Bitte warten...

[OBF-401208-001-02]
Briefkorpus

Sonntag, den 8. Dezember 1940

Herzliebes! Mein liebes, treues Herz! Holde mein!

Du, ich bin heute so froh innerlich — und ein ganz klein wenig ist mir auch weihnachtlich zumute — und, es kann gar nicht anders sein, Du bist es auch. Wenn auch Dein lieber Bote vom Donnerstag nicht ganz darnach ausschaut. Zunächst will ich mich also entschuldigen, daß Du gestern so kurz kommen mußtest. Höre: Gestern war Barbaratag. Barbara, die Schutzheilige [d]er Artillerie.

An diesem Tage war im Kösterheim ein Fest der dort untergebrachten Kompanien angesetzt, zu dem alle Chefs der zum Abteilungsbereich gehörenden Kompanien geladen mit einem Trupp, der zur Ausgestaltung des Abends beitragen sollte. Ich schrieb Dir, daß ich musikalisch eingespannt wäre. Und, das erfuhr ich erst in letzter Stunde, was wir da studierten, war also für diesen Abend bestimmt. Um 4 Uhr wurden wir abgeholt. Um 5 Uhr begann das Fest damit, daß jeder einzeln durch eine Kanone in den Saal geschossen wurde.

Na, und dann begann es. Der Saal war festlich dekoriert, die Wände bemalt. Wir wurden im Laufe des Abends gespeist mit Labskaus, Freibier (hat Hubo alles verschenkt), Stollen und Bohnenkaffee. Eine Hauskapelle musizierte fleißig. Und dann begannen die Darbietungen: Komische Vorträge, ein Zauberkünstler, ganz drollige und ergötzliche Szenen und Karikaturen aus dem Leben der Flakartilleristen und der ‚höheren‘ Offiziere. In dieser Richtung lag ja nun auch die Art uns[e]rer Darbietung. Sie wurde sehr beifällig aufgenommen. So verlief der Abend unterhaltsam und anständig. Ich traf auch meine Kameraden aus Bülk. ½ 12 Uhr war alles vorbei.

Und nun, Herzliebes, heimgekehrt aus der Öffentlichkeit, gehen meine Gedanken noch einmal so lieb und gern zu Dir, zu meinem Heimchen, zu meiner lieben Frau, der Hüterin des Herdes, der häuslichen Ordnung und Zucht — und noch von noch viel mehr. Und vor mir steht deutlich und klar folgendes: Die Öffentlichkeit, das öffentliche Leben ist Sache der Männer. In dieser Welt des Mannes, wenn sie gesund ist, gelten männliche Maßstäbe: Strenge, Härte, Gerechtigkeit, Folgerichtigkeit, Unbestechlichkeit. Überall, wo die Frau in diese Öffentlichkeit eintritt in Fabrik oder Büro oder anderswo, steigt die Gefahr herauf, daß diese männlichen Maßstäbe nicht immer angewandt werden, daß Maßstäbe aus der Welt des Weibes sich einschleichen: Gunst, und andere. Der Bezirk der Frau ist das Heim. Mit diesem Heim holt sie den Mann immer wieder zurück aus der Öffentlichkeit, fesselt und bindet sie ihn an ihren Kreis, und hält ihn damit an, auf sich selbst zu besinnen. In diesem Heim findet der Mann alles, was ihm die Öffentlichkeit nicht bieten kann. Hier findet er Liebe und Zärtlichkeit, hier gelten auch einmal Überwindung und Nachgiebigkeit und Bestechlichkeit. Ja, Du! Von Dir lässt der Hubo sich auch mal überreden und vielleicht sogar mal bestechen (nicht stechen)! Du!! Das scheint mir, ist es auch, was andere und Dich selbst, so verwundern ließ: daß ich jetzt so ganz anders sei. Herzliebes! Ich lebte so lange nur in der Öffentlichkeit. Gern war ich dann wieder daheim — aber dann, grausam bewußt wurde es mir zuweilen, war ich allein, einsam. Und ich trug doch in mir solch große Sehnsucht nach der Zweisamkeit, trug in mir solch liebes, hohes Bild von dieser Zweisamkeit. Wenn ich am Donnerstag ging zur Singstunde, dann trat ich in die Öffent[li]chkeit, dazu noch in eine ganz besonders geartete, empfindliche Öffentlichkeit, die meine Wachsamkeit doppelt spannte: 1) Sauberkeit und Unbestechlichkeit im öffentlichen Leben liegen mir am Herzen. 2) Die Kantorei, vorwiegend aus weiblichen Mitgliedern bestehend, stand schon deshalb in besonders grellem Lichte der Öffentlichkeit. Wie oft, zumal im Anfang, foppten mich die Kollegen und spielten an auf die ‚Möglichkeiten,’ die ich doch hätte. Wie so etwas auf mich wirkt, weißt Du. [3]) Die Kantorei ist zudem mit der Kirche verknüpft und jede Unregelmäßigkeit dort wird auch auf sie bezogen. 4) Wenn ein Frauenverein nicht auffliegen und platzen soll, dann muß der Leiter wachsam darauf bedachtsein [sic], alles zu verhüten, was der weiblichen Neigung zu Eifersucht, Zank und Klatsch Nahrung geben könnte. Ich weiß, daß ich bei den ersten Vergnügen peinlich darüber wachte, daß ich beim Tanzen niemanden zurücksetzte, daß ich meine Neigung ganz zurückdrängte, (es kostete mich manche Überwindung), daß ich Fräulein W. zum Tanze

