dann wird unser Glück erst ganz vollkommen sein.

So viel in mir Freude ist, Du! Mein Lieb! So ist doch auch viel Unruh[e] in mir. Es sind heute 30 Tage — die Entscheidung müßte nun gefallen sein — nichts. So lange hat es noch nicht gedauert, mal einen Tag länger, aber zwei noch nie — meistens war es so, daß es eher kam. Regulär sind es 28 Tage und die hielt ich auch in der letzten Zeit immer ein, außer: wo Du im August bei mir warst und dann abreisen mußtes[t] zum Militär, da war es 3 Tage zu zeitig. Wie ich mich fühle? Eigentlich wohl, keine Schmerzen. Die sonstigen Anzeichen vorher sind kaum eingetreten. Ich kann mich auch in meinem Falle auf Anzeichen vorher nicht berufen, bei mir verlief die ganze Angelegenheit gottseidank immer so, daß ich von großen körperlichen Unbehagen nicht befallen [wur]de. Ich weiß auch nicht, was ich denken soll, Du! Ich muß noch ein paar Tage Geduld haben. Es kann auch an der vergangenen Luftveränderung liegen, daß es sich verzögert hat.

Herzallerliebster!! Du, es ist nachts, gleich ½ 11 Uhr, da ich den Faden wieder aufnehme. ich komme aus der Singstunde. Ach Du! Als ich nun heut[’] nachmittag bis ¾ 400 wartete auf die Post und nichts kam, da war ich ganz verzweifelt, sollte ich denn an allem irre werden? Er kommt ja sonst immer ½ 400. Eine Stunde war ich gerade beim Bäcker; bin ¾ 5 wieder zu Haus und — Du! Du!! Es war doch Post im Kasten! Wie mein Herz pochte, ganz wild! Du!! Und wie ich stürzte förmlich die Treppe hinauf — wieder hinunter mit dem Briefkastenschlüssel. Ich wollte die kurze Zeit, ehe Mutsch heimkam nützen, allein wollte ich so gerne sein mit meinem [Roland]! Bis ¼ 6 arbeitet Mutsch. Du! 2 Briefe kamen, von Montag und vom Dienstag, beide sind erst am Mittwoch abgestempelt worden, früh.

Herzlieb!! Du! Mein [Roland]!! Wie ich Dir danke, Du!!! Wie ich Dir so danke! Ich — Du! Du hast mich ja so glücklich gemacht — mein [Roland]! Ach, Du — hätte ich meinen Kopf an Deine Brust legen können heute, und weinen — mich ausweinen! Ach, Du! Ich weiß gar nicht warum. [V]or Freude, vor Seligkeit — Du sprichst so lieb, so gut zu mir in Deinem Briefe — ach, so gut! Du!! Mir liefen die Tränen über die Backen, ich konnte sie nicht aufhalten! Du! Wie Du mich so fest, so lieb bei der Hand nimmst — ach, mein [Roland] — das tut so unsäglich wohl! Ich möchte bei Dir sein — ach wie gerne, Du! Mir war kaum danach, heute singen zu gehen — ich war ja noch viel zu sehr bei Dir mit allen meinen Sinnen. Doch ich habe mich bezwungen, (die Eltern!) es wäre ja das erste Mal, daß ich nicht ginge, um Dir [z]u schreiben — o, nur nichts anmerken lassen von meinem inneren Aufruhr, noch nicht — nein!!! Ich muß erst ganz mit mir allein fertig werden damit, was auf mich einstürmen will.

[Roland], mein [Roland]!! Ich war nur bei Dir mit meinen Gedanken heute abend — Du — und ich habe es gefühlt, Herzlieb! Auch Du hast meiner gedacht. Ach, womit soll ich nur zuerst beginnen? Mit dem, was uns beiden jetzt so sehr am Herzen liegt.

Herzlieb! Du! Wie könnte ich Dir böse sein über Dein Gebet? Du!!! Ach Du! Wenn Du wüßtest wie ich seit Tagen schon so innig bete, der Herrgott möge mir gnädig sein, mir viel Geduld und Stärke schenken, seinen Willen zu tragen, wie er auch sei.

Ich will in Demut mich fügen in seinen Willen, wenn mein Schoß gesegnet ist.

Ich will dankbar aber zu ihm aufblicken, wenn dieses Gesegnetsein in der Zukunft noch liegen soll, wenn wir zusammen das Wunder erleben dürfen, ganz beieinander — in unserm Heim.

Herzlieb! Mein [Roland]!! Du weißt: ein Kindlein ist mein Herzenswunsch, und jetzt, in den einsamen Stunden, da ich mich so unsagbar nach Dir sehnen muß u.[nd] mir ja immer wieder zureden muß: er kann ja nicht um Dich sein — er tut seine Pflicht!, ach Du, da ist die Sehnsucht oft groß nach einem Lebewesen, das ich hegen könnte und umsorgen — es wäre ja von Dir, Du! Mein [Roland]! Von Dir!!! Weißt Du denn, was mir das wert ist? Mein Herz!!