— 2 —

holte wie — na — — Du weißt schon.

Daher also die Amtsmiene, die Korrektheit Rührmichnichtan [sic]: Es war auch ein guter Schuß Diplomatie dabei. Na, und das alles zu den Schwierigkeiten, die mir diese Amt brachte. Es erfordert — in den Abendstunden — ein ganz enormes Maß von Aufmerksamkeit und Konzentration und Willensanspannung!

Ich empfand viel innere Freude und Befriedigung darin, wie man sie nach jeder Leistung empfindet. Mit dieser Freude kehrte ich heim. Und wenn ich dann von der Anspannung zurückfiel in die Müdigkeit — dann sehnte ich mich ja manchmal so sehr, die Befriedigung und Freude zu teilen und mich anzulehnen an ein liebes Menschenkind. Ach Du! Selten und ganz leis ließ ich diese Sehnsucht, mein Leid, mein Wesen einmal durchblicken und aufblitzen in der Singstunde — — Dir ist es nicht verborgen geblieben! Du! Geliebte! Du hast mich erlöst, Herzliebstes! Erlöst von meinem Leid! Ich bin nicht mehr allein! Du! Ich kann jetzt heimkehren, Du! Heim zu Dir, Geliebte! Aus der Öffentlichkeit in tiefste, trauteste Zweisamkeit. Du, mein holdes Weib stehst an ihrer Schwelle mit offenen Armen. Geliebte! Wie gern ich komme. Du! Hast es mal gesehn in Barkelsby, wie schnell auch? Geliebte!! Liebste, Holde! In tiefster Zweisamkeit!! Du! Du dreizehnte Tür, Du! Sie ist uns nun nicht mehr verschlossen und verwehrt! Herzliebes!!! Der Raum höchster, irdischer Seligkeit — Du verwahrst ihn treu — und — der Hubo hat das Schlüsslein dazu!!! Liebste! Immer deutlicher wird es mir, daß diese Stunde letzter Traute, wenn sie ganz kostbar sein soll, Ausdruck innigster Verschmelzung und heißen Verlangens aus inniger Liebe sein muß.

Nach alledem verstehe ich so gut, daß Du noch jetzt gern zur Singstunde gehst.

Herzliebes! Was hast denn da Unbedachtes gemacht, der Mutsch erzählt, was ich bezahlt habe! Das hättest Du nicht tun sollen, Katherlieschen! Kennst doch unsre Schweigetaktik vom neuen Hut her, mit der man den Eltern unnütze Aufregung erspart. Tatsächlich ist es doch so: Mutsch hat recht — und wir haben recht. Mutsch hat recht: Sie spart und nimmt es zu[sa]mmen und sucht zu erübrigen, und scheut selber keine Mühe — und wir, geben bedenkenlos aus. Und wir, bzw. Hubo, haben recht: Rechnen wir gar nicht? Geben wir immer bedenkenlos aus? Nein. Wie denn, wenn ich rauchte und tränke? Wie denn, wenn Du hättest im Hotel wohnen müssen?

Du kennst mich in diesem Punkte: Eine Gefälligkeit und ein Esmöglichmachen [sic] kann man [^]nicht hoch genug veranschlagen. Du weißt, daß wir nicht nur [e]inmal davon sprachen, was wir zahlen wollen. Du weißt auch, daß ich mehr zahlen wollte und auf Deine Vorstellungen hin mein Angebot erniedrigte — dieses Angebot haben wir nicht kleinlich errechnet, sondern halb gefühlsmäßig abgewogen — und das ist meiner Meinung nach richtig in solchem Falle. Bedenke doch, was diese Gefälligkeit für uns bedeutete — alles hing daran! x [Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]

Ich bin kein Verschwender, bin auch kein Geizhals. Glaubst nicht, daß ich für mich die Kosten Deines Besuches einmal überschlagen und bei mir eine runde Summe be-

_____

x Mutsch kann das gar nicht ermessen. [Siehe Ausschnitt aus dem Brief.] 

— 3 —

willigt habe? Ja, Du! Dein Hubo rechnet auch, wenn er es auch nicht erwähnt. Und innerhalb dieser runden Summe bewege ich mich dann [^]frei. Gewiß, großzügig ist das. Aber dieser Großzügigkeit ist erspart und verdient!, — und sag, Liebste Du!, war sie denn verschwendet? Wo sie doch unserem Wiedersehen und unsrer Liebe galt? Nein, nein, Du! Sie war recht angelegt! Im Sparen und Verschwenden, im Ausgeben und Rechnen und Anlegen des Geldes unterscheiden sich die Menschen ganz gewiß ihrem Charakter gemäß und bezeichnend. Und Du wirst mich auch daran darin verstehen, das weiß ich. Jetzt bist nun erschrocken un[d] zaghaft geworden bei den Vorhaltungen der lieben Mutsch. Sie kann uns nicht ganz verstehen. Aber meine Partei mußt ergreifen, Du! ich laß Dir Bedenkzeit. Und das nächste Mal erzählst das nicht wieder, dann sparst Dir allen Ärger! Nicht ärgern und betrüben lassen deswegen, Liebste! Mußt Dich fleißig üben, Geliebte!, allen kleinen Ärger an Dir ablaufen zu lassen. Weißt, Herzallerliebste?!! Uns zwei kann niemand ärgern, niemand wirklich betrüben un[d] vergrämen. Du!

Nein, nein! Und jetzt habe, habe (siehst, ich stottere gleich vor Freude) ich Deinen lieben Montagsboten in Händen! Geliebte! Die Bilder! Und Deinen lieben, lieben Brief! Du!! Wie ich mich freue!! Tausend Dank und einen lieben, langen Kuß, Du!! Geliebte!!!

Nun hast mich ganz aus dem Konzept gebracht.

Herzallerliebste! Ich achte genau auf jeden Punkt und jedes Ausrufezeichen, wenn Du von Deiner Gesundheit schreibst. Du hast mich auch darin ganz verstanden: „Sagen willst Du mir alles — Herzliebes — und sagen sollst Du mir alles, bitte, bitte! Besser und genauer als dem bösen Onkel Doktor, ja, Du??!! Du weißt, ich nehme alles vernünftig auf und mache mir weniger Sorgen und Gedanken, wenn Du mir alles schreibst, als wenn ich spüre, daß Du mir etwas verschweigst. Liebste, was möchtest Du mir wohl verschweigen? Ich weiß nichts — als eine liebe Überraschung. Du! Es wird uns Gewißheit werden! Bis dahin nicht orakeln und Gespenster sehen!