Aber um diesen Wunsch liegen so viele ernste Dinge; Sorgen, Hoffnungen, ach, so vieles, das man in einem garnicht alles ermessen und aufzählen kann. Und ein großer Wunsch steht ja über allem: Ich möchte bei Dir sein in dieser Zeit! Es liegt mir so viel daran, Du! Ich hätte keine Not daheim, o nein! Und Deine liebe Mutter dazu, Du! Aber eines fehlt mir — eines, und das ist doch alles, — Du fehlst mir, Deine Nähe! Herzlieb! Du sprichst auch von der Reue.

Du, mein [Roland]! Du sprichst wahr: es ist so wichtig, wie es schwer ist, zu allem freudig ja sagen und alles andre weit hinweg zu weisen. In meiner Liebe zu Dir gibt es das Wort Reue nicht. Ich habe Dir das schon früher einmal geschrieben: niemals werde ich bereuen, was aus Liebe zu Dir geschah.

Was mir auch daraus wächst, ich werde es tragen. Du!, weil ich Dich liebe.

Frauenliebe kann so unermeßlich tief und innig sein, wenn sie nie durch Enttäuschung getrübt wird. Sie kann so vieles ertragen, erdulden, erleiden — sie wird nur noch tiefer und reicher dadurch. Herzlieb — ich will gefaßt sein auf dies letzte der Liebe.

Und wenn Du mir auch fern sein mußt in der Zeit meiner Hoffnung, mit dem Gefühl des Mutterwerdens wachsen in mir Kraft und Zuversicht und Geduld, ich weiß es — und ich will es so gut, so lieb so froh und demütig erwarten, unser Geschenk — Dein Geschenk — Du! Ich bin bereit, in mir — ja, mein [Roland]!

Aber ich habe auch noch eine Hoffnung in mir, die mir aus dem großen, innigen Wunsch wächst: Bei Dir zu sein in dieser Zeit des Hoffens und Wartens.

Ach Du, wie Du das so lieb mir ausmalst. Daß Du ganz, ganz mit mir allein sein möchtest, wenn ich Dich dann glücklich beschenken kann mit dem letzten Pfand unserer Liebe. Du!! Du!! Weißt Du denn, daß ich mir nichts sehnlicher wünsche, als das?: Dir in die Augen schauen dürfen, mit dem ersten Blick voll Dankbarkeit über das empfangene Kindlein, mit dem ersten Blick frei von Schmerz u[nd]. Qual! Du! [D]as möchte ich, ja, das möchte ich so gerne!

Und — Du!! Ich wollte Dich auch immer in meiner Nähe wissen — ja — wenn es dann so dunkel um mich wird, wenn die Schmerzen kommen, wenn man so allein hindurch muß — ach — wie tröstlich — Deine liebe Hand in der meinen zu spüren. O — ich weiß, wie das wohl tun kann, Herzlieb!

Ja, mein [Roland]! Ich verstehe Dein Gebet.

Ich habe mich Deiner Bitte angeschlossen, schon seit Tagen. Du. Die Gewißheit wird Kommen, nach einer Seite hin.

Wir sind bereit, zu empfangen, recht zu empfangen, was der Herr uns schickt. <Was mein Gott will, gescheh allzeit; denn sein Will' ist der beste!> Ein Halt, ein letzter Halt ist uns Menschen gegeben auf dieser Welt, einen starker Arm schützt alle, die schwach werden wollen.

Du und ich, wir wissen den Weg; wir kennen ihn, zu unserem Vater. Und unsere Liebe, [Roland]! Sie ist die feste Brücke von Dir zu mir — von mir zu Dir. Mein [Roland]! Ich liebe Dich, liebe Dich! Lasse mich nun schlafen, Du — o — schlafen — [Roland] mein Lieb? Bist Du noch immer bei mir, jetzt um diese Stunde um 12? Ich möchte so lange schlafen, ich möchte am liebsten schlafen bis in den Februar hinein, Du!

Morgen und übermorgen, da gibt es kein Sinnen, kein Träumen, da ruft die Pflicht, die Arbeit. Sie kann ein lieber Kamerad sein — sie kann aber auch zum Peiniger werden.

Mein [Roland]! Mein [Roland]!! Behüte Dich mir Gott!

Ich liebe Dich so sehr!! Ich bin ganz Dein!! Gutenacht [sic], mein lieber guter [Roland] und ich danke Dir so sehr für Deine lieben Worte, ich danke Dir so sehr!

Behalte mich lieb, Du!

Deine Holde.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946