Herzliebes, daß Du wieder ganz froh bist, sagt mir Dein lieber Sonntagsbote. Und nun bin ichs mit Dir.

Du! Gestern Nachmittag war ich bei Frau P., meine Sachen zu holen — ich hatte nichts mehr auf [d]en Leib zu ziehen. Du! Als ich so dahinging, da begann es wieder zu klopfen mein Herz wie ehedem. Wie leicht, zu denken, daß Du wie sonst auf der Schwelle stündest — und als mir nun trübe werden wollte — ich klinkte, zugeschlossen — schaute durch das Fenster — da saß der Bub, der liebe, am Ofen, und nahm eine Zeitung auseinander — Blatt um Blatt — und dann schaut er auf und sah mich — und da ging ein Leuchten, ein Lachen war es nicht, aus seinem Herzen über sein Gesicht, ein Leuchten, Du! — und [i]ch weiß, es glänzte darin die Erinnerung zumeist an die liebe Tante, ich weiß es ganz gewiß — Du! Wie es mich getroffen hat — als käme es von Dir — und all meine Betrübnis war verflogen. Niemand war zu Hause. Und nun mußte ich mich mit dem Kleinen durch die Scheiben verständigen. Er kam nun an seinen Fensterplatz gekrabbelt. Am anderen saß klein und hiefrig das Schwesterchen. „Wo es Omi?". Kannst nicht de Dör opsloten [sic]?“ Ich hatte es hochdeutsch versucht. Da sperrte er nur sein Mündchen auf. Beim Plattdeutsch wurde es dann auch beredt. Oma sei in der Küche, es könne nicht aufschließen[.]

— 4 —

Trotz vieler Worte verlief unsre Verhandlung ergebnislos. Und endlich kamen sie: Mutti und Omi erschienen mit dem Brühtrog — sie wollten ja dat Swin [sic] totschlagen. Na — und nun kam ich an meine Sachen. Grüße von Dir habe ich bestellt — und Grüße soll ich bestellen. Schreibst mal einen kurzen Gruß und läßt die Bilder nacharbeiten (die sie interessieren und das Häuschen, also 3 im ganzen) und legst sie bei.

Herzliebes! Von Mittag an sitze ich über dem Brief. Es ist so vieles um mich her, das mich stört — ich bin nicht recht zufrieden mit meinem Brief — Deiner, Du! ist viel, viel schöner, Liebste! — und schöner geschrieben. — und nun ist es Abend — aber Du! Er sollte ganz sc[hö]n und lieb werden — und Du wirst das Wollen für das Vollbringen nehmen — und ich habe den ganzen Sonntag Deiner gedacht. Und nun fällt es mir richtig schwer, daß ich die Feder jetzt hinlegen soll und den Faden abreißen. Aber viel Vernünftiges weiß ich nicht mehr. Ach Geliebte, Du!! Wenn Du bei mir sein könntest! Ich bin nicht traurig. Es ist nur die Sehnsucht, die aufstehen will, es ist das Gefühl, als wenn ich jetzt Deine liebe Hand freigeben müßte. Nur bis morgen, Geliebte! Behüte Dich Gott! Er erhalte Dich froh und gesund!

Du, ich danke Dir noch so sehr für Deinen lieben Boten. Zu den Bildern will ich morgen schreiben.

Liebste! Geliebte! Ich drücke Deine liebe Hand ganz fest. In meinem Ohr liegt mir unser Abschiedsgruß: „Auf Wiedersehen!“ Liebste, ich sage ihn mit aller Zärtlichkeit, mit aller Sehnsucht nach Dir! Zu Dir, zu Dir!! Geliebte, drängt alles! Ich liebe Dich!! Ich liebe Dich!!! Ich liebe Dich allein!!! Für alle Zeit, Geliebte!!! Meine [Hilde]! Mein Weib! Mein Reichtum! Mein Glück! Mein Leben!!! Ich bin Dein [Roland]!! Geliebte, Holde mein!!!!

Karte
Kommentare
Einordnung
Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.401208-001-02a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